Historisch-Kritische Gottfried Keller-Ausgabe (HKKA)        G_06

Gedichte 1846

 

Vermischte Gedichte.

 

117 Schweizerisches. 1.
An mein Vaterland.

O mein Heimatland! O mein Vaterland!
Wie so innig, feurig lieb' ich Dich!
Schönste Ros', ob jede mir verblich,
Duftest noch an meinem öden Strand!

Als ich arm, doch froh, fremdes Land durchstrich,
Königsglanz mit Deinen Bergen maß,
Thronenflitter bald ob Dir vergaß:
Wie war da der Bettler stolz auf Dich!

Als ich fern Dir war, o Helvetia!
Faßte manchmal mich ein tiefes Leid;
Doch wie kehrte schnell es sich in Freud',
Wenn ich Einen Deiner Söhne sah!

O mein Schweizerland, all' mein Gut und Hab'!
Wenn dereinst mein banges Stündlein kommt,
Ob ich Schwacher Dir auch Nichts gefrommt:
Nicht versage mir ein stilles Grab!

Werf' ich ab von mir dies mein Staubgewand,
Beten will ich dann zu Gott dem Herrn:
«Lasse strahlen Deinen schönsten Stern
Nieder auf mein irdisch Vaterland!»


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

118 Schweizerisches. 2.
Waldstätte.

Es sind vier Länder gelegen
Um einen urtiefen See,
Die mir das Herze bewegen
Mit noch viel tieferem Weh!

Sie sind der Stolz gewesen,
Die Zierde vom Schweizerland:
Nun kehrt man mit eisernem Besen
Kaum aus die blutige Schand'!

Sie nähren sich noch zur Stunde
Vom alten Ruhm mit List,
Der doch auf der Wasser Grunde
Schon lange versunken ist!

Noch leuchtet in der Sonnen
Der Berge silberner Dom:
Die Thäler hat übersponnen
Die alte Spinne von Rom.

Da liegen sie, wie vier Leichen,
Von Alpenrosen umblüht,
Und über die Todesbleichen
Hohnlachend der Böse zieht.

Wer hebt mir die Edelsteine,
Die vier', aus dem Schlamm und Sand?
Wer setzt sie mit neuem Scheine
In die Krone dem Vaterland?


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

119 Schweizerisches. 3.
Loyola's wilde verwegene Jagd.
Keine Vision.

Hussah! Hussah! Die Hatz' geht los!
Es kommt geritten Klein und Groß:
Der springt und purzelt gar behend,
Der kreischt und zetert ohne End':
Sie kommen, die Jesuiten!

Da reiten sie auf Schlängelein,
Und hintennach auf Drach' und Schwein:
Was das für muntre Bursche sind!
Wohl graut im Mutterleib dem Kind:
Sie kommen, die Jesuiten!

Hu, wie das krabbelt, kneipt und kriecht!
Pfui, wie's so infernalisch riecht!
Jetzt fahre hin, du gute Ruh!
Geh', Grete, mach' die Fenster zu:
Sie kommen, die Jesuiten!

Von Kreuz und Fahne angeführt,
Den Giftsack hinten aufgeschnürt,
Der Fanatismus als Profoß,
Die Dummheit folgt als Betteltroß:
Sie kommen, die Jesuiten!

O Schweizerland, du schöne Braut,
Du wirst dem Teufel angetraut!
Ja, weine nur, du armes Kind!
Vom Gotthard weht ein schlimmer Wind:
Sie kommen, die Jesuiten!


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

120 Schweizerisches. 4.
Pietistenwalzer.

Nun stimmet die Harfen und salbet die Geigen!
Nun reicht euch die Händlein zum himmlischen Reigen!
Ein Weiblein, ein Männlein,
Ein Hühnlein, ein Hähnlein!
Je zwei und zwei, wie es am besten sich schickt
Und wie man am frömmsten zu Herzen sich drückt.

Sind Alle da? Ei, so verschließet den Himmel!
Laßt draußen der weltlichen Böcke Gewimmel!
Ihm birgt man die Kniffe,
Die glücklichen Griffe;
Wir haben den Geist uns zu Fleische gemacht
Und feiern subtil die urewige Nacht.

Zu wecken die frommen, ersterbenden Gluthen,
Bestreicht uns Mephisto die Steißlein mit Ruthen;
O heilige Völle,
Durchwürze die Hölle!
Nun löschet die Lichter, von Ungefähr:
Das Töchterlein tanzt mit dem Missionär.

O süßes Geschmatz in dem heimlichen Dunkel!
Begehrliches Tappen und Liebesgemunkel!
Mich fasset der Schwindel!
Paradiesisch Gesindel!
O heilige, himmlische Windbeutelei -
Hinschmelz' ich und sied' ich im seligsten Brei!


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

121 Schweizerisches. 5.
Apostatenmarsch.

Bum! Bum! Bim, bam, bum!
Schnürt den Sack und macht linksum!
Abgeweidet ist die Matte,
Spute dich, du Wanderratte!
Hungern ist kein Gaudium.
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!

Sind wir nicht ein schöner Zug,
Galgenfroher Rabenflug?
Hinter uns die guten Tröpfe
Stehn und brechen sich die Köpfe,
Ob dem lustigen Betrug.
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!

Hohn und schriller Pfeifenklang
Folgen uns den Weg entlang;
Weiter, weiter in dem Kothe!
Weiße, süße Gnadenbrote
Lohnen uns den sauren Gang.
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!

Aus dem Busen reißt das Herz,
Werft es fluchend hinterwärts!
Pfaffenküch' und Keller kühle,
Spüle weg die Hochgefühle –
Ei, es war nur Bubenscherz!
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!

Nieder mit dem Jungfernkranz!
Ausgelöscht der Ehre Glanz!
Ausgehöhnet jede Wahrheit!
Angespien der Sonne Klarheit!
In den Staub mit dem Popanz!
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!

Tod am Strick – ein dummer Tod –
Schäme dich, Ischariot!
Du magst baumeln! Unsereiner
Schwimmt mit Würde stets als reiner
Goldfisch oben auf dem Koth.
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

122 Schweizerisches. 6.
Auf Martin Disteli's Tod.

Sie haben Ruh, die Kutten braun und schwarz,
Die Fledermäuse-, Raben-, Eulenköpfe,
Spießburger alle, mit und ohne Zöpfe,
All das vertrackte, zähe Pech und Harz!

Er hat sie drangsalirt und scharf gegeißelt
Die faulen Bäuche wie die krummen Rücken:
Er hat aus tausend giftgeschwollnen Mücken
Sich gar ein seltsam Monument gemeißelt.

Schaut her, ihr draußen! denen im Genick
Der Adler und der Geier Fänge lasten,
Schaut dies Gewimmel ohne Ruh und Rasten,
Den Bodensatz in einer – Republik!

Solch einen Abschaum wohlgemuth zu schildern,
Braucht es fürwahr ein gut und starkes Herz!
Und was sein Lohn? – Des freien Schweizers Schmerz,
Den unser Stolz auf ihn nur schwach kann mildern.


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

123 Schweizerisches. 7.
Bei Robert Steiger's Befreiung und Ankunft in Zürich,
am 20. Juni 1845.

Mit Deinem Adelsbriefe wohl versehen,
Dem Todesurtheil mit dem argen Riß,
Sehn wir Dich jugendlich und frisch erstehen
Aus Deines Kerkers kalter Finsterniß.
Des Unglücks Feuertaufe auf dem Haubte,
Den letzten Kettenring noch an der Hand:
So schreitest Du durch dieses jungbelaubte
Und doch so tiefgebeugte Vaterland!

Und wo Du gehst, da weckst Du auf den Bergen
Die hellen Freudenfeuer ohne Zahl!
Doch hinter Dir, da stehn die röm'schen Schergen,
Geblendet noch vom unverhofften Strahl:
Der APOSTAT, dess' Name nun zertreten,
Im Staub an unsers Volkes Sohlen klebt,
Indeß den Deinen es mit lautem Beten
Und kindlich dankbar zu den Sternen hebt!

Es grüße Dich das goldne Licht der Sonne,
Dich grüßt die Freiheit und das Vaterland!
Es grüßen Dich mit heißem Schlag der Wonne
Viel tausend Herzen, freudig zugewandt!
Nimm hin in vollem Maß des Volkes Liebe
Und seinen Dank, den es den Helden zollt:
Der Männer Lärm und jubelndes Getriebe,
Des Weibes Thräne, die im Stillen rollt!

Nimm hin die Lieder und die Festgesänge!
Es lauscht ein heil'ger, starker Zorn darin!
Die bittre Klage in dem Lustgedränge,
Den Dorn, den diese Rose birgt, nimm hin!
Denn was dem müden Volk das Herz durchzittert,
Legt's heimlich in die Grüße mit hinein;
Ob's nun in Freude oder Leid gewittert:
Es wird nicht minder ein Gewitter sein!

 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

124 Ueberall!

Freiheit mit den schwarzen Augen,
Wachst du auf am Tiberstrande?
Freiheit mit den blauen Augen,
Schläfst du noch im deutschen Lande?
Kühne trikolore Dirne,
Schürze wieder dich zum Tanze!
Weiße Schweizer-Gletscherfirne,
Strahle roth im Morgenglanze!

Und du, schlanke Nereïde,
Tauch' aus deinen blauen Wogen:
Hat dich nicht dein falscher Friede,
Arme Hellas, arg betrogen?
Du dann mit dem Todesmuthe
Und gebrochnem Schwunggefieder:
Weißer Aar im rothen Blute,
Rausche wieder, steige wieder!

Hebt den Schild, ihr Schutzpatrone
Aller Völker, auf zum Streite!
Flechtet eine Siegerkrone
Die sich über Alle breite!
Streifet ab die alten Sünden:
Denn geläutert und gereinigt
Sollt ihr euch zum Feste finden,
Das nur Würdigste vereinigt.


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

125 Wanderlied.

Glückauf! nun will ich wandern
Von früh bis Abends spät,
So weit auf dieser Erde
Die Sonne da mit mir geht.

Nichts nehm' ich mit, als den Becher,
Mein leichtes Saitengetön;
Ich wundre mich über die Maßen,
Wie's überall doch so schön!

Oft ist die Ebene schöner
Als meine Berge noch,
Und wo kein blauer Himmel,
Giebt's purpurne Wolken doch.

Wo keine schmachtenden Lotos,
Wächst blühendes Haidekraut,
Wo keine gothischen Dome,
Sind jonische Tempel gebaut.

Und bin ich des Griechischen müde,
Mich lockt die luft'ge Moschee:
Ich kleid' in maurische Schnörkel
Mein europäisches Weh.

Nur Einer süßen Blüthe
Ermangel' ich überall,
Von Einem süßen Namen
Den silbernen Zauberschall.

Hallo, du muntrer Jäger!
Sag' an du Bergmann traut!
Hast du, mein stiller Fischer!
Mein Liebchen nirgends geschaut?

Mein Liebchen, das ist die Freiheit,
Die such' ich kreuz und quer –
Sie ist doch nicht ertrunken
Im alten falschen Meer?


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

126 Holzwege.

Ein Tannenbaum im Schwarzwald steht,
Der wächst schon manches Jahr;
Sein Haubt empor in's Blaue geht,
Da fliegt sein grünes Haar.

Die Wurzel hat den Erdengrund
Gar inniglich erfaßt:
Und darum bleibt der Baum gesund
Wie Süd und Nord auch rast.

Doch Alles, was auf Erden ist,
Muß haben seine Zeit:
Und auch der Baum zu seiner Frist
Zum Fällen ist bereit.

Dann schmückt man ihn, dann führt man ihn
Den grünen Rhein entlang,
Auf Donau, Spree, nach Wien, Berlin,
Mit hellem Sang und Klang.

O Maienlust, o – Freiheitsbaum!
So jugendlich und grün:
Wie wirst du, alter Menschentraum,
Dann ewig, ewig blühn!


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

127 Stein- und Holz-Reden.

Auf Lüneburger Haide
Da steht der alte Stein,
Daneben die alte Eiche,
Sie mag wol tausendjährig sein.

Es ziehn vorbei Gesellen
Im Lenz mit frischem Sang;
Sie singen von deutscher Freiheit,
Auf weitem Plan verhallt der Klang.

Da spricht der Stein zur Eiche,
Als wacht' er auf vom Traum:
«Ging nicht vorbei die Freiheit?
Wach' auf, wach' auf, du deutscher Baum!»

Und durch des Baumes Krone
Da fährt ein Saus und Braus,
Die moosigen Äste schlagen
In tausend jungen Augen aus!

Die Sänger sind gezogen
Fernhin durch's Haidekraut:
Die Eich' hat ihnen von oben
Gar lang und traurig nachgeschaut.

Sie hub sich aus der Wurzel
Den fernen Sängern nach:
Es klang des Liedes Nachhall
Wol durch ihr hohes Blätterdach.

Den letzten Hall verklingen
Hat sie im Herbst gehört:
Da hat sie, schüttelnd, die Äste
Vom letzten Laub im Zorn geleert.

«Nun will ich wieder schlafen,»
Spricht sie zum alten Stein;
«Du wunderlicher Träumer
Sollst mir nun einmal stille sein!»


  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

128 Auf der Landstraße.

Zieht eine arme Pilgerin,
Gebückt und schwach, am Bettelstab,
Zur gnadenreichen Jungfrau hin;
Der Rosenkranz rollt auf und ab:
Obwohl er sie nicht hindern kann,
Auch ihres Leibes zu gedenken
Und auf den rüst'gen Wandersmann
Demüthig ihren Blick zu lenken.

«Mein junger Herr! erbarmet Euch,
Wie Gott Euch mag barmherzig sein!
Er geb' Euch einst sein Himmelreich
Und seinen Segen obendrein!»
««Ich glaube nicht an Deinen Gott,
Für den dort Deine Kugeln rollen!
Drum schien' es mir ein arger Spott,
Würd' ich Dir eine Gabe zollen.»»

Doch fort geht ihrer Rede Lauf:
«Gott segne Euer junges Haubt
Und heb' Euch seinen Segen auf,
Bis Ihr allendlich an Ihn glaubt!»
Und dankend nimmt sie meinen Sold
Und betet fort auf ihren Wegen;
Ich habe mich davon getrollt
Mit ihrem röm'schkathol'schen Segen.

Bei allen Göttern dieser Welt
Leg' ich ein kleines Sümmlein an:
Sagt, wenn dereinst der Würfel fällt,
Ob es mir wol noch fehlen kann?
Und läugnen Alle einst die Schuld,
Ich weiß gewiß, es hat mein Lieben
Der wahre Gott in seiner Huld
Mir zahlbar dann und gut geschrieben!

Ein schrankenloser Leichtsinn soll
In diesem Streit mein Schildknapp sein!
So leb' ich muth- und freudenvoll,
So lang nur Herz und Sinne rein.
Ich lieb' es, so mir halb bewußt
Am offnen Abgrund hinzustreifen,
Und über mir lass' ich mit Lust
Das Aug' in's grundlos Blaue greifen!


 

Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

129 Im Meer.

Der Himmel hängt, wie Blei so schwer,
Dicht auf dem wildempörten Meer;
Ein englisch Segel, fast die Quer,
Schießt wie ein Pfeil darüber her.

Ein Messer, so das Meer sich schliff,
Da starrt ein blankes Felsenriff
Und schlitzt das Engelländerschiff;
Das Meer thut einen guten Griff.

Viel tausend Bibeln sind die Fracht,
Die sinken in die Wassernacht;
Schon hat in düstrer Schuppenpracht
Das Seevolk sich herbeigemacht.

Da wimmelt es von Schlang' und Fisch,
Sie sitzen am Korallentisch,
Her schießt der Leviathan risch:
Was ist das für ein Flederwisch?

Die Meerschlang', als die Königin,
Kommt auch und blättert her und hin;
Sie Alle lesen emsig drin
Und forschen nach dem dunkeln Sinn.

Sie ziehn den Missionär empor
Und halten ihm die Bibel vor:
Doch der zu schweigen sich verschwor,
Das Meer durchbraust sein taubes Ohr!


  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

130 Die Spinnerin. 1.

Rinne sanft, du weiche Welle,
Schöner Flachs, durch meine Hände,
Daß ich dich mit stiller Schnelle
Fein zum goldnen Faden wende!

Du Begleiter meiner Tage
Wirst nun bald zum Tuch erhoben,
Dem ich alle Lust und Klage
Singend, betend eingewoben.

Wie so schwer bist du von Thränen,
Schwer von Märchen, schwer von Träumen,
Schwer von jungfräulichem Sehnen,
Reich an Ros'- und Myrthenbäumen!

Ahnt wol Er, du traute Linne,
Welch' geheimnißvolle Dinge,
Welchen Schatz der tiefsten Minne
Ich mit dir in's Haus ihm bringe?

Kühler Balsam seinen Wunden
Sollst du werden, mein Gewebe –
Wohl ihm, daß er Mich gefunden
Unter dieses Gartens Rebe!

Wie durchdringt mich das Bewußtsein,
Daß ich ganz sein Glück soll werden,
Und das Kleinod seiner Brust sein,
Und sein Himmel auf der Erden!

 

 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

131 Die Spinnerin. 2.

Nur diesen letzten Rocken
Noch spinnt mein reger Fleiß:
Dann schmiegt euch, blonde Locken,
Dem grünen Myrthenreis!
Ich habe lang gesponnen
Und lange mich gefreut:
Zum Bleichen an der Sonnen
Liegt meine Jugendzeit.

Hat Er wol auch das Seine
Mit treuem Muth gethan?
Betreten schon die Eine,
Die lichte Ehrenbahn?
Hat innig Er begriffen
Die Arbeit seiner Zeit?
Hat Er sein Schwert geschliffen.
Zum letzten Kampf bereit?

Weh ihm, wenn Er nicht rechten
Für unsre Freiheit will!
Weh ihm, wenn Er nicht fechten
Für unsre Ehre will!
Dann mag mein Liebster minnen
Wohl auf und ab im Land –
Und dies mein bräutlich Linnen
Wird dann mein – Grabgewand.


  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

132 Frau Michel.

Frau Michel ist eine gute Frau,
        wie liebt sie ihren König!
Den König und sein ganzes Haus,
        und – ißt und trinkt so wenig!
   Die gute, arme Frau Michel.

Frau Michel hat ihren einz'gen Sohn
        dem König hingegeben,
Der steht und gafft im Schilderhaus:
        sie nährt mit Spinnen ihr Leben.
   Die gute, arme Frau Michel
.

Und als es hieß, der liebe Prinz
        wird seine Braut heimführen,
Da sprach der Vogt: Frau Michel mein,
        ihr müßt eu'r Haus verzieren.
   Die gute, arme Frau Michel.

Nun hat Frau Michel dick zu thun,
        wie trippelt sie, wie lauft sie!
Baumwollenfahnen und Goldpapier
        und frische Rosen
kauft sie.
   Die gute, arme Frau Michel.

Sie geht in Wald und sammelt Moos,
        beim Nachbar bettelt sie Schnüre
Und alte Nägel und derlei Quark,
        beim Schuster Kleister und Schmiere.
   Die gute, arme Frau Michel.

Dann schafft und keucht sie den ganzen Tag,
        und sinnt und klopft und klittert,
Bis daß ihr Häuslein um und um
        behangen ist und beflittert.
   Die gute, arme Frau Michel.

Herr Bunzelmann, der Alles kann,
        hilft ihr studiren und kleben,
Macht Wappen und Kron' und Namenszug,
        trinkt zwölf Maß Bier daneben.
   Die gute, arme Frau Michel.

Und aus dem letzten Groschen kauft
        sie Brod und frische Butter,
Und sitzt vergnügt und harrt im Haus
        auf die neue Landesmutter.
   Die gute, arme Frau Michel.

Doch eh sie sich recht umgeschaut,
        sind schon vorbei die Wagen!
Und wie das Pärlein ausgesehn,
        muß sie den Nachbar fragen.
   Die gute, arme Frau Michel.

So schlage doch der Teufel drein!
        ich kann nicht mehr spassen und narren:
Wie lang noch willst du, altes Kind!
        in deinem Dusel verharren?
   Du dummes Weib, Frau Michel!


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

133 Der Kürassier.
«Für Gott, König und Vaterland!»

Ich spute mich nach Hause in kalter Regennacht:
Da stehet düsterschimmernd und lautlos auf der Wacht
  Der schlanke, der blanke, der schwere Kürassier.

Er flüstert leis: «Mich hungert, ein Kreuzer, Herr, zu Brod!»
Ich stehe still, erschrocken, und werde für ihn roth.
  Der schlanke, der blanke, der schwere Kürassier!

Doch wie ich meinen Bettel will theilen mit ihm drauf:
Da rasselt die Karosse vorbei im schnellen Lauf.
  Auf, schlanker und blanker, du schwerer Kürassier!

Drin sitzt ein abgeflattert, blutlos Ministerweib:
Der Reiter läßt erklirren den starren Riesenleib,
  Der schlanke, der blanke, der schwere Kürassier.

Dann nimmt er meine Gabe und bittet demuthsvoll,
Daß ich doch unsern Handel Niemanden sagen soll; –
  Der schlanke, der blanke, der schwere Kürassier.

So steht er noch ein Stündlein und grübelt sonder Harm,
Etwa: «lm Königssaale, da ist es wol recht warm.»
  Der schlanke, der blanke, der schwere Kürassier.

Bis einsmals er im Fieber von seinem Posten geht –
Drauf heißt es: «Nummer Neune liegt todt im Lazareth.»
  Der schlanke, der kranke, der arme Kürassier!

Es wird an seiner Treue zu Schanden jeder Spott;
Er starb ja für den König, für Vaterland und Gott!
  Der schlanke, der todte, der arme Kürassier! –


  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

134 «Morgenroth u. s. w.»

Hoffnungsblumen, Morgenröthen,
Die am dunkeln Himmel blühn –
Und das Volk in seinen Nöthen
Schaut erwartungsvoll das Glühn;
Harrt in Demuth auf die Sonne
Die da auferstehen soll:
Und von bessrer Zeiten Wonne
Wird sein Wermutsbecher voll.

Horch! was flüstert durch die Gassen
Und was zischelt vom Palast?
Herolde durchziehn die Straßen,
Wispern mit gedämpfter Hast:
«Hört, der König ist gestorben!
«Hei, der alte Herr ist todt!
«Kronprinz hat den Thron erworben:
«Aus und ab ist unsre Noth!»

Bald verhallt der dumpfe Klang von
Trauerglocken um und um:
Festdrommeten harren lang schon,
Und das treue Publikum.
«Heil dem Prinz, der sich gebildet
«Lang mit Männern weis' und alt!
«Heil uns selbst! wir sind geschildet
«Gegen Willkür und Gewalt!»

Morgenjubel ist verklungen,
Wetter hielt sich leidlich gut:
Und die Alten nebst den Jungen
Schlendern heimwärts wohlgemuth.
Sieh, da fällt was auf die Nase –
Spute sich, wer laufen mag!
Und dem kurzen Morgenspasse
Folgt ein langer Regentag.


  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

135 Das Weingespenst.

Die grünen Römer blinken,
Wir trinken draus mit Lust:
Das ist ein fröhlich Leben,
Das hebt die junge Brust.

Was liegt denn an der Schwelle
Dort für ein bleiches Weib,
Zerschlagen und gebunden
Den edelschönen Leib?

Wie kommt so kranke Dirne
Denn unserm Jubel nah?
O, schleudert weg die Becher,
Das ist – Germania!

Wir nehmen still die Hüte
Und schleichen aus dem Schank,
Wie Einer der ein Räuschchen
Sich am Charfreitag trank.


  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

136 Meergedanken.

O wär' mein Herz das tiefe Meer
Und meine Feinde die Schiffe:
Wie schleudert' es sie hin und her
An meines Hasses Riffe!

Und endlich schläng' es unter sie,
Tief unter in die Tiefe,
Daß drüber glänzend spät und früh
Der Meeresfrieden schliefe.

So aber ist's ein Wellchen kaum,
Von tausend Wellen Eine:
Doch nagt und wäscht ihr leichter Schaum
Am morschen Schiffsgebeine.

Wir Wellen ziehen treu vereint
Und Eine folgt der Andern:
Wir haben All' den gleichen Feind,
Nach dem wir spähn und wandern.

Das Unglück ist der Wirbelwind,
Der peitscht uns, bis wir schäumen,
Bis Alle wach geschlagen sind
Aus ihren Wasserträumen.

Und endlich sinkt im Trümmerfall,
Was wir so lang getragen –:
Heil uns, wenn wir mit sattem Schwall
Dann oben zusammenschlagen!


  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

137 Denker und Dichter. 1.

Wohlan, ihr neunmal Weisen!
Ich fordre euch heraus;
Baut Ihr von Stein und Eisen
Ein sturmgesichert Haus:
Bau' Ich aus Blüthendüften
Und Mondschein mir ein Schloß,
Drin biete ich euch Allen Trutz
Und eurem Schülertroß.

Die goldnen Sonnenstrahlen
Sind meine Lanzen scharf,
Die Blumen in den Thalen
Sind all mein Schießbedarf,
Die Tannen auf den Bergen
Sind meine Wächtersleut',
Des Himmels Sterne allzumal
Mein glänzend Heer zum Streit.

Auf! meine Siegsstandarte
Die ist das Abendroth;
Auf! meine Feldherrnwarte
Die ist das Morgenroth;
Mein Tambour ist der Donner,
Der durch die Lande rollt,
Trompeter ist der wilde Sturm,
Der auf den Meeren grollt.

Mein Oberstfeldzeugmeister
Ist meine Phantasie,
Und ihre tapfern Geister
Verließen mich noch nie;
Die unerschöpfte Kasse
Der Quellen Silberschaum,
Mein lustig kühles Lagerzelt
Des Waldes grüner Raum.

Die Wolken sind Trabanten
Die meine Stimme ruft,
Und meine Adjutanten
Die Adler in der Luft,
Die fliegen und die spähen
Hinaus in alle Welt:
Mein Dichtergeist ist Feldmarschall,
Das ist ein guter Held.

Ich schicke dir entgegen,
O Feind! die Nachtigall:
Die bringt mit ihren Schlägen
Dich alsogleich zu Fall.
Ich lasse auf euch spielen
Mein duftiges Geschütz,
Und euer Eis zerschmelzen muß
An meinem Lanzenblitz.

Gott hat zu seinem Zeugen
Erfunden den Gesang,
Der wird nun nimmer schweigen
Die Ewigkeit entlang.
In seinen Zauberwellen
Versinkt der letzte Spott:
So lange noch ein Dichter lebt,
Lebt auch der alte Gott!

 

  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

138 Denker und Dichter. 2.

Nein! – Zwischen uns soll Friede sein,
Die weiße Fahne steck' ich auf:
Daß in geharnischtem Verein
Wir wallen Einen Siegeslauf.
Voran, voran, ihr Bittern,
In fegenden Gewittern!
Wir Dichter aber schreiten nach
Mit klar gestimmten Zithern.

Ihr seid die feuerschwangere Kraft
Vor der der gift'ge Dunst zergeht,
Sprengt den entlaubten Eichenschaft
Der starr und dürr im Wege steht.
Doch funkelnd aufgezogen
Sind wir der Regenbogen,
Der von der Erd' zum Himmel lacht,
Wenn das Gelärm zerflogen.

Ihr werft den Götzen aus dem Haus,
Im Heidenthum, im Christenthum;
Ihr jätet Dorn und Distel aus
Und pflügt den starren Acker um:
Doch wir auf Lenzesschwingen,
Mit Spielen und mit Singen,
Wir müssen in die Furchen dann
Den neuen Samen bringen.

Ihr brecht die Bahn durch finstre Nacht,
Die Fackel in der sichern Hand,
Ihr seid die Vorhut und die Wacht,
Ihr sengt und brennt in Feindesland;
Vor der Posaune Schallen
Ist Jericho gefallen:
Vor eurer Tuba stürzen selbst
Des Himmels höchste Hallen!

Dann aber folgt die Dichterschaar
Die einen neuen Himmel baut,
Darinnen man im Lichttalar
Den alten Gott der Liebe schaut.
Voran, voran, ihr Bittern,
In fegenden Gewittern!
Wir ziehen heilend, segnend nach
Mit klar gestimmten Zithern.


  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

139 Am Vorderrhein.

Wie ahnungsvoll er ausgezogen,
Der junge Held, aus Kluft und Stein!
Wie hat er durstig eingesogen
Die Milch der Freiheit frisch und rein!
Nun wallt der Bergessohn hernieder,
Hin in mein zweites Heimatland:
O grüß' mir all' die deutschen Brüder,
Die Herrlichen, längs deinem Strand!

So grüß' auch all' die deutschen Frauen
Mit deinem feinsten Ritterbrauch,
Und wenn du wirst die Dome schauen,
Die lieben Käuze, grüß' sie auch!
Sonst weiß ich Niemand just zu grüßen,
Als etwa noch die Loreley
Und deiner Reben freudig Sprießen,
Den Dreißigen – geh' still vorbei.

Es taucht ein Aar in's Wolkenlose
Hoch über mir im Sonnenschein:
Ich werfe eine Alpenrose
Tief unten in den wilden Rhein;
Führ' nieder sie, führ' sie zu Thale,
Du grüner Held, zum Meeresthor,
Und halt' dem Volk im Eichenthale,
Dem Harrenden, dies Zeichen vor!


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

140 Einkehr
unterhalb des Rheinfalls.

Da rauscht das grüne Wogenband
Des Rheines Wald und Au entlang!
Jenseits mein lieb' Badenserland,
Und hier schon Schweizerfelsenhang.

Da zieht er hin, aus tiefer Brust
Mit langsam stolzem Odemzug,
Und über ihm spielt Sonnenlust
Und Eichenrauschen, Falkenflug.

Kein Schloß, kein Dom ist in der Näh',
Nur Wälder schauen in die Fluth;
Von Deutschland schwimmt ein fliehend Reh
Herüber, wo es – auch nicht ruht.

Und in der Stromeseinsamkeit
Vergeß' ich all' den alten Span,
Versenke den verjährten Streit
Und hebe hell zu singen an:

«Wohl mir, daß ich dich endlich fand,
Du stiller Ort am alten Rhein,
Wo, ungestört und ungekannt,
Ich Schweizer darf und Deutscher sein!

«Wo ich hinüber rufen mag,
Was freudig mir das Herz bewegt,
Und wo der klare Wellenschlag
Den Widerhall zurück mir trägt!

«O steigt zum Himmel, Lied und Wort!
Schwebt jubelnd ob dem tiefen Rhein!
Hier ist ein stiller Freiheitsport,
Hier sind wir mit dem Rhein allein!»

Da raschelt's drüben, und der Scherg,
Zweifärbig, reckt das Ohr herein –
Ich fliehe rasch hinan den Berg:
Ade, du stiller Ort am Rhein!


  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

141 An das Herz.

Willst du nicht dich schließen,
Herz, du offnes Haus!
Worin Freund' und Feinde
Gehen ein und aus?

Schau', wie sie verletzen
Dir das Hausrecht stets!
Fühllos auf und nieder,
Polternd, lärmend geht's.

Keiner putzt die Schuhe,
Keiner sieht sich um!
Staubig brechen Alle
Dir in's Heiligthum;

Trinken aus den goldnen
Kelchen des Altars,
Stehlen Müh' und Segen
Dir des ganzen Jahrs;

Werfen die Penaten
Wild vom Herde dir,
Pflanzen drauf mit Toben
Ihr zerfetzt Panier:

Und wenn zu verwüsten
Sie nichts finden mehr,
Lassen sie im Scheiden
Dich, mein Herz, so leer!

Nein! und wenn nun Alles
Still und todt in dir:
O, noch halt' dich offen,
Offen für und für!

Laß' die Sonne scheinen
Heiß in dich herein,
Stürme dich durchfahren
Und den Wetterschein!

Wenn durch deine Hallen
So die Windsbraut zieht,
Laß' aus deinen Glocken
Schallen Lied um Lied!

Denn, noch kann's geschehen,
Daß auf irrer Flucht
Eine treue Seele
Bei dir Obdach sucht!


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

142 Aus ihrem Leben:
Dichtung und Wahrheit. 1.
Ghasel.

Seht den Poet, der immerdar erzählt von Lerchensang,
Wie er nun bald drei Dutzend schon gebratner Lerchen schlang!
Bei Sonnenaufgang, als der Tag in Blau und Gold erglüht,
Da war es, daß sein Morgenlied vom Lob der Lerchen klang;
Und nun bei Sonnenuntergang mit seinem Gabelspieß
Er sehnend in die Liederbrust gebratner Lerchen drang!
Das heiß' ich die Natur verstehn, allseitig, tief und kühn,
Wenn also auf und nieder sich sein Tag mit Lerchen schwang!


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

143 Dichtung und Wahrheit. 2.
Konditor und Poet.

Kennt ihr den Kleinkinderhimmel,
Wo als Gott der Zuckerbäcker
Waltet süß und hoch und herrlich,
In den Augen kleiner Schlecker?

O, zur Weihnachtszeit, wie flimmert,
Duftet rings es an den Wänden!
Welchen Schatz von Herrlichkeiten
Schüttet er aus vollen Händen!

Läßt erblühen süße Blumen,
Weise streut er die Gewürze;
Schön stehn ihm die hohe, weiße
Zipfelmütze, Wams und Schürze.

Doch wonach die guten Kinder
Schmachtend vor dem Laden stehen,
Muß dem Reichen, Allgewalt'gen
Reizlos durch die Hände gehen.

Einmal kaum im Jahr genießt er,
Aus Zerstreuung in dem Handel,
Flüchtig eine Zuckererbse
Und verächtlich eine Mandel!

Soll ich einen andern Himmel,
Sammt den Göttern, noch beschreiben:
Sammt den – Dichtern, die ihr Dichten
Just wie Zuckerbäcker treiben?

Zipfelmütze, weiße Schürze,
O wie nüchtern glänzet ihr!
Und wie mahnt ihr mich an weißes,
Reinliches – Konzeptpapier!


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

144 Erwiderung
auf Justinus Kerner's Lied:

Unter dem Himmel.

Siehe Morgenblatt 1845.

Laßt mich in Gras und Blumen liegen
Und schaun dem blauen Himmel zu,
Wie goldne Wolken ihn durchfliegen,
In ihm ein Falke kreist in Ruh.

Die blaue Stille stört dort oben
Kein Dampfer und kein Segelschiff,
Nicht Menschentritt, nicht Pferdetoben,
Nicht des Dampfwagens wilder Pfiff.

Laßt satt mich schaun in diese Klarheit,
In diesen stillen, sel'gen Raum:
Denn bald könnt' werden ja zur Wahrheit
Das Fliegen, der unsel'ge Traum.

Dann flieht der Vogel aus den Lüften,
Wie aus dem Rhein der Salmen schon,
Und wo einst singend Lerchen schifften,
Schifft grämlich stumm Britannia's Sohn.

Schau' ich zum Himmel, zu gewahren,
Warum's so plötzlich dunkel sei,
Erblick' ich einen Zug von Waaren,
Der an der Sonne schifft vorbei.

Fühl' Regen ich beim Sonnenscheine,
Such' nach dem Regenbogen keck,
Ist es nicht Wasser, wie ich meine,
Wurd' in der Luft ein Oehlfaß leck.

Satt laßt mich schaun vom Erdgetümmel
Zum Himmel, eh' es ist zu spät,
Wann, wie vom Erdball, so vom Himmel
Die Poesie still trauernd geht.

Verzeiht dies Lied des Dichters Grolle,
Träumt er von solchem Himmelsgraus,
Er, den die Zeit, die dampfestolle,
Schließt von der Erde lieblos aus.

Justinus Kerner.


Dein Lied ist rührend, edler Sänger!
Doch zürne dem Genossen nicht,
Wird ihm darob das Herz nicht bänger,
Das, Dir erwidernd, also spricht:

Die Poesie ist angeboren,
Und sie erkennt kein Dort und Hier;
Ja, ging' die Seele mir verloren,
Sie führ' zur Hölle selbst mit mir.

Inzwischen sieht's auf dieser Erde
Noch lange nicht so graulich aus;
Und manchmal scheint mir, Gottes: Werde!
Ertön' erst recht dem «Dichterhaus.»

Schon schafft der Geist sich Sturmesschwingen
Und spannt Eliaswagen an –
Willst träumend Du im Grase singen,
Wer hindert Dich, Poet, daran?

Ich grüße Dich im Schäferkleide,
Herfahrend, – doch mein Feuerdrach'
Trägt mich vorbei, die dunkle Haide
Und Deine Geister schaun uns nach!

Was Deine alten Pergamente
Von tollem Zauber kund Dir thun,
Das seh' ich durch die Elemente,
In Geistes Dienst, verwirklicht nun.

Ich seh' sie keuchend sprühn und glühen,
Stahlschimmernd bauen Land und Stadt:
Indeß das Menschenkind zu blühen
Und singen wieder Muße hat.

Und wenn vielleicht, nach fünfzig Jahren,
Ein Luftschiff voller Griechenwein
Durch's Morgenroth käm' hergefahren –
Wer möchte da nicht Fährmann sein?

Dann bög' ich mich, ein sel'ger Zecher,
Wol über Bord, von Kränzen schwer,
Und gösse langsam meinen Becher
Hinab in das verlassne Meer!
G. K.


  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

145 An Lenau.

Welk lag meines Herzens Garten
Und sein Springquell war versiegt,
All das Liedervolk in Zweigen
Saß in dumpfen Schlaf gewiegt.

Hohl und klanglos schien mir Alles,
Und der frische Duft entwich;
Selbst die fremden Lieblingsweisen
Hatten keinen Ton für mich.

Wie es oftmals geht im Leben,
Das so seltsam webt und flicht:
Längst schon kannt' ich deinen Namen,
Aber deine Lieder nicht.

Und nun las ich sie; auf einmal
In so öder Winterszeit
Ging mir auf ein neuer, reicher
Lenz in seiner Herrlichkeit!

Und in deinen Geistesblüthen
Warst Du mir ein Nekromant,
Der für meinen eignen Zauber
Wieder mir das Schlagwort fand.

Rasch entfesselt sprang der Bronnen,
Alle Lauben voller Sang!
Und in den geheimsten Gängen
War es wieder Duft und Klang.

Damals wünscht' ich, daß ich möchte
Ein begabter Sänger sein,
Um dir recht ein schön und lindernd,
Ein vergeltend Lied zu weihn!


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

146 An Freiligrath
bei seinem Eintritt in die Schweiz im Frühling 1845.

Sobald ein Dichterkind mit holdem Siege
   Die Augen aufschlägt hier im Erdenthale,
   Stehn schon zwei Genien an seiner Wiege:

Hell von Krystall hält dieser eine Schaale,
   Voll, bis zum Rand, von feuergoldnem Wein,
   Belebt, durchwebt vom reinsten Sonnenstrahle;

Des Andern Schaal' ist dunkler Edelstein,
   Rubin, und faßt des Mohnes dunkeln Saft,
   Durchwoben von des Mondes Zitterschein.

In beiden Schaalen ruht die Lebenskraft
   So ihm die treuen Genien rastlos schenken,
   Die ihn durchwallt und seine Lieder schafft;

Aus beiden Schaalen strömt sein Sein und Denken,
   Sein Blühn und Sehnen, fließen Tag und Nacht,
   Ein sonnig Schaun, ein träumerisch Versenken

In seine Seele, wie sie träumt und wacht.
   Und Preis dem Dichter, wenn die Lebensbecher
   Ihm reich erfunkeln und in gleicher Pracht!

Doch Halbpoet nur ist der trunkne Zecher,
   Der aus dem Einen überwiegend trinkt;
   Sein Herz wird krank, sein Lied alltäglich schwächer! –

O, wenn die Nacht mit ihren Sternen winkt,
   Dann leer' die dunkle Schaale bis zum Grunde,
   Daß der uralte Zauber in dich sinkt!

Doch naht mit heil'gem Wehn die Morgenstunde,
   Laß' dem Kristall den klaren Trank entquellen,
   Dann führ', wie sie, der Wahrheit Gold im Munde!

Thu' auf dein Aug' des Lichtes goldnen Wellen!
   Laß' liegen, die im tödtlichen Rausch versunken,
   Die ewig auch den Tag zur Nacht gesellen! –

So hast auch Du die Zauberfluth getrunken,
   O Freiligrath! daß Berg und Thal erklungen
   Und sich die Elfen fröhlich zugewunken.

Vom Morgenland hast ahnend Du gesungen,
   Und als der Morgen endlich Dir gegraut,
   Da hast Du aus den Rosen Dich geschwungen:

Hast freien Blicks dem Tag in's Aug geschaut,
   Die Spinnwebbande leichter Hand zerrissen,
   Womit die Traumgenossen Dich umbaut!

Sie schrien Dir nach aus ihren Finsternissen;
   Jedoch vom «Morgen und vom Rhein» erklang's
   Entgegen Dir in hellen Freiheitsgrüßen!

Und jeder Mund im deutschen Lande sang's:
   Der Freiligrath hat sich zu uns geschlagen!
   Und jedes Ohr in fernen Gaun verschlang's,

So weit die deutsche Kunde ward getragen!
   Doch Manchem wol erklang Dein Taglied schrill,
   Denn bald sah man die Schergen nach Dir jagen.

Die sonst so nächtlichsanft und muckerstill,
   Es brach die preußische Romantik los,
   Die Mohn und Mohn und wieder Mohnsaft will. –

So grüß' ich Dich in dieses Landes Schooß!
   Zwar eben ist's in unsern Bergen düster
   Bei heiterm Frühlingshimmel; heut noch floß

Ein blutig Rieseln, und ein Klaggeflüster
   Durchzieht den Bergwald; es erdröhnt das Land
   Vom wüsten Schrei der Pfaffen und Philister.

Wir reichen Dir die pulverschwarze Hand,
   Der Trommelschlag verschlingt die Freundesgrüße
   Und ringsum loht des Hasses rother Brand!

Auf starre Leichen stoßen Deine Füße;
   Hier liegen sie mit ausgestochnen Augen,
   Dort rollen sie hinab die blauen Flüsse.

Sieh, wo Dir mag ein stilles Plätzlein taugen:
   Du trittst hier in der Freiheit Werkstatt ein,
   Wo zornig ihre Essen sprühn und rauchen.

Doch mag hier noch der beste Boden sein,
   Wo harrend Du Dir Deine Warte baust;
   Wallt doch nach Deinem vielgeliebten Rhein

Ein jedes Wässerlein, in das Du schaust!
   Da lasse Deine Lieder abwärts schwimmen,
   Da wirf hinein die «Späne», die Du haust!

Und hier, wie dort die Hoffnungssterne glimmen;
   Bis Du darin der Heimkehr Tag wirst schauen,
   Kannst Du derweil zum Sieg die Saiten stimmen:
Mich dünkt, Du wirst darüber nicht ergrauen!


  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

147 Ein Tagwerk. I.

Jüngst stand ich mit dem ersten Frühlicht auf
Und nahm hinaus in's Freie meinen Lauf,
Wo silbergrau die Morgendämmrung lag,
Umflorend noch den rosenrothen Tag;
Mich einmal satt zu gehn in Busch und Feldern
Vom Morgen früh bis in die späte Nacht,
Ein bleibend Lied zu holen in den Wäldern,
Hatt' ich zum festen Vorsatz mir gemacht.

Rein war der Morgen, bald zum Tag erhellt,
Der volle Liebespuls schlug durch die Welt;
Die Lüfte wehten und der Vogel sang,
Die Eichen wuchsen und die Quelle sprang;
Die Blumen blühten und die Früchte reiften,
Ein jeglich Gras that seinen Odemzug,
Die Berge standen und die Wolken schweiften,
Und fächelnd mich des Lebens Schwinge trug.

Ich schlenderte den lieben Tag entlang,
Im Herzen regte sich der Hochgesang;
Es brach sich Bahn der Wachtel leichter Schlag,
Jedoch mein Lied, – es rang umsonst zu Tag.
Es ward Mittag; ich lag an Silberflüssen,
Die Sonne sucht' ich in der klaren Fluth:
Ich durfte nicht von Angesicht sie grüßen,
Der ich allein, in all dem Drang, geruht.

Die Sonne sank und ließ die Welt der Ruh,
Die Abendnebel gingen ab und zu;
Ich lag auf Bergeshöhen matt und müd,
Tief in der Brust das ungesungne Lied.
Da nickten, spottend mein, die schlanken Tannen,
Und höhnisch sah der Erde Moos empor
Mit seinen Würmern, die geschäftig spannen,
Und lachend brach das Firmament hervor.

Von Osten wehte rein und scharf der Wind:
«Was suchst du hier, du müßig Menschenkind,
Du stumme Pfeife in dem Orgelchor,
Schlemihl, der träumend Raum und Zeit verlor?
Dir ward das Leichteste, das Lied, gegeben,
Das, selbst sich bauend, aus der Kehle bricht:
Du aber legst dein unbeholfen Leben,
Wie einen Stein, ihm auf den Weg zum Licht!»

So sprach der Wind? O nein, so sprach der Schmerz,
Der mir wie Ketten hing um's dunkle Herz!
Ein fremder Körper, ohne Form und Schall,
So, däuchte mir, lag ich im regen All.
Und Wind und Tannen, Gletscher, Moos und Sterne,
Sie schlangen lachend ihren weiten Kranz;
Wie an der Insel sich das Meer, das ferne,
Brach sich an mir ihr friedlich milder Glanz.


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

148 Ein Tagwerk. 2.

Aber ein kleiner, silberner Stern
Sang und klang mir in die Ohren:
«Tröste dich nur, dein Lied ist fern,
Fern bei uns und nicht verloren!

Findest du nicht oft einen Klang,
Wie zu früh herüber geklungen?
Also hat dein heutiger Sang
Heimlich sich hinüber geschwungen!

Dort, im donnernden Weltgesang,
Wirst du ein leises Lied erkennen,
Das dir, wie fernester Glockenklang,
Diesen Sommertag wird nennen.

Denn die Ewigkeit ist nur
Hin und her ein tönendes Weben;
Vorwärts, rückwärts wird die Spur
Deiner Schritte klingend erbeben,

Deiner Schritte durch das All:
Bis, wie eine singende Schlange,
Einst dein Leben den vollen Schall
Findet im Zusammenhange.»


  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

149 Poetentod.

Der Herbstwind zieht; der Dichter liegt im Sterben,
Die Wolkenschatten jagen an der Wand;
An seinem Lager knien die zarten Erben,
Des Weibes Stirn ruht heiß auf seiner Hand.

Mit dunklem Purpurwein, darin ertrunken
Ein letzter Abendstrahl, netzt er den Mund,
Und wieder rückwärts auf den Pfühl gesunken,
Thut er den letzten Willen also kund:

«Die ich aus Wunderklängen aufgerichtet,
Dahin ist dieses Hauses Herrlichkeit!
Ich habe ausgelebt und ausgedichtet
Mein blühend Lied und meine Erdenzeit.

Das stolz und mächtig diese Welt regierte,
Es bricht mein Herz, mit ihm das Königshaus;
Der Gastfreund, der die edlen Hallen zierte,
Der Ruhm wallt mit dem Leichenzug hinaus.

Dann löschet meines Herdes Weihrauchflamme
Und zündet wieder stille Kohlen an,
Wie's Sitte war bei meiner Väter Stamme
Eh ich den Schritt auf dieses Rund gethan.

Und was den Herd in schöner Form umkränzte,
Was sich an alter Weisheit um ihn fand,
In heil'gen Schriften auf Gesimsen glänzte,
Streut in den Wind, gebt in der Juden Hand:

Daß meines Geistes unbekannter Erbe
Mit klarem Aug', im leichten Schülerkleid,
Auf offnem Markt sich ahnungsvoll erwerbe,
Was ich in Sternennächten eingeweiht.

Nur meine Rosengärten lasset stehen,
Bis auch mein herrliches Poetenweib,
Im nächsten Lenze, wird zur Ruhe gehen,
Den Blumen gebend ihren schönen Leib.

Dann aber mäht die Rosenbüsche nieder
Und brechet meine grünen Lauben ab!
Der Boden trage Kohl und Rübe wieder: –
Nur Eine Rose laßt auf unserm
Grab!

Mein Lied wird siegreich durch die Lande klingen,
Ein Banner von den Höhn der Erde wehn:
Doch ungekannt, mit mühsalschwerem Ringen
Wird meine Sippschaft dran vorübergehn.

Drum sollt ihr meinem Sohn das Leben gründen,
Gebt ihm ein Handwerk, oder auch ein Schwert:
Und du, mein Mädchen! wirst den Freier finden,
Der dich in Lieb' und Treuen redlich nährt.

Gebt jenen Band verblichner Schrift den Flammen,
s'Ist meiner Jugend greller Widerschein;
Ein frisches Lorbeerreis biegt mir zusammen
Und legt's zu Häubten mir im Todtenschrein.

Arm, wie ich kam, soll man hinaus mich tragen!
Den Lorbeer nur will ich mit Zaubermacht
Als Wünschelruthe an die Sterne schlagen
Nach neuen Klängen aus der Strahlenpracht.»

Noch überläuft sein Angesicht, das reine,
Mit einem Strahl das sinkende Gestirn –:
So glühte eben noch im Rosenscheine,
Nun starret kalt und weiß des Berges Firn.

Und wie das Schneegebirg, erlöscht, verblichen,
Zum Himmel raget zwischen Tag und Nacht,
Der letzte Glockenhall durchs Thal gestrichen,
Dann tiefe Stille ob den Landen wacht:

Die ganze Größe dieses stummen Spieles
Ruht in der engen Todtenkammer nun,
Wo Weib und Kinder, stumm, voll Wehgefühles,
Verlassen um die Dichterleiche ruhn.

Und wie durch Alpendämmerung das Rauschen
Von eines späten Adlers Flügeln weht:
Ist in der Todtenstille zu erlauschen,
Wie eine Geisterschaar von hinnen geht.

Sie ziehen aus, des Seligen Penaten,
In reiche Prachtgewande tief verhüllt;
Sie gehn, die an der Wiege schon berathen,
Was er in Liedern dann so schön erfüllt.

Voran, gesenkten Blicks, das Leid der Erde,
Verschlungen mit der Freude Traumgestalt,
Die Phantasie, und endlich, ihr Gefährte,
Der Witz, mit leerem Becher, stolz und kalt.


  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

150 Lied vom Schuft.

Ein armer Teufel ist der Schuft!
Er weiß, es kennt ihn jedes Kind;
Er wandelt wie ein Träumender,
Wo unverdorbne Menschen sind.

Ein dummer Teufel ist der Schuft,
Weil Er doch der Geprellte ist,
Wenn ihn ein rein, einfältig Herz
Mit großen, klaren Augen mißt.

Er geht einher im Silberhaar
Und keimt schon in des Knaben Blick,
Er prägt sich selber in den Koth
Und spiegelt Sich im hellsten Glück.

Bald sitzt er auf dem Königsthron
Und heißt «Von Gottes Gnaden» Schuft.
Bald steckt er und vermodert er
In eines Bettlers Hundegruft.

Doch immer müht und quält er sich
Und thut, als wär' er sehr gescheidt;
Wenn man an ihm vorübergeht,
So pfeift er aus Verlegenheit.

Laßt pfeifen sie und nagen nur,
Die Ratten, im dunkeln Erdenhaus:
So Gott will, kommt ein Sonnentag,
Wo auch die Schufte sterben aus!


  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

151 Modernster Faust.

«Ich habe nun Paris, Wien und Berlin gesehn,
Und mußte, als das Geld ausging, nach Hause gehn;
Welch' unermeßlich weiter Raum
Liegt nicht in diesem Wort, von Souvenir beladen!
Ich trank am Markusplatz, durft' in Ostende baden –
Dahin, dahin ist der glücksel'ge Jugendtraum!

«Und mit der Freiheit hab' ich tapfer koquettirt,
Hab' St. Simon, Cabet und Fourrier studirt
Und schrie ganz leise: Ja, der Mensch ist frei!
Ich trug ein trikolor feinseidnes Taschentuch
Und schneuzte heimlich drein: denn nie in Widerspruch
Gerieth ich mit der Polizei.

«Ich hab' um einen Stern mich, und ein Amt, beworben;
Doch weil ein falscher Freund mir meinen Plan verdorben,
Nahm ich die Freiheit wieder auf;
Doch klüger als vorher, und stets vorausgesetzt,
Daß nie man zum Entscheid die blanken Waffen wetzt,
Und Alles bleibt bequem im alten Lauf.

«Ich bin ein ganzer Held! Den Mantel umgeschlagen –
Romantisch schwarzer Sammt erglänzt an Kleid und Kragen -
Stürm' ich dahin in eitlem Wahn;
Ob Sammt, ob nur Katun? Es war ein langes Zanken
Mit meinem Mütterlein; doch fest und ohne Wanken
Erstritt ich Sammt, und Niemand sieht den Streit mir an.

«Leichtsinnig, hohen Muths mach' ich die Morgenrunde;
Die Wintersonne scheint, Cigarro brennt im Munde,
Den ich dem Krämer schuldig bin;
Die Wintersonne scheint, kalt ist ihr Silberflimmer
Und kalt ist mir das Herz, kalt meiner Augen Schimmer
Und trüb, befangen immerhin.

«Da treff' ich einen Freund auf meiner irren Bahn,
Wir halten mit Geklatsch ein halbes Stündchen an;
Wie wenn zwei alte Hexen bellen,
So bricht von Medissance ein ganzer Geisterchor,
Von Lügen, schlechtem Witz und Neid aus uns hervor,
Daß mir verschämt die eignen Ohren gellen:

«"Siehst du die Dirne hier? Teufel! die ist piquant!
Das gibt ein flott Gedicht – der Dichter sei galant,
Das amüsirt und reizt die Welt!
Doch jene Dame dort? Wie kostbar ist ihr Schleier!"»
Flugs gehen hinter ihr zwei intressante Freier,
Und Jeder fragt: Hat Sie wol freies Geld?

«Da kommt ein Handwerksbursch, bleich, mit zerrissnen Sohlen,
Mütz' in der Hand, geduckt, ein Gäblein sich zu holen,
Mit einem Kreuzer wär' ihm wohlgethan;
Doch weil ich diesen nicht in leerer Tasche trage
Und doch nicht freundlich ihm es zu gestehen wage,
Fahr' ich ihn rauh abweisend an.

«Ob mir das kühle Herz in rascher Scham erglüht,
Ob auch ein scharfer Schnitt mir durch die Seele zieht:
Man sieht es nicht in meinen Blicken;
Ich habe ja gelernt, mit höhnisch leichtem Spiel
Den halberfrornen Lenz, das innere Gefühl,
Wenn es erblühen will, zu unterdrücken!

«O ich war treu, wie Gold, begeistert, klar und offen,
Ein Blatt um's andre fiel von meinem grünen Hoffen,
Und taube Nüsse tauscht' ich ein:
Schmach über dich, o Welt! du hast mich ganz beladen
Mit deinem Schlamm und Staub! o könnt' ich rein mich baden
Im wilden Meer, sollt's auch ein Sterben sein!» –

– «Koquett ist dies Gedicht, Naivetät erlogen
Und nur das Schnöde wahr! ich hab' euch arg betrogen,
Denn zwei geworden sind mir Herz und Mund;
Ich bin ganz euer Bild: selbstsüchtig, falsch und eitel
Und unklar in mir selbst; vom Fuße bis zum Scheitel
Thut sich an mir Salon-Europa kund!»


  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

152 Grillen.

Die Poesie ist wie ein Kind,
Das einsam Kränze windet,
Bald lacht und plaudert mit dem Wind,
Bald einen Schwank erfindet
Und wunderliche Märchen spinnt,
Dann inne hält und traurig sinnt.

Als ich vergangne Mitternacht
In düsterm Sinnen schwebte,
Da hab' ich still und bang gedacht:
Wie? Wenn ich nicht erlebte
Der nächsten Morgenglocke Schlag?
Wer weiß denn, was geschehen mag!

Da schrieb ich einen langen Brief
An Alle, die mich lieben,
Was mir im Herzen wacht' und schlief,
Hab' ich hinein geschrieben,
Damit beim Scheiden aus der Welt
Mein Haus, mein Herz sei wohl bestellt.

Ich schrieb mein ganzes Leben auf
Und auch mein ganzes Wissen;
Irrthümer wuchsen mir zu Hauf,
Ich zählte sie beflissen;
Folgt' auch des Guten schönrer Spur,
Doch fast war's eine Nachschrift nur!

Den Lieblingsdichter legt' ich hin,
Daneben aufgeschlagen,
Als wär' das Fehlende darin
Für Freunde zu erfragen;
Und den und jenen guten Spruch
Bezeichnet' ich in manchem Buch.

Darauf verbrannt' ich viel Papier
Und räumte in den Schränken,
Stürzt' um ein leeres Trinkgeschirr
Und auf den Fensterbänken,
Wo ein paar magre Sträucher blühn,
Legt' ich gebrochne Knospen hin.

Drin ich in Tagen, rauh und mild,
Bald sang, bald wieder weinte:
Ich schuf mein Zimmer so zum Bild,
Wie Ich zu sein vermeinte;
So war ich endlich konterfeit
Nach tiefgeheimster – Eitelkeit.

Mit grauendem Gedankenspiel
Legt' ich mich jetzo nieder;
Doch bald versanken tief im Pfühl,
Schlaftrunken, Haubt und Glieder;
Die Todesphantasie, ein Schaum,
Zerfloß zum trivialsten Traum.

Und Dieser auch floh vor dem Tag;
Und ich erschrak, erwachend,
Als ich da schnell besonnen lag,
Das Leben mich umlachend.
Wie war mir wunderlich und fremd
Im angemaßten Leichenhemd!

Das Zimmer war voll Sonnenschein
Und von der Drossel Schmettern,
Ein Hagel schlug zum Fenster ein
Von weißen Blüthenblättern;
Der Frühlingsschimmer überflog
Den Todtenkram, den ich erlog.

Und auch der Brief, den ich gemacht,
War glänzend überzogen;
Ich las nun wieder mit Bedacht
Den vollgeschriebnen Bogen;
Am Ende aber, klar und rein,
Stand ein Paar Zeilen Sonnenschein:

«Du magst noch fürder unentwegt
In dieser Lenzluft hauchen:
Wie jetzt dein Sein sich hebt und regt,
Ist's drüben nicht zu brauchen.
Es bricht kein Herz so arm und klein,
Es muß dem Tod gewachsen sein!

Doch baue nicht zu lang darauf!
Gott wird uns Tage senden,
Die mit verdoppelt schnellem Lauf
Die schwerste Arbeit enden,
Wo mancher Geist, der sinnt und schweift,
Im Sturm dem Tod entgegen reift!»


  Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

153 Bei einer Kindesleiche.

Den Niemand kommen hört und kommen sieht,
Er hat geweht, der Wind, – den Baum geschwungen
Deß Wurzelwerk die Erde überzieht,
In dessen Kron' ich dieses Lied gesungen;
Das jüngste Knösplein, gestern dran erblüht,
Hat über Nacht sich leise losgerungen:
Es fiel, und Niemand gab wol weiter Acht,
Als ich, der, just zunächst dabei, gewacht.

So bist erlöscht du, lieblich junges Licht,
Das mir erquickend in das Herz gezündet?
Noch sprach drei Worte deine Zunge nicht,
Doch hat dein Lallen mir so Viel verkündet!
Das Sehnen, das die zartsten Bande flicht,
Es hat tiefinnig mich mit dir verbündet:
Ja, vor viel Großem unter dieser Sonnen
Hab' ich dich Kleinen werth und lieb gewonnen!

Ob ich gen Himmel sah in's blaue Meer,
Ob in dein Aug', es war das gleiche Schauen:
Es leuchtete aus diesen Sternen her
Ursprünglich reines Licht von schönern Auen.
Wie oft senkt' ich den Blick, von Mühsal schwer,
Ihn frischend, tief in dies verklärte Blauen!
Wie war das Lachen deines Mundes fein!
Wie ächt war unsre Freundschaft, still und rein!

Nie hab' an deine Zukunft ich gedacht,
Die Gegenwart war ja so schön und heiter!
Du hast wie eine Blume mir gelacht
Und an des Herbstes Frucht dacht' ich nicht weiter;
Ob einst vielleicht ein Held in dir erwacht',
Ob hoch du steigest auf der großen Leiter:
Du lieblich Kind warst in dir selbst vollkommen –
Was sollte dir und mir die Sorge frommen?

Zu der du wiederkehrst, grüß' mir die Quelle,
Des Lebens Born, doch besser, grüß' das Meer,
Das Eine Meer des Lebens, dessen Welle
Hoch fluthet um die dunkle Klippe her,
Darauf er sitzt, der traurige Geselle,
Der Tod – verlassen, einsam, thränenschwer,
Wenn ihm die Seelen, kaum hier eingefangen,
Laut jubelnd wieder in die See gegangen.


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

154 Am Sarg eines neunzigjährigen Landmanns
vom Zürichsee.

So bist du eine Leiche!
So ist die alte Eiche
Doch endlich abgedorrt!
Es ist ein lang Stück Leben,
Das wir dem Staube geben,
Ein ausgeklungen Gotteswort.

Da wir vor zwanzig Jahren
Als Kinder um dich waren,
Standst du schon silberweiß:
Und noch ein Jünglingsleben,
Ein zwanzigjähriges eben,
Trankst du begierig, durst'ger Greis!

Des Mittelalters Schwingen,
Mit letztem, bebendem Klingen,
Umfachten die Wiege dir:
Jetzt, voll von Sturmesahnen,
Umrauschen die dunklen Fahnen
Der neuen Welt dein Bahrtuch hier.

Darin wir uns vertieften,
Die aber hundert Schriften,
Was uns erfüllt die Brust:
Das zog dir all vorüber,
Dämmernd heran, hinüber,
Du aber hast es nicht gewußt.

In jenen fernen Tagen
– Ich hör' die Finken schlagen –
Als durch den grünen Wald
Herr Geßner las im Brockes:
In's Herz des Föhrenstockes
Hat deiner Jugend Axt geschallt.

Hast du dem deutschen Sänger,
Dem edlen Schlittschuhgänger
Den Stahlschuh hier gereicht? –
Du hast vor fünfzig Jahren
Den See hinauf gefahren
Den fünfzigjährigen Göthe vielleicht?

Vorüber deiner Leiche
Flieht heut der zornesbleiche
Poet den See entlang;
Verschwunden sind die Spuren,
Wo heitere Dichter fuhren,
Und anders tönt des Flüchtlings Sang!

Die Scherben stolzer Kronen,
Zwei Revoluzionen,
Die haben dich umklirrt;
Erdbeben und Kometen,
Sturmglocken und Schlachtdrommeten
Sind deiner Stirn vorbei geschwirrt.

Der unsre Welt gewendet
Wie seine Hand, geendet
Im Meere, still und fern:
Mit seinem ehrnen Tritte
Fiel just er in die Mitte
Des Lebens dir, ein irrer Stern.

Du sahst auf deinem Felde
Erstaunt die fremden Zelte,
Die Flucht durch's Saatengrün:
Und als sie abgezogen,
Zum alten Sternenbogen
Der Väter Haus – in Flammen sprühn!

Doch alles ist, in trüben
Gebilden, dir fern geblieben,
Ein Räthsel dir und Traum;
Auch die vorüber jagten,
So wenig nach dir fragten,
Als dort nach deinem Apfelbaum.

Doch in dir hell erglühte
Das Urlicht und erblühte
Ein grünes Urwaldreis:
Oft sah ich dein Auge scheinen,
Als ob's in heiligen Hainen
Noch ruht' auf der Runensteine Kreis.

Du hast den Stier gezwungen,
Du hast das Beil geschwungen,
Daß Dorn und Eiche fiel:
Wer diese harte Erde
Mit eiserner Pflugschar kehrte,
Erlernt' auch leicht des Krieges Spiel.

Es schliefen heimliche Sagen
Von grauen Heidentagen
Auf deines Gemüthes Grund;
Du sangst noch hin und wider
Verschollne Schwänk' und Lieder,
– Freund' Uhland wohl ein guter Fund.

Vom Weltend' die vier Winde
Durch deiner Heimat Gründe
Sahst wallen du [und] wehn:
Doch jener nahen Firnen
Die ragen zu den Gestirnen,
Hast selber den Fuß du nie gesehn.

Und dennoch ist's das ächte,
Das bleibende Volk das rechte,
Das auf der Scholl' erblaßt
Auf der es ward geboren!
Das Schifflein geht verloren,
Deß Anker diesen Grund nicht faßt.

Propheten, lernt euch neigen!
Nicht auf zu euch soll steigen
Der Kronen kalte Pracht:
Hernieder laßt uns dringen,
Demüthigen Herzens bringen
Licht in der engsten Hütte Nacht!


 Gedichte 1846 / Vermischte Gedichte

155 Am Himmelfahrtstag
1846.

Ausgestorben scheint die Stadt,
Weil, was Freude fühlt und Leben
Und ein gläubig Herz sich heben,
Sich hinausbegeben hat
Auf den See und auf die Berge;
Angefüllt wird jedes Thal;
Rühren muß sich Wirth und Ferge
In dem warmen Maienstrahl.

Von des Daches Giebel schau'
Ich hinaus, o welch Gewimmel!
Ja, die Erde trägt gen Himmel
Menschenherz und grüne Au!
Siehe, wie lebend'ge Fahnen,
Flattern dort am Berggeländer
Kinder, bunte Lenzgewänder,
Unter grünenden Platanen!

Einsam wehen hier die Linden
Dieser Stadt um stille Dächer –
Ach, wie einen leeren Becher
Muß ich die Verlassne finden,
Einen Becher, dessen Schein
Wird geflohn von jedem Munde
Und auf dessen dunklem Grunde
Ich der letzte Tropfen Wein!

In die kühle Dämmernacht
Meines Hauses steig' ich nieder,
Wo mir meine jungen Lieder
Schlummern, bis ihr Tag erwacht;
Wo ein Straus von Blüthenzweigen
Drüber nickt mit stillem Neigen,
Mit erwartungsvollem Schweigen
Junge Rosen halten Wacht.

Was ich lange zögernd mied:
Nun in tiefer Einsamkeit
Schreib' ich dieses letzte Lied,
Schlußton meiner Jugendzeit. – –

Und der Hoffnung sei's geweiht,
Was ich hoffe, hofft die Welt!
Preis ihr, wenn sie endlich hält
Sich zur Himmelfahrt bereit!

O sie braucht nicht weit zu fahren,
Die den Himmel in sich wahrt:
Selbst sich einmal offenbaren,
Ist die ganze Himmelfahrt!
Sie ist wie ein Heil'genschrein,
Außen lieblich bunt bemalet:
Doch verdeckt im Innern strahlet
Pures Gold und Edelstein.

Thu' dich auf, o schöner Schrein,
Lasse deine Schätze funkeln!
Laß' sie, blitzend hell, verdunkeln
Der Märtyrer blaß Gebein! –
Freiheitschwanger sind die Lüfte:
Flieg' hinaus, mein Schwalbenzug!
Flattre hin, mein Liederflug,
Klingend durch die Frühlingsdüfte!

 

  


Keller Seite      GEDICHTE