Historisch-Kritische Gottfried Keller-Ausgabe (HKKA)        HG_21

 

Schreibbuch Ms. GK 21

 

Nr. 339

Berlin Dec. 1851.
Venus von Milo.

Wie einst die Medicäerin
Bist, Schönste, du jetzt in der Mode
Und stehst in Gips, Biscuit und Zinn
Auf Schreibtisch, Ofen und Commode.

Der Kafé dampft, Geplauder tönt,
Gezänk und schnödes Kindsgeschrei;
Doch du, mit deinem Stoff versöhnt,
Du schaust an Allem still vorbei.

Wie durch den Glanz des Tempelthor's
Sieht man dich in die Ferne lauschen,
Und in der Muschel deines Ohrs
Hörst du azurne Wogen rauschen!

 

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 340

Has von Ueberlingen

Das war der Has von Ueberlingen,
Der forcht den Märzen wie den Tod,
Denn an die Knochen fühlt er dringen
Alljährlich schon des Alters Noth.

Wenn nur die Morgenlüfte wehten
Nach letzten Hornungs Mitternacht,
Dann sah man ihn gewaffnet treten
Vor seine Hausthür auf die Wacht.

Den Krebs geschnallt um Brust und Rücken,
Auf grauem Kopf den Eisenhut,
Beschient die Glieder ohne Lücken:
Das schien ihm für den Märzen gut!

Den langen Degen an der Seite,
Die Halmbart' in beschuhter Hand
Erwartet er den Feind zum Streite,
Bis sich erhellten See und Land.

«Hei, falscher Mars! willst du es wagen!
«Dir sag' ich ab und biete dir
«Auf Hieb und Stoß gerecht zu schlagen
«Um's theu're Leben jetzt und hier!

«Willst du an Herz und Mark mir greifen,
«Du Tückebold, so komm' heran!
«Ich lehre dich ein Liedlein pfeifen,
«Du findest einen Martismann!»

Fuhr dann dem Alten rauh entgegen
Ein Staubgewölk im Sonnenschein,
Ein Schauer auch von Schnee und Regen,
So schlug er mächtiglich darein.

Ein Trunk von firnem Rebenblute
Erquickt ihn nach bestand'nem Streit,
Und er genoß mit frohem Muthe
Des Frühlings junge Herrlichkeit

So ging es denn nach seinem Willen.
Er zwang den Märzen Jahr um Jahr,
Bis einst am ersten Tag Aprillen
Sein tapfres Herz gebrochen war.

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 341

Heimführung.

«Hier ist die Brücke, da der Fluß,
Mein Lieb, nun gieb die Hand,
Ein freundlich Lächeln sei dein Gruß:
Das ist mein Heimatland!

Ein Maßlieb blüht am Markstein hier –
Siehst du das Blümlein gern?
Zum Willkomm pflück' und geb' ich dir
Den hold bescheid'nen Stern!

Die duftig blauen Hügel dort,
Sie werden mälig braun,
Schon siehst du dran nach Gottes Wort
Das Volk die Scholle bau'n.

So komm! das Land ist schön und gut,
Die Leute recht und schlecht;
Doch leidet wo unschuldig Blut,
So wird es auch gerächt.

Wer redlich handelt, der gewinnt,
Die Untreu bringt den Tod!
So komm, bist du nur treu gesinnt,
Und brich mit mir das Brot!

Mit Linnen decke unsern Tisch,
Frau Ehre kommt als Gast,
Sie theilt einst unter dem Rasen frisch
Zu dritt mit uns die Rast!»

So sprach zum jungen Eheschatz
Ein ältlicher Wardein.
Er ruhte bald am stillen Platz
Allein, allein, allein!

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 342

Der Narr des Grafen von Zimmern.

Was rollt so zierlich, klingt so lieb
Trepp' auf und ab im Schloß?
Das ist des Grafen Zeitvertrieb
Und stündlicher Genoß:
Sein Narr, annoch ein halbes Kind,
Ein rosiges Gesellchen,
So leicht und luftig wie der Wind,
Und trägt den Kopf voll Schellchen.

Noch ohne Arg, wie ohne Bart,
An Possen reich genug,
Ist doch der Fant von guter Art
Und in der Thorheit klug;
Und was vergecken und verdreh'n
Die zappeligen Hände,
Geräth ihm oft wie aus Versehn
Zuletzt zum guten Ende.

Der Graf mit allem Hofgesind
Harrt in der Burgkapell,
Da ist, wie schon das Amt beginnt,
Kein Ministrant zur Stell;
Rasch nimmt der Pfaff den Narr'n beim Ohr
Und zieht ihn zum Altare,
Der Knabe sieht sich fleißig vor,
Daß er mit Züchten fahre.

Und gut, als hätt' er's lang gelernt,
Bedient er den Kaplan;
Doch manche Nuß ist taub bekernt,
Und sieht sich köstlich an:
Denn als die heil'ge Hostia
Vom Priester wird erhoben,
O Schreck – so ist kein Glöcklein da,
Den süßen Christ zu loben!

Ein Weilchen bleibt es todtenstill;
Erbleichend lauscht der Graf,
Der schon das Zeichen deuten will
Als Unheil, das ihn traf!
Doch hat der Narr sich schnell bedacht,
Den Handel zu versöhnen,
Die Kappe schüttelt er mit Macht,
Daß alle Glöcklein tönen.

Da strahlt von dem Ciborium
Ein gold'nes Leuchten aus;
Es glänzt und duftet um und um
Im kleinen Gotteshaus,
Wie wenn des Himmels Majestät
In frischen Veilchen läge:
Der Herr, der durch die Wandlung geht –
Er lächelt auf dem Wege!

