Conrad Ferdinand Meyer
(1825-1898)

Editorial


 

Dichterkollege von Keller, in Korrespondenz mit ihm seit 1876

Anzahl registrierte Briefe: 32 an, 22 von Keller (51 ZB Zürich)


 

12. 2. 1877  Conrad Ferdinand Meyer an Keller

<ZB: Ms. GK 79e Nr. 100; GB 3.1, S. 318>

Hochgeehrter Herr,
 
ich kann es nicht lassen, Ihnen wenigstens mit einer Zeile meine Bewunderung Ihrer Züricher-Novellen zu bezeugen, deren letzte - wenn man den Theil eines Ganzen loben darf - mich tief ergriffen hat. Auch ich wüßte, die Art des Eindruckes auf | den Leser u. die Mischung nicht nur des Tragischen u. Komischen, sondern überhaupt Ihrer poëtischen Kräfte erwägend, keinen sich ungesuchter bietenden Vergleichungspunkt als den Humor u. die Tragik des grossen Britten. Das ist viel gesagt, aber es ist nicht anders.

     Für den Schreiber dieser Zeilen ist es ein wahres Glück, das er zu schätzen weiss, u: ein grosses Element der | Bildung, die poet: Kraft eines Zeitgenossen - u. eines Landsmannes dazu - mit aufrichtigem Herzen bewundern zu dürfen.

     Noch ein Wort. Die (pag 171 der Rundschau) - im Grund so mild gegebene Lehre - oder wie man es nennen will, kann, bei wem dieselbe verstanden wird, gute Früchte bringen

          12 Febr. 1877

                                  Ihr
                                  cfmeyer

  


 

13. 2. 1877  Keller an Conrad Ferdinand Meyer

<ZB: CFM 336.31 Nr. 2; GB 3.1, S. 319>

                                            Zürich-Enge
                                           13 II 77.

Ich will mich wohl hüten, hochgeehrter Herr, Ihre freundlichen Zeilen über die letzte Rundschaunovelle abzulehnen, da ich gerade wegen dieser resp. ihrer Magerkeit und Stofflosigkeit in Sorgen stehe, namentlich bei ihrer Isolirtheit in dem dicken Revuehefte. Nun bin ich durch Ihre Aeußerung wenigstens des gröbsten Kummers, daß die kleine Arabeske geradezu als trivial und leer erscheinen könnte, in etwas enthoben und ich danke Ihnen herzlichst für Ihren Zuspruch.

     Das tertium comparationis in dem Heyse'schen Sonett mit dem bewußten Britten, so relativ es auch nur gemeint sein kann, müssen Sie nicht mir auf's Kerbholz schneiden, sonst würde ich den Schaden doppelt empfinden, den Einem solch' unbedachte Gutthaten zufügen können.

     Jedenfalls ist es kaum gefährlicher gemeint, als seinerzeit die Benennung Gotthelfs als Shakespeare des Dorfes durch Vilmar, welche Charge die Bäume des tapfern Berners auch nicht in den Himmel wachsen ließ |

     Dr Wille sagte mir, daß Sie einen Wohnsitz auf der Höhe von Kilchberg erworben hätten, wozu ich schönstens Glück wünsche. In Küsnacht haben Sie zwar die hübsche Abendseite mit dem verkürzten Uto gehabt. Künftig haben Sie aber das ganze rechte Ufer als ausgedehnten Lichtfang.

                                  Ihr ergeb. G. Keller

  


 

23. 12. 1877  Conrad Ferdinand Meyer an Keller

<ZB: Ms. GK 79e Nr. 101; Meyer/Keller S. 30>

Kilchberg 23 Dec 1877.

Mein verehrter Herr u: Freund,
 
Ihre Zusendg macht mir eine unbeschreibliche Freude u: hat mich, wie oft das Liebe u. Gute, vollständig überrascht. Ich betrachte dieselbe als eine sehr grosse Auszeichng u - Ermutigung. Das klingt etwas feierlich, etwas sentimental, ist aber der aufrichtige, | also der richtige Ton. Hernach der Genuss.

     Mögen Sie noch Schönes u: Schönstes schaffen! Hierin ist Alles enthalten, was ich Ihnen wünschen kann.

                                               Ihr
                                               cfm.

  


 

29. 9. 1879  Conrad Ferdinand Meyer an Keller

<ZB: Ms. GK 79e Nr. 111 ; GB 3.1, S. 325>

29 < face="Arial, Helvetica, sans-serif">Sept. 1879.
< face="Arial, Helvetica, sans-serif">hôtel Krone. Pontresina.
(dictirt.)

Geehrter Herr und Freund,

Eben erhalte ich hier, wo mich ein Armbruch, den mir letzten Dinstag ein Sturz mit dem Wagen zugezogen, in Zimmer und Bett hält, das Heller’sche Circular.

     Ich hoffe, Sie nehmen meine darin angeführte Äußerung, die ich allerdings so oder ähnlich gethan habe, nicht schief. Sie geschah in aller Harmlosigkeit! Da ich selber Heller mit ein paar schon gedruckten und nur leicht retouchirten Sachen befriedigte, setzte ich voraus, daß auch Sie ihm den Abdruck Ihrer schönen Gedichte in der Rundschau ohne | Mißgefühl ge­statten würden.

     Hätt’ es mich doch selber gefreut, dieselben zu aller Lust und Ergötzen in einer schweizerischen Sammlung zu finden!

     Habe ich aber darin gefehlt, so büße ich diese Sünde nebst meinen andern, hier beim schönsten Wetter auf dem Rