Wilhelm Petersen (1835-1900)

Editorial


 

Regierungsrat von Schleswig; befreundet mit Theodor Storm
Briefwechsel mit Keller seit 1876

Anzahl registrierte Briefe: 73 an, 27 von Keller (100 ZB Zürich)


 

8. 3. 1877  Keller an Wilhelm Petersen

<ZB: Ms. GK 78a Nr. 2; GB 3.1, S. 352>

                                            Zürich, Enge 8 III 77.

Verehrter Herr Regierungsrath!
 
Mein Amtsnachfolger hat mir so eben von Ihrer freundlichen Nachfrage Mittheilung gemacht und mir damit in Erinnerung gerufen, daß ich, so viel ich weiß, Ihren letzten Brief vom Juni 1876, immer noch ohne Antwort gelassen habe, obschon ich wiederholt an Sie dachte, so namentlich auch, als unser beidseitiger Freund Emil Kuh so früh das Zeitliche verlassen mußte. Er war nicht absolut sicher und objektiv in seinem Wesen, vielmehr oft sehr subjektiven Urtheils, aber immer lebendig warm und angeregt, was heut zu Tage nicht zu oft vorkommt.

     Ich danke Ihnen herzlichst für die Probe Ihrer plastischen Vergnügungen, die drei Seeleute! Die sind ja ganz voll Leben und Charakter und man würde auch ohne den flatternden Bart des alten Tritonen, dessen Ohr freilich zu tief sitzt, die frische Seeluft spüren.

     Wäre es nöthig, so würde ich an dieser Probe sehen, daß gewiß auch Ihre aquarellistischen Arbeiten Hand und Fuß haben (d.h. ohne Anspielung auf die Büstengestalt der Matrosen!) und daß gewiß auch dort eine lebendige Luft weht! |

     Was meine ausgespannte Leinwand betrifft, so ist sie leider jetzt noch so weiß, wie vor einem Jahre; denn ich fand die nöthige Bequemlichkeit und Ruhe nicht nach so langer Zeit. Aber dies Jahr soll's nun los gehen. Freilich habe ich dabei weniger den löblichen Trieb der Uebung an sich, als gewisse decorative Velleitäten, da ich den Versuch machen möchte, mir einen Wohnraum selbst auszuputzen.

     An Paul Heyse's Tisch habe ich letzten Herbst auch gesessen und mich des anmuthvollen Daseins dieses seltenen Menschen erfreut.

     Hoffentlich haben Sie es am 1 Juli v. Js. mit den Lustbarkeiten, welche Sie zu Ehren meiner Amtsentlassung anstellen wollten, nicht zu arg gemacht; denn ich mußte noch bis zum 15 Juli ausharren. Seither bin ich nun aber wirklich frei und habe bereits eine kleine Sammlung neuer Geschichten gemacht, die in der deutschen Rundschau, zum Theil, erscheinen. Haben Sie Gelegenheit, die Sachen ein wenig anzusehen, so | könnten Sie sich ein großes Verdienst erwerben, wenn Sie mir offen und ohne Rückhalt mittheilen wollten (wie es Zeit und Umstände erlauben) wie und wo Ihnen ein Rückschritt statt eines Fortschrittes, ein Nachlassen, eine Langweiligkeit und Pedanterie u d. gl. vorhanden scheint. Denn noch hoffe ich, es werde nicht Altersschwäche, sondern nur die Ungewohntheit der veränderten Arbeitsweise sein, welcher sich nach gemachter Wahrnehmung und erfolgten Warnungsrufen abhelfen läßt. Ich habe auch erst in diesen Tagen das büreaumäßige Abwandeln der poetischen Arbeit ganz abgeschüttelt und das alte Gefühl und Bedürfniß des innerlichen Draufgehens und Auslebens wieder gefunden u entdeckt.

     Sollte Sie ein guter Stern im Frühjahr wieder auf Reisen und auch in die Schweiz führen, so werde ich Ihnen mit Freuden Stunden und Tage widmen, soviel sie wollen. Ich wohne nach wie vor in Zürich, | "auf dem Bürgli in Enge", welches eine Art Vorstadt oder Ausgemeinde ist.

     Jetzt habe ich zwar noch Schnee vor dem Fenster und Winter in der Luft, gegen allen Brauch, wird aber hoffentlich nicht lang dauern.

                                  Mit den schönsten Grüßen Ihr
                                  achtungsvoll ergebenster
                                  Gottfr. Keller.

 


 

11. 3. 1877  Wilhelm Petersen an Keller

<ZB: Ms. GK 79f Nr. 54; Petersen 1984, S. 54>

                                            Schleswig 11 März 1877.

Herrn Gottfr. Keller in Zürich
 
meinen freundlichsten Dank für die liebenswürdigen Zeilen vom Donnerstag. Lediglich zu dem Zwecke, um Ihnen nicht lästig zu fallen, vermied ich es, Sie Selbst um Ihre Adresse zu fragen. Nun konnte ich Ihren Brief mit bestem Gewissen lesen und habe das auch zu meiner großen Befriedigung gethan. Die nächste Folge war, daß ich einen großen Theil der Nacht von Zürich und speziell dem Bürgli in Enge träumte - natürlich viel verworren Zeug - und meine Schlafzeit um eine Stunde überschritt. Der Grund meiner Erkundigung war der Gedanke, die nächste Fahrt nach Süden zu benutzen, um Zürich zu besuchen und bei der Gelegenheit seinen Poeten - flüchtig - zu begrüßen. Wenn man einem Zeitgenossen so tiefe und wahre Freude verdankt, | so möchte man ihn doch auch gern einmal von Angesicht zu Angsicht sehen. Nun Sie so gütig sind, Selbst mich dazu aufzufordern, so thue ich es um so unbefangener. Einige Stunden eines Abends werde ich Ihnen wohl rauben dürfen, ohne mich am Allgemeinen zu versündigen. Voraussichtlich wirds in der ersten Hälfte des Mai geschehen.

     Daß Sie bei Heyse waren, ist mir bekannt. Wir haben seitdem Briefe und Bilder gewechselt. Ich sandte ihm Silhouetten, in Lebensgröße nach dem Schatten gemacht, er schickte mir ein Bleistiftportrait von Th. Storm, welches vorzüglich getroffen. H. ist ein begabter Zeichner und es ist sehr zu bedauern, daß diese Kunst nicht mehr kultivirt worden. Warum sollten Pinsel und Feder nicht friedlich neben einander arbeiten können? Da Abwechslung in der Arbeit  Erholung ist, so könnte man  an Erholung Ueberfluß haben.

     Kuh's Tod habe ich sehr bedauert. Ueberrascht hat er mich nicht, denn ein so gebrechlicher Leib konnte einem solchen | inneren Feuer nicht lange mehr wiederstehen. Ich weiß nicht, ob Sie ihn persönlich kannten. Gewünscht hätte ich, daß Sie ihn gesehen und gehört hätten, als ich vergangnen Juni bei ihm zu Tisch war und beiläufig Ihren Namen nannte. Wie er mit seiner weißen durchsichtigen Hand gestikulirte, die schwarzen Augen rollte, die Stirn faltete und glättete und Alles um sich her vergessend die Reize des Grünen Heinrich pries. Trotz all meiner Andacht konnte ich doch nicht umhin im Stillen zu denken: Wie sollen solche vulkanische Ausbrüche von der kranken Luftröhre und der kranken Lunge, der kranken Leber und der kranken Milz ertragen werden? Es war ja Alles krank! Die Frau gedenke ich dieses Frühjahr in Meran aufzusuchen.

     Sie haben Recht: Das Ohr des seltsamen Meergreises sitzt auf der Photographie viel zu tief. Auf der Thonskizze selbst sitzen dagegen beide Ohren richtig. Ein Figurenmaler hat mir früher dasselbe geschrieben; es muß also auffallend | täuschen.

     Die Züricher Novellen habe ich nicht übersehen aber I und II habe ich in Ueberstürzung, den Kopf voll von Rinderpest und sonstigem Unfug gelesen und sie schweben mir daher nur wie ein Traum vor. III dagegen habe ich ganz kürzlich gelesen und als ich fertig war, habe ich mir gesagt: ganz echt! Ob die Bezeichnung als Novelle ganz zutreffend, geht mich nicht an. Der Inhalt ist ein Meisterstück von Schilderung in Linien und Farbe. Der Narr ist kostbar nach innen und außen geschildert. Das Weiblein, welches dem Greinenden auf der Straße begegnet, - ein Paar kühne Striche, die sitzen, auf die Strümpfe einiges Roth, auf das Häublein etwas Weiß aufgesetzt und die Figur steht da, zum Sprechen lebendig. Der Ritter, welcher durch sein thörichtes Benehmen - "wie ein junger Hund" bezeichnen wirs - ein verliebtes Herz sich entfremdet, ist trefflich, insofern der Leser, ich weiß nicht durch welche Mittel der Darstellung, ein außerordentlich lebendiges Bild erhält. Am meisten hat mich jedoch angesprochen die Schilderung der Sippe, welcher der Narr entstammt. Die ist urecht. - Um Himmels willen ich muß aufhören; die 4 Seiten sind im Umsehen gefüllt. Wie schwer es doch ist, sich kurz zu fassen. Im engern Kreise sollte man in Briefen nur noch im Lapidarstil reden. Also einstweilen ein freundliches Lebenwohl, hoffentlich an einem schönen Maiabend werde ich mir erlauben Sie zu begrüßen.

                                  Ihr ergebenster
                                  W Petersen

Ich bitte Ihrem Herrn Amtsnachfolger für seine prompte Beantwortung meiner Anfrage freundlichst zu danken. Ich konnte seine Unterschrift nicht ganz sicher entziffern.

 


 

17. 6. 1877  Wilhelm Petersen an Keller

<ZB: Ms. GK 79f Nr. 57; GB 3.1, S. 354 z. T.>

                                            Schleswig 17 Juni 1877

 
Nachdem ich gestern Abend den Schluß der Züricher Novellen gelesen, kann ich wirklich nicht umhin, Ihnen, lieber Herr Keller, Ihnen für den Genuß zu danken, den Sie auch mir in denselben bereitet. Freilich hätte es meiner Neigung mehr entsprochen, wenn der brave Landvogt bei Gelegenheit seines leichtsinnigen Unternehmens nun schließlich Einer der Fünfe, etwa der Figura zum Opfer gefallen wäre, aber das ist ja nun einmal nicht Ihr Fall. Der große Haufe in Norddeutschland verlangt, daß sie am Schlusse "sich kriegen" und, obwohl ein grundsätzlicher Gegner der Ehe, kann ich doch nicht umhin, diesen vulgären Geschmack bis zu einem gewissen Grade zu theilen. Bei Ihren Geschichten verbreitet sich selbst über Pessimisten, wie ich es leider bin, ein so köstliches, blutwarmes Behaglichkeitsgefühl, daß der langweilige schemenhafte Philosoph zusammenschrumpft und nur das ganz gewöhnliche Menschenkind, welches mit Menschen menschlich sich freuen möchte, übrig bleibt. Das ist für mich das Höchste der Gefühle. Alles was der Welt den Schein der Wohnlichkeit gibt, ist für mich etwas unschätzbar Schönes. |

     Welche Menge kleiner kostbarer Perlen stecken in der Geschichte, welche drollige Gleichnisse, welche naturwahren Züge - (Man sollte solche Tiraden vermeiden - ich fühle es wohl - aber ich weiß es nicht geschickter anzufangen). Besonders ergötzt hat mich u a das Gleichniß der Glöcklein, namentlich: das silberne Betglöcklein, welches in dem purpurnen Glockenstübchen der Barbara bimmelt und das helle Sturmglöcklein, wie wenn das Herz brennte. Das sind Ausbunde von Anmuth! Die Schwalben und die Liebesgötter, das junge Kaninchen. Was so unmittelbar nach der Natur gemalt ist, das verfehlt niemals seine Wirkung: Der Landolt, welcher Alles liebt, was auf dem Register steht, die Wendelgarde, welche das Gesicht mit der umgekehrten leeren Schachtel bedeckt, die Eine, die immer etwas ißt, wo sie steht und geht und dazu klatscht während des Kauens u.s.w. u.s.w., das sind Gestalten die, so verschieden sie sind, immer unser ganzes Interesse fesseln. Wunderbar gerathen ist auch die Gerichtssitzung | und trefflich die einzelnen Sachen erfunden oder verwendet, insofern der Stoff vielleicht theilweise anderweit vorhanden war. Der die Zunge ausstreckende Drache belebt die Scene prächtig. Wenn ich fortfahren wollte, von dem, was mich erfreut und erheitert hat, ausführlicher zu reden, würde ich noch manchen Bogens bedürfen. Deshalb basta. Wenn ich nun auch unmaßgeblich eine kleine Wendung erwähnen darf, welche meinem Gefühl nicht ganz sympathisch ist, so ist es die Stellung des "sich" in "das nächste Mal, das (sich) nicht lange darauf - sich - zutrug". Ich weiß wohl, daß es sehr viel in der Stellung gebraucht wird, doch stocke ich regelmäßig, wenn ich es lese. Hoffentlich werden die Züricher Novellen separat erscheinen. Ich lese nicht gern, ohne meine Lieblingsstellen anzustreichen und habe dann erst rechten Genuß, wenn ich sie wieder und wieder lese und sie immer neu und reizvoll bleiben.

     Verzeihen Sie mein Geschwätz, | mein Herz liegt mir leider immer auf der Zunge, bzw. in der Dinte und ich komme nicht recht zur Ruhe, bis ich mich ausgesprochen habe. Das wird Ihnen sehr komisch vorkommen, aber Sie werden es vielleicht auch menschlich finden, wie so manches Andere.

                                  Mit herzlichem Gruße.
                                  Ihr WPetersen.
 
Ist Ihnen bekannt, daß es hier oben noch veritable Landvögte gibt auf den Nordsee-Inseln Sylt und Föhr? es sind Staatsbeamte. Wendelgarde hat mein Herz angepickt: sie ist gar zu verführerisch und daß sie gar schließlich eine leidliche Gattin abgibt, erhöht den Reiz. Gestalt, Augen, Haar, Stimme, Gebahren - alles stimmt so trefflich zusammen. Sogar der Name klingt wie ihr auf den Leib geschrieben. Ob Tochter des Kalenders oder der Phantasie, vermag ich nicht zu errathen.

 


 

18. 7. 1877  Keller an Wilhelm Petersen

<ZB: Ms. GK 78a Nr. 3; GB 3.1, S. 355>

                                            Zürich 18 VII. 77.

 
Sie sehen, daß ich Sie wegen Antworten gehörig beim Worte und mir alle Zeit genommen habe. Nach der Natur menschlicher Dinge ist nun das Dringlichste, meinen Dank für die allerdings fein feurigen Rhumflaschen abzutragen, die s. Z. in besten Umständen bei mir angekommen sind. Noch ist aber keine halbe geleert, da ich zwischendurch mit dem Gebrauche des hier gekauften Schnapses fortfahre u jene mehr feiertäglich behandle, jedoch nicht ohne jedesmaliges Bedauern der Kosten, die Sie sich ohne alle Noth gemacht haben.

     Wie seit Ihrem Brief vom 4 Juni Heyse sein Söhnchen verloren hat, werden Sie wohl wissen. ich fürchte, daß das erneute Unglück seine eigene Genesung erschwert. Es ist doch merkwürdig, wie das Schicksal in jedem Hause seine offene Pforte hat. Wo ihm fast gar kein Angriffspunkt verstattet scheint, da quartiert es einfach den plumpen groben Tod als Besatzung ein.

     Daß Sie Ihre Skizzenfreuden aufgeben wollten, begreife ich nicht recht. Wo die Uebung u die Begabung soweit reicht, daß man | nicht nur sich, sondern auch andern Vergnügen macht, da ist kein Grund zum Aufhören. Was Ihnen fehlt, ist vielleicht nur, daß Sie einzelnes, was Ihnen schwerer fällt, mit gelegentlicher Benützung einer Muße zu überwinden trachten, womit dann ein für alle mal geholfen ist. So würde ich einmal die menschliche Hand vornehmen u nicht nachlassen, bis sie mir geläufig wäre; da Sie zugleich modelliren, so haben Sie ja mehr als einen Zugang zu der vertrackten Klaue. Ich rathe Ihnen hier etwas, was ich selbst zu thun s. Z. unterlassen habe; denn < FACE="Arial">puncto Unterlassungssünden kann auch ich kecklich ausrufen, daß mir nichts Menschliches fremd sei.

     Die Behandlung der Wasserfarben betreffend kann ich Ihnen, wenn wir etwa einmal länger zusammen sind, einige Winke geben, da ich in meiner Jugend gerade hierin technischer Grundsätze theilhaftig wurde, die jetzt zum Theil verloren sind; ich meine hinsichtlich der Transparenz u Reinheit der Töne, die auf einfachem Wege erreicht werden.

     Wegen des grünen Heinrich brauchen Sie nicht besorgt zu sein; da ich das Geld | nöthig habe, das der faule Kerl noch erwerben soll trotz seines trübseligen Absterbens, so wird die Sache nicht zu lange anstehen. Die Form wird sich geben, sobald ich einmal an der Arbeit sitze. Der Landvogt kann mit einer Heirat nicht schließen, weil das Hauptmotiv der Novelle ja gerade in der Versammlung der alten Schätze eines Junggesellen u in dem elegischen Dufte der Resignation besteht, der darüber schwebt. Diese Resignation erhält ihre Vertiefung durch das Verhältniß der Figura Leu u.s.w. Aber ich fange bald an zu theoretisiren über meine eigenen Sachen wie weiland Friedrich Hebbel, Ihr Landsmann. Die Gerichtsverhandlungen beruhen auf den einzelnen Anekdoten von der originellen Rechtspflege Landolts. Ich habe sie nur etwas plastisch aufgeputzt und in das von mir erfundene oder erlogene Rosengericht zusammen gedrängt. Ob die ehmal. schweizerischen Landvögte mit Ihren dänischen sich decken, weiß ich nicht. Erstere waren die Statthalter in den durch Kauf oder Eroberung erworbenen Staatsgebieten in den alten feudalen Grenzen. Th. Storm schrieb mir, daß er einst Landvogt in Husum gewesen sei; grüßen Sie ihn doch kräftigst | in meinem Namen, für den Fall, daß ich ihm nicht vorher selbst schreibe.

     Die Zürch. Novellen sollen, durch ein älteres u ein neues Stück vermehrt, nächsten Herbst als Buch erscheinen. Wenn Sie künftig wieder solche Beobachtungen machen, wie mit dem "sich zutragen", so bezeichnen Sie mir gütigst auch gleich die Stelle mit Seitenzahl. Bei aller Sorgfalt bleiben dergleichen Dinge immer wieder stehen, ohne daß man's weiß.

     Ich wünsche Ihnen nun die schönsten Sommertage auf den Leib u in die Seele, u schwitzen Sie den Pessimismus aus, dessen Sie sich berühmen oder anklagen. Machen Sie noch andere Modekrankheiten mit?

                                  Mit allen Grüßen
                                  Ihr ergeb.
                                  Gottfr. Keller.

 
 

7. 12. 1877  Keller an Wilhelm Petersen

<ZB: Ms. GK 78a Nr. 5; GB 3.1, S. 358>

Zürich 7 XII 77.

Verehrter Herr u Gönner
     Freund u Mäcen.
 
Sie sammeln nicht nur feurige Kohlen in Gestalt feurigen Rhums, sondern auch einen Ocean in Gestalt von tausend kleinen Fischlein auf mein Haupt. Ehe sie ganz aufgefressen sind, muß ich mich doch beeilen, Ihnen meinen ungemessenen Dank für die zarten fettlichen Wasservölker auszudrücken; zugleich aber muß ich ausrufen, mit was soll u kann ich denn solche lokalproduktliche Gesandtschaften erwiedern? |

     Das erfordert Nachdenken; denn Steine oder sauern Wein kann ich nicht wohl senden und guten Käse kann man nur in Stücken von mindestens 50 Kilo bekommen

     Wie stehts auch mit der Frau des Emil Kuh seliger? Ich hatte ihr s. Z. die übliche Condolation gesendet und weiß nun seither nichts mehr von den Hinterlassenen. Die Hebbelbiographie, welche er mir jedenfalls geschickt hätte, wenn er noch lebte, habe ich nicht erhalten, was an sich natürlich nichts macht, denn ich habe das Buch sogleich gekauft. Allein ich weiß nicht, ob ich der Wittwe darüber schreiben soll oder nicht, u könnte es nicht einmal, da ich nicht weiß, wo sie jetzt lebt. |

     In nächster Zeit werde ich Ihnen jene Rundschauerlichen Novellen, um 2 Stück vermehrt, zuschicken können.

     Jetzt gehe ich unverweilt an die Wiedergeburt des grünen Tropfes, genannt Heinrich, damit ich endlich mit den alten Velleitäten Tabula rasa habe und an Neues gehen, auch etwan malen und schmieren kann, wenn ich nicht unversehens versimple vorher.

     Wie geht es Ihnen und Ihren Privatmusen? Regieren Sie heftig drauflos oder arbeiten Sie mehr an der Landesverschönerung?

     Kommen Sie nächstes Jahr wieder nach dem Süden? u.s w. u.s.w.|

     Theodor Storm, dem Herren der Gerichte und Gedichte, dem Vogt des Meeres und des Landes werde ich dieser Tage auch schreiben. Es ist mir sehr angenehm und artig, daß ich auf meine alten Tage eine solche Doppelbeziehung zu dem achtbaren Norden erwischt habe.

     Leben Sie glücklich der Weihnachtszeit u dem Jahreswechsel entgegen, welchen wir speziell behandeln wollen, wenn er da ist.

                                                Ihr grüßender
                                                G. Keller.

 


 

28. 12. 1877  Keller an Wilhelm Petersen

<ZB: Ms. GK 78a Nr. 6; GB 3.1, S. 359>

Enge Zürich 28 XII 77.

Verehrter Herr u Freund!
 
Ich habe meinen Verleger beauftragt, Ihnen die Zürchernovellen zu senden, u hoffe, daß Sie dieselben schon haben oder wenigstens nächstens erhalten werden.

     Dies vorausgesetzt, bleibt mir übrig, Ihnen ein glückseliges neues Jahr anzuwünschen, wie hier zu Lande die Bauern sagen. Die Glückseligkeit besteht ja doch hauptsächlich im Dasein, sofern man kein Zahnweh hat, u ob man sixtinische Capellen macht oder Augenblicksbilder auf Postkarten, ist Nebensache. Von letztern habe ich übrigens keine Vorstellung, da mir das Institut neu ist. |

     Was Sie mir von Paul Heyse schreiben, begreife ich nur zu wohl für den Vielgeprüften. Doch ist er nicht so arbeitsunfähig oder muß vor dem letzten Verlust überfleißig gewesen sein, da ja immer mehrere Publicationen von ihm nebeneinander erscheinen.

     Frau Kuh liegt mir nicht so sehr am Herzen, als das Schicksal eines Dutzends Briefe, welche ich dem armen Todten geschrieben. Diese Wiener Juden sind nämlich ein so indiskretes Volk, daß jeder unberufene Gebrauch möglich ist, und der Nachlaß Kuh's ist ja gewiß von solchen Champions umlagert. Eine Probe habe ich bereits s. Z. gleich nach dem Todesfall in einer Wiener Zeitung genossen. |

     Kuh selbst, welcher bei aller Vortrefflichkeit auch zur Wiener Couleur gehörte, trotz dem er darüber zu stehen glaubte, hatte aus einem meiner Briefe sofort u ohne Bedenken eine etwas abschätzig scheinende Stelle über Otto Ludwig mit Angabe meines Namens in einem Aufsatz in der Wiener Abendpost abdrucken lassen, ohne auch nur eine Ahnung zu haben, daß dergleichen unzulässig sei.

     Hoffentlich bleiben jene Briefe im Dunkel der Vergessenheit oder sind schon vernichtet.