 

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 343

Aroleid.

Im Wallis liegt ein stiller Ort,
Geheißen Aroleid,
Es seufzt ein Gram im Namen fort
Seit lang entschwund'ner Zeit.

Ein Berghirt hing in Todsgefahr
Am höchsten Firnenrand,
Ihn stieß hinunter dort der Aar,
Wo Keiner mehr ihn fand.

Auf grüner Matte saß sein Weib;
Das Kind in's Gras gelegt,
Saß sie und schaut mit starrem Leib
Hinüber, unbewegt,

Hinüber, wo im Dämmerblau
Der Berg zur Tiefe schwand
Und mit des Gipfels Silberau
So still am Himmel stand.

So himmelhoch, so abgrundtief
War Alles Glanz und Duft,
Wo unsichtbar der Todte schlief
In seiner off'nen Gruft!

Voll tiefster Sehnsucht stand sie auf
Und ging im Mattengrün
Mit schwankem Schritt und irrem Lauf
Und heißem Augenglühn.

Da schreit ein Kind, ein Flügel saus't
Wol über ihrem Haupt,
Und mit dem Kind zur Höhe braus't
Der Aar, der es geraubt!

Noch sieht das Wickelband sie weh'n
In der kristall'nen Luft,
Dann sieht sie's wie ein Pünktlein steh'n
Im ferneblauen Duft,

Dann nichts mehr – nie, so lang sie lebt! –
Sie nahm kein Trauerkleid,
Doch von dem Leid, das dort noch webt
Der Ort heißt Aroleid.

 

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 344

Mai 1878.
Tod und Dichter.

Tod:
Deiner bunten Blasen Kinderfreude
Schwebt und bricht an meiner Sensen Schneide,
Wirf zur Seite nunmehr Rohr und Schaum,
Mache dich auf – aus ist der Traum!

Dichter:
Halte weg die Sense, lasse steigen
Meiner Irisbälle bunten Tanz!

Tod:
Schon an meinem Schädel platzt der Reigen
Und ein Ende nimmt der Firlefanz!

Dichter:
Laß! ich will dich als das Beste preisen,
Trost und Labsal alles Menschenthumes!

Tod:
Unvermeidliche bedürfen nicht des Ruhmes,
Spare deine faden Schmeichelweisen!

Dichter:
Weh', noch schuld' ich manche schöne Pflichten!

Tod:
Reif genug schon bist du den Gerichten.

Dichter:
Doch die lieblichste der Dichtersünden
Schreibt als eine Tugend mir auf's Grab:
Ein par Frauenbilder zu erfinden,
Die's hienieden niemals gab!

Tod:
Warum hast du solchen Spaß getrieben,
Schemen zu ersinnen und zu lieben?

Dichter:
Sind sie nicht auf diesem kleinen Sterne,
Blüh'n sie doch wo in der Weltenferne,
Blut von meinem Blute; zu verderben
Bin ich nicht, eh' jene sterben.

Tod:
Ei, da fahr' ich hin, sie weg zu mähen,
Und sie müssen gleich mit dir vergehen!

Dichter:
Hui! da saus't er hin in's Unermess'ne
Und ich bin der glückliche Vergess'ne,
Und ich trinke noch des Lebens Fluthen
Bis er findet jene schönen Guten!

 

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Nr. 345

Heißer Jahrgang.

Rüstet die Kelter, die Kufen und Tonnen,
Denn es verglühet ein seltenes Jahr,
Schon naht der Herbst und noch glastet die Sonne,
Wie sie geglastet den Sommer entlang!

Hört, im Gebirge, was Zeichen geschehen!
Gletscher weichen um Meilen zurück;
Ihre blaugrünen Gewölbe zerschmelzen,
Grotten und Spalten so tief und so kühl.

Trocken enthüllen sich felsige Gründe,
Die seit Jahrtausenden Keiner geschaut,
Und aus der tiefsten und engsten der Klüfte
Leuchten gebleichte Gebeine herauf.

Knochen des riesigen Vorweltsbären
Liegen gebrochen wie sprödes Glas,
Aber dazwischen die Rippen und Röhren
Eines in Waffen verschollenen Mann's.

Eine verrostete Panzerschaale,
Und ein zerfressenes spanisches Schwert
Künden den Krieger aus traurigen Tagen
Einer in Leiden zerklüfteten Welt.

Noch mit den sämmtlichen Zähnen gezieret
Klappern die Kiefer im räumigen Helm
Gleich einem Mühlchen neben des wilden
Bäres gewaltigem Kopfgestell.

Denn ein Aederlein Wasser's rinnet
Durch die Schrunde und treibt das Werk
Und der Todte gewinnet die Miene
Durstigen Mann's, der zu trinken begehrt.

Sehet! unbändig schwellen die Trauben –
Rüstet die Kelter und rüstet den Krug! –
Jegliche Beer' eine sonnige Klause
D'rinnen der Dämon reift an der Glut!

Zwei friedlose Gesellen, schlafen
Jene, in ewigen Frieden entrückt;
Aber die Wut und das Wähnen und Wagen
Hält noch die duldenden Lüfte erfüllt.

Rüstet die Tonnen, umfanget den starken
Reisigen Wein mit eisernem Band:
Männern zerbricht er den stämmigsten Nacken,
Stürzet sie jählings in Jammer und Qual.

