Historisch-Kritische Gottfried Keller-Ausgabe (HKKA)        GG_02

Gesammelte Gedichte

Erster Band.

 

II.

Erstes Lieben.

 

055 Jugendgedenken.

Ich will spiegeln mich in jenen Tagen,
Die wie Lindenwipfelwehn entflohn,
Wo die Silbersaite, angeschlagen,
Klar, doch bebend gab den ersten Ton,
  Der mein Leben lang,
  Erst heut noch, widerklang,
Ob die Saite längst zerrissen schon;

Wo ich ohne Tugend, ohne Sünde,
Blank wie Schnee vor dieser Sonne lag,
Wo dem Kindesauge noch die Binde
Lind verbarg den blendend hellen Tag:
  Du entschwundne Welt
  Klingst über Wald und Feld
Hinter mir wie ferner Wachtelschlag.

Wie so fabelhaft ist hingegangen
Jener Zeit bescheidne Frühlingspracht,
Wo von Mutterliebe noch umfangen
Schon die Jugendliebe leis erwacht,
  Wie, vom Sonnenschein
  Durchspielt, ein Edelstein,
Den ein Glücklicher ans Licht gebracht.

Wenn ich scheidend einst muß überspringen
Jene Kluft, die keine Brücke trägt,
Wird mir nicht ein Lied entgegenklingen,
Das bekannt und ahnend mich erregt?
  O die Welt ist weit!
  Ob nicht die Jugendzeit
Irgendwo noch an das Herz mir schlägt?

Träumerei! was sollten jene hoffen,
Die nie sahn der Jugend Lieblichkeit,
Die ein unnatürlich Los getroffen,
Frucht zu bringen ohne Blütenzeit?
  Ach, was man nicht kennt,
  Danach das Herz nicht brennt
Und bleibt kalt dafür in Ewigkeit!

In den Waldeskronen meines Lebens
Atme fort, du kühles Morgenwehn!
Heiter leuchte, Frühstern guten Strebens,
Laß mich treu in deinem Scheine gehn!
  Rankend Immergrün
  Soll meinen Stab umblühn,
Nur noch Ein Mal will ich rückwärts sehn!


 Gesammelte Gedichte / Erstes Lieben

056 Der Nachtschwärmer.

Von heißer Lebenslust entglüht
Hab' ich das Sommerland durchstreift,
Darüber ist der Tag verblüht
Und zu der schönsten Nacht gereift.
Ich steige auf des Berges Rücken
Zur Kanzel von Granit empor
Und beuge mich mit trunknen Blicken
In die entschlafne Landschaft vor.

Am andern Berge drüben steht
Im Sternenschein der Liebe Haus,
Aus seinem offnen Fenster weht
Ein Vorhang in die Nacht hinaus;
Das ist fürwahr ein luftig Gitter,
Das mir das Fräulein dort verschließt,
Nur schade, daß mir armen Ritter
Der tiefe Strom dazwischen fließt!

So will ich ihr ein Ständchen bringen,
Das weithin durch die Lüfte schallt,
Und spiele du zu meinem Singen,
O Geist der Nacht, auf Thal und Wald!
Den Wind laß mit den Tannen kosen,
Die wie gespannte Saiten steh'n,
Und mit der Wellen fernem Tosen
Der Nachtigallen Chor verweh'n!

Im Osten zieht ein Wetter hin,
Das stellen wir als Helfer an,
Wie leuchtend schwingt sein Tamburin
Am Horizonte der Titan!

Die Mühlen sind die Zitherschläger
Beim Wassersturz im Felsengrund;
Im Wagen fährt mein Fackelträger
Hoch vor mir her am Himmelsrund!

Nun will ich singen überlaut
Vor allem Land, das grünt und blüht,
Es ist kein Thurm so hoch gebaut,
Darüberhin mein Sang nicht zieht!
So eine kühne Brücke schlagend,
Such' ich zu ihrem Ohr den Weg;
Betritt im Traum das Seelchen zagend
Des wilden Lärmers schwanken Steg?


 Gesammelte Gedichte / Erstes Lieben

057 Die Mitgift.

Ich ging am grünen Berge hin,
  wo sich der Weih im Aether wiegt
Und reisemüd der Sonnenstrahl
  ausruhend auf der Quelle liegt,
Wo wilde Rosen einsam blühn,
  die Föhre hoch den Gipfel kränzt
Und drüberhin noch eine Burg
  Von weißen Sommerwolken glänzt.

Und wie in solcher Weihezeit
  der Herr der Welt schon zu mir trat,
Erschien er jetzo in des Bergs
  Noch frisch ergrünter Eichensaat;
Der jungen Stämme schlanke Schaar
  umschwankte säuselnd seine Knie',
So groß und herrlich ging er her
  vor meiner regen Phantasie!

Sein Haupthaar war wie Morgengold
  und wallte gar so reich und schwer,
Und in den klaren Augen ruht'
  ein ätherblaues Liebemeer;
Ein Regenbogen gürtete
  sein Kleid mit edler Farbenlust;
Er trug 'nen duftigen Blütenstrauß
  von jungen Linden an der Brust.

Es traf mich seiner Augen Licht
  wie wolkenlos ein Tag im Mai,
Und als er meinen Namen sprach,
  erhob mein Haupt ich stolz und frei.
Ich wuchs und rankte rasch empor,
  daß ich mir selbst ein Wunder schien,
Und wandelte mit leichtem Schritt
  an Gottes hoher Seite hin.

Und nun erzählte plaudernd ich
  dem Herrn mein irdisch Thun und Sein;
Doch alles dies besteht ja nur
  in dir, du gutes Kind, allein!
Aus vollem Herzen sprach ich drum
  von dir, von dir die ganze Zeit;
Er aber spiegelt' lächelnd sich
  in meiner frohen Seligkeit.

Dann trug ich ihm auch klagend vor,
  wie ich so sehr ein armes Blut,
Und bat darauf um Haus und Hof,
  um Tisch und Schrein, um Geld und Gut,
Um Garten, Feld und Rebenland,
  um eine ganze Heimat traut,
Darin ich dich empfangen könnt'
  als myrtenschöne Schleierbraut.

Es mußte doch einmal geschehn,
  drum schilt mich nicht und werd' nicht rot!
Hör' an, was mir der Herr für dich
  für eine wackre Mitgift bot!
Er sprach: «Zu wenig und zu viel
  hast du verlangt, mein lieber Sohn!
Drum thu' ich dir noch viel dazu
  und nehm' ein wenig auch davon.

Nicht Haus und Hof verleih ich euch,
  doch meine ganze große Welt,
Darinnen ihr euch lieben könnt,
  wie's euren Herzen wohlgefällt;
Zwei jungen Seelen ist zu eng
  das größte Haus, sei's noch so weit;
Doch finden sie noch eben Raum
  in meiner Schöpfung Herrlichkeit.

Der ganze Lenz soll euer sein,
  so weit nur eine Blume blüht,
Doch nicht das allerkleinste Land,
  um das sich eine Hecke zieht.
Kein Prunkgetäfel geb' ich euch,
  kein Silberzeug, kein Kerzenlicht,
Weil sich ob Silberbronnenglanz
  Goldstern an Stern zum Kranze flicht.

Und Alles soll besonders blühn
  für euch und schöner, wo ihr geht,
Dieweil euch in mein Paradies
  ein eigen Pförtlein offen steht.
So führe deine junge Braut
  getrost in deine Wirtschaft ein,
Brautführer soll mein lieblichster
  und allerschönster Frühling sein!

Hofjungfer soll die Anmut sein
  bei deines Herzens Königin,
Ihr hübscher flinker Page sei
  ein immergrüner Jugendsinn!
Zum Haushofmeister geb ich euch
  ein unvergänglich Gottvertrau'n,
Es ist ein klug erfahrner Mann,
  und Felsen dürft ihr auf ihn bau'n!»

Ist unser Haus nicht gut bestellt
  und auserlesen das Gesind?
So zaudre nun nicht länger mehr
  und folge mir, du blödes Kind!
Ich glaub', auf deinen Wangen spielt
  vom Morgenrot ein Widerschein:
Sobald die Sonn' am Himmel steht,
  will ich als Freier bei dir sein.


  Gesammelte Gedichte / Erstes Lieben

058 Liebchen am Morgen.

Die Sonne fährt durchs Morgenthor
Goldfunkelnd über den Bergen,
Und wie zwei Veilchen im frühen Mai,
Zwei blaue Augen klar und frei,
Die lachen auf ihren Wegen
Geöffnet ihr entgegen.

Glück auf, mein Liebchen ist erwacht
Mit purpurroten Wangen!
Ihr Fenster glitzert im Morgenstrahl
Und alle Blumen in Garten und Thal
Erwarten sie mit Sehnen,
Die Aeuglein voller Thränen.

Es ist nichts Schöneres in der Welt,
Als diese grüne Erde,
Wenn man darauf ein Schätzlein hat,
Das still und innig, früh und spat,
Für einen lebt und blühet,
Ein heimlich Feuerlein, glühet.

Halloh, du später Jägersmann,
Was reibst du deine Augen?
Ich hab' die ganze Nacht geschwärmt
Und mich am Mondenschein gewärmt,
Und steige frisch und munter
Vom hohen Berg herunter.

Mein Mädchen durch den Garten geht
Und singt halblaute Weisen;
Mich dünkt, ich kenne der Lieder Ton,
Was gilt's, ich habe sie alle schon
Heut Nacht dort oben gesungen!
Sie sind herüber geklungen.


  Gesammelte Gedichte / Erstes Lieben

059 Himmelsleiter.

Müde saß ich in der Dämmrung
Von des Tages Lärm und Staube,
Eingelullt von Abendsäuseln,
Schlummernd in der Rebenlaube;
Da begann von Licht und Blumen
Gar ein seltsam schimmernd Weben
Und ein Spielen vor den Augen
Gleich dem Ranken gold'ner Reben.

Rote Rosen, weiße Rosen,
Primeln, Tulpen und Narzissen,
Sterne, Kelche hundertfarbig
Sah ich durch einander sprießen.
Purpur, Gold, Azur und Silber
Flimmerten in Wechseltönen,
Lila, Rosa, zartes Laubgrün
Mußten Glanz mit Glanz versöhnen.

O das war ein schöner Reigen,
Wie die Farben all' ihn tanzten,
Wie die Blütenstern' und Glocken
Kreisend sich in Beete pflanzten!
Aber in den Wundergarten
Senkte eine Jakobsleiter
Von zwei Strahlen sanft sich nieder
Aus zwei Sternen bläulich heiter!

Kleine blonde Liebesengel
Schwebten daran auf und nieder,
Stiegen in den blauen Himmel,
Kehrten in mein Herze wieder,
Weckten andre Engelknaben,
Welche träumend drinnen schliefen
Und darauf mit jenen spielend,
Kosend durch die Blumen liefen.

Und die aus dem Himmel kamen,
Wollten meines Herzens Kinder
Ringend mit sich aufwärts ziehen;
Aber diese auch nicht minder
Hielten stand und kämpften wacker
Bis sie jene bald umschlangen,
Hielten sie in meines Herzens
Beiden Kämmerlein gefangen.

Oben auf der Himmelsleiter
Eine klare Seele schwebte,
Die halb scheltend, halb mit Lächeln
Sie zurückzulocken strebte;
Doch es schien mir im Gefängnis
Ihnen leidlich zu gefallen,
Denn ich sah, der Herrin trotzend,
Bunt sie durch einanderwallen.

Und sie mußte sich bequemen,
Endlich selbst herabzusteigen,
Sah sich plötzlich bang umschlossen
Mitten in dem frohen Reigen.
Doch für all den Kinderjubel
Ward das Herz zu eng und nieder,
Klingend sprangen auf die Pforten,
Sprangen auf die Augenlider.

Sieh! da standest du, auf meine
Schläferaugen schweigsam schauend,
Vorgeneigt und unbefangen,
Auf den festen Schlaf vertrauend;
Wurdest rot und flohst vorüber,
Fast wie Schwalbenflügel summend
Und vergeblich dein Geheimnis
In der Dämmerung vermummend!

Fliehe nur, verrat'ne Seele,
Trostlos durch des Gartens Blüten!
Suche stärkre Zauberdrachen,
Deines Busens Schatz zu hüten!
Thöricht Kind! nun magst du immer
Dreifach deinen Mund verschließen,
Unerbittlich aus den Augen
Seh' ich Liebesengel grüßen!


  Gesammelte Gedichte / Erstes Lieben

060 Nixe im Grundquell.

Nun in dieser Frühlingszeit
Ist mein Herz ein klarer See,
Drin versank das letzte Leid,
Draus verflüchtigt sich das Weh.

Spielend meine Seele ruht,
Von der Sonne überhaucht,
Und mit Lieb' umschließt die Flut,
Was sich in dieselbe taucht.

Aber auf dem Grunde sprüht
Ueberdies ein Quell hervor,
Welcher heiß und perlend glüht
Durch die stille Flut empor.

Und im Quelle badest du,
Eine Nix' mit goldnem Haar;
Oben deckt den Zauber zu
Das Gewässer tief und klar.


  Gesammelte Gedichte / Erstes Lieben

061 Der Kirchenbesuch.

Wie ein Fischlein in dem Garn
Hat der Dom mich eingefangen,
Und da bin ich festgebannt,
Warum bin ich drein gegangen?
Ach, wie unter breiten Malven
Taubesprengt ein Röslein blitzt,
Zwischen guten Bürgerfrauen
Hier mein feines Liebchen sitzt!

Die Gemeinde schnarcht so sanft,
Wie das Laub im Walde rauschet,
Und der Bettler an der Thür'
Als ein Räuber guckt und lauschet;
Doch wie eines Bächleins Faden
Murmelnd durchs Gebüsche fließt,
So die lange dünne Predigt
Um die Pfeiler sich ergießt.

Eichenbäume, hoch und schlank,
All' die gotischen Pfeiler ragen;
Ein gewölbtes Blätterdach
Ihre krausen Aeste tragen;
Untenher spielt hin und wieder
Dämmerhaft ein Sonnenschein;
Wachend sind in dieser Stille
Nur mein Lieb und ich allein.

Zwischen uns webt sich ein Netz
Von des Lichts gebrochnem Strahle,
Drin der Taufstein, grün und rot,
Wandelt sich zur Blumenschale;
Ein geflügelt Knäblein flattert
Auf des Deckels altem
Knauf,
Und es gehen uns im Busen
Auch der Sehnsucht Rosen
auf.

Weit hinaus, ins Morgenland,
Komm, mein Kind, und laß uns fliegen,
Wo die Palmen schwanken am Meer
Und die sel'gen Inseln liegen,
Flutend um die große Sonne,
Grundlos tief die Himmel blau'n:
Angesichts der freien Wogen
Uns're Seelen frei zu trau'n!


  Gesammelte Gedichte / Erstes Lieben

062 Tagelied.

Du willst dich freventlich emanzipieren
Und aufstehn wider mich mit keckem Sinn,
Ein rotes Mützlein und die Zügel führen,
Du schöne kleine Jakobinerin?

Zur Politik nun auch dein Wörtlein sagen,
Die Spindel meidend in den Ratsaal fliehn?
Wohl gar mit weißer Hand die Trommel schlagen,
Wann einst wir gegen die Tyrannen ziehn?

Berufest dich auf meine eignen Lehren
Von Freiheit, Gleichheit und von Menschenrecht?
O laß, mein Kind, mit Küssen dich bekehren,
Dies eine Mal errietest du mich schlecht!

Die Ketten all', von denen ich entbinden
Die Völker möchte, o Geliebte mein!
Als Blumenketten eng dir umzuwinden
Wird einzig nur mein Thun und Trachten sein.

Ich will dir einen festen Turm erbauen
Und drin ein Kämmerlein von Seide weich;
Da sollst du nur des Himmels Sterne schauen
Und mich, den Kerkermeister froh und reich!

Nie lass' ich dich dein langes Haar beschneiden,
Damit dein Denken um so kürzer sei;
So räch' ich an dem Weibe Simsons Leiden
Und bleibe ungeschoren, stark und frei!

So lang die lieben Nachtigallen schlagen,
Leb' ich in dir ein Stück Unendlichkeit;
Doch flieht die Nacht und wills auf Erden tagen,
Eil' ich für dich und mich zum Kampf der Zeit
.


  Gesammelte Gedichte / Erstes Lieben

063 Die Begegnung.

Schon war die letzte Schwalbe fort
Und wohl seit manchen Tagen auch
Die letzte Rose abgedorrt,
Nach altem Erdenbrauch.

Es flimmerte der Buchenhain
Wie Rauschgold rot im Abendlicht;
Herbstsonne giebt gar sondern Schein,
Der in die Herzen sticht.

Ich traf sie da im Walde an,
Nach der allein mein Herz begehrt,
Mit Tuch und Hut weiß umgethan,
Von güldnem Schein verklärt.

Sie war allein; doch grüßt' ich sie
Verschüchtert kaum im Weitergehn,
Weil ich so feierlich sie nie,
So still und schön, gesehn.

Es blickt' aus ihrem Angesicht
Ein vornehm' etwas neu hervor,
Und ihrer Augen Veilchenlicht
Glomm hinter einem Flor.

Ein fremder Hirt, ein blasser, ging
Im Schatten dieser Huldgestalt;
Im Gurt ein silbern' Sichlein hing,
Das klang: ich schneide bald!

Es scheint mir ein Rival erwacht!
Sprach ich und schaut' ins Abendrot,
Bis es erlosch und bis die Nacht
Die dunkle Hand mir bot.

 Gesammelte Gedichte / Erstes Lieben

064 Trauerweide. I.

Es schneit und eis't den ganzen Tag,
Der Frost erklirret scharf und blank,
Und wie ich mich gebärden mag –
Es liegt ein Mägdlein ernstlich krank.

Das Rosengärtlein ist verschneit,
Das blühte als ihr Angesicht,
Noch glimmt, wie aus der Ferne weit,
Der Augen mildes Sternenlicht.

Noch ziert den Mund ein blasses Rot
Und immer eines Kusses wert;
Sie läßt's geschehen, weil die Not
Die Menschenkinder beten lehrt.

«Ich lieb' auch deinen lieben Mund,
Lieb' deine Seele nicht allein –
Im Frühling wollen wir gesund
Und beide wieder fröhlich sein!»

«Ich lieb' auch deiner Füße Paar,
Wenn sie in Gras und Blumen gehn;
In einem Bächlein sommerklar
Will ich sie wieder baden sehn!»

«Auf dem besonnten Kieselgrund
Stehn sie wahrhaftig wie ein Turm,
Obgleich der Knöchel zartes Rund
Bedroht ein kleiner Wellensturm!»

Da scheint die Wintersonne bleich
Durchs Fenster in den stillen Raum,
Und auf dem Glase, Zweig an Zweig,
Erglänzt ein Trauerweidenbaum!


 Gesammelte Gedichte / Erstes Lieben

065 Trauerweide. II.

O Erde, du gedrängtes Meer
Unzähliger Gräberwogen,
Wie viele Schifflein kummerschwer
Hast du hinuntergezogen,
Hinab in die wellige grünende Flut,
Die reglos starrt und doch nie ruht!

Ich sah einen Nachen von Tannenholz,
Sechs Bretter von Blumen umwunden,
Drin lag eine Schifferin bleich und stolz,
Sie ist versunken, verschwunden!
Die Leichte fuhr so tief hinein,
Und oben blieb der schwere Stein!

Ich wandle wie Christ auf den Wellen frei,
Als die zagenden Jünger ihn riefen;
Ich senke mein Herz wie des Lotsen Blei
Hinab in die schweigenden Tiefen;
Ein schmales Gitter von feinem Gebein,
Das liegt dort unten und schließt es ein.

Die Trauerweide umhüllt mich dicht,
Rings fließt ihr Haar aufs Gelände,
Verstrickt mir die Füße mit Kettengewicht
Und bindet mir Arme und Hände:
Das ist jene Weide von Eis und Glas,
Hier steht sie und würgt mich im grünen Gras.


  Gesammelte Gedichte / Erstes Lieben

066 Die Entschwundene.

Es war ein heitres goldnes Jahr,
Nun rauscht das Laub im Sande,
Und als es noch im Knospen war,
Da ging sie noch im Lande.

Besehen hat sie Berg und Thal
Und uns'rer Ströme Wallen;
Es hat im jungen Sonnenstrahl
Ihr alles wohlgefallen.

Ich weiß in meinem Vaterland
Noch manchen Berg, o Liebe,
Noch manches Thal, das Hand in Hand
Uns zu durchwandern bliebe.

Noch manches schöne Thal kenn' ich
Voll dunkelgrüner Eichen; –
O fernes Herz, besinne dich
Und gib ein leises Zeichen!

Da eilte sie voll Freundlichkeit,
Die Heimat zu erlangen –
Doch irrend ist sie all zu weit
Und aus der Welt gegangen.


 Gesammelte Gedichte / Erstes Lieben

067 Scheiden und Meiden.

Ja, das ist der alte Kirchhof,
Der in blauer Flut sich spiegelt,
Offen steht sein morsches Gitter,
Niemand ist, der es verriegelt!

Hier der kleine Berg voll Rosen
Dicht und üppig aufgesprossen,
Drunter liegt die weiße Lilie,
Eine Sage schon, verschlossen.

Um die Sage, um ein Märchen,
Um den Tod hab' ich geworben,
Und so sei mein treues Hoffen
Fürhin tot und abgestorben!
Zitternd reiß' ich aus dem Busen
Noch die letzten zarten Blüten,
Gebe sie dem toten Liebchen
Bis zum jüngsten Tag zu hüten!

Schwarzer Gärtner, Grabespfleger,
Laß, o laß das Grab verwildern!
Seine wermutbittern Schauer
Soll kein Lenz mehr freundlich mildern!
Binde nicht mehr diese Zweige,
Tränke nicht mehr diese Rosen!
Und mit dem verdorrten Kranze
Mag der kalte Nordwind kosen!

Gegen Morgen, gegen Morgen
Schau' ich trotzig in die Sonne;
Wie erglänzt sie wild und feurig,
Lächelnd in Gewitterwonne!
Kühn gewappnet um die Heldin
Sich die Wetterwolken scharen,
Wie auf weitem Ozeane
Drohende Armaden fahren!

Vor mir liegt das rauhe Leben,
Schlägt die Zeit die hohen Wogen,
Kreis't die Welt mit ihren Welten,
Mutig bin ich ausgezogen;
Biete Stirn und Herz den Stürmen,
Lasse meine Wimpel wehen,
Und beim Kreuzen ruhlos denk' ich
Kaum noch an ein Wiedersehen!


 Gesammelte Gedichte / Erstes Lieben

068 Nachhall.

Sieh den Abendstern erblinken
Tief im Westen, schön und hell!
Lieblich ist und gut zu trinken
Dieser Nachtluft lauer Quell!

Komm' heraus, du junges Leben!
Komm', so leis dein Fuß dich trägt!
Recht in Lieb' und Traum zu schweben
Wär' ich jetzund aufgelegt.

Und ich habe, dir zu Ehren,
Einen guten Freund gebracht;
Minnesang will der uns lehren
Durch die kurze Sommernacht.

Liebeslieder sollen schallen,
Die vor alten Zeiten schon
Schönen Frauen wohl gefallen,
Und er weis't uns ihren Ton!

Laß uns einmal rückwärts fliegen
In die Welt, so jugendfern!
Solcher Schwärmerei dich schmiegen,
Weiß ich, mochtest sonst du gern.

«Sie kommt nicht?» fragt mein Begleiter,
«Und schon wird es morgenrot?»
Wahr ist es! so sag' ich weiter,
Denn sie ist, wie du, schon tot!

Armer Ritter, laß uns gehen,
Hurtig such' dein kühles Haus,
Denn des Morgenwindes Wehen
Lacht uns große Kinder aus!

 

  


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