Gottfried Keller

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Das Fähnlein der sieben Aufrechten

Materialien Sonstiges
Personen Aktualisierungen
Das "Fähnlein” als Kalendergeschichte Literaturhinweise
Kellers Inhaltsangabe  
 

Materialien

 

 

Personen

 


Hauptpersonen

Gegenspieler

Nebenpersonen

Karl Hediger

Hediger, armer Schneider

übrige "Aufrechte”

Hermine Frymann

Frymann, reicher Zimmermeister

Entlibucher Senne mit Sohn

Frau Hediger

Ruckstuhl, Spekulant

Spörri, Ruckstuhls Kumpan

 

 

Das "Fähnlein” als Kalendergeschichte

 

Nach der Rückkehr aus Berlin vollendete Keller innert erstaunlich kurzer Zeit den ersten Band der Leute von Seldwyla, um dann auf Jahre zu verstummen. Der einzige, dem es gelang, ihm durch Beharrlichkeit einen weiteren literarische Arbeit abzugewinnen, war Berthold Auerbach, der Keller mehrmals um einen Beitrag für seinen Deutschen Volks-Kalender bat. Berthold Auerbach, den Keller persönlich kannte, hatte am 12.4.1856 in der Allgemeinen Zeitung eine ausführliche Besprechung der Leute von Seldwyla veröffentlicht, die starke Beachtung gefunden und Keller Auerbach zu Dank verpflichtet hatte. Vermutlich war dies ein nicht unwesentlicher Grund dafür, daß Keller schließlich zusagte, obwohl er sich noch kurz zuvor nicht eben rühmlich über die Zeitschrift geäußert hatte. So mag auch der erste Satz seiner Zusage ironischer sein, als es den Anschein hat:

Ihnen meine etwas zaghafte Zusage abzusenden, zaghaft, weil es eine heikle Sache ist, neben Ihnen auf dem gleichen Kalenderbrettchen angenagelt zu sein.

Kalendergeschichten zu schreiben, war wohl kaum Kellers Ziel, weshalb auch Auerbachs Versuche, Keller mit dem Hinweis auf eine künftige Sammlung von Kalendergeschichten auch kaum allzusehr verfangen haben dürften. Keller schrieb zwar auf das weitere Andringen Auerbachs hin auch tatsächlich im Verlauf der nächsten paar Jahre zwei Texte, die dem Genre der Kalendererzählung näher kommen als das Fähnlein - bezeichnenderweise hat er sie aber nicht in seine Gesammelten Werke und auch nicht in einen Zyklus aufgenommen. Was Keller plante, war gewiß nicht eine Sammlung von Kalendergeschichten, sondern eine Novellensammlung. eine "Reihe Zürchernovellen", zu denen das "Fähnlein" hinzutreten soltel, wie Keller schon am 25. Juli 1860 Auerbach mitteilte. Nicht mit Auerbach "auf dem gleichen Kalenderbrettchen" zu stehen, ist sein Ziel, viel eher schon neben Storm und Heyse in derselben literarischen Revue.

Der Text, wie er in Berthold Auerbach's deutschen Volks-Kalender von 1861 erschien, trägt den deutlichen Stempel von Auerbachs Redaktion. Das beginnt schon beim Titel, von dem Keller keine eindeutige Vorstellung hatte.

Am 22.5.1860 hatte Keller an Auerbach geschrieben:

Was den Titel betrifft, so hatte ich darauf gerechnet, daß Sie mir ihn machten. Da Sie ihn nun brauchen, eh'Sie das Manuskript gelesen, so muß ich selbst daran. Das mechanische Motiv ist, wie schon gemeldet, eine Fahne mit Inschrift: {Freundschaft in der Freiheit!} [...] Nun dächte ich, man überschriebe:

Die Fahne der Freundschaft! oder:
Die Fahne der sieben Freunde.
Oder: Das Freundschaftsfähnchen oder:
Das Freundschaftsfähnlein.

und überlasse Ihnen, hievon zu wählen oder in ähnlichem Anklang etwas hinzusetzen.

[...] Noch fällt mir die Version ein:
Das Fähnlein der sieben Freunde.

Am 21.6.1860 teilte Auerbach die Titeländerung (zu Das Fähnlein der sieben Aufrechten) ohne weitere Nachfrage oder Begründung mit - ein Fund, dem sich auch Keller nicht verschließen konnte und der aus genauer Lektüre des Herausgebers entsprang.

Auf das Konto von Auerbach ging auch die Streichung einer Stelle, die als zu anstößig erschien. Es handelt sich um die Szene, in der Karl und Hermine in ihren Boten nebeneinander her rudern und Karl versucht, zu einem Kuß zu kommen:

So gelang es ihm, sie endlich zu überraschen und sein Schiff mit einem Rucke an das ihre zu drücken. Augenblicklich hielt er ihren schlanken Oberkörper in den Armen und zog ihre Gestalt zur Hälfte zu sich hinüber, so daß sie beide halb über dem tiefen Wasser schwebten, die Schiffchen ganz schief lagen und jede Bewegung das völlige Umschlagen mit sich brachte. Die Jungfrau fühlte sich daher wehrlos und mußte es erdulden, daß Karl ihr sieben oder acht heftige Küsse auf die Lippen drückte. Dann richtete er sie samt ihrem Fahrzeug wieder sanft und sorglich in die Höhe; sie strich die Locken aus dem Gesicht, ergriff die Ruder, atmete heftig auf und rief, mit Thränen in den Augen, zornig und drohend: "Wart' nur, Du Schlingel, bis ich Dich unter dem Pantoffel habe! Du sollst es, weiß Gott im Himmel, verspüren, daß Du eine Frau hast!" Damit fuhr sie, ohne sich weiter nach ihm umzusehen, mit raschen Ruderschlägen nach ihres Vaters Grundstück und Heimwesen. Karl dagegen, voll Triumph und Glückseligkeit, rief ihr nach: "Gute Nacht, Fräulein Hermine Frymann! es hat gut geschmeckt!" (HKKA 6, S. 267 f.)

Die Kalender-Fassung:

... Die Jungfrau riß sich los, strich ihre Locken aus dem Gesicht, ergriff die Ruder, atmete heftig auf und rief, ...

Keller hat die Stelle später wieder eingefügt. Davon zeugt auch ein Brief, in dem er Auerbachs Biederkeit aufrechnet (15.9.1860):

Ich muß Sie nun doch rüffeln wegen einer kleinen Streichung, nämlich wo der Karl das Mädchen aus dem Schiffe zu sich herüber zieht und küßt. Sie hätten die Stelle ganz streichen oder das Küßchen in Ehren stehen lassen sollen, da der Zorn des Mädchens, das sich wegen der gefährlichen Situation nicht losreißen kann, gerade vom Geküßtwerden herrührt. Auch sieht es jetzt fast bedenklicher aus, da man ja dem Burschen noch schlimmeres zumuthen kann. Durch das offene Wort Küssen wird dem schlauen Annähern und Ueberlisten eben der lüsterne und verdächtige Charakter genommen.

Hier will ich auch gleich die Frechheit begehen und behaupten, daß ja die Bibel voll der derbsten Erotik steckt und doch allen Kindern offen steht,
ja von den Quäkern und Muckern millionenweise verbreitet wird. Sie mißverstehen mich gewiß nicht, wenn ich das Bedenken aufwerfe, daß der
Kalender leicht einen zu trockenen und absichtlich didaktischen Anstrich gewinnen könnte. Es scheint mir schon ein kleiner Anfang dazu gemacht zu
sein und ich habe selbst am meisten hierin gesündigt.

 

 

Kellers Inhaltsangabe

 

Kellers Erzählung Das Fähnlein der sieben Aufrechten erschien erstmals 1861 in Berthold Auerbach's deutschem Volks-Kalender. Viel später (1878) wurde es dann im Rahmen der Züricher Novellen publiziert. Die folgende Ankündigung machte Keller gegenüber Auerbach, nachdem ihn dieser um einen Beitrag für seinen Volkskalender gebeten hatte.


Zürich d. 25 Febr. 1860.
Verehrtester Herr und Freund!

Auf Ihre freundliche Einladung beeile ich mich, Ihnen meine etwas zaghafte Zusage abzusenden, zaghaft, weil es eine heikle Sache ist, neben Ihnen auf dem gleichen Kalenderbrettchen angenagelt zu sein. Hoffentlich werden Sie noch einen oder einige von den minderen Leuten zuziehen.

Ich werde mich dabei an eine Geschichte halten müssen; weil die nöthige heilsame Ironie oder Heiterkeit sich am unbefangensten vermitteln läßt. [...] Die Freude am Lande mit einer heilsamen Kritik zu verbinden, habe ich in den Leuten v. Seldwyla angefangen und setze es so eben in zwei weiteren Bänden fort, was eine ganz lustige Arbeit ist, und ich denke nach und nach damit klar und deutlich zu werden.

Ich habe nun den Anfang einer Geschichte unter meinen Papieren, deren Gegenstand ein kleiner Züricherischer Patriotenklubb ist, alles Handwerker, welche eine ganze Entwickelung mit vielen Parteikämpfen mit durchgemacht haben. Es sind alles Originale, die ich selbst kannte; von den Parteiführern vielfach benutzt, aber nie mißbraucht, haben sie einen gewissen Kern bei allen Affairen gebildet, ohne je etwas für sich zu wollen. In der alten Aristokraten u Jesuitenzeit alt geworden und von einem derben gemüthlichen Haß erfüllt, verstehen sie nun mit ihren alten Köpfen die Zeit der versöhnten Gegensätze nicht mehr recht und halten um so fester zusammen als die "Alten und Erprobten”.