Füllet die Krüge, doch trinket den Frieden!
Trinket das Licht, das dem Himmel entstrahlt!
Haltet die Herzen in stählernen Binden
Daß ihr entgehet dem jähligen Fall!

[…]

 

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 346

Oeffentliche Verläumder

Ein Ungeziefer ruht
In Staub und trocknem Schlamme
Verborgen, wie die Flamme
In grauer Asche thut.
Ein Regen, Windeshauch
Erweckt das schlimme Leben
Und plötzlich rings erheben
Sich Seuchen, Glut und Rauch.

Aus dunkler Höhle fährt
Ein Schächer, um zu schweifen,
Nach Beuteln möcht er greifen
Und findet andern Werth:
Er findet einen Streit
Um Nichts, ein irres Wissen,
Ein Fähnlein, das zerrissen,
Ein Herz voll Blödigkeit

Er findet wo er geht
Die Leere dürft'ger Zeiten,
Da kann er schamlos schreiten
Nun wird er ein Prophet;
Auf einen Kehricht stellt
Er seine Schelmenfüße
Und zischelt seine Grüße
In die verworr'ne Welt.

Gehüllt in Niedertracht
Gleich wie in einer Wolke,
Ein Lügner vor dem Volke
Steht er mit seiner Macht
Mit seiner Strolche Zahl
Die hoch und niedrig stehend,
Gelegenheit erspähend
Sich bieten seiner Wahl.

Sie theilen aus sein Wort,
Wie einst die Gottesboten
Gethan mit den fünf Broten,
Das kleckt und wuchert fort
Und trotz dem wölf'schen Mahl
Wird reicher Vorrath langen,
Statt Fischen zucken Schlangen
Und wälzen sich zu Thal
.

Erst log allein der Hund,
Nun lügen ihrer Tausend!
Und wie ein Sturm erbrausend,
So wuchert jetzt sein Pfund!
Rings schießt empor die Saat,
Verwandelt sind die Lande,
Die Menge lebt in Schande
und liebt die schlechte That! […]

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 347

Juni 1878.
Nach einer Stelle in Thuanus Autobiographie

Tafelgüter

Herr Springewolf von Gevodan,
Der Bischof sitzt bei Tische;
Er bietet seinen Gästen an
die allerschönsten Fische.

Das Haupt des Ebers stellt sich dar
Untadelich gerathen;
Dann aber folget Paar auf Paar
Seltsam geformter Braten.

Zwei Hasen kommen ohne Kopf
auf Silber angefahren,
Marmotten sind im güld'nen Topf,
Doch schwanzlos, zu gewahren.

Dem Birkhuhn fehlt ein Flügel hier,
Ein Schenkel dort dem Hahne,
Mit arg zerzaus'ter Federzier
Schau'n traurig die Fasane.

Dem jungen Reh ist das Genick
Verdreht und ganz zerschmissen
Und wie mit Klau'n ein gutes Stück
Vom Ziemer weggerissen.

Doch alles ist mit feiner Kunst
Bereitet nach der Sitte;
Der König Heinrich schlürft den Dunst,
Von Frankenreich der Dritte.

Er schlürft und ißt sich schweigend satt,
Doch als er nun gegessen,
Ruft er: «Ich glaub', der Teufel hat
Vor uns zu Tisch gesessen!»

Der Bischof lacht: «Vergebung, Sire!
So schlimm ist's nicht beschaffen;
Nur meine Jäger naschen mir
Von Allem, was sie raffen!

«Die Adler sind's im Bergrevier;
Auf jenen Felsenkronen
Hängt Horst an Horst, wo dienstbar mir
Die wilden Vögel wohnen!

«Bei jedem Nest klebt an der Wand
In Ritzen still ein Bauer
Mit einem Knüppel in der Hand
Und hält sich auf der Lauer.

«Ist dann das Wildpret eingethan
Vom alten Adlerpaare,
So macht sich Jener gleich heran,
Sobald nur fort die Aare.

«Er kapert von dem blut'gen Stein
Die Beute mir zu Handen;
Zuweilen fällt ein Bäuerlein
Sich freilich auch zu Schanden.

«Damit die Brut nicht flügge wird,
Schließt man sie an die Kette,
Bis sich ein neu Geschlecht gebiert
Im luft'gen Wolkenbette.

«Und rastlos fliegen ab und zu
Die Alten mit der Nahrung,
So üben wir in guter Ruh'
Des Nutzens kluge Wahrung!»

Da schreit der König Sausewind
Und schlägt sich an die Hüften:
«Hie zeigt es sich, was Pfaffen sind,
Wir schinden nur das Menschenkind,
Den Aar sie in den Lüften!»

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 348

Am Rhein.

I

Mit dem grauen Felsensaal
Und der Hand voll Eichen
Kann das ruhevolle Thal
Hundert andern gleichen.

Kommt der Strom mit seinem Ruhm
Und den stolzen Wogen
Durch das stille Heiligthum
Prächtig hergezogen,

Und auf einmal lacht es jetzt
Hell im klarsten Scheine
Und dies Liederschwälbchen netzt
Seine Brust im Rheine.

Nr. 349

II. […]

Durch Bäume dringt ein leiser Ton
Ich glaub', man hört ihn rauschen schon,
Da wallt er her die breite Bahn,
Ein altes Städtlein hängt daran.

Mit Thürmen, Linden, Burg und Thor,
Mit Rathhaus, Markt und Kirchenchor;
So schwimmt denn auf dem grünen Rhein
Der gold'ne Nachmittag herein.