     Die zweite Hälfte Ihrer Sprotten war wirklich mit dichten und warmen, grauen und grünen Pelzröcklein bekleidet, als ich sie auf den Plan marschiren ließ. Was Teufel haben Sie gedacht? Ich soll an einem Tage eine Million fressen? Ich glaubte mit Recht, wie | jeder haushälterische Mensch, die Bestien seien conservirlich. Nun, es ist ihnen jetzt eben so wohl; zwei Krähen, welche in der Nähe des Hauses nisten, haben wie die Götter daran gelebt und machten dabei immer qua qua!, besonders als der Spaß zu Ende war.

     Sie werden es auf Ihrer neapolitanischen Reise wohl ermöglichen können, über Zürich zu kommen. Ich selbst fange an darauf zu denken, wie ich gelegentlich nach Hesperien gelangen soll.

     Also pros't Neujahr in optima forma u gute Gesundheit

                                                Ihr G Keller.

 


 

12. 1. 1878  Wilhelm Petersen an Keller

<ZB: Ms. GK 79f Nr. 60; Petersen 1984, S. 77, Postkarte>

Schleswig 12. 1. 78

So eben treffen die Novellen ein und ich muß nothwendigerweise zunächst meinen herzlichsten Dank vom Herzen los sein - in dieser Form. Sobald ich sie gelesen - und darüber vergeht noch eine kurze Zeit, weil Anderes mich hart bedrängt, - werde ich meinen Dank in angemesseneren Form wiederholen. Zugleich erwidere ich Ihre Wünsche für das neue Jahr von ganzem Herzen. Inzwischen habe ich mir folgende Adresse verschafft: "Frau Kuh, Wien, Schwarzspanierstraße 22III." Ein origineller Straßenname jedenfalls. Ich freue mich gründlich auf das Lesen zunächst des mir unbekannten zweiten Bandes. In der Morgendämmerung vor dem Ofen wirds begonnen mit aller Feierlichkeit, welche der Würde des Gegenstandes entspricht.

     Also nächstens mehr und inzwischen in alter Verehrung
                                                Ihr WPetersen.

 


 

28. 1. 1878  Wilhelm Petersen an Keller

<ZB: Ms. GK 79f Nr. 64; Petersen 1984, S. 79>

Schleswig 28. 1. 78.

Nachdem ich in diesen Tagen endlich den zweiten Band der Novellen gelesen (der erste ist noch vorbehalten) gestatten Sie mir, verehrter Freund, meinen herzlichsten Dank Ihnen zu wiederholen. Der gestrige graue Sonntag wurde mir so recht vergoldet. Wenn die Ursula, wie ich meine, Ihre Jüngste ist, so haben Sie alle Ursache auf dieselbe stolz zu sein. Ein so klares, frisches, lebendiges Bild fesselt vom ersten bis zum letzten Worte und prägt unauslöschlich sich ein. Wenn man doch auf diese Art Geschichte lernen könnte. Für mich überwiegt das Kulturbild die Novelle ungeachtet der farbenreichen Reize derselben. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß die Zeichnung der Schenkin am Komersee am lebhaftesten sich mir eingeprägt hat, ungeachtet der Nebenrolle, welche sie spielt. Ich leide beim Lesen von Schilderungen aus alten Zeiten gewöhnlich darunter, daß ich den Dichter in seiner Werkstatt arbeiten sehe; bei Ihnen ist mir das nie passirt, ich glaube an die Gestalten und lebe | ihr Leben frischweg mit ihnen. Die sieben Aufrechten haben gleichfalls mein ganzes Herz gewonnen. Das sind wirklich herrliche alte Bursche. Wie machen Sie es doch, Ihren Menschen ein so prächtiges Knochengerüste zu geben? Meistens sind die Menschen in Romanen und Novellen nur Bilder einer Kamera obscura oder sonstiger Zauberkasten, seltener haben sie Fleisch aufzuweisen und nur den wahren Meistern gelingt es ein regelrechtes Skelett zu konstruiren. Die Ihrigen haben immer ein Skelett, welches jeden Osteologen entzücken würde. Nur einmal wurde mir etwas schwer, an die Situation so recht zu glauben: Die lange Rede, welche der junge Anführer der Sieben hält, ist ein Kabinettstück, aber man erstaunt einigermaßen, wie der junge Mann zu solcher reifen Weisheit kommt. Das ließ sich aber wohl nicht anders machen und muß wohl ein Recht des Dichters bleiben. Höchlich ergötzt haben mich die beiden Sennen, Vater und Sohn. Das sind ein Paar Prachtfiguren und vielleicht war es besonders | geschickt, ihr Verweilen auf der Bühne so abzukürzen, wie es geschehen ist. Daß ich die wundervolle Wendung: ungespitzt in den Boden schlagen - vorkommendenfalls in der Praxis (aber nur in Worten) benutze, gestatten Sie wohl. Diese Geschichte ist wiederum eine von denen, welche mit wahrer Weisheit getränkt sind. Wer überhaupt lernen mag für Haus und Leben, der findet darin das Tiefste und Beste. Wie selten kann man den Erzeugnissen unserer modernen Erzählungskunst nachrühmen, daß sie erbauend und ernst belehrend wirken. Das ist alles so knapp und körnig, so kerngesund, so handgreiflich, daß man ohne Weiteres gepackt wird und wollend oder nichtwollend der Wahrheit ins Angesicht schauen muß. Darin liegt ja auch ein bedeutender Theil des Werthes des Heinrich. Ein wilder Geselle, der nichts hat als ein ursprüngliches gesundes Wesen und sonst nicht leicht dazu zu bewegen ist Anderes zu lesen, als was seinem farouchen Wesen zusagt, machte ein gar ernstes Gesicht, als ich ihn über den Heinrich, den er auf | meine Veranlassung lesen mußte, befragte: Das ist ein prächtiges Buch, in dem findet man für alle Lagen des Lebens etwas und in dem findet jeder Mensch sein Theil. Ein solches Urtheil wiegt mir schwerer, als das eines feinen Kritikers vom Fach. - Doch genug. Wollte ich mich aussprechen, so würde auch ein Buch daraus und zwar ein solches, welches nicht viel taugte.

     Sie fragten nach "Augenblicksbildern". Hier sind zwei solche, in weiser Beschränkung mit zwei Farben gemacht, zwischen der Arbeit als wohlthuende Unterbrechung. Sonst auch mit Kohle, Stift etc. Die Anspruchslosigkeit der Form soll die himmelschreienden Mängel beschönigen. Ich könnte mit Ersprießlicherem mich befassen, aber es hilft nichts, gewisse Dinger muß ich los sein. Die verzeichnete Landschaft sah ich neulich vom Dampfschiff aus und sie quält mich so lange, bis ich Andere mit ihr gequält habe.

     Daß ich von Heyse eine Postkarte aus Rom hatte, habe ich Ihnen wohl neulich geschrieben. Storm habe ich lange nicht gesehen, hoffentlich in 14 Tagen. Die Adresse von der Kuh haben Sie bekommen. Sie sollten die Briefe einfach zurück erbitten; sie wird es nicht wohl ablehnen können. Von Diskretion ist bei dieser Art von Menschen keine Rede. Neapel werde ich dieses Jahr wohl nicht sehen. Ich fürchte, daß ich nach Kanstadt muß, um eine Kur gegen Hautleiden durchzumachen. Hoffentlich wird es mir aber doch gelingen, einen Blick über die Alpen zu werfen und einen Weg, wo möglich über Zürich führen. Schade, daß ein so weiter Raum uns trennt. Wie oft | sehne ich mich darnach, einmal einen Abend wieder mit Ihnen beim Wein zu sitzen oder an Ihrem Fenster zu stehen. Mit herzlichem Gruße

                                                Ihr WPetersen

 


 

19. 9. 1878  Wilhelm Petersen an Keller

<ZB: Ms. GK 79f Nr. 69; Petersen 1984, S. 102>

Schleswig 19 Septbr 1878

Herzlich danke ich Ihnen, verehrter Mann, für die lieben Zeilen vom 14 dM. und die goldenen Lehren, welche Sie schnöderweise als Schnödigkeiten bezeichnen. Sie haben ganz recht und Alles wäre recht schön, wenn nur nicht das vielfach bewegte Alltagsleben alles Systematische abschnitte und noch allerlei sonstige Schwierigkeiten vorlägen. Namentlich ist auch nicht die todte Natur, sondern die Menschengestalt der eigentliche Gegenstand thörichter Wünsche.

     An demselben Tage, als Ihr lieber Brief anlangte, saß ich mit Palleske, der den Wallenstein gelesen hatte, noch ein Paar nächtlicher Stunden zusammen und seltsamer Weise führte dieser Zufall dahin, daß Sie an diesem Tage der Gegenstand einer warmen und erbaulichen Unterhaltung wurden. P. sprach nemlich von dem Plane, auch von Ihren Novellen einige zu lesen und so spann sich das Gespräch fort. Er gedachte namentlich dankbar Ihrer | Unterstützung seines Auftretens in der Schweiz. Mir fiel einmal wieder recht auf, daß Sie das Schicksal haben, entweder gar nicht verstanden oder mit vollem Herzen verehrt zu werden, ein Drittes scheint es glücklicherweise nicht zu geben. Es freute mich, daß ein Mann vom Geschäft wie P. mit so voller und warmer Begeisterung von Ihnen sprach, während diese Herren meist eine gewisse Kühle nicht verleugnen Er wird heute Mittag und heute Abend zu mir zu Tische kommen und dann werden Sie wohl noch einmal daran glauben müssen. Dramatische Vorlesungen liebe ich nicht, außerdem habe ich nur Reuter und zwar durchgehend gut - lesen hören. Viel lieber hörte ich einmal Gedichte und Geschichten, aber mit jener Ureinfachheit und jener ganz sich hingebenden Empfindung, welche allein den Meister macht und deshalb so dünn gesäet ist. Ich glaube ich hätte mich sehr befriedigt gefühlt, wenn mir der Beruf geworden wäre, dem Volke in solcher Weise die besten und edelsten Schöpfungen auszulegen. Was ich mit jener Art zu lesen meine, bezeichnet eine Lieblingswendung von Heyse: "so rein um Gottes willen". |

     Bis Sonntag hatten wir einen köstlichen Sommer und so wunderbare Abende, daß man unwillkührlich lauschte, ob nicht die Nachtigall schlagen möchte. Um Mitternacht kam Junker Herbst angesaust, offenbar trunkenen Muthes auf einem Gespann wüster Aequinoktialwetter, welche wieherten und schnoben, daß die Wälder dröhnten und die Wogen brausend sich bäumten, begleitet von einer Wolkenbande, welche mit mächtigen Paukenschlägen und schrillendem Beckenschlag die Schläfer weckte und in rasendem Zuge dahinstürzend mit Blitzen und [und] Regengeprassel auf die schläfrige Erde herunter wüthete. An Wegen und Wällen häuft sich das gefallene Laub, die Gärten sind von herabgeschüttelten Früchten bedeckt und an den Wänden zeugen geknickte Rosen von den Unbilden des Wetters. Nun ist auch die Zeit nicht fern, wo das Laub sich zu färben beginnt und der volle Herbst hereinbricht mit seinem heimlich unheimlichen Wesen, seiner feurigen Wonne, seiner vernichtung ahnenden Wehmuth, seiner Sehnsucht nach blauen Fernen, lichten Höhen und geheimnißvollen Dämmerungsbildern. Die Leiber und die Geister der Menschen beginnen, einem dunkeln Drange | folgend, mit neuer Lust und Kraft zu schaffen. Der warme, lichte Sonnenschein läßt den Menschen am bloßen Dasein genügen und seine Freude finden; wozu soll er sinnen und schaffen?

     Die Lübecker Reise ging zu Wasser. Storm mußte nach Hause gehn und ich mußte zu Hause bleiben, weil ein sog. Hexenschuß mich lähmte und mich sodann 3 Wochen lang theils ans Lager fesselte, theils als gebückten, gebrechlichen Greis dahinwanken ließ.

          - - Inzwischen saßen wir am Mittagstisch - und aus Ursache der uns gewährten köstlichen Unterhaltung sowie aus allgemeinen Gründen des Vertrauens und der Zuneigung ließ die kleine Gesellschaft, bestehend aus dem Gaste, der Hausfrau, der kleinen Anna, dem kleinen Lorenz und dem langen Unterfertigten den verehrten Freund in Zürich in rothem Wein hoch leben. Die Aufrechten waren dabei zu Gaste geladen u. P. rezitirte aus dem Gedächtnisse einige Episoden, welche allgemeine Freude erregten.

