Marie Frisch-Exner (1844-1925)

Home.php


 

Schwester von Kellers Freund Adolf Exner, 19.11.1874 Heirat mit Anton v. Frisch
Keller verbrachte zweimal seine Ferien bei Familie Exner; bedeutende Korrespondenz

Anzahl registrierte Briefe: 44 an, 33 von Keller


25.12.1879 Keller an Marie Frisch-Exner

<Privatbesitz; GB2, 270>

Zürich Weihnacht 1879

Verehrteste Frau Professorin!

Ich will diesmal Ihnen a tempo antworten, damit es überhaupt geschieht; denn seit einem Jahre habe ich einen förmlichen Briefbankerott gemacht und wickle mich nur langsam aus demselben heraus. Es würde vielleicht auch jetzt noch nicht besser, wenn die Briefe auf diese Art schließlich nicht auch ausblieben, d. h. die welche ich bekommen soll, und das würde mir nicht conveniren. Es ist daher artig von Ihnen, daß Sie mich dennoch mit einem Ihrer Schwalbenschwänze bedacht haben, wie Dilthey Ihre Briefchen nennt, und ich will das Beste versprechen, vorläufig Ihnen und Euch Allen anwünschen auf den Jahreswechsel. Dem Adolf will ich schreiben, sobald ich die Zeichnung fertig habe, die ich ihm versprochen. Einige Stunden werden sich wol endlich finden, sobald | ich den dämonischen Simpel, den grünen Heinrich, aus dem Hause habe, der mich seit einem Jahr bald melancholisch macht mit der Ueberarbeitung. Wenn ich auch so eine Menge Zeit verliere, so mag ich doch aus Gewissenhaftigkeit das Malzeug nicht hervorkramen, so lang eine veraccordirte Arbeit nicht fertig ist; es ist eine Marotte, aber es ist so; denn ich hätte dabei ein Dutzend Zeichnungen machen können.

Mit Vergnügen vernehme ich, daß Sie mit Mann u Kindern wohl auf sind. Zu demjenigen, was das Adolf'sche Paar aufgebracht hat, lasse ich nachträglich Glück wünschen; mein Segen bleibt ihm aufgehoben. Was mich betrifft, so habe ich einen schlechten Winter zu bestehen seit bald 4 Wochen, da unsere Wohnung bei der ungewöhnlichen Kälte, zum ersten Mal seit 5 Jahren, sich als untraitabel erweist und zudem die bewußte Schwester von Sorrent glauben würde, die Welt ginge unter, wenn wir | das schöne Holz, das im Sommer schon zu diesem Behuf zugefahren wurde, jetzt wirklich aufbrauchen würden. Dafür ist ihr ein Fäßchen Sauerkraut, das sie im Herbste eingemacht hat, zu Grunde gegangen, was sie gestern entdeckte, als sie in den Keller ging, um auf heute am Weihnachtstag zum ersten Mal davon zu kochen. Es sei ganz schwarz, sagte sie, und nicht zu brauchen. Ich rieth ihr, es im Sommer auf die Bleiche zu geben, vielleicht könne man es spinnen und
nachher weben!

Ich danke, wenn auch nach Jahresfrist, noch schönstens für das zierliche Kalenderchen und die Briefe von dazumal. Vielleicht läßt sich wiedereinmal ein Aufenthalt im Gebirge verabreden. Wenn nur das Regenwetter nicht wäre. Jedenfalls komme ich wieder einst nach Wien, wobei aber die Logierfrage zum Voraus nicht in Betracht kommen soll. |

Was macht auch der Herr Hofrath Mozart? Ich denke, Sie werden ihn jetzt auch rasiren, nachdem Sie ihn sonst so hübsch frisirt haben? Ich möchte sehen, wie sie ihn einseifen und dabei die Buben in Ordnung halten! Und die graziösen Bewegungen, wenn Sie das Messer abziehen!

Sempers Tod wird Euch auch betrübt haben; ich kann mich jetzt noch nicht recht darein finden, wenn ich daran denke, wie oft er Einem so unbefangen und anspruchslos nahe gewesen ist, inmitten einer aufgeblasenen Welt.

Leben Sie, versehen mit meinen besten Wünschen, sammt Haus u Hof wohl und glücklich in's neue Jahr hinüber und behalten Sie die wohlwollende Gesinnung gegen Ihren alten

G. Keller.

  

Home       Keller Seite       HKKA