Historisch-Kritische Gottfried Keller-Ausgabe (HKKA)        G_05

Gedichte 1846

 

Feuer-Idylle.

 

107 I.

Wild hallt der Schrei der Glocken durch die Nacht
Und Schüsse dröhnen von des Berges Wacht;
In allen Gassen tönt's: es brennt! es brennt!
Und Jeder angstvoll an sein Fenster rennt.

Der erste Blick: ist es in unserm Haus?
Der zweite mindert schon den Schreck und Graus,
Wenn weit, o weit die wunderschöne Gluth
Behaglich dort am fernen Himmel ruht.

Nun strömt der Neugier Bächlein ungehemmt,
Und ungewaschen wohl und ungekämmt,
Der ohne Strümpfe, Jener ohne Schuh',
Läuft Alles rings dem seltnen Schauspiel zu.

Und manchem ehrlichen Philister bangt,
Es könnte enden, eh' er angelangt;
Auch der Poet, er watschelt mit hinaus
Und sendet seinen Kennerblick voraus.

Da wallt vom Berg mit ungebrochnem Lauf
Die Eine Flamme hell zum Himmel auf;
Von Feuerliljen ein gewaltger Straus:
So blüht und glüht das große Bauernhaus.

Es ist die allerschönste Maiennacht,
Von Gold durchwirkt, tiefblau der Himmel lacht;
Eng zwischen Gärten voller Frühlingsflor
Klimmt der Poet zur Feuerstätt' empor.

Da sitzt der helle Geist auf seinem Raub
Und macht den morschen Kram zu Asch' und Staub;
Umsonst belästigt ihn der Menschenschwarm,
Er wehrt ihn ruhig ab mit glühem Arm.

Es brennt der Hof dem reichen Bauersmann,
Der nie genug sehn und erhaschen kann;
Längst hat der Sohn ein neues Haus begehrt,
Wogegen sich der Alte stets gewehrt.

Nun steht er da und schlottert jämmerlich,
Weiß nicht zu rathen noch zu helfen sich;
Doch Alle sind in guter Sicherheit,
Kein Nachbarhaus gefährdet weit und breit.

Drum laßt uns keck ein wenig näher gehn,
Die heiße Wirthschaft besser zu besehn,
Zu lesen in des Feuers Angesicht
Und was es heimlich mit den Sternen spricht.


 Gedichte 1846 / Feuer-Idylle

108 II.

Von Holz und Reisig eine hohe Wand
Seit langen Jahren um die Scheune stand:
Schon Vieles ward vom Regen unbrauchbar,
Doch jeder Herbst bringt neue Lasten dar.

Der letzte Winter brachte große Noth,
Und manche arme Wittwe, frierend, bot
Ihr armes Geld dem Mann für wenig Holz –
Er gab's nicht her in seinem Bauernstolz.

Nun flammt es auf in wildem Feuerflug
Mit Scheun' und Stall, Pferd, Wagen, Vieh und Pflug;
Die armen Weiber stehn und schaun es an
Und wärmen lächelnd ihre Hände dran.

Dies Lächeln mag die bleichste Blume sein,
Die einstens ziert des Mannes Todtenschrein. –
Weh' dem, der solchen Blüthenflor gesät,
Wenn einst die Saat in reifen Früchten steht!


  Gedichte 1846 / Feuer-Idylle

109 III.

Seit alter Zeit her war des Hauses Wand
Von wuchernd dichtem Epheu überspannt:
Den liebt der Bauer, sonst so liebeleer,
Weil er so gierig, alt und zäh, wie Er!

Nun brennt das dunkle Unkraut lichterloh
Und flackert in die Luft wie leichtes Stroh;
Wer glaubte, daß der alte schwere Kranz
So lustig hielte seinen Todtentanz?

Ei, was fliegt da für Ungeziefer aus!
In ganzen Schwärmen flieht die Fledermaus;
Kreuzspinnen, Käfer, was da kriechen mag,
Kommt sterbend in der hellen Gluth zu Tag.

Was von Gespenstern und von Koboldsbrut,
Von alten Sünden auf dem Hause ruht,
Und was es sonst für Spuck und Sagen gab,
Brennt mit den alten Epheuranken ab.

Was mag wol schimmern dort, und, seh' ich recht?
Was löst sich aus dem brennenden Geflecht
Und poltert da zu meinen Füßen her?
Ein tüchtig Kruzifix, von Golde schwer!

Einst riß der Ahn, vor manchem hundert Jahr',
Das Kreuz als Bilderstürmer vom Altar;
Es blieb im grünen Rankenwerk versteckt,
Nun endlich hat's das Feuer aufgedeckt.

Zwar munkelt man, daß in verschloss'ner Brust
Die Enkel jederzeit davon gewußt;
Sie hätten's nächtlich auf den Tisch gesetzt
Und sich an dem Geflunker oft ergötzt.

Eins thut mir leid – manch' zierlich Schwalbennest
Hing traulich in den wirren Ranken fest;
Wenn nun die liebe Schwalbe widerkehrt,
So findet sie ihr kleines Haus verheert.

Doch tröste dich, o Schwalbe zart und traut!
Ist erst der neue Giebel aufgebaut:
G'nug Winkel noch und Ecken findest du,
Daran du bauen kannst in guter Ruh.


  Gedichte 1846 / Feuer-Idylle

110 IV.

Da ist ein Buch, geschwärzt und halb verbrannt,
Wonach der Mann in Todesangst gesandt;
Ein Jüngling wagte dran sein junges Blut
Und trug's mit kecken Händen aus der Gluth.

Und gierig stürzt der Mann sich auf das Buch
Und – wirft es weg mit einem derben Fluch.
Sein dickes Schuldnerbuch hatt' er gemeint:
Nun liegt – – die Bibel vor dem guten Freund!

Wie arg und undankbar ist diese Welt,
Wie schmählich nun der alte Mann sich stellt!
Erinnert ihn die Bibel nicht mehr dran,
Wie gütlich er sich oft an ihr gethan?

Wenn er am Sonntagabend vor ihr saß
Und schmunzelnd dann von dem Kameele las,
Dem Nadelöhre und dem Himmelreich,
Wie ward ihm das Gemüth da froh und weich!

Wie manchen Bettler, hungerig und matt,
Macht' er mit schönen Bibelsprüchen satt,
Betheuernd hoch und feierlich dabei,
Daß dies sein reichster Trost und Hausschatz sei.

Nun liegt das alte Buch zertreten hier,
Im Feuer blieb der Ecken Silberzier;
Zerrissnen Angesichtes liegt im Koth
Das einst so hochgepriesne Lebensbrot.


  Gedichte 1846 / Feuer-Idylle

111 V.

Ich denke dran mit wehmuthsvollem Schmerz,
Wie rettungslos ein königliches Herz,
Indeß das Haus in Rauch und Schutt verfliegt,
Tief unter ihm in schnöden Banden liegt.

Goldfarbner Löwe, seufzt der edle Wein
Seit Jahr und Tag im dunkeln Eichenschrein,
Und ob ihm trampelte der graue Wicht,
Ließ keinen Tropfen an das Tageslicht.

Wenn still der Sonnenschein das Haus umfing
Und singend ein Gesell vorüberging,
Ein fröhlich dürstender mit heißem Blut,
Dann wallt' es unten auf mit süßer Wuth:

«O laßt mich an des Tages goldnen Blick,
Ich bring' euch Freiheit, Freude, Lieb' und Glück!
Laßt schäumend mich entgegensprühn dem Lied,
Das aus der hellen Menschenkehle zieht!»

Umsonst verhieß er reichen Minnelohn,
Gefesselt blieb der goldne Sonnensohn;
Nicht wahr, ihr Alle, die ihr Herrscher heißt,
Es ruht sich süß auf unterdrücktem Geist?

Nun wankt und stürzt das morsche Sündenhaus,
Doch unter seinen Trümmern athmet aus,
Vergessen, was so lang das Licht gesucht. –
Heil unsrer jungen Reben süßer Frucht!


  Gedichte 1846 / Feuer-Idylle

112 VI.

Ein Apfelbaum in voller Blüthe steht,
Ein leichter West in seinen Zweigen weht;
Er schaut, verklärt vom blutig rothen Schein,
Verwundert auf den wilden Brand herein.

Es ist, als ob der helle Glanz ihn freut',
Weil Blüthenblätter in die Gluth er streut;
Er athmet ein des Feuers heißen Hauch,
Um seine Krone spielend zieht der Rauch.

Da plötzlich langt herüber aus dem Brand
In seine Aeste tief die Flammenhand:
Zu Kohlen brennt der schöne Blüthenbaum –
Hin ist ein dichterlicher Lebenstraum!


  Gedichte 1846 / Feuer-Idylle

113 VII.

Dort gegen Westen, traulich unterm Dach,
Liegt hoch und abgeschieden das Gemach,
Das sich des Hauses Töchter jederzeit
Zum stillen Allerheiligsten geweiht.

Es ist ein eng und niedrig Kämmerlein
Mit runden Scheiben und uraltem Schrein,
Drin Bänder, Kettlein, Herzchen aller Art
In mannigfachen Kästlein wohl verwahrt.

Am Fenster steht das Spinnrad und davor
Der zartgepflegte bunte Blumenflor,
Gelbveiglein, Nelken, Rosen ohne End',
Und wie man all' das liebe Zeug benennt!

Manch nächtlich Lied hat hier heraufgetönt
Und diese Fensterlein sind dran gewöhnt,
Geräuschlos blinkend, heimlich aufzugehn,
Geöffnet ganze Nächte durch zu stehn.

Und manche Leiter wurde aufgethürmt,
Und auf die Liebeswarte kühn gestürmt;
Ob stets das Rosengitter widerstand,
Gehört zu den Geheimnissen im Land.

Auch jetzt ist eine Leiter angelegt,
Die einen Schwarm geschwärzter Männer trägt;
Im rothen Mantel stürmet in die Thür
Ein Freiersmann mit flammendem Panier.

Und vor ihm fährt ein Knäuel, wirr und kraus,
Erschreckter Liebesgötter fliehend aus;
Das flattert irrend in der Frühlingsluft,
Verfliegend wie verbrannter Ambraduft.

Das ganze Fenstergärtlein stürzt herab
Und findet in der Gluth sein feurig Grab;
Ob all' die stille, schöne Liebeswelt
Wol rettungslos zugleich in Asche fällt?

Mir ist nicht bang; ist neu das Haus erbaut,
Man sicher wieder dran ein Fenster schaut
Mit Rosen, Gelbveiglein und Nelkenzier:
Denn Solches muß man haben für und für.


  Gedichte 1846 / Feuer-Idylle

114 VIII.

Welch' lieblich Wunder nimmt mein Auge wahr!
Dort fließt ein Brünnlein, gar so frisch und klar,
Ein holzgeschnitzter Meergott gießt den Trank
In eine ausgehöhlte Eichenbank.

Der Westwind hat die Gluth herangeweht,
Der alte Gott in vollen Flammen steht,
Und aus der Feuersäule quillt der Schwall,
Des Wasserstrahls lebendiger Krystall.

Wie fröhlich tönt der schöne Silberstrang,
Gleich jenem Kleeblatt, das im Feuer sang!
Du klares Leben, ew'ger Wellenschlag,
Wer sendet aus der Tiefe dich zu Tag?

Ich glaubt', ein Brunnenhaus sei feuerfest –
Nun ist ein Häuflein Kohlen hier der Rest:
Die Quelle aber rieselt frisch und rein
Auch über Kohlen in die Welt hinein.

Wer weiß, wie lange schon der Bergquell springt?
Wer weiß, wie lang er noch zum Lichte dringt?
Auf! schnitzelt einen neuen Brunnenmann,
Der wieder hundert Jahr' ihn fassen kann.


  Gedichte 1846 / Feuer-Idylle

115 IX.

Zu loben ist der Männer kühner Muth,
Womit sie ringen mit der heißen Gluth,
Zu retten, was man irgend retten kann;
Doch ist nicht redenswerth, was man gewann.

Das Beste ist ein alter Todtenkranz,
Erinnerung an hohen Jugendglanz,
An irgend einen frühgestorbnen Sohn,
An einen längst verhallten Harfenton.

Mit welken Blättern liegt er in der Au,
Und auf ihn fällt der milde Maienthau;
Die blassen Bänder wehn im Morgenwind,
Daneben zitternd wacht ein schwaches Kind.

Wie leicht und dürr der alte Kranz mag sein,
Man wird ihm wieder eine Stelle weihn
Im neuen Bau, hoch an der Stubenwand,
Als des Vergangnen letztem, welkem Pfand.

Da wird er still auf's junge Leben sehn
Und dieses ehrend ihm vorübergehn,
Bis auch sein letztes leichtes Blatt zerstiebt
Und man den nackten Reif dem Feuer gibt.


  Gedichte 1846 / Feuer-Idylle

116 X.

Die Flamm' ist todt, der Krater ist verglüht,
Die Himmelsrose drüber aufgeblüht;
Sie glänzt auf Kohlen, wo die Wohnung stand,
Verschwunden ist das morsche Werk der Hand.

Woran der Mensch die kalten Hände legt
Und was er diebisch scheu zusammenträgt:
Hin ist nun Alles, was nach Richt' und Maß
Gefügt, gebunden aufeinander saß.

Doch ihr erglänzet mir unwandelbar,
Ihr Morgenlande, wonniglich und klar!
Ihr Berg' und Thäler voller Knospendrang,
Voll Quellenrauschen und voll Frühlingssang!

O Ueberfülle, die zum Lichte schwillt,
O Blüthenwirbel, der da überquillt
Und überwuchert, wo die Sünderhand
Ihr Maß will legen auf das reiche Land.

Das ist die Nachhut, die den Rücken deckt:
Drum auf zum Werke, Menschheit, unerschreckt!
Bau' auf, reiß' nieder und bau' wieder auf:
Das Jahr geht immer seinen Segenslauf.

 

  


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