     Die Gedichte im Augustheft der Rundschau habe ich gestern wieder durch gelesen und mich erbaut an der Kraft, der Farbe und dem Humor insbesondere des ersten (Tafelgüter), bei welchem auch die archäologische Dekoration, wie bei einem Bilde von Tadema, eine wohlthuende Befriedigung gewährt. Von den 3 Rheinliedern gefiel mir das köstlich gemalte zweite am besten. Bei den beiden andern steckt die Pointe ein wenig tief und ich fürchte, daß nicht alle Leser zu ihr hinabsteigen, vielmehr es bei der ersten, im Zweifel noch nicht mit vollem Verständniß gekrönten, | Lesung bewenden lassen. Ihre besondern Verehrer machen es natürlich besser. Stimmen Sie Ihre Harfe nur auf den Oktoberton und lassen sie fröhlich erklingen; dieser Monat müßte, scheint mir, Ihr Leibmonat sein. Inzwischen hat es heute - am 20t. - Morgen 36 Stunden mit einigen kleinen Pausen gewittert und wir lechzen nach Ruhe in der Natur und etwas Sonnenschein. Leben Sie wohl und seien Sie herzlich gegrüßt.

                                                Ihr WPetersen

P. behauptet, wir werden noch Komödien von Ihnen erleben! Also nicht bloß Shakespeare der Novelle?

 


 

27. 5. 1879  Wilhelm Petersen an Keller

<ZB: Ms. GK 79f Nr. 76; GB 3.1, S. 368 (Auszug)> 

Schleswig 27 Mai 1879.

Vor 8 Tagen bin ich, verehrter Freund, von meiner diesjährigen Fahrt Verona-Rom-Neapel-Rom-Florenz-Bologna heimgekehrt; es war mein 8ter Zug über die Alpen. Mit einem gewissen trüben Ernst habe ich diesmal umhergeschaut; auch leiblich war ich niemals recht wohl und als ich heim kam, fühlte ich geistig und leiblich mich gerädert. Dabei habe ich aus dem Born der Schönheit mit einer Gier getrunken, als wenn ich mein liebes Sonnenland nicht wiedersehen sollte, immer gedrückt von dem Gefühl des Mangels an Reife für den Genuß und von dem Bewußtsein, daß es eigentlich an einer rechten Verwerthung fehle. Deß ungeachtet fühlte ich, daß ich im letzten Jahre an Reife gewonnen und wenn ich zehn Jahr Muße hätte, mich besser vorzubereiten, ich noch mit ganz andern Augen sehen würde. Welch einen Ueberfluß von Schönheit haben doch Genie und Talent im Laufe der Jahrhunderte in diesem Lande gehäuft; man weiß nicht, wo man anfangen und aufhören soll. Doch genug davon. So ist es auch gekommen, daß ich schließlich auf direktestem Wege heim kehren und den Alpenschlitten vermeiden mußte. Und so habe ich Sie auch nicht gesehen, was mir sehr schmerzlich ist. Heyse habe ich sowohl auf der Hin- wie auf der Rückreise besucht und jedesmal einen traulichen Abend mit ihm zugebracht. Natürlich haben wir auch Ihrer mehr als einmal gedacht. Storm hatte angedeutet, daß Sie vielleicht nach München kommen und eine vage Hoffnung verhieß mir, Sie dort zu finden. Sie hätten dann u. A. mit Heyse u. mir einen | köstlichen Frühbock am Dultplatz genießen können. Daß es H. besonders gut ginge, kann ich leider nicht sagen - der Schatten des Kindes läßt ihn nicht zu Frieden u. Ruhe kommen, seine Phantasie ist in ewiger Bewegung und ihr schiebt er hauptsächlich die Verschuldung seines Zustandes zu. Im März ist derselbe sehr bedenklich gewesen, so daß er in vollkommener Verzweiflung war. An beiden Abenden war er dagegen so behaglich und liebenswürdig heiter, daß mir die Trennung recht schwer wurde. Schließlich schenkte er mir einen Gipsabguß des Kopfes eines Traumgottes, den ich eigenhändig bis Hamburg transportirte, wo er nun dem Original gemäß mit Bronze behandelt wird. Besuchen Sie ihn nur einmal, es wird ihn herzlich freuen. Frau H. war so herzlich und liebenswürdig wie immer und die Tochter blühte, wie eine Rose. Auch Riehl lernte ich kennen, leider nur flüchtig. Gallerien zu sehen verbot mir die beschränkte Zeit. Dagegen gerieth ich in ein Zopfkirchlein, St. Johannis, in der Sendlingerstraße, welche mich entzückte. Ich habe diesmal mehr als je es vermocht, Alles nach seiner Art und Zeit zu betrachten und mich daran zu freuen und bin in das Stadium getreten, welches Heyse in der "Frau v. F." andeutet, daß bei allen Kunstwerken der Schöpfer mich fast mehr interessirt als die Schöpfung. Wenn Sie nach München kommen, sehen Sie sich doch dies kleine reizende Original an.

     Erbaulich wird Ihnen klingen, daß ich keinen Pinsel und keinen Bleistift zur Verunglimpfung | von Natur oder Kunst in Thätigkeit gesetzt habe.

     Ich sende Ihnen die Venus von Capua, meinen Liebling im Neapolitan. Museum, welche der schönen Frau von Milo einigermaßen verwandt ist, und den Narziß, Heyses Liebling von dort. Letzterer ist ein Bronzefigur von etwa 2' Höhe. <Da die Post Schwierigkeit macht, muß ich sie zusammenrollen u nachsenden>

     Gestern u. vorgestern war Storm hier bei gemeinschaftl. Freunden. Mit den Geßnerschen Bänden haben Sie ihm eine große Freude bereitet. Auch die Schilderung der Ankunft ungenügend frankirter Briefe hat ihm viel Scherz gemacht. Eine Tochter hat sich verlobt. Dagegen ist die Frau leidend und der mehrbesprochene Sohn scheint ziemlich entschieden als enfant perdu betrachtet werden zu müssen. Der Jurist ist während des Examens an einer Lungenentzündung erkrankt und liegt in Kiel im Hospital. Das Alles drückt ihn ziemlich schwer, hat die kleinen Rinnsale in seinem lieben Gesichte vertieft und vermehrt und sein Haar gebleicht. Trotzdem vermochte er zu Gunsten der Freunde zur Heiterkeit sich zu zwingen, so daß das Leid vorübergehend allerseits in Vergessenheit gerieth.

     <St. hatte seit Jahren keine Nachtigall als die s. g. Marschnachtigall (Frosch) gehört. Nun schlugen sie nach dem Gewitter im Buchenhochwald im Chor. Es war recht erbaulich>

     In Italien war das Wetter verhältnißmäßig eben so schlecht wie in Deutschland und Rom sah erstarrt auf ein vor Oktober datirendes Regenwetter, welches auch mich näßte, zurück. Italien bei schlechtem Wetter | ist eine recht üble Sache.

     Und wie geht es denn endlich Ihnen, verehrter Freund? Nicht als ob diese Frage Beanwortung heischte, denn ich weiß ja, wie es Ihnen geht und wenn ich nach Husum komme, liest Storm mir aus Ihren Briefen vor. Ich denke Sie mir immer nur, wie damals, vor dem Fenster stehend und auf Wasser und Wald hinabschauend. Der Frühling wird Ihnen, wie so vielen, in diesem Jahre noch willkommener sein, als früher. Vermehrte Wanderungen werden Ihr Blut rascher fließen lassen. Ob die Rundschau Schneeglöckchen von Ihnen brachte, muß ich noch erst ermitteln, bisher habe ich nur Akten gelesen. Viel denke ich an Heinrich und sein Gedeihen. Frühling und Sommer werden ihn [leider] wohl nicht besonders fördern. Das "Leider" streiche ich, denn ich freue mich, wenn Sie die grüne Zeit mit behaglichem Nichtsthun ausfüllen, welches ja nur dazu dient, dem Boden frische Nahrung zu geben. Für den Herbst behalte ich mir vor, Ihnen eine eindringliche Vorlesung in Bezug auf Diätetik, namentlich Bewegung in frischer Luft zu halten. Für den Sommer ist das hoffentlich nicht nöthig. In Florenz streifte ich bisweilen mit einem alten pensionirten Wiener Ministerialrath durch Gallerien u. Kirchen, einem feinen Kunstkenner. Der wußte ein schönes Lied zu Ihrem Lobe zu singen und hatte sich besonders in die Legenden verliebt. Ich höre diese Lieder so gern, wenn sie mit Verständniß gesungen werden.

     Storm sagte - nachträgliche Bemerkung - daß er in nächster Zeit Ihnen schreiben werde. So leben Sie denn wohl, genießen den lieben Lenz und zunächst das schöne Pfingstfest und seien herzlich gegrüßt von

                                            Ihrem WPetersen.

  


 

23. 9. 1880  Keller an Wilhelm Petersen

<ZB: Ms. GK 78a Nr. 13; GB 3.1, S. 374>

Zürich 23 Sept. 1880

Nun will ich endlich anfangen, meine Briefschulden abzustoßen, und bei Ihnen beginnen, verehrter Herr u Freund! Das Buch Heinrich werde ich Ihnen wol nächstens nachsenden können, da ich die letzten Aushängebogen erhalte. Als ich den 4t. Band erst von Seite zu Seite durchging, was ich früher versäumt hatte, fand ich den Bestand desselben so schundvoll und häufig albern, daß ich nicht fortfahren konnte und auf Monate stecken blieb. In solchen Zuständen aber schiebt man auch das Briefschreiben auf, da man sich doch scheut, sich mit Scheinarbeit zu betrügen. Denn Briefe soll man wie jedes Vergnügen, nach gethaner Arbeit sich gestatten.

     Ich danke Ihnen herzlich für das freundliche Gedenken meines Geburtstages und für die Photographieen, die wie von starker Seeluft zusammengeweht sind. Die Italiäner sehen aus wie aus der Odyssee; die Kleine aus Chioggia ist eine wahre kleine Meduse, der kleine Nordländer Knirps aber gar wie aus dem Salzwasser zusammengeronnen. Sie sind doch gewiß vergnügt bei so schönen und manigfachen Talenten, welche Sie so frei handhaben und genießen dürfen.

     Auch das Winterwald-Gedicht hat mich sehr ergötzt, obgleich ich als unwissender Hagestolz, | der gern lang im Bette liegt, nur das sanitarische Bedenken habe, ob es auch gut für so junge Kinder sei, im Winter vor Tag aus dem Bette genommen und in den Wald geführt zu werden? Ich wenigstens ginge nicht mit, besonders wenn ich Samstags Nachts erst um 1 Uhr nach Haus gekommen bin. Meine Schwester beauftragt mich, Ihnen auch noch für die kleinen Fischvölker vom letzten Jahre zu danken, welche am Theetisch mit großer Gesellschaftlichkeit verspeis't wurden, da die Katze dabei saß und auf die Abfälle paßte, auch nachher die Teller so sauber leckte, als ob Ambrosia darin gewesen wäre.

     Sie haben mir auch über den mißlungenen Sohn Storm's geschrieben und daß derselbe als Schiffsarzt nach Brasilien gegangen sei. Das brachte mir zur Erinnerung, daß schon mehrere Schweizer resp. Zürcher, die hier kein Examen zu Stande brachten und verbummelt waren, in Brasilien durch die Schweizer u deutschen Kaufleute zu soliden und wohlbestellten Aerzten geworden sind. Das Saufen hört nämlich dort aus Mangel an Landesüblichkeit von selbst auf, und wer es nicht läßt, geht bald zu Grunde.

     Daß Sie den paradoxen Sulzer gesehen haben, war mir interessant; es ist einer der geistvollsten | und zugleich verbohrtesten Schweizer. Vor zwanzig Jahren trat er aus der hiesigen Regierung, weil man seinen wirtschaftlichen Liebhabereien (Domänenbesitz, indirekte Steuern u. d gl.) nicht Folge genug leistete u anfing z. B. den Soldaten Beiträge an die Kosten ihrer Ausrüstung von staatswegen zu zahlen. Zehn Jahre später trat er an die Spitze einer socialdemokratischen Bewegung, in Folge deren nun alle Lasten und Ausgaben auf das Vermögen und Einkommen verlegt sind. Um die Cantonshauptstadt Zürich herunterzubringen und seine Vaterstadt Winterthur herauf, führte er ein verrücktes Eisenbahnnetz durch, wodurch die reiche Stadt an den Rand des Bankerotts kam und alle umliegenden Gemeinden ebenfalls auf lange Jahre hinaus verschuldet wurden. Die alten schönen Forsten der Stadt, die sie mit dem Stadtrecht noch von dem Grafen Rudolf v. Habsburg hatte, wurden abgeschlagen und zum Theil ganz verkauft, während Sulzer, der Urheber, sein Augenlicht einbüßte, weil er aus kameralistischer Leidenschaft Tage lang im Schnee einen Staatsforst begangen hatte, der ihn nichts mehr anging, u s. w.

     Ueber Ihre Gesundheitszustände hat mir Storm auch schon geschrieben. Ich bekam aber den | Eindruck, als ob Jeder von Euch zweien den andern ein bischen als malade imaginaire betrachte. Nun scheint es aber mit Ihnen doch etwas bedenklich zu stehen, wovon wir hoffen wollen, daß das Uebel sich mit der Zeit wieder stille davon schleicht.

     Im December wahrscheinlich wird in der D. Rundschau ein kleiner Novellencyclus von mir beginnen, der durch 4-5 Hefte gehen mag. Einige Lyrika habe ich für ein Jahrbuch "Kunst und Leben" abgegeben, das diesen Herbst in Stuttgart erscheint.

     Ihr Freund Thaissen, oder wie er sich schreibt, ist neulich bei mir gewesen als Exekutor Ihrer Nachforschungsaufträge. Ich wußte gar nicht, daß derselbe schon so lang hier ist und eine Zürcherin geheirathet hat.

     Nun wünsche ich Ihnen rasche Befestigung der Gesundheit und schöne Herbsttage, werde Ihnen auch bälder wieder schreiben und empfehle mich Ihrem verehrlichen Hause als

                                                Ihr allezeit ergebener
                                                G. Keller.

 


 

21. 10. 1880  Keller an Wilhelm Petersen

<ZB: Ms. GK 78a Nr. 14; GB 3.1, S. 377>

Zürich 21 Oct. 1880.

Verehrter Freund. Ich gebe heut endlich den Grünen auf die Post und wünsche ihm glückliche Reise und nachsichtigen Empfang. Daß die Judith am Schlusse noch jung genug auftritt, statt als Matrone, wie beabsichtigt war, hat sie Ihren derselben so gewogenen Worten zu danken. Ich wollte mich selbst nochmals am Jugendglanz dieses unschuldigen, von keiner Wirklichkeit getrübten Phantasiegebildes erlustiren. Gern hätte ich sie noch durch einige Scenen hindurch leben lassen; allein es drängte zum Ende und das Buch wäre allzu dick geworden.

     Jetzt mach' ich Novellen, die im Januarheft der deutschen Rundschau beginnen sollen.

     Auf den 1t. April 1881 habe ich die jetzige Wohnung gekündigt und werde Sie in einer andern empfangen müssen, die noch nicht gewählt ist. Die Lage war meiner Schwester | zu beschwerlich, und ich selbst habe manches versäumt, da ich mich immer nur ungern zum Gange nach der Stadt entschloß. Es hat etwas Unbequemes, in diesen Jahren so herumwandern zu müssen; allein das Ganze ist ja doch nur ein Bummel, und am Ende kommt die Ruhe. Ich habe mich einem Leichenverbrennungsverein angeschlossen; es will aber nichts daraus werden. Ich glaube die Lumpen fürchten am Ende, es mache zu heiß, daß sie's noch verspüren könnten!

     Leben Sie mit den Ihrigen einen guten Winter, wozu ich hübsche Morgenröthe und warme Abendstunden wünsche. Was mich betrifft, so gedenke ich etliche vergnügte Schoppen bei biederem Gespräche auszustechen!

     Paul Heyse ist jüngst mit seiner schönen und feinen Frau zweimal durchgereist; | wir brachten jedesmal einige Stunden miteinander zu und gedachten auch eines gewissen Herren Regierungsrathes im Norden.

     Seien Sie herzlichst gegrüßt und bleiben gewogen Ihrem ergebensten
                                                Gottfr. Keller.

 


 

1. 1. 1881  Wilhelm Petersen an Keller

<ZB: Ms. GK 79f Nr. 98; Petersen, S. 163>

Schleswig 1. Jan. 1880

Eine Postkarte hat Ihnen, liebster Freund und Meister, hoffentlich rechtzeitig unseren Neujahrsgruß  bestellt. Ich wiederhole ihn nochmals und wünsche Ihnen vor Allem Gesundheit und eine noch lange Jugend. Ich habe eine gewisse Reue empfunden über meinen letzten Brief. Es sollte genügen, wenn Sie in öffentlichen Blättern durch Herrn Brahms und andere Herren Sich zerpflücken lassen müssen, wenngleich mit der besten Absicht. Ihre Freunde sollten Sie in Ruhe lassen. Andererseits mögen Sie bedenken, daß man gern zeigen möchte, daß Sie Ihre Perlen keiner Sau zugeworfen haben und daraus entsteht dann jenes unerquickliche Zerren und Zupfen an einem edlen Stoffe. Es ist menschlich geschmacklos. So will ich meinen lieben Heinrich nun auch ruhen lassen in dem Gedanken, daß ich meine Verehrung für ihn genugsam dargethan habe. In dunkler Morgenfrühe vor dem hellen Ofenfeuer habe ich in den Festtagen mit ihm Zwiesprache gepflogen - etwas wüst, | bald dieses bald jenes Kapitel haschend, wie eben Erinnerung und Stimmung es machte. Heute Morgen begann ich mit dem Anfange endlich und bin jetzt ganz erbaut, daß ich die ersten Stunden des Jahrs so gedeihlich verwendete. Welch ein Stück gesunden Lebens. Wenn man da doch mithalten könnte. Dies wahnwitzige Rennen, Konkurriren, Erfinden, Spekuliren unserer Zeit ist zum Ekel. Einem Mitlebenden wird es schwer, der Sache eine wohlthuende Seite abzugewinnen.

     Unser Weihnachtsfest haben wir glücklich und froh verlebt. Ich meine, daß wir wohl den schönsten Tannenbaum, wenn auch nicht den größten, in der Stadt hatten. Goldenes und silbernes Spinneweb, goldene Mährchenpuppen und ein goldener Mährchenzweig veliehen ihm wirklich ein mährchenhaftes Ansehen. Der letztere stammt aus dem Stormschen Hause. Ein Lächenzweig wird vergoldet und dem Baum eingefügt - ein köstlicher Schmuck. Von vielen Seiten flossen uns schöne Sachen zu, sogar wunderbare Dinge aus Japan, welche unsere Kriegsschiffe mitgebracht. Heute Morgen folgten wir der Husarenmusik, welche zwischen 6 und 7 Uhr mit "Freut euch des Lebens" in herkömmlicher Weise die Stadt durchzog und dann vom Dache des Rathhauses "Nun danket alle | Gott" über den Marktplatz, das stille Fischerviertel und die Föhrde hinaus erschallen ließ. Die beiden Kinder folgten nach dem Takte im Tanzschritte. Aber Schnee und Eis haben gefehlt. Die Wärme treibt hin und wieder Bäume und Stauden zur Blüthe und die Tage gehen vorüber, ohne daß wir durch den Schnee oder auf dem Eise ein tüchtiges Unternehmen beginnen könnten. Am 6t dM soll ich mit Storm's bei einem gemeinsamen Bekannten in einem alten Schlosse feiern, wo dann die beiden riesigen Tannenbäume zur Feier des Tages wieder angezündet werden. Ich freue mich darauf.

     Wie nachdenklich stimmte mich heute Morgen die Stelle, wo Lee dem Kinde die Kartoffelpflanze zeigt. Ich treibe es ja jeden Tag so und möchte so gern den Kindern allerlei mitgeben, was ich erst spät erkannt habe, damit sie wenigstens in manchen Dingen auf meinen Schultern ihr Leben weiterbauen mögen. Dazu gehört, daß man nicht zu früh stirbt, was ja unter andern Umständen auch seine gute Seite hat.

10. 10. 81.

Ich wollte gern das Sinngedicht lesen, bevor ich schlösse. Gestern Abends habe ich es erwischt und mich köstlich ergötzt. Lieber Himmel, was sollte aus uns werden, wenn nicht in diesem Wust von trübsinnigen und herzzerreißenden Geschichten, hin und wieder, solche urgesunde fröhliche Geschichten hineinplatzten. Da geht einem ordentlich das Herz auf. Ich habe mich buchstäblich geschüttelt vor Vergnügen. Woher in aller Welt nehmen Sie nur die Stoffe? Woher z B. das Pferd, welches die Gießkanne an der Schnauze festklemmt? Und dabei | liest sich das Alles, als ob es wirklich geschehen wäre. Von Kapitel 3 konnte ich mich nur schwer erholen, die Affäre ist zu komisch. Schmerzlich ist es, daß man nun wiederum 4 Wochen auf die Fortsetzung warten muß. Die ganze Idee der Fabel ist überhaupt glücklich und überraschend. Als einer ex populo sage ich Ihnen meinen schönsten Dank.

     Donnerstag-Freitag war ich mit Storm zusammen in Husum. Wir haben sehr behagliche und theilweise festliche Stunden mit einander verlebt in einer schönen und und wohlthuenden Umgebung. Er sagte mir, daß er Ihnen einen langen Brief geschrieben. Dazu kommt er nicht leicht. Heyse sandte mir seine Weiber und den lahmen Engel. Für erste fehlt mir das volle Verständniß, der letztere dagegen hat mir große Freude gemacht. Ich habe ihn in den letzten Jahren wiederholt gebeten unter Hinweis auf die Stickerin, der Provence sich zuzuwenden - und bin nun sehr froh, meinen Wunsch erfüllt zu sehen. Für seine Erzählungskunst scheint mir dieses Feld besonders geeignet, und ich meine, daß der schlichte Ton, welchen das Genre erheischt und die Stoffe, welche jenes Gebiet anweist, den Poeten erfrischen und fördern müssen. Jene schöne Beatrix gewann sich mein Herz und nach meinem unmaßgeblichen Geschmack ist es die anmuthigste Geschichte, welche H. in den letzten Jahren geschrieben hat. -

     Sie müssen nun ja nicht glauben, daß nur das Erheiternde des Sinngedichts auf mich gewirkt hat - ich weiß auch die schönen Einzelheiten nebenher aber nicht nebensächlich zu genießen. Vor allem hat jene reizende Trope: das Heimathland aller guten Dinge - mein Herz gar gründlich erfreut, und ich hätte Sie gern umarmt dafür.

     So leben Sie denn wohl, verehrter Freund, und seien nachsichtig mit meinem Bedürfniß, hin und wieder mein Herz in die Dinte zu schütten - ich habe hier Niemanden, gegen den ich einmal sfogare könnte, wie die Welschen sagen.

                                                Ihr WPetersen.

 


 

21. 4. 1881  Keller an Wilhelm Petersen

<ZB: Ms. GK 78a Nr. 15; GB 3.1, S. 379>

Zürich 21 April 81.

Mein lieber Herr und bester Freund!
 
Da Sie nicht nur die Fische des Meeres, sondern auch die Vögel der Luft gegen mich absenden, so muß ich den Vorsatz, an Sie zu schreiben, endlich zur That werden lassen. Seit Neujahr habe ich alles Briefschreiben in Privat- und Freundschaftssachen wieder einmal müssen liegen lassen, nicht weil ich nicht manche müßige Stunden und Tage dazu gefunden hätte, sondern weil gerade das Briefschreiben con amore mit dem Schriftstellern zu nah' verwandt ist, wenigstens wie ich dieses treibe, und daher ein Allotrion zu sein scheint, wenn die Setzer auf Manuskript lauern. Der eigentliche Müßiggang aber, bestehe er in Lektüre oder in irgend einer andern eigensinnigen heterogenen Uebung, trägt immer seine göttliche Berechtigung des Daseins "an sich" in sich. Und so scheut man sich, Briefe zu schreiben, indessen man sich nicht entblödet, plötzlich ein historisches Kapitel zu studiren oder ein par Tage zu zeichnen u d. gl.

     Also die zierlichen Kiebitz-Eier sind glücklich angekommen und in ihrer ganzen Schmackhaftigkeit verzehrt worden, nicht ohne einiges Mitgefühl | an den Hervorbringern, denen so räuberisch zu Nest gestiegen wird. Mit der Adresse meines herzlichen Dankes bin ich etwas verlegen; denn eine auf dem Kistchen haften gebliebene Adresse zeigt an, daß die Nordfrüchte rechtmäßig zuerst der Frau Gemahlin angehört haben. Ich kann nicht untersuchen, ob eine Gewaltthat in Form einer Besteuerung oder einer einfachen Wegnahme, Confiscation, oder eine Ueberredung, eine gütliche Transaktion stattgefunden hat, und bitte nur, meinen Dank nach dem Gebote Ihres Gewissens ausrichten und vertheilen zu wollen!

     Ihre und Freund Storms Weihnachtsfreuden habe ich voll Theilnahme aus der Ferne mitgethan; dergleichen scheint blühender und intensiver zu werden, je weiter hinauf es nach Norden geht, und der goldene Märchenzweig schimmert gar feierlich herüber, nur weiß ich nicht, auf welche Art die Lärchennadeln vergoldet sind. Ein bloßes Anwerfen von Goldschaum wird schwerlich genügen. Ihr Treiben mit den Kindern am Neujahrsmorgen hat mich wieder recht erbaut. Sie sammeln ihnen den schönsten Schatz von Erinnerungen, der fast nothwendig spät noch Früchte | tragen muß.

     Nun danke ich auch für die wohlwollende Aufnahme des retouchirten grün. Heinrich. Namentlich ist es mir lieb zu erfahren, daß Sie die neuen Einschaltungen im III Bande nicht mißbilligen, obschon der Zwiehan etwas gar zu gewaltsam und absichtlich allegorisch ist. Die kleine Episode der Hulda im IV Bande ist bei Leibe nicht erlebt; ich erfand sie plötzlich, um den Tag des Einzuges resp. das Abenteuer der Fahnenstangen besser abzurunden und fand damit ein nicht übles Motiv, das Niedersteigen in die untern Schichten der dunklen, anspruchlosen Arbeit nicht nur mit der Sicherheit des täglichen Stückes Brot, sondern auch mit dem Reize eines lockenden Sinnenglückes im Verborgenen scheinbar zu begründen. Daß das Mädchen dabei etwas zierlicher und liebenswürdiger ausfiel, als es in jenen Volksschichten der Fall zu sein pflegt, ist in einem Romane ja nur angemessen.

     Ihre Bedenken wegen der trüben Vorgänge mit der Mutter liegen mir nicht recht. Auf irgend eine Weise muß es doch traurig hergehen und einige Erschütterung hervorgerufen werden. Eine eigentliche Verschuldung durch den Tod der Mutter trifft den Sohn doch nicht, da es sich um die Erfüllung eines Erziehungs- | und Entwicklungsgeschickes handelt, an welchem Niemand schuld ist oder Alle. Diesen Tod verwindet Heinrich nach Jahren erst von dem Augenblick an, wo die Judith zurückkehrt und ihn freispricht als die personifizirte Natur selbst (sie scheint sich von der Wand des Berges abzulösen, aus derselben hervorzukommen). Damit nun aber nicht ein zu großes Gütlichthun und Wohlleben entstehe, entsagen die Beiden und es bleibt ein ernst gehaltener Stimmungston bestehen, welcher der Mutter im Grabe nicht weh' thut. Mit diesem Austrag hängt eben auch die Frage vom Geheimniß der Arbeit zusammen. Leider betrachten manche Kritiker jenes Kapitel lediglich für eine Schilderung trivialer Verbummelung, wie sie aus Unkunde den Irrthum im Kunstberufe als Darstellung ordinären Pfuscherthums auslegen. Brahm, der das Buch mit philologischem Apparate untersucht und das Gras darin wachsen hört, hat nicht einmal bemerkt, daß das Duell mit Lys nicht mehr bis zur Verwundung fortgeführt wird und Heinrich also nicht mit dem Tode des Freundes belastet ist. So nennt er auch das Verhältniß zur Judith am Schlusse ein unklares, dieß allerdings, weil er es wahrscheinlich nicht begreift. | So kommt man zum Murren über Rezensenten, die es sonst gut mit Einem meinen und in anderer Richtung unmäßiges Lob ausstreuen.

     Das artige Erlebniß bei dem sel. Emil Kuh hat mich wehmüthig gemacht, da ich ihn fast ganz vergessen habe. Woran das liegt, mag ich mir nicht auseinandersetzen, weil ich ihn persönlich nie gesehen habe und also ein Faktor fehlt. So viel ist gewiß, daß er ebenso gewaltthätig als unsicher in seinem Wesen war und zu denen gehörte, mit welchen es früher oder später etwas absetzt. So hätte ich ihm, wäre er am Leben geblieben, nach dem Erscheinen seines Hebbelbuches wahrscheinlich ein par harte Dinge gesagt, und die Herrlichkeit wäre vorbei gewesen.

     Ihre Aeußerungen wegen des pathologischen Zuges, der Ihnen eigen sei, berühren schmerzlich, weil Sie einen Zug, den Viele unbewußt haben, mehr fühlen als die andern. Mehr oder weniger traurig sind am Ende Alle, die über die Brotfrage hinaus noch etwas kennen und sind; aber wer wollte am Ende ohne diese stille Grundtrauer leben, ohne die es keine echte Freude gibt? Selbst wenn sie der Reflex eines körperlichen Leidens ist, kann sie eher vielleicht eine Wohlthat, als ein Uebel sein, eine Schutzwehr gegen triviale Ruchlosigkeit. |

     Was meine Buchstelle über das phantastisch typische Gestalt Annehmen betrifft, so besteht kein Zusammenhang mit den Landschaftserfindungen. Jenes bezieht sich nur auf den spielerischen zerstreuenden Trieb, allerlei Begriffe und disciplinarische Gegenstände in figürliche Gleichnisse umzuwandeln; die Landschafterei aber ist nichts anderes als die Stylfrage. Heinrich schlägt sich auf die Seite der sog. Gedankenmaler in der Landschaft, wie sie damals noch im Ansehen waren. Bei besserem Unterricht und mehr Mitteln zur Ausdauer würde er sich der Richtung der J. Anton Koch, der Lessing, Schirmer u. s. w. nicht ohne Glück angeschlossen haben: das soll eigentlich zwischen den Zeilen gesagt sein. Daß mit der Lebensnoth zugleich die Einsicht von dem Ueberlebtsein fraglicher Richtung eintritt, ist mit ein Stück von der harmlosen Tragik meines Tragelaphen, mit Göthe zu reden. (NB. Rottmann hatte sich schon zur stilvollen Realschönheit herausgearbeitet, Preller blieb mit seinen Odyssee Bildern bei der Richtung und führte sie veredelt doch noch zum Siege; zu meiner Zeit war er aber noch nicht anerkannt. Dies beiläufig.) Uebrigens ist diese ganze Spezialität ein Grundübel des Buches, weil sie ein zu abgelegenes Gebiet | ist und zu wenig Menschen interessiren kann.

     Ein Grund meines Zögerns lag in letzter Zeit auch in der Ungewißheit, ob Sie nicht schon nach dem Süden gereis't seien, da Sie letztes Jahr glaub' ich auch so früh fort sind. Vielleicht sind sie inzwischen jetzt schon ausgeflogen, in welchem Falle Sie mein Geschreibsel nach der Rückkehr vorfinden. Paul Heyse's neue Provençalen habe ich leider noch nicht gelesen und muß die Buchausgabe abwarten. Nur einige Eingänge habe ich auf unserm Lese-Museum schnell angesehen und mit Freuden gefunden, daß er den alten pompösen Ton für dergleichen romanische Stoffe anschlägt, der ihm immer so flott zur Verfügung stand. Sein Schaffenstrieb und Geschick ist unverwüstlich und steht in einem wunderbaren Contrast zu dem ununterbrochenen Klagen über die Nerven. Seine Weiber von Schorndorf hat er zu seinem Schaden etwas zu hoch gegriffen. Wären sie derber und bunter, so würden sie allerdings wirksamer sein. Daß Sie kein Verständniß dafür finden, erinnert mich daran, daß Ihr in euerem Norden | überhaupt kein Verständniß für die chronikalischen Schnurren unsers oberdeutschen Städtewesens zu haben scheint. Der Stoff dieser Weiber ist jedenfalls ein brillanter Lustspielstoff mit ernster Grundlage. Obigen Volkshumor betreffend mag die Sache darin liegen, daß im Norden die Reformation gründlicher mit jeder Fastnachtslaune aufgeräumt und ein etwas allzu pastorlicher Kirchenernst Platz gegriffen hat.

     Die Sinngedichtsnovellchen, deren Anfang Sie gelesen, gehen im Maiheft der Rundschau zu Ende. Ich bin jetzt an der Sammlung und Correktur meiner sämmtlichen lyrischen Sünden begriffen, ein bedenkliches Unterfangen; doch kann ich nicht mehr warten, sonst bring' ich nichts mehr zu Stande. Dann denke ich auf einen kleineren Roman, von dem ich aber noch nicht viel zu sagen weiß.

     Nochmals Dank also für alle Ihre Güte und Freundlichkeit und eine schöne Empfehlung an die verehrte beraubte Frau Regierungsrath.

                                                Ihr alter
                                                G. Keller

 


 

27. 8. 1881  Wilhelm Petersen an Keller

<ZB: Ms. GK 79f Nr. 102; GB 3.1, S. 383>

Schleswig 27. Aug 1881

Unser gemeinschaftlicher Freund war denn hier, als Zugvogel und ich hole nach, lieber Freund, was ich zum 19 Juli rückständig ließ. Gegen meinen Rath ließ er sich durch einen Münchener Bekannten bereden, in einem elenden Neste an der Ostsee sich niederzulassen. Ich benützte eine Reise nach Hamburg, um meine Rückreise über jenes Nest zu nehmen und fand denn den armen Paul in einem Zustande trüber Vereinsamung und elenden Unbehagens. Er war auch körperlich recht elend - eine Stunde Verkehr und man sah an der Müdigkeit der Züge, daß es nicht länger ginge und er sich niederlegen müsse. Ich bat ihn, den Aufenthalt zu wechseln, an die mächtige Nordsee zu gehen, aber er wollte noch 14 Tage aushalten. Kaum jedoch war ich zu Hause, so schrieb er, daß er abreise und mich aufsuchen werde. Freitag Abend spät kam er denn wirklich an, glücklich, daß er wieder unter fühlende Brüste kam und blieb bis Sonntag Nachmittag. So niedergeschlagen er in Haffkrug gewesen, so froh und lieb war er hier, beschäftigte sich viel mit den Kindern, plauderte mit meiner Frau. Sonnabend Mittag besuchte uns ein gemeinsamer Freund (Liliencron, Dirigent des großen biographischen Werks, welches in München erscheint - früher in München) | Da gab's Geschichten und Schnurren aus München und viel Lachens und Scherzens. Abends waren wir bei L., wo es auch recht heiter herging. Dazwischen Kunstpausen, während welcher Patient in sein Zimmer gethan wurde. Sonntag Nachmittag fuhren wir Alle mit ihm bis zur nächsten Station, und dann ging er dahin, wo die weißen Wolken und Vögel über weißen Sand und weiße Wogen dahinziehen. Eine Postkarte theilte inzwischen uns mit, daß es einstweilen auf Sylt ihm behagt und er einen großen Theil des Tages in dem Dünensand sich eingräbt. Es hat in diesen Tagen mehrfach sturmartig geweht und dann ist's herrlich auf der wunderbaren Düneninsel: Die Wogen donnern, der Boden bebt, der weiße Sand jagt durch die Lüfte, dazwischen kreischt das Vogelgesindel und der Strand füllt sich mit den Trümmern gescheiterter Schiffe. Auf Sylt wächst wunderbarer Weise eine der Gentianen, welche ein Kind der Alpen ist. Im weißen Sande wuchert die weißgrüne Stranddiestel und im Frühsommer die blaßrothe Dünenrose mit unermeßlich langen, flach sich hinziehenden Wurzeln, welche zahlreiche Blüthen über den weißen Sand hinaus treibt.

     Auf der Rückreise wird Storm besucht werden. | Hoffentlich werde ich dann auch nochmals mit Heyse zusammentreffen. Ihre Ohren müssen recht oft geklungen haben, weil wir Ihrer so oft gedacht und auf Ihr Wohl getrunken haben. H. hat Sie sehr lieb und wie es scheint den Menschen und den Poeten ziemlich gleichmäßig. Wenn wir irgendwie von Literarischem sprachen, stets kam schließlich die Rede auf Sie und das Ihrige und in dem Punkte waren wir uns immer einig. Nun bedenken Sie aber folgende Begebenheit: als wir Sonnabend Morgens beim Kaffee sitzen, bringt die Post ein Paket von Hertz in Berlin - Troubadour-Novellen von P. H., wundervoll ausgestattet, mit Goldschnitt sogar und - mir gewidmet. Meine Beschwerde, daß Andere weit größere Ansprüche auf eine solche Ehre hätten und wahrscheinlich die Sache sehr übel aufnehmen würden, fand die Entgegnung, daß ich ihn zu diesen Geschichten angeregt habe. Das ist wohl richtig, scheint mir aber doch kein genügender Grund zu sein. Ich bin natürlich sehr dankbar für diese schöne Gabe und das umsomehr, als ich immer der Meinung gewesen bin, daß H. diese Geschichten besonders gut gelingen, daß er eine ganz besondere Begabung gerade für dieses Genre hat.

     Ihren Brief an H. vom Juli (?) habe ich auch in Haffkrug gelesen und wir haben uns gemeinschaftlich des Inhalts gefreut. Die Geschichte von der ungebornen, endlosen Komödie | ist herrlich und für mich um so interessanter, als ich für die Phantastereien, die Sie mit Vorliebe einweben, sehr empfänglich bin und mich köstlich an denselben ergötze; so ist z B. die Komödie, die der Landvogt aufführt, eine ewige Quelle der Erheiterung für mich.

     Wie geht es denn Ihnen, lieber Freund? Ich bin froh, daß Sie noch auf Ihrem Luginsland hausen und hoffe, daß sich Mittel und Wege finden werden, um die kleinen Uebel, welche Ihnen eine andere Wohnung empfehlen, zu beseitigen oder zu mildern. Ich kenne ja nur den Frühling dort oben, möchte aber gern auch den Herbst und Winter, welche beide mir interessanter sind, dort oben einmal erleben. Wenn nur erst der Gotthard seinen dunklen Weg uns öffnete. Sie wollten ja noch einmal hinüber, bevor der schöne Weg dort oben verödet. Sie sollten Ernst machen und im Septbr. die Fahrt wagen. Welchen Eindruck wohl Hesperien auf Sie machen  würde. Man kann darüber im Voraus wenig sagen. Ich sah es zuerst als ich 28 Jahre alt war und seit meiner Kindheit es ersehnt hatte und meine Gefühle waren durchaus gemischt. Jetzt sind sie ungemischt, seitdem ich allmählich sehen gelernt habe. Wie steht es mit den Gedichten? Werden sie im Winter erscheinen? Meine Vorfreude wächst schon recht lange und ist nach und nach in eine Art von Begierde übergegangen. Ich schaue hin und wieder in die neue Lyrik einmal hinein, aber ich habe seit vielen Jahren nicht einen einzigen Vers gefunden, welcher mich wirklich erbaut hat. Wo ist überhaupt der junge Nachwuchs? Sollen wir denn ganz veröden, wenn einmal unsere wenigen Sänger, welche diesen Namen verdienen, verstummen? | Das möge der Himmel verhüten. Unsere Zeit bedarf so sehr eines frischen Windes aus dem Reiche des Geistes. Meine tägliche Arbeit an den Kindern geht darauf hinaus, sie zu lehren, daß der Mensch nicht vom Brode allein lebt. Das Uebrige muß sich dann finden. Leben Sie wohl und seien Sie von uns Allen herzlichst gegrüßt und freundlichst gebeten, auch Ihrer Jungfer Schwester meine besten Grüße zu bestellen.

                                                Ihr WPetersen.

Auf allen Bahnhöfen hängt jetzt eine bilderreiche Empfehlung des Uetli-Berges, welche mich stets an unsere Fahrt dort hinauf erinnert.

 


 

18. 11. 1881  Wilhelm Petersen an Keller

<ZB: Ms. GK 79f Nr. 105; Petersen, S. 191>

Schleswig 18 Novbr 1881.

Das Sinngedicht langte hier an, liebster Freund, während ich in Berlin war und meine Frau verkündete mir dorthin umgehend dies Ereigniß, weil sie weiß, daß es mich festlich stimmen würde. Ich finde nun, daß  Sie zu liebenswürdig gegen mich sind und winde mich etwas, weil ich nicht die rechte Form finde, Ihnen zu sagen, welche Freude mir diese Gabe gemacht hat. Sie müssen deshalb mit einem ganz einfachen herzlichen Danke vorlieb nehmen und mittelst Ihrer Kunde meiner Verehrung für den Meister und seine Werke das Uebrige suppliren. Ich habe auch Ihren Verleger, W. Hertz, kennen gelernt und eine lange interessante Unterhaltung mit ihm gepflogen. Ich hoffe, daß er noch manches Buch von Ihnen verlegt. Dort habe ich auch einen Einband ergattert, den ich noch erwarte, weil die vorhandenen Farben: Grau und Roth mir nicht paßten, ich vielmehr Braun für die entsprechende Farbe hielt. So wird das liebe Sinngedicht | denn bald hübsch eingekleidet werden, oder wenigstens so hübsch wie möglich, denn ganz besonders gefällt die Zeichnung mir nicht. H. hat mir recht wohl gefallen, was um so leichter war, als ich durch Heyse allerlei Gutes über ihn gehört hatte. Heyse sandte mir den Alkibiades und warf damit eine Perle vor eine Sau, denn mir geht leider das Verständniß für diese Art Stoffe gänzlich ab; meine Phantasie reicht nicht aus, um mir die nöthige Illusion zu geben. Es geht nur bei den Sachen, die mir alte Bekannte sind. Wenn es mir schmerzlich war, das zu bekennen, so konnte ich dann aber andererseits dem getheilten Herzen meinen warmen Beifall spenden. Solch ein Herzenspolytheismus ist mir vollkommen verständlich, ich habe ihn in der Praxis gründlich erprobt und stehe ganz auf dem Standpunkte Mirza Schaffy's: Mein Herz ist ganz der Sonne gleich u. s w. |

     Ich ging auf 8 Tage nach Berlin, um meine dortigen Beziehungen etwas aufzufrischen und nachzusehen, was die Kunst Neues geschaffen hatte. Leider war die Ausstellung eben geschlossen worden. Dagegen fand ich Einlaß in das neue Kunstgewerbe-Museum, welches am nächsten Montage eröffnet wird. Ein prächtiges Gebäude von einigermaßen origineller, geschmackvoller Architektur mit einem sehr achtbaren Inhalte, der durch die Gaben aus dem Kensington-Museum außerordentlich bereichert war. Viele Schaustücke ersten Ranges. Sie würden Ihre Freude dort haben.

     Sodann staunte ich über das kolossale Panorama des Sturmes auf St. Privat. (Gravelotte.). Man steht über der Ruine eines zerschossenen und niedergebrannten Hauses nebst zertretenem Garten, und sieht von dort aus ringsumher das Toben der Schlacht. Die wirklichen Steinmauern, Gebüsche u sw. gehen in gemalte über, körperliche Gestalten von Todten und Verwundeten liegen neben gemalten, aber Alles ist so täuschend inscenirt, | daß es unmöglich ist, die Grenze zwischen dem Körperlichen und Gemalten zu entdecken. Das Ganze ist eine Täuschung in geradezu unglaublicher Weise, mit fabelhafter künstlerischer Meisterschaft ausgeführt. Man sieht nicht etwa durch Glas, sondern die Gegend liegt meilenweit sichtbar um uns herum und der Schein der Wirklichkeit ist bis zum Äußersten durchgeführt. Wenn Sie von Zürich nach Berlin fahren, das Bild sehen und wieder zurückkehren, werden Sie nichts zu bereuen haben. Es ist eine geradezu unglaubliche Leistung. Vielleicht trug die günstige Beleuchtung, welche eben stattfand, als ich dort war, zur Vollendung der Wirkung bei. Sonst habe ich Neues, was mir imponirt hätte, nicht gesehen. Der vielbesprochene 200,000 M Rubens ist meines Erachtens um eine 0 zu theuer bezahlt.

     Ich möchte wünschen, daß auch Sie einmal wieder die Brandung der großen Welt vernehmen möchten. So sehr ich im Allgemeinen den Geschmack theile: laß Du die große Welt nur sausen, wir wollen hier im Stillen hausen, - so lebhaft erregt mich doch wieder jenes merkwürdige Getöne.

     Nochmals herzlichsten Dank. Vor Weihnachten werde ich wohl nicht zum rechten Genuß kommen, weil Montag eine mehrwöchige Vertretung für mich beginnt. Der Grüne liegt auch schon für Weihnachten zurecht. Möge der Winter Ihnen echtes und rechtes Behagen bringen. Herzliche Grüße auch Ihrer lieben Schwester.

                                                Ihr WPetersen.

 


 

21. 11. 1881  Keller an Wilhelm Petersen

<ZB: Ms. GK 78a Nr. 17; GB 3.1, S. 387>

Zürich 21 Nov 81.

Verehrter Freund! Jetzt wird Ihr geliebter Winter bald da sein, wo Sie mit den Kindern die Abenteuer in den Schneewald wieder aufnehmen können. Hier haben wir schon mehrere Wochen jeden Tag Nebel und Sonnenschein und warmes Wetter; ich selbst aber war lange von Katarrh und fliegenden Rheumatismen geplagt, so daß ich beinah ängstlich geworden wäre, da die alten Kerle bei solchen Gelegenheiten gern etwa eine tödtliche Lungenentzündung u. d. gl. erwischen. Allein gerade die sehen es ja nie kommen und wissen kaum, wie sie dazu gelangten, und so hat sich die Sache unversehens verzogen.

     Ihre Fischlein sind s. Zeit schönstens angelangt und wir danken Ihnen, die Schwester und ich, neuerdings herzlichst | für die unerschöpfliche Güte und Freundlichkeit. Ebenso danke ich nachträglich für die Berichte über Heyse's dortigen Aufenthalt. Ich mochte ihm die frohen Tage unter den wirthlichen und biederben Männern und Frauen des Nordens von Herzen gönnen. Leider scheint ihm der Sommer keine Erleichterung gebracht zu haben; wie es weiter werden soll, weiß ich nicht, wenn die Krankheit sich nicht endlich von selbst aus dem Staube macht, wie das ja zuweilen vorkommt. Seine Troubad. Novellen, denen Sie so würdig vorstehen, habe ich mit Wohlgefallen genossen.

     Dem Verleger meines neuen Büchleins in Berlin habe ich aufgetragen, Ihnen ein Exemplar zu senden. Wenn es eintrifft, so brauchen Sie allenfalls | nur das letzte Capitel nochmals anzusehen, welches eine Erweiterung erfahren hat.

     Bei den neulichen Nachrichten von der Wassernot in Schleswig-Holstein habe ich sogleich an Sie und Storm gedacht. Sie werden jedenfalls amtlich zu thun bekommen haben.

     In diesem Augenblicke werde ich durch Ihren willkommenen Brief unterbrochen, aus dem ich erfahre, daß Sie in Berlin gewesen sind. Herr Hertz, den Sie gesprochen, scheint ein rühriger Verleger zu sein, denn er hat bereits die zweite Auflage des Sinngedichts gedruckt, ehe die erste versendet war.

     Den Alkibiades habe ich auch gelesen und doch eine ergriffene Stimmung davon getragen. Die Liebesconflicte sind allerdings die Hauptsache darin, dafür aber zwei neue und famose Frauengestalten. Das getheilte Herz hat mir auch sehr gefallen; es ist eine sehr gute Novelle | in ihrer Art, obgleich ich für das Problem derselben nicht gerade schwärme. Indessen verstehe ich als "lediger Geist" davon nichts. Ich war immer nur einspännig und ausschließlich verliebt in jungen Jahren und kann durchaus nicht sagen, wie es gegangen wäre im Falle einer Verheirathung.

     Ob ich noch einmal Berlin besuche, weiß ich nicht, so sehr es lockt. Wenn man nur nicht das Handwerk dort grüßen müßte, welches zum Theil von einem albernen Weltstadtdünkel erfüllt ist, obgleich die Einzelnen die alten Kleinbürger sind, die sie vorher gewesen. Die Menge thut's eben nicht immer.

     Empfehlen Sie mich freundlich der Frau Gemahlin und leben Sie recht con amore, wenn die Geschäfte vorbei sind!

                                                Ihr getreuer
                                                G. Keller.

 


 

29. 4. 1884  Wilhelm Petersen an Keller

<ZB: Ms. GK 79f Nr. 119; Petersen/Keller, S. 253> 

Schleswig 29. 4. 1884.

Schon reichlich 8 Tage bin ich daheim und komme erst jetzt dazu, liebster und verehrter Freund, mich bei Ihnen zu melden. Aber Sie kennen ja das Beamtenleben und wissen, in welche Mühsale eine 5wöchige Abwesenheit hineinzwängt. Zuerst sage ich Ihnen meinen allerherzlichsten Dank für Ihre Freundlichkeit und Güte. Ich hätte Sie gern recht tüchtig umarmt und Ihnen allerlei Liebes gesagt, aber das ist ja nun einmal nicht unsere Art und es ist ja auch wohl besser so. Die latenten Gefühle, welche nicht zum Explodiren kommen, erhalten sich eine gewisse Keuschheit und Wärme, welche ihren besonderen Reiz hat. Ich werfe dabei einen Seitenblick auf Heinrich und Judith. Sodann habe ich Ihnen zu danken für die materiellen Gaben, die beiden Bücher und die beiden köstlichen Häubchen. Für letztere dankt die ganze Familie, welcher sie zu großer Freude gereicht haben. Für erstere zunächst ich allein. Die Legenden haben mir ihre Jugendfrische bewahrt und gewinnen womöglich | noch bei jeder erneuten Bekanntschaft. Den Daudet lese ich Abends im Bette, meist mit Vergnügen, denn einige der Sachen sind reizend und frisch.

     In München war ich 6 Tage, meist Abends bei Heyses und zweimal auch Mittags. Die lieben Menschen sind mir während der 12 Jahre unserer Bekanntschaft stets dieselben geblieben. Leider hatten Beide wieder zu klagen. An den von Ihnen in Aussicht gestellten Besuch schienen sie nicht recht glauben zu wollen. Ihre Grüße an Frau H. habe ich mit ganz besonderer Zierlichkeit ausgerichtet und sie wurden in gleicher Weise entgegengenommen. H. will also die Novelle ganz aufgeben, weil dieses Schreiben aus Einem Gusse ihn zu sehr angreift und sich ganz dem Drama widmen, welches er stückweise je nach Stimmung und Befinden arbeiten kann. So schmerzlich das für den Leser ist, so wäre ich schon damit einverstanden, wenn dadurch seine Gesundheit wiederhergestellt würde. Vor allen Dingen aber sind dramatische Erfolge nöthig und die wollen wir dem gemeinschaftlichen Freunde von ganzem Herzen wünschen. Wenn der Entschluß zur Ausführung gekommen, ist | H. gestern mit Frau, Tochter, Schwiegermutter und Schwägerin auf 3 Wochen nach Italien gereist.

     Storm schreibt mir 13 / 4 über die Freude, welche ihm ein Brief von Ihnen gemacht hat und daß er am folgenden Tage nach Hamburg, später nach Berlin gehe und erst in der 2ten Hälfte des Mai zurückkehre. Das wird ihn einmal gründlich auffrischen.

     In München verkehrte ich besonders mit einer Malergesellschaft, welche im Europäischen Hofe tagte und etwa 20 Mann hoch Sie als ihren Lieblingsdichter verehrte. Ich mußte dann allerlei von Ihnen erzählen und ich wurde mit besonderer Liebenswürdigkeit deswegen behandelt. Wir haben Ausflüge gemacht, gekegelt u. s. w.

     Den Gruß von Professor B. an Heyse habe ich bestellt, nachdem er sofort gefragt, ob ich dessen Bekanntschaft gemacht habe.

     Sämmtliche Gallerien habe ich gesehen, ferner Residenz, Erzgießerei und die meisten Kirchen. Wenn Sie nach München kommen und die kleine Johanniskirche in der Sendlingerstraße nicht kennen, lenken Sie Ihre Schritte zunächst dorthin. Solch ein Schatzkästlein habe ich noch nirgends gefunden. Sie ist erbaut von 2. Brüdern, Malern. Ich sehe sie immer mit neuer Freude. Auch die Amalienburg in Nymphenburg habe ich mit Entzücken wiedergesehen. |

     Mein Hauptquartier war in Brixen. Einige Tage war ich in Bozen und Meran (Palmarum) wo die Rosen zu blühen begannen. Endlich war ich in Augsburg und Leipzig je 1 Tag. Ueberall fand ich reichliche Augenweide.

     Ich hatte gehofft, daß Flörke eine passende Gesellschaft für Sie sein werde, fürchte aber, daß seine ganze Art Ihnen auf die Länge nicht behagen wird. Vielleicht ändert sich das ja aber noch wie ich hoffe.

     Für Ihren lieben Brief v. 22 v M., den ich zu Hause vorfand, danke ich bestens. Sie sehen, daß immer etwas Neues zu danken sich findet. Den Inhalt haben wir mündlich bereits verhandelt.

     Vor allen Dingen hoffe ich, daß Ihre liebe Schwester aus dem erwachenden Lenze neue Gesundheit schöpft. Sie hat in ihrer verschämten Art so liebenswürdig mich begrüßt, daß ich gern an diesen Augenblick zurückdenke. Nun sollten Sie Sich diesen Sommer zu einer Münchener Reise ernstlich aufraffen. Sie werden an all dem Schönen dort eine rechte Freude haben und Heyses werden Ihnen das Leben möglichst angenehm machen. Aber vergessen Sie mir die Johanniskirche nicht und verschaffen Sich einige Nachricht über ihre Entstehung, welche schon interessant ist. Auch die Amalienburg versäumen Sie nicht, man fährt mit Pferdebahn hinaus: die lieblichste Innendekoration, welche ich kenne. Zum Schlusse seien Sie herzlichst gegrüßt nebst der lieben Schwester und bestellen freundl. Grüße an Flörke, Prof. B, den Herrn Bildhauer u. s. w. In alter Verehrung
                             Ihr WPetersen.

  


 

6. 7. 1884  Wilhelm Petersen an Keller

<ZB: Ms. GK 79f Nr. 120; Petersen, S. 260> 

Schleswig 6. Juli 1884

Heute Morgen 6 Uhr, lieber Freund und verehrter Gönner, begleitete ich die Familie zum Bahnhofe, um einen Theil der Ferien auf einem Gute zuzubringen, wo die Kinder bei den ländlichen Arbeiten, bei Buttern, Käsen u. s. w. helfen (d. h. spielend), und mit Wonne die maßlosen Schnitten Roggenbrodes mit noch größern Schnitten Käse und gelber Butter belegt futtern und Milch nach Bedürfniß trinken. Diese Aufenthalte gehören in das System der Erziehung. Ich wanderte dann mit dem Gefühle der Verlassenheit in den Wald, lagerte mich auf der Höhe am Rande, wo ein kühlender Windhauch einzudringen Raum hatte, ließ die Augen über Wald und Wiesen, wogende Kornfelder und blaue Fernen schweifen und vertiefte mich dann in Gottfried Kellers sieben Legenden, welche mir für die derzeitige Lage der geeignetste Born der Erquickung schienen. Die Wahl war gut, denn am Mittage wanderte ich strahlend von guter Laune heim zum einsamen Mahle. Ich wollte nur etwa drei Legenden lesen und die übrigen für einen andern Tag des Bedürfnisses aufsparen, aber ich las alle sieben, | zwischen den einzelnen je eine kluge Pause einschiebend, während welcher ich auf die tirilirenden Lerchen draußen und auf die flötenden und trillernden Amseln und sonstiges Gesindel über mir horchte, die mich beschnuppernden jungen Mäuschen beobachtete, die Züricher Tage an mir vorüberziehen ließ und die Schattenrisse der zierlichen Halme, welche so verlockend auf mein Buch fielen, sorgältig zeichnete, daß sie wie echte Schatten aussahen, auch Ort und Datum hinzufügte zur Erinnerung an die schönen stillen Stunden. Welch köstliche Geschichten es sind! Ein echtes und rechtes Behagen bereiten sie dem Gemüthe. Bisweilen habe ich laut gelacht, daß die Vögel erschreckt davon stoben, auch ernstlich gerührt wurde ich, als ich Wonnebold mit seinen Söhnen in die Kapelle treten sah. Ich leide beim Lesen so oft an Unglauben indem die Gestalten nicht Fleisch und Blut gewinnen wollen trotz allen guten Willens - bei Ihren Geschichten ist mir das freilich nie geschehen - aber hier würde ich feierlichst beschwören, daß Alles genau so sich zugetragen hat, wie der fromme Erzähler berichtet.

     Am Nachmittage zog ich wieder in den Wald zu einem einsamen Fleckchen, wo ich die Musik einer Gartenmusik hören konnte | und nahm die Züricher Novellen vor und zog dann am Abend in schöner friedlicher Stimmung heim. So habe ich den ganzen, echten Hochsommer-Sonntag mit Ihnen, theurer Freund, verlebt. Was für bequeme Freunde doch die Poeten sind! Ich mußte denken an: Und legt ihr zwischen mich und sie, Auch Berg und Thal und Hügel, Gestrenge Herrn, ihr trennt uns nie, Das Lied, das Lied hat Flügel. Das paßt so ziemlich.

     Nun muß ich Ihnen noch herzlich danken für den schönen Brief v. 10 v M und den Zeitungsausschnitt. Ich freue mich, daß F. zu arbeiten beginnt. Wenn er häufiger mit Ihnen beisammen wäre, würde er auch in andern Dingen sich ändern. Die andere von Ihnen erwähnte kleine Kirche in München habe ich auch mehrfach besucht. Ich habe mir Notizen über die Entstehung der Johanniskirche gemacht, kann sie aber leider nicht finden.

     Von Storm hörte ich nichts seit meinem Besuche Ende Mai. Dagegen schrieb Heyse wiederholt, zuletzt sehr lustig, daß es ihm besonders gut gehe und er eben von einem tragischen Einakter leicht und glücklich entbunden worden.

     Ich bedaure immer, daß Sie keinen Verkehr | mit Kindern haben oder haben können. Er würde eine Quelle der Erfrischung und Erheiterung für Sie sein. Können Sie nicht ein Paar benachbarte, artige Rangen an Sich gewöhnen?

     Ich hoffe, daß Ihre liebe Schwester aus dem Sommer nun Erquickung und Kraft schöpft. Sie müssen Sie zuweilen hinausführen auf den See. An vermehrter Eßlust nach solcher Fahrt werden Sie am deutlichsten die heilsamen Folgen spüren.

     Meinen Rokokotisch habe ich vor 14 Tagen abgesandt. Die Malerei hat mir viel Mühe gemacht. Es ist etwas anderes, ein solches Stück von oben bis zu den Fußspitzen zu bemalen als bequem an einer Staffelei zu arbeiten. Auch konnte ich nicht blos kopiren, sondern mußte die Malerei vom Modell vielfach abweichen lassen, die Motive der Fayence-Platte entnehmend. Es will doch Alles gelernt sein.

 
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