Im Erkerhäuschen den Dechant
Sieht man, den Römer in der Hand,
Und über ihm sehr stille steht
Das Fähnlein, da kein Lüftchen geht.

Wie still! Nur auf der Klosterau
Keift fernher eine alte Frau;
Im kühlen Schatten nebenan
Dumpf donnert's auf der Kegelbahn.

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 350

III.

Es donnert über der Pfaffengaß
Des weiland heil'gen römischen Reiches
Wie Gottes Heerschild jähen Streiches,
Der Morgen dämmert rosig blaß.

Und wie der Schlag weithin verhallt,
Wogt eine graue Nebelmasse,
Als zög' ein Heervolk seine Straße,
Das auf den Wassern endlos wallt.

Im Zwielicht raget Dom an Dom,
An allen Fenstern lauscht's verstohlen;
Doch mit gedankenleichten Sohlen
Vorüber eilt der Schattenstrom.

Das rauscht und tauschet Hand und Kuß,
Der Sturmhauch rührt verjährte Fahnen
Wie neues Hoffen, altes Mahnen,
Erschauernd wie ein Geistergruß.

Was brav und mannhaft ist, vereint
Zieht es, den letzten Streit zu schlagen;
Es klirrt zu Fuß, zu Roß und Wagen,
Zum Freunde wird der alte Feind,
Und neben Siegfried reitet Hagen.

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 351

Die Schwurgerichte.

Da liegt ein Blatt, von meiner Hand beschrieben
In Tagen, die nun längst dahin geschwunden,
So lang, daß halb verblich die hast'ge Schrift.
Doch wie ich lese, wird ein Unterfangen,
Ein wunderliches, wieder mir lebendig,
Das mich befiel in wunderlicher Zeit,
Als schnöd das Abenteuer mächtig herrschte
Und frech die Welt zum Abenteuer schuf.

Was während eines Mondes kurzer Dauer
Von tollem Spuck und schrecklichem Geschehen,
Merkwürd'gem Wagniß und ruchloser That
Die Zeitung brachte, von versunk'nen Schiffen,
Mit schwerem Gold und brüllendem Volk beladen,
Von dreh'nden Tischen, dran Gesindel saß,
Von Schlachtenlärm und diebischen Marschällen
Und falschem Gift, durch weiße Hand gemischt:
Das dacht ich rythmisch wogend zu verflechten
Zu einem wild rhapsodischen Gesang,
Gleich einem Wand'rer, der bestaubt und athmend
Dem tobenden Gewühl mit Noth entrann
Und seinen Fiebertraum voll Hast erzählt.

So schrieb ich mir auf Blätter jede Kunde,
Und nicht im Stich fürwahr ließ mich die Zeitung,
Jedoch die Lust, die mir gemach verging.
Dies gilbe Blatt nur hat sich noch erhalten.
Ein Lächeln will bei'm Anblick mich beschleichen
Das aber wandelt sich sogleich in Ernst.

Drei Richtersprüche stehen drauf verzeichnet,
Verbrechen so dämonisch traur'ger Art,
Daß wie von selbst die Hand zum Stifte greift
Die dunklen Rätsel doch noch festzuhalten.

In Franken war's an stillem Sommertage,
Daß eine Frau ihr kleines liebes Bübchen
Mit Korb und Vesperbrot zum Vater sandte,
Der im Gehölze, mäßig weit, im Schweiße
Des Angesichts an seiner Arbeit stand.
Sie wußte, daß er heut ein hartes Lohnwerk
Vollbringen wollte bis zur Dunkelzeit.
Ein mütterlicher kleiner Uebermut
Verlockte sie, das Wagniß zu versuchen
Und mit dem Bötlein ihren Ehkumpan
Zu überraschen dieses erste Mal;
Denn Sonntag war es Morgen und im Hause
Blieb ihr zu schaffen noch des Zeug's genug

Das Knäblein aber sträubte sich ein wenig,
Gewohnt, nur an der Mutter stets zu hangen
Und ihr zehn tausend Dinge abzufragen
Mit Schmeichelwörtchen, lind im Singeton.
«Geh' nur, sprach sie, die Mundharmonika
Geb' ich dir mit, mein Söhnchen! darauf spielen
Wirst du gar herrlich auf dem ganzen Wege;
Der Vater ruft: Was hör' ich für Musik?
Gewiß marschirt ein Regiment Soldaten!
Wie lacht er aber, wenn sein Stumprich kommt!»
Und da sie aus dem Schrank das Instrumentchen
Das dort zur Schonung sorglich aufgehoben,
Hervorholt, faßt es gleich der frohe Kleine
Und schreitet wacker, seinen Korb am Arm,
In's helle Sommerland, die sieben Stimmchen
An seinen Lippen unverweilt erprobend
Und stets auf's Neue reihend Ton an Ton.

Schon weit ist er; doch über Korn und Klee
Tönt weich und sanft, wie all der blaue Himmel,
Sein einfach Lied jetzt aus dem Feld herüber;
Der Kinderpuls, ein Lufthauch und die Ferne,
Sie schaffen eine rührend zarte Weise
Die halb verwehet jetzt, dann leise schwillt.
Und weil die Mutter noch hier steht und horcht
Und denkt, nun hat er wol den Forst betreten,
Vernimmt der Vater drüben schon die Töne
Und kennt sein Vögelchen an dem Gesang.
Er lauscht erfreut – auf einmal bricht es ab
Und stumm bleibt ewig dieser Kindermund.
Kein Knäblein kommt zum Vater, keines kehrt
Zur Mutter Abends mit dem Müden wieder.

