Ida Freiligrath (1817-1899)

Editorial


 

Gattin von Ferdinand Freiligrath, mit Keller befreundet seit Freiligraths Zürcher Aufenthalt 1845/46; Briefwechsel seit 1877

Anzahl registrierte Briefe: 21 an, 13 von Keller (34 ZB Zürich)


 

19. 1. 1878  Keller an Ida Freiligrath

<ZB: Ms. GK 78d Nr. 3/2; GB 2, S. 348>

Enge-Zürich 19 Januar 1878.

Hochverehrte Frau Freiligrath!
 
Die Colossalbüste Ferdinands, welche eben in die Gießerei abgeht (sofern ich richtig gelesen) fällt mir mit ihrem ganzen zukünftigen Gewicht aufs Herz, weil ich Ihnen und Ihrer liebenswürdigen Fräulein Schwester so lange nicht geantwortet. Seit den Tagen vor Weihnachten bis jetzt trage ich mich mit einem halben Dutzend Briefschulden, die abzuzahlen mir eine Freude ist, und doch geschieht gar nichts, was wenigstens unpartheiisch ist. Indessen ist es heute wieder einmal Sonnenschein auf dem See, der mir ins Fenster leuchtet, und so ist jetzt plötzlich ein Anfang geschehen.

     Beiliegende Bändchen hatte ich schon in Ihrem Besitze vermuthet aus einer Anzahl von Exemplaren, welche ich durch Hrn. Weibert direkt wünschte versenden zu lassen; da sich die Sache, wie es scheint, verzögert hat, so bitte ich Sie, | dieselben aus meiner eigenhändigen Verpackung huldvollst und nachsichtig entgegen nehmen zu wollen; denn ich kann nicht verbürgen, daß das Paketlein geschickt und faltenlos ausfallen wird.

     Sofern Sie das neue Jahr gut und gesund angetreten und bis jetzt gelebt haben, wünsche ich Ihnen herzlichst Glück dazu und Fortsetzung dieser Lebensart. Vorzüglich wünsche ich Ihren Augen alle stärkenden Sehenswürdigkeiten und Erfreulichkeiten und Fernhaltung alles Schäbigen und Schädlichen, wie z. B. des schrecklichen Grünen Heinrich, der jetzt eben in der Mauser begriffen ist und sich abmüht, etwas präsentabler und begreiflicher zu werden.

     Es hat mich Alles durcheinander gefreut und beschämt, was Sie mir darüber geschrieben, obgleich das Schlimmste, das Sie so geärgert hat, auf einer inneren Verstockung beruht, die vom Autor ausgegangen war und nicht zum richtigen Ausdruck gelangen konnte. Ein Hochzeitsroman | hat es von Anfang an nicht werden sollen, und als dann das eigentliche Componiren gegen den Schluß angehen mußte, war ich mit dem Kopfe nicht mehr dabei. So mußte dann die mütterliche Tragik in allerhand Uebertreibungen aushelfen. Selbst erlebte Empfindungen waren dabei im Spiele; denn ich hatte beinah ein Jahr lang nicht nach Hause geschrieben und glaubte zuweilen es nicht erleben zu können, heimzukehren. Nun, mein Mütterchen ist nachher zufrieden bei mir auf der Zürcher Staatskanzlei gestorben, was ihr in unsern Verhältnissen sogar stattlich vorkam. Ich vermuthe sogar, daß sie die Schwester mir heimlich zum Terrorisiren abgerichtet hat, da sie zuweilen so störrisch ist, wie nur Leute sind, die in Folge höherer Instruktionen handeln. Da Sie aber einem ähnlichen Drucke geduldig nachzugeben behaupten, | so wollen wir es in Gottes Namen gut sein lassen.

     Ihre Unterschrift I. F. bringt mich so eben auf die Vermuthung, die freilich falsch sein kann, daß Sie selbst neulich einen Artikel, der in der "Gegenwart" erschien, geschrieben haben; jedenfalls hat er mich höchlich interessirt. Irre ich mich, so nehmen Sie es nicht so übel, wie die "erlauchte Wittwe", die ja natürlich figürlich gemeint war; denn daß Sie den gräflichen Rang nicht führen, wußte ich wohl. Aber was kann ich dafür, daß Sie mir immer einen so imposanten Eindruck gemacht haben u. s. w.

                                               Ihr mit vielen Grüßen
                                               verharrender G. Keller

     


 

5. 2. 1878  Ida Freiligrath an Keller

<ZB: Ms. GK 79b Nr. 12; unveröffentlicht>

Cannstatt den 5ten Febr. 78

Hochverehrter, lieber Herr Keller,
 
Wenn wir (nicht wir von Gottes Gnaden sondern meine Schwester u. ich) uns auch heimlich zu unsrer Klugheit, die wir freilich unbewußt begangen haben, u. die uns Ihre Zürcher Novellen doppelt eingetragen hat, gratuliren, so fühle ich doch auch einigermaßen Gewissensbisse daß ich Ihnen nicht eher für das sehr werthe u. willkommne Geschenk gedankt, u. somit den unschuldigen H. Weibert in den Verdacht der Unpünctlichkeit gebracht habe. Von diesem muß ich ihn in Ihren Augen ganz reinigen, denn er schickte mir die Bücher gleich nach dem Erscheinen, was ich Ihnen freilich gleich dankbar hätte anzeigen sollen. Ich wollte die Novellen aber gern erst lesen, u. dazu bedarf es bei mir immer einiger Zeit, u. ich habe ganz besonders günstige Momente abzuwarten, sowohl was meine Augen als meine Seelenstimmung angeht, wenn ich etwas lesen will: Meine Schwester | lies't mir ganze Abende hindurch vor, u. so gut das von ihr ist, u. so dankbar ich ihr dafür bin, so ist es mir doch manchmal ein großer Genuß selbst zu lesen. Ihre neuen Novellen haben uns nun die größte Freude gemacht, u. wenn ich Ihnen Alles vorzählen wollte, was mich darin ergötzt u. entzückt hat, so könnte ich Bogen damit füllen, u. möchte es auch gern, selbst auf die Gefahr hin Ihnen anmaßend zu scheinen, denn an Lob u. Anerkennung von den Ersten u. Berufensten kann u. wird es Ihnen nicht fehlen. Hat man je etwas Heitereres u. Liebenswürdigeres, Sonnigeres gelesen, als das Fähnlein der sieben Aufrechten, mit den Prachtmenschen der ältern Generation u. den edeln schönen u. klugen, der jüngern? Das ist ein wahrer Genuß, u. ich möchte von Ihren Erzählungen sagen sie seien wie Sie die Ursula schildern: gut wie das tägliche Brod, frisch wie sprudelnder Quell, u. rein wie die Luft Ihrer Berge. - Die Ursula ist auch herrlich, u. hebt sich von dem meisterhaft gehandhabten historischen Hintergrund, mit ihren schlichten kernigen Naturen, deren Ehrlichkeit, Treue u. Liebe über Unglück, Irrwahn u. Wahnsinn den Sieg davon tragen, ganz plastisch ab. Ich wünsche Ihnen von | Herzen Glück zu diesen neuen, so überaus gelungenen Schöpfungen. Die Schweiz darf wohl stolz sein, auf ihren Dichter, so wie die deutsche Literatur überhaupt; allein die Schweiz muß besonders dankbar sein für die Liebe u. Hingabe an ihre Natur, ihre Menschen, ihre Staatseinrichtungen alt u. neu, wie sie Ihnen in jedem Worte entströmen. Ich hoffe sie ist es auch, u. weiß was sie an Ihnen hat.