Das Novellistische wäre dies: Ein Reicher darunter hat ein artiges Töchterchen, ein Armer einen Sohn, die sich haben möchten. Hier hört nun die Gemüthlichkeit auf. Der Reiche will die Tochter nicht geben, der Arme aus republikanischem Stolz seinen Sohn nicht aufdringen, und so werden die beiden Alten einig, gute Freunde und Bürger zu bleiben und die Kinder zu tyrannisiren, wie sie denn in ihrem Hause sammt u sonders die unbeschränktesten Herrscher zu sein wähnen. Die Weiber u Kinder besiegen aber schließlich die Alten u Erprobten. In einer übermüthigen Stunde beschließt der Klub, sich die Zierde u Ehre einer eigenen Fahne beizulegen und damit zum erstenmal ein Schützenfest zu besuchen. Zur Fahne gehört aber ein Sprecher. Keiner von ihnen hat trotz aller politischen Thätigkeit je öffentlich gesprochen, keiner gedachte es je zu thun, und zwar aus Anspruchlosigkeit und wahrer Bescheidenheit, weil sie wissen, daß sie nicht sprechen können. Der Reiche wird nach langem Sträuben | zwangsweise erkoren. Dann äußerste Verlegenheit, Gefahr allgemeiner Verhöhnung etc. bis der heiratslustige Sohn des Armen die Noth bricht mit einer glänzenden Rede, welche dem Club der Alten (etwa 7 Mann) Aufsehen und Ruhm einträgt. -

Dies ist das hölzerne Gerüstchen. Wenn es Ihnen recht ist, so will ich es mir angelegen sein lassen, innert der gegebenen Frist das Ding auf den Umfang von 2 Bogen säuberlich zusammenzuschweißen und das Didaktische im Poetischen aufzulösen, wie Zucker oder Salz im Wasser, wie Vischer trefflich in einem seiner neueren Aufsätze sagt.

Für Ihren freundl. Brief bestens dankend bleibe ich

Ihr
alter Gottfried Keller

Eine Briefmarke ist mir augenblicklich nicht zur Hand und ich kann nicht auf die Post laufen. Ich erwarte dafür Ihren nächsten Brief unfrankirt, damit wir die Weltordnung wenigstens im Kleinen noch retten. Sie haben übrigens einen Silbermorgen zu viel frankirt, zu meiner Zeit kostete ein Brief nach der Schweiz nur 4.

 

Sonstiges

 

 

Aktualisierungen

 

Eine frühe populäre Textausgabe

Umschlagseiten der Ausgabe in der Reihe der Guten Schriften, Zürich o. J.

Eine neuzeitliche Verfilmung

Die jüngste Keller-Verfilmung (2002), in ferner Anlehnung an die alten Schweizerfilm-Vorbilder (inklusive Vermundartung), aber ins Seifensiederische abgewandelt; mit dem Snowboarder Fabien Rohrer und der Popsängerin Kisha als Vorzeige-Liebespaar. Regie: Simon Aeby; Drehbuch von Hansjörg Schneider.

 

 

Literaturhinweise

 

  • Josef Schmidt : Gottfried Keller. Das Fähnlein der sieben Aufrechten. Erläuterungen u. Dokumente. Stuttgart: Reclam 1973 (= Reclams Universalbibliothek, Nr. 8121).

    (Für Schüler nützlich, wie alle "Erläuterungen und Dokumente” von Reclam)

Ein Dichter über den Dichter:

Urs Widmer: Über Gottfried Kellers Fähnlein der sieben Aufrechten. In; Gottfried Keller. Wagenbachs Taschenbücherei, Bd. 141, Berlin 1989. Neu in: Urs Widmer: Das Geld, die Arbeit, die Angst, das Glück. Zürich: Diogenes 2002, S. 176-249.

Warum also das Fähnlein? Weil auch dieses, ähnlich Keller selbst, rittlings zwischen den Zeiten sitzt. Im kleinen den Zeitensprung spiegelt, den Keller in seinem gelebten Leben aushalten mußte. Was mit jenem wundersamen Sieg der Demokratie begonnen ahtte (ringsum scheiterten ähnliche Versuche), verwandelte sich unversehens in die schmerzende Erkentnis, daß diese herrliche Demokratie viele Ungerechtigkeiten überhaupt nicht abschaffte, sondern sogar - ihre schönsten Vorteile nutzend - eine dem geldgierigsten Kapitalismus besonders günstige Staatsform war. (S. 183)