Nach dreien Tagen erst zog man das Kind
Mit eingeschlag'nem Haupt aus einem Wasser,
das tückisch hehlend, dunkel, unbeweglich
Abseits vom Pfad im Waldesschatten lag.
Der Mörder auch ward bald darauf ergriffen;
Es war ein starker Bursch von achtzehn Jahren,
Fast unbekannt, der, lungernd in der Stadt,
Mißtrauisch schielend auf dem Oerglein blies,
Das ihn verrieth. Dann vor dem Richter stehend,
Von dessen Kunst bedrängt, erzählt' er mürrisch,
Wie er das Kind im Holze angetroffen
Und gebeten, das Musikding ihm zu leihen
Für einen Augenblick, sich d’ran zu laben. […]
Den Kopf nur schüttelnd habe jenes fortgespielt,
Er aber es mit einem Stein erschlagen
Und beraubt, und zwar im wilden Zorne;
Denn niemals hab' er selber Kind sein dürfen.

Und weiter ward die Kunde beigebracht,
Wie daß vor Jahren schon in seiner Heimat
Der Unhold von der zarten Kinderwelt
Als Spielzeugräuber sei gefürchtet worden;
Die trauten Plätze, Fluren, Hofgebreiten,
Wo sich das kleine Volk zur Lust versammelt:
Der große Range habe finster lauernd
Beschlichen sie und von dem bunten Werkzeug
der Jugend sich gewaltsam angeeignet,
Was ihm gefiel, dann in entleg'nen Winkeln,
Einsam, mit ungeschickter Hand getändelt.

Der Wahrspruch fiel, die Sühne ward bemessen,
Doch aus der Blutthat wurde Keiner klug.

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 352*

Sept 1878

Friede der Creatur.

Spinnen waren mir sehr zuwider
All' meine jungen Jahre,
Ließen sich von der Decke nieder
In meine Scheitelhaare,
Saßen verdächtig in den Ecken
Oder rannten, mich zu schrecken,
Ueber Tisch und Wände,
Das Tödten nahm kein Ende.

Erst als schon die Haare grauten,
Begann ich sie zu schonen,
Mit den ruhiger Angeschauten
Brüderlich zu wohnen;
Jetzt mit ihren kleinen Sorgen
Halten sie sich still geborgen,
Läßt sich eine sehen,
Lassen wir uns gehen.

Hätt' ich nun ein Kind, ein kleines,
In väterlichen Ehren,
Recht ein liebliches und feines,
Würd' ich's muthig lehren
Spinnen mit dem Händchen fassen
Und sie freundlich zu entlassen,
Früher lernt' es Friede halten,
Als es mir gelang, dem Alten!

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 353*

Unzulängliche Polemik.

Du hast kein Dörnchen
an deinen Rosen
Und hast kein Zörnchen
in deinem Blute,
Da kannst du dich nun lang erbosen,
Es wird uns niemals bang zu Muthe!

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 354

Bartschur.

Herrlich in der Maienzeit
Blaut des Himmels Kläre;
Halt' zum Opferdienst bereit
Deine blanke Scheere!

Durch das off'ne Fenster ziehn
Schon des Bartes Flocken
Schimmernd weiß; ach: hin ist hin!
Singt die Norn' am Rocken.

Welch' ein winterlich Gespinnst
Hat sie dir gesponnen!
Fahret wohl, o Reugewinnst,
Herzeleid und Wonnen!

Aber sieh! wie würdiglich
Auf die Flöcklein schweben!
Will versöhnt empor zu sich
Sie der Aether heben?

Und am Ende sollst du gar
Noch ein Heil'ger werden,
Dessen Bart und Lockenhaar
Man verehrt auf Erden!

Jetzt mit Blüthen untermischt
Tanzen sie im Winde:
Doch was zwitschert, pfeift und zischt
Dort für ein Gesinde?

Fink und Schwalbe, Spatz und Matz,
Wie das flirrt und flattert!
Haben bald den Silberschatz
Deines Haupt's ergattert!

Fliegen mit dem theuren Gut
Heim nach allen Seiten,
für die schnöde Vogelbrut
Lind
das Nest zu breiten!

[…]

Lächle denn durch Blüth' und Blatt
Schönster Frühlingsmorgen:
Darf ja, wer den Schaden hat,
Für den Spott nicht sorgen.

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 355

Januar 1879.
Abendgang.

Augen, meine lieben Fensterlein,
Gebt mir schon so lange holden Schein,
Lasset freundlich Bild auf Bild herein:
Einmal werdet ihr verdunkelt sein!

Fallen einst die müden Lider zu,
Löscht ihr aus, dann hat die Seele Ruh';
Tastend streift sie ab die Wanderschuh',
Legt sich auch in ihre finst're Truh'.

Noch zwei Fünklein sieht sie glimmend steh'n,
Wie zwei Sternlein innerlich zu seh'n,
Bis sie schwanken und dann ganz vergeh'n,
Wie von eines Mückleins Flügelweh'n!

Doch noch wandl' ich auf dem Abendfeld,
Nur dem sinkenden Gestirn gesellt;
Trinkt, o Augen, was die Wimper hält,
Von dem gold'nen Ueberfluß der Welt.

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 356

Besuch in der Heimat.

Die alte Heimat seh' ich wieder
Gehüllt in herbstlich feuchten Duft;
Er träufelt von den Bäumen nieder
Und weithin dämmert grau die Luft.

Und grau ragt eine Flur im Grauen,
Drauf geht ein Mann mit weitem Schritt
Und streut, ein Schatten nur zu schauen,
Ein graues Zeug, wohin er tritt.

Ist es der Geist verscholl'ner Ahnen,
Der kaum erstritt'nes Land besäet,
Indeß zur Seite seiner Bahnen
Der Speer in brauner Erde steht?

Der aus vom Kampf noch blut'gen Händen
Den Weizen in die Furche wirft,
So mit des Pflug's mühsel'gem Wenden
Ein jach vertrieb'nes Volk geschürft?

Nein! den Genossen meines Blutes
Erkenn' ich, da ich ihm genaht,
Der langsam schreitend, düst'ren Muthes
Die Flur bestäubt mit Aschensaat.

Die müde Scholle neu zu stärken,
Läßt er den todten Staub verweh'n;
So seh' ich ihn in seinen Werken
Gedankenvoll und einsam geh'n.

Grau ist der Schuh an seinem Fuße,
Grau Hut und Kleid, wie Luft und Land,
Nun reicht er mir die Hand zum Gruße
Und färbt mit Asche mir die Hand. –

Der alte Gruß, wo ich auch bliebe,
Von Arbeit und Vergänglichkeit!
Ein wenig Freiheit, wenig Liebe,
Und um das Wie der arme Streit!

Wol hör' ich grüne Halme flüstern
Und ahne froher Lenze Licht,
Wol blinkt ein Sichelglanz im Düstern
Doch binden wir die Garben nicht!

Wir geh'n und werden bald vergessen
Und uns're Asche düngt das Land
Wer säet nur was er selbst will essen
Der säet mit einer Todtenhand.

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 357

1880.
Ein Berittener

Ein Häuptling ritt geehrt im Land
Gleich einem der Propheten;
Als er im Feld sich einsam fand,
Begann er so zu beten:

«Fuhr auf mich nieder Schlag auf Schlag,
Es war ein wildes Toben,
Als schuldig ich im Staube lag,
Hab' ich mich selbst erhoben!

«Es wußte Keiner, daß ich lag,
Als Du, o Herr! dort oben!
Und für dein Schweigen, diesen Tag
Will ich dich Stillen loben!»

Da rollt' es durch den Aether rein:
«"Dein Lob nicht kann mir taugen!
Wenn du dich schämst, ein Mensch zu sein,
So reit' mir aus den Augen!"»

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 358

(1878)

Nun ist des Winters grimmer Frost
Entflohen aus den Landen
Und rings der reiche Blumentrost
In Feld und Hag erstanden;
Und singt auch keine Nachtigall
Im weiten Thal mit süßem Schall,
So geh'n wir Leute selber d'ran
Und stimmen hell das Lenzlied an!

Die Zeit ist rauh und schwer der Tag,
An Noth und Neid kein Mangel;
Es zuckt das Herz mit bangem Schlag
Wie's Fischlein an der Angel;
Und steht die Welt in Sorgen still,
Und wenn sich Keiner fassen will,
So geh'n wir Leute dennoch d’ran
Und heben laut das Lenzlied an!

Verschließt des Kummers dunkle Gruft
Und stellet ein das Klagen!
Laßt lieber uns die Maienluft
Mit seid'nen Fahnen schlagen!
Und ist sie erst von Grillen rein
So blüht und reift ein bess'rer Wein
Für uns und jeden bess'ren Mann,
Der noch das Lenzlied singen kann.

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 359

1882.
An eine junge Simplicitas.

Schämig versagst du den Blick dem übel beläumdeten Ketzer,
Grüßest zur Seite gewandt – wol auf der Mutter Geheiß?
Schwebe nur zierlich von hinnen: ich seh' dich als runzlige Alte,
Welche zu Hussens Gericht schleppt ihr schwelendes Scheit!

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 360

Gervinus

Weisheitsvoll und prophetisch betrieb er und schrieb er Geschichte;
Als sie mit blitzendem Schild aufstand, purzelt' er um!
Wär' ich doch lieber ein Kätzchen, ein ruppiges, welches Miau schreit,
Als ein solcher Prophet! riefen die Dichter vergnügt.

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 361

Golgatha.

Eben die dornige Krone geneiget, verschied der Erlöser,
Weißlich in dämmernder Luft glänzte die Schulter des Herrn;
Siehe, da schwebte, vom thauigen Schimmer gelockt, die Phaläne
Flatternd hernieder, zu ruh'n dort, wo gelastet das Kreuz.
Langsam schlug sie ein Weilchen die sammtenen Schwingen zusammen,
Breitet' sie aus und entschwand fern in die sinkende Nacht.
Nicht ganz blieb er verlassen, der Dulder, am Fuße des Stammes
Lag das bebende Weib, das er zur Mutter sich schuf.

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 362

Einem Tendenzriecher.

Weil in Tendenzen du dich hast krank und müde geschwelget,
Aergert dich jetzo der Gran, welcher Gesunden bekömmt!

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 363

Der Scheingelehrte.

«Wissende sagten es längst schon», schnarrte der Esel zu Erfurt,
Als er den Hafer entdeckt schnuppernd im Psalter des Till.

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 364

Rhetorische Histrionen.

Einer flötet wie Honig, der Andere poltert als Lümmel;
Doch vor dem gleichen Trümeau wurden die Reden studiert.
Denk' an die Leere des Spiegels, sobald das verlogene Wesen
Dir den redlichen Sinn irre zu führen versucht.

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 365

Parteileben.

1.

Halte fest zu der Partei, wenn du ein Parteimann bist;
Aber unentwegt verläugne jeden Lügner und Sophist.

2

Fällt einer ab von eurer Schar,
So laßt ihn laufen und richtet nicht;
Doch dem, der zu euch stoßen will
Von dort, dem schauet in's Gesicht!

3.

Betrachtet eurer Gegner Schwächen
Und lernt, am besten euch zu rächen,
Das eig'ne Unkraut auszustechen!

4

«Was du nicht willst, das man dir tu',
Das füg' auch keinem andern zu!»
Laß die Gesinnung merkbar sein,
So ist der halbe Sieg schon dein.
[…]

5

Trau keinem, der nie Partei genommen
Und immer im Trüben ist geschwommen.
Doch wird dir Jener auch nicht frommen,
Der nie darüber hinaus will kommen.

6.

Als Gegner achte, wer es sei;
Strauchdiebe aber sind keine Partei

7

Wenn schlechte Leute zanken, riecht's übel um sie her,
Doch wenn sie sich versöhnen, so stinkt es noch viel mehr!

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 366

Die Mehrheit

Der Mehrheit ist nicht auszuweichen,
Mit Helden- wie mit Schwabenstreichen
Macht sie uns ihre Macht bekannt
Auf Weg und Steg im ganzen Land;
Läuft sie einmal auf schlechten Sohlen,
So wird sie schon der Teufel hohlen.
So gebt dem Kind den rechten Namen,
Laßt ihm die Ehr' und saget Amen!

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 367

Ein Goethe-Philister.

Den mit trocknen Erbsen angefüllten Schädel
Taucht er jauchzend in des klaren Meeres Wellen,
Das man Goethe heißt; nun schauet achtsam,
Wie die Nähte platzen, wenn die Erbsen schwellen!

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 368

Dynamit.

[…]
Gleich dem bösen Gewissen rouliert die verruchte Patrone,
Jegliches Bübchen verbirgt schielend den Gräuel im Sack.
Wahrlich, die Weltvernichtung, sie nahet mit eiligen Schritten,
Und aus Nichts wird Nichts: herrlich erfüllt sich das Wort!

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 369

Der Kranz. April 1882.

S. Ludwig Uhlands Leben von seiner
Wittwe. Stuttgart 1874. S. 231

Der Frühling ging durch's reiche Schwabenland
Und mit ihm Ludwig Uhland, an der Hand
Sein treues Weibchen; denn es kam zu wandern
Der teure Mann von einem Ort zum andern.

Mag's mit dem Recht in Stuttgart nicht gelingen,
Will lehrend er in's Herz der Jugend dringen
Zu Tübingen am alten Musensitz
Dort wetterleuchtet stets des Geistes Blitz.

So wallt das Paar still und getrost dahin,
Wo Thäler weiß im Schnee der Bäume blüh'n;
Doch sieh! beim Steine, der die Markung kündet,
Steht eine Schaar von Freunden treu verbündet.

Die Kampfgenossen für des Volkes Rechte,
Sie harren sein mit einem Kranzgeflechte
Von dichtem Lorbeer glänzend frisch und grün,
Den reichen sie dem Sänger hold und kühn.

Ein letzter Kuß! Der letzte Becher blinkt,
Und ferne bald die Hand zum Scheiden winkt;
Herrn Ludwig glänzt das Aug, das lebenswarme,
Und Frau und Kranz führt er am rechten Arme.

Sie wandeln jetzt in einem lichten Walde
Von großen Eichen an der sanften Halde;
Wie steht so fest und hoch der edle Hain,
Und überall blaut noch der Himmel drein!

Hoch oben kreis't der Falk im Sonnenlicht,
Das durch das Gitterwerk der Zweige bricht
Und Uhland, schreitend im geweihten Raume,
Tritt unversehns zum nächsten Eichenbaume.

Rasch hängt er hin den Kranz und schweigend wendet
Den Schritt er weiter, nur Frau Emma sendet
Reuig den Blick zurück; doch strahlend licht
Wird drauf ihr Aug, schaut sie den Mann so schlicht.

Tief schaut sie dieses reinen Goldes Hort
In seinem Herzen – doch mit keinem Wort
Wird sie benennen ihr beglückend Wissen
Von einem Schatz, den tausend Frauen missen.

Im Waldesdämmer an dem grauen Stamme
Verlassen glimmt des Lorbeers grüne Flamme
Vorüber zog das Wanderpaar schon lang
Und laut erschallt im Hain der Vogelsang.

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 370

1883.
Der unschuldig Unwahre.

Launig erlog die Natur und bemalte den stattlichen Golem;
Dann, auf sich selber gestellt log das Gebilde so fort .
Was es berührt wird unwahr, Gold zu erdigem Staube,
Doch das Naturspiel scheint mir ein bedenklicher Scherz.

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 371

Dynamit.

Schleudert die Berge zur Seite mit archimedischen Kräften,
Aber den Hebel entführt, fürcht' ich, ein schwarzer Cyklop;

Gleich dem bösen Gewissen rouliert die verruchte Patrone,
Jegliches Bübchen verbirgt schielend den Gräuel im Sack.
Wahrlich, die Weltvernichtung, sie nahet mit eiligen Schritten,
Und aus dem Nichts wird Nichts: herrlich erfüllt sich das Wort!

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 372*

Berlin 1853.

Wichtelmännchen läugnen Wichtelgötter
Und bekehren sich zu närrischen Götterkäuzen,
Ach, sie bleiben immer schlimme Spötter
Ob sie blasphemiren oder sich bekreuzen!