     Was Sie mir noch über den grünen Heinrich sagen, war mir sehr interessant. Daß er nicht auf einen Hochzeitsroman angelegt war, weiß ich wohl. Sie wollten den Bildungsgang eines begabten Menschen, eines Künstlers, schildern, wie es Goethe in seinem Wilhelm Meister gethan, u. wie es Stifter in seinem Nachsommer versucht. Ich wage das Kühne auszusprechen, daß mir Ihr gr. H. in vieler Beziehung lieber ist wie Wilh. Meister, ohne diesen darum verkleinern zu wollen, namentlich in seinen lyrischen seinen Mignon Parthien, die ja von unerreichbarer Poesie u. Lieblichkeit sind. Aber darum eben, wollte mir der dritte Band nicht überall zusagen, besonders wo der zweite so plastisch abschließt. Ich bin nun sehr begierig, was Sie daran | ändern werden. Es ist meist eine mißliche Sache um das Verändern älterer poetischer Schöpfungen. Sie sind wie unsre Thaten, ungeschehen lassen sie sich nicht machen. Ferdinand äußerte sich auch einmal in dem Sinne über Moerike's Maler Nolten. Herzlich habe ich mich aber gefreut, daß Ihr Mütterchen Ihren Ruhm u. Ihr Ansehn unter den Bürgern des Staats erlebt hat, u. zufrieden bei Ihnen gestorben ist. Das muß Ihnen eine recht glückliche Erinnerung sein.

     Ferdinands Büste wird nächste Woche nach Braunschweig zum Gießen kommen. Sie ist ganz herrlich geworden; der Prof. Donndorf mußte wie ein Engel vom Himmel nach Stuttgart geschickt werden, um sie zu machen. Es ist ein wahres Kunstwerk, ein bedeutendes Menschenantlitz was man nie gesehen, so zu reproduziren. Der Artikel den Sie freundlich erwähnen, war von mir, hätte aber keine Unterschrift, auch keine Initialen haben dürfen; er war nicht darnach gehalten. Das war eine Eigenmächtigkeit der Redaction.

     Und nun dunkelt es u. ich sehe wirklich nichts mehr, denn ein Besuch aus Stuttgt. hat mir das wenige Tageslicht geraubt, u. der Brief u. unser Dank soll doch heute fort, befiehlt | die Despotin Maria. Dank auch für Ihre guten Wünsche wegen meiner Augen. Es ist wenigstens recht lieb von Ihnen mich so treu mit Ihren Wünschen zu begleiten. Ich denke an Ihren "Dichtersegen" den ich nie ohne Rührung lese.

     Und nun auch noch freundlichsten Dank für die neue gute Photographie, so wie für alles Gute u. Liebe mit welchem Sie uns so sehr erfreut haben.

                                               Freundschaftlich u. verehrungsvoll
                                               Ihre ergebne
                                               Ida Freiligrath.

P. S. Auch einen schönen Gruß der lieben Schwester.

     


 

9. 8. 1885  Keller an Ida Freiligrath

<ZB: Ms. GK 78d Nr. 3/11; GB 2, S. 366>

Zürich,9. Aug.1885

Verehrte Frau Freiligrath!
 
Obgleich Sie wieder schöne feurige Kohlen auf mein Haupt gelegt haben, fangen dieselben doch erst jetzt an, mich so zu brennen, daß sie bereits ein kleines Loch in meinen herrlichen Strohhut gebohrt haben. Das Haar auf dem Schädel dagegen ist seit dem letzten Jahr um weitere 2-3 Quadratzoll weggesengt und ich muß nun ein Ende machen.

     Ihre lieben Bleistiftbriefe machen mir jedesmal so große Freude, und doch lehnt sich immer das Gewissen dagegen auf, Ihr Augenlicht so reichlich in Anspruch zu nehmen. Und nun fügen Sie noch die Arbeit Ihrer Hände hinzu! Wir wollen mit herzlichem Danke die erwiesene Ehre und Liebe annehmen, die Schwester und ich, jene, welche mit dem schönen Tuche sich schmücken und wärmen | wird, sobald der Herbst kommt, und ich, dessen Ruhesessel eine elegante Zierde gewonnen hat. Allein, verehrteste Freundin, lassen Sie es mit der diesmaligen Güte bewandt sein! Sie haben in Ihrem glücklichen Familienkreise so viel Gelegenheit und Anlaß, Fleiß und Mühe Ihrer älteren Tage an Mann zu bringen, daß Sie den Rayon nicht noch auf so große Entfernungen ausdehnen dürfen.

     Ihre gütigen Geburtstagswünsche erwidere ich mit den besten Glückswünschen für die jetzige Sommerreise und den Aufenthalt bei den Kindern in England, und ich freue mich, daß es Ihnen, als der Ueberlebenden, vergönnt ist, die alte Fahrt, welche einst mehr als einmal mit so verschiedenen Schicksalswendungen und Gemüthsbewegungen gemacht wurde, jetzt in so heiterer Ruhe und guter Obhut fort und fort | zu wiederholen.

     Was mich betrifft, so hätte ich dies Jahr so wie so nicht rheinabwärts fahren können, weil ich im Winter und Frühjahr nicht viel gethan habe und nun im Sommer aushalten muß, um endlich mit einem Romane fertig zu werden, an dem ich schon lang mit wenig Tinteverlust herumboßle. Meine Verlagsverhältnisse haben sich allerdings verschoben. Was Herrn Weiberts Herz bei Ihnen hierüber ausschütten konnte, ist mir ganz unbekannt. Für mich steht die Sache einfach so. Als vor einigen Jahren mein Buch "Sinngedicht" in der deutschen Rundschau angekündigt war, schrieb mir sofort der Berliner Buchhändler Herz und wünschte das Buch zu verlegen. Ich sagte zu für den Fall, daß Weibert nicht darauf reflectire. Hierauf erschienen die betreffenden Novellen während fünf wohlgezählten Monaten in der Rundschau, ohne daß Hr. Weibert, der sich | um alle früheren Sachen von sich aus beworben hatte, auch nur mit einem Worte erwähnte, daß er die neuen Novellen bemerkt habe. Darauf schloß ich natürlich mit Herz ab. So ging es auch mit den Gedichten. Schon vor 10 Jahren hatte er einmal geäußert, ob ich nicht meine Gedichte sammeln wolle? kam aber nie mehr auf die Sache zurück. Als es nun mit dem Sinngedicht so gegangen war und Herz abermals auch die Gedichte, von denen er gehört, verlangte, gab ich sie natürlich auch. In den letzten drei Jahren mußte Weibert von allen meinen Sachen neue Auflagen machen. Plötzlich, ohne mir vorher ein Wort zu sagen, bot er das Verlagsrecht mit allen Vorräthen dem Berliner an, der schloß sofort das Geschäft ab, ohne daß ich ein Wort dazu zu sagen hatte - und nun hat der Herr, der gegen mich vollkommen den Stockfisch machte, ein Herz auszuschütten! |

     Was Sie mir von dem Artikel in der Didaskalia melden, intriguirt mich einigermaßen. Ich habe denselben auf unser'm Museum gesucht; aber die betreffende Nummer war schon verschwunden. Wer nach 35 Jahren noch über jenen kurzen Aufenthalt in Düsseldorf, als Ferdinand mich von Cölln dahin begleitete, schreiben mag, weiß Gott! Von einer Geburtstagfeier Hasenclevers weiß ich gar nichts mehr. Derselbe befand sich allerdings in einer Gesellschaft verschiedener Herren, die während 2-3 Tagen in Gasthöfen und Gesellschaftslocalen herum dinirten und viel Maitrank, Champagner etc. vertilgten, ohne daß besondere Tollheiten vorfielen, ausgenommen den ersten Abend, als in einem Musik- oder Gesangvereine an der Wand hängende Zilinderhüte verarbeitet wurden, | wobei ich nach einer dunkeln Erinnerung mich wacker betheiligte. Wenn man alt wird und sich an der Oeffentlichkeit herumtreiben muß, so ist es ein Uebel, daß einem dergleichen versteckte Legendenmacher nachschleichen, noch ehe man das Zeitliche gesegnet hat. Es ist auf diese Art schon wiederholt über mich gelogen worden.

     Der Fräulein Schwester hatte ich am Morgen des 19 Juli telegraphirt und gleich darauf geschrieben. Nun ist es auch schon wieder drei Wochen her und ich muß schließen, damit diese Zeilen Sie sicher auf Forest Hill bei den l. Ihrigen und ihren Bienen finden!

     Leben und kehren Sie dann glücklich an den Rhein zurück!

                                               Ihr dankbar ergebener
                                               G. Keller.

Meine Schwester bittet, herzlich zu grüßen und dankt 1000 mal.

 

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