Historisch-Kritische Gottfried Keller-Ausgabe (HKKA)        HG_05

Schreibbuch Ms. GK 5

 

Nr. 323

Berlin Dec. 1851.

Des Morgens hoffnungsvoll versöhnlich,
Wild wieder, wenn der Mittag kam,
in ungeduldig bösem Gram;
dann jede Stunde stiller werdend,
am Abend gänzlich mild und zahm,

Nur schlau bedacht, durch langes Wachen
ein Stündchen Schlaf zu sichern mir:
So leb' ich viele Tage hier!
Und daß das Leben mir am Ende
Ein solcher Tag sei, fürcht' ich schier.

Doch wer zuletzt lacht, lacht am Besten;
und wie ich lächle jede Nacht,
wenn ich mich auf das Ohr gemacht,
So werd' ich vor dem Schlafe lachen,
daraus man nimmermehr erwacht.

 

Schreibbuch Ms. GK 5

Nr. 324

Diese deutschen Hunde schwatzen
beide Ohren ab dem Teufel
und von ihren falschen Lippen
trieft ein ewiges Geträufel.

Schweigt man stille, so erhitzen
sie sich über diesem Schweigen
und je mehr man schweigt, wird ihnen
Zorn und Unruh giftig steigen.

Und sie hegen in den Köpfen
kleine kind'sche Weibernücken,
welche sich zum Eisenfressen
eigentlich nicht wollen schicken.

Ja, je grimmiger der Schurrbart
drohet an dem deutschen Zopfe,
desto deutlicher hörst du die
Erbsen rascheln in dem Kopfe.

 

Schreibbuch Ms. GK 5

Nr. 325

Höhle einen großen Kürbiß,
schneide ein Gesicht darein,
nimm ein Talglicht, steck' es drunter,
s'wird ein guter Deutscher sein.

 

Schreibbuch Ms. GK 5

Nr. 326

Deutscher Jud', in dir vereint ist
Jede Manneszier zu seh'n! –
Dulden muß man dich gesetzlich,
doch man kann nicht mit dir geh'n!

 

Schreibbuch Ms. GK 5

Nr. 327

Hundertmal fass' ich den Vorsatz
durch Verachtung mich zu rächen
und mit diesen Distelköpfen
nicht zu geh'n und nicht zu sprechen.

Doch so bald ich Einen sehe
So vergeß ich all' mein Wehe
bin in meiner Einsamkeit
über ihn so hoch erfreut,

Daß ich ganz den Schuft vergesse,
mit dem Menschen freundlich bin,
scherze, lache, ihn erheitre,
und betrüge mich und ihn!

 

Schreibbuch Ms. GK 5

Nr. 328

d. 28t. Dez. 1851.

Während eines Briefes an die Mutter,
nachdem ich 1 1/2 Jahre nicht geschrieben.

Ich schmiede Verse, schreibe Bücher
ich schreibe Wochen, Mondenlang,
lass' Helden große Worte sprechen,
Stets gibt die Schelle ihren Klang.

Ich schreibe an gelehrte Freunde,
an Zier- und geistbegabte Frau'n
an lebensfrohe Witzgenossen,
weiß Alle leichtlich zu erbau'n.

Nur wenn ich an die ungelehrte
und arme Mutter schreiben will
steht meiner Thorheit fert'ge Feder
auf dem Papiere zagend still.

Da gilt es erstlich groß zu schreiben
und deutlich für das Mutterauge,
daß für das alternd' thränenblöde
des Söhnleins Schrift zum Lesen tauge!

Und dann, o welche schmerzenvolle
und schwere Kunst, das Wort zu wählen,
das schlichte Wort, das Hoffnung spendet
und wahr ist mitten im Verhehlen!

O wie gesteh' ich all' mein Fehlen
und tödte ihren Glauben nicht?
Soll ich voll List den Trotz'gen spielen,
zu locken ihre Zuversicht?

Brech' ich die alte schlichte Weise
und nehme heißes Schmeichelwort,
das ich so gerne spräche? aber
scheucht das nicht ihr Vertrauen fort?

Schreib ich in glänzenden Gedanken
in reicher Hoffnung Lenzgefühl?
Wähl' ich der Demuth enge Schranken?
O immer bleibt's ein trüglich Spiel!

Wähl' ich Papier und Siegel köstlich?
Verletzt sie die Behaglichkeit?
Schrieb' ich an eine blasse Fürstinn,
wie klein wär' die Verlegenheit!

lass' ich Sie trüglich Wohlstand ahnen,
um ihrem Herzen wohl zu thun?
Thu ich das Gegentheil, damit sie
nicht meinem müsse unrecht thun?

Mich hat die Welt so oft betrogen,
so oft trog ich mein Mütterlein!
die Welt gebiert stets neue Formeln,
mir aber fällt bald nichts mehr ein!

Hemmt euren Lauf, geschwätz'ge Reime,
die ihr mich meiner Pflicht entzieht! -
Bald lern' ich nun gefühlvoll dichten:
In Thränen schrieb ich dieses Lied!

 

Schreibbuch Ms. GK 5

Nr. 329

Berlin Sept. 1852.

Ich sah es kommen, hört's gewittern,
Als es noch heiter fern und nah,
Im schwülen Glück die Halme zittern:
Nun ist das graue Unheil da!

Sein Schatten hält mich dicht umzogen,
Ihr glaubt mich elend leicht und gern;
doch seh' ich, und ihr seid betrogen,
von fern schon wieder meinen Stern!

Und wär's nur kurz noch vor dem Schluß,
Sein Strahl wird mir in's Auge scheinen!
Das reinste Gold ist Sonnengold,
das lieblich ruht auf Leichensteinen.

 

Schreibbuch Ms. GK 5

Nr. 330

O ich erkenne das Unglück ganz und gar!
und sehe jedes Glied an seiner Kette!
Es ist vernünftig, liebenswürdig klar!
kein Schlag, den ich nicht ganz verschuldet hätte!

Nicht zehnmal Aergeres hat mir gebürt
gerecht ist mir die Schaale zugemessen!
Doch zehnmal bittrer hab' ich sie verspürt
Als ich im Glück zu träumen mich` vermessen!

Doch zehnmal leichter bring' ich sie zum Mund,
Als die Erinn'rung einst wird können schließen,
die quellenklaren Tropfen sind gesund,
Ich liebe sie und weiß woher sie fließen!

 

Schreibbuch Ms. GK 5

Nr. 331

Ein Meister bin ich worden
zu tragen Gram und Leid,
und meine Kunst zu leiden
wird mir zur Seligkeit.

Doch fühl ich auch zum Glücke
in mir die volle Kraft
und werde noch beweisen
die schönste Meisterschaft
.

[…]

Schreibbuch Ms. GK 5

Nr. 332

Klagt mich nicht an, daß ich vor Leid
mein eigen Bild nur könne sehen!
Ich seh' durch meinen grauen Flor
Wohl euere Gestalten gehen.

Und durch den starken Wellenschlag
der See, die gegen mich verschworen,
geht mir von euerem Gesang,
wenn auch gedämpft, kein Ton verloren.

Und wie die Danaide wohl
einmal neugierig um sich blicket
so schau ich Euch verwundert nach,
besorgt, wie ihr euch fügt und schicket!

 

Schreibbuch Ms. GK 5

Nr. 333

Januar 1853

Liebesnoth und Dichterschmerzen
O ihr unschuldvollen Sachen!
Wär's mir nicht so weh im Herzen,
Herzlich müßt ich eurer lachen!

Dies verbittert meine Stunden
Weil es schmerzlich mich belehret,
Daß, wenn Alles überwunden,
Doch ihr Guten nie mehr wiederkehret.

 

Schreibbuch Ms. GK 5

Nr. 334

Sie fragten mich: Mein lieber Freund!
wie geht's, wie stets, was macht das Wetter?
Ich sagte stets: So so! la la!
Passabel, ihr geschätzten Vetter!

Indessen schon die Tropfen kalt,
mir in den bloßen Nacken rinnen;
sie spannten ihre Schirme auf
und zogen ehrbarlich von dannen.

Nur Einer kam und schützte mich,
Der sonst sich still und kühl gehalten;
Er blieb, bis wider Willen ihn
Zuletzt vertrieb des Sturmes Walten.

 

Schreibbuch Ms. GK 5

Nr. 335

Im Traum sah ich den schlimmen Jugendfeind,
mit dem ich in der Schule einst gesessen;
sein bloßer Nam' verdunkelt mir den Sinn,
ob zwanzig Jahre auch gefloh'n indessen.

Als bärt'ge Männer trafen wir uns nun;
doch Jeder trug annoch sein Bücherränz'chen,
das warf er ab und rief dem Andern zu
die Fäuste ballend: he willst Du ein Tänzchen?

Wir rauften uns, er spie mir in's Gesicht,
ich unterlag in Schmach und wildem Bangen
da bin in Schweiß und Thränen ich erwacht
und sah die Sonne kalt am Himmel prangen.

 

Schreibbuch Ms. GK 5

Nr. 336

Berlin Sept 1854.

Glück und Recht.

Recht im Glücke, schönes Loos,
Land und Leute machst du groß!
Glück im Rechte, fröhlich Blut
Wer es hat der treibt es gut!
Recht im Unglück, großes Schau'n,
Wie das Meer im Wettergrau'n!
Göttlich grollt's am Klippenrand,
Perlen wirft es auf den Sand.

Einen Seemann, grau von Jahren
Sah ich auf den Wassern fahren;
diese waren spiegeleben,
doch, wie ein Medusenschild,
der versteinten Unruh Bild
sah die Flut man wiedergeben

Und er sang: viel tausendmal
schoß ich in das Wellenthal,
fuhr ich auf zur Wogenhöh',
ruht ich auf der stillen See
Und die Woge war mein Knecht,
denn mein Kleinod war das Recht.
Gestern noch ich mit ihm schlief
Ach! nun liegt's da unten tief!
Und schon dünkt mich's tausend Jahr
Daß das Recht mein eigen war
ferne, ferne, ferne schimmert's
ein gefallnes Sternchen flimmerts

Wird die See nun wieder toben,
Wird man nicht den Meister loben!
Hab' ich Glück, verdien' ich's nicht –
Glück wie Unglück mich zerbricht!

 

  


Keller Seite      GEDICHTE