Ganzer Mann kann nimmer blasphemiren,
Wie er es auch mit den Göttern hält;
Weder gewinnen kann er noch verlieren,
Denn sein Herz ist ruhig wie die Welt.

Groß ist Gott den er besonnen läugnet,
Und als höchste Pflicht doch in sich trägt
Gold ist Gold, wem es auch zugeeignet,
Wessen Bildniß auch darauf geprägt!

Doch aus Nichts wird Nichts und ewig nie Nichts
Und an Disteln wachsen keine Kirschen
Und der Pelzgott samojed'schen Zwielichts,
Er wird immer seinen Seehund birschen.

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 373

Kopf- und Herzdogmatiker.

Dein schlechtes Denken kommt aus deinem Herzen bieder,
Dein schlechtes Fühlen steigt aus deinem Kopf hernieder;
Das macht, weil dein Gehirn ein roher Hausknecht ist,
Und weil die Magd, das Herz, sich seines Amts vermißt.

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 374

März 1883

für die schweiz. Landesausstellung.

Die Schifflein ruh'n und schimmernd ausgebreitet
Erfreut das Auge der Gewebe Schwall;
Der Hammer schweigt, doch mit dem Lichte streitet
In tausend Formen das Metall.

Aus tausend Stoffen hat Gestalt gewonnen
Was Lust und Not der Welt ersonnen;
Mit heilgem Ernst, mit heiter'm Tand
Umdrängt uns das Gebild der Hand.

Es will sich zeigen Wehr' und Lehre,
Und er, der mit der Scholle ringt,
Der Mann im Kampf um Brot und Ehre
Des Feldes Frucht zum Feste bringt.

Alle Kräfte, die da schliefen
Jeden Fleiß, der schaffend wacht
Auf den Höhen, in den Tiefen,
Haben wir zu Tag gebracht.

Und ein ganzes Volk will tagen,
Kind und Jüngling, Mann und Frau
Bringen hoffend hergetragen
Ihrer Hände Werk zur Schau.

Große Städte, Nationen
Eifern lang schon im Verein –
Aber wo wir Kleinsten wohnen,
Darf die Müh' nicht kleiner sein!

Gleich stürmender Wolken geschlossenen Schaaren,
So reih'n sich die Völker und drängen voran,
Da gilt es zu stehn und sich regend zu wahren,
Wer rastet, geht unter im Staube der Bahn!
In stäter Bewegung ernährt sich die Kraft
Die Ruh liegt im Herzen dem Manne, der schafft!

Arbeit ist das wärmste Hemde,
Frischer Quell im Wüstensand,
Stab und Zelt in weiter Fremde
Und das beste Heimatland!

Vaterland, ja, du mußt siegen,
Aller Welt an Ehren gleich!
Laß die Spreu von dannen fliegen –
Nur durch Arbeit wirst du reich!

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 375

April 1883. […]

Das Urmaß aller Dinge ruht
In Händen nicht, die endlich sind,
Es liegt verwahrt in Schatzgewölben,
Die kein vergänglich Auge schaut.
Wir führen Wage, Stab und Uhr,
Zu messen uns're Endlichkeit,
Und wissen, was wir messen können,
Ist wandelbar und löst sich auf.

Darum mit ehrerbiet'ger Scheu
Gebrauchen wir das Maß der Zeit,
Und rufen hoher Jahre Zahl
Mit Weihefesten an!

Ein halbes Jahrhundert,
Was ist es, ihr Brüder?
Ein Hauch, wie ein ganzes,
Und wie ein Jahrtausend!
Doch wenn es das erste
Seit einem Bestehen,
Dann winden wir schmeichelnd
Und rühmend den Kranz.
Das eig'ne Erinnern
Umfängt noch die Seele,
Die Jahre der Jugend
Sind lange dahin,
Indessen die neuen
Geschlechter erblühten.

Es ragt uns die Burg
Mit den Aemtern des Wissens,
Wir sah'n noch die Stifter,
Und sah'n die Genossen
Die Halle durchschreiten,
Geschlecht auf Geschlecht.

Wo sind sie geblieben,
Sie all', die gekommen, […]
Zu lehren, zu lernen?
Sie ruhen in Gräbern
Zerstreut auf der Erde
Und hier in der Heimat;
Doch Mancher, er hält noch
In silbernen Locken
An fernen Altären
Der Weisheit die Wacht.
Getreulich geh'n and're,
Als Bürger ergrauend,
Mit uns noch zum Forum.

Kein fürstlicher Reichtum,
Kein Erbe der Väter
Erhält uns die Schule;
Auf schwankem Gesetze,
Sie steht in den Aether
Des täglichen Willens,
des täglichen Opfers
Des Volkes gebaut!

Doch um so lichter stehet
Und schirmet uns das Haus,
So lang ein Geist nur gehet,
Ein guter ein und aus.

Reich immer froh dem Morgen,
O Jugend, deine Hand!
Die Alten mit den Sorgen
Laß auch besteh'n im Land!

Ergründe kühn das Leben,
Vergiß nicht in der Zeit,
Daß mit demant'nen Stäben
Mißt die Unendlichkeit!

Schreibbuch Ms. GK 21

Nr. 376*

Unter einen Probedruck von Staufer's
Radierung meines Bildes. Juni 1887.

Was die Natur schon fragmentiert,
Hat hier des Künstlers Hand croquiert,
So aus der doppelten Verneinung
Kommt ein bedenklich Ganzes zur Scheinung;
Es scheint der kurze Mann fast krank,
Doch raucht er ja noch, Gott sei Dank!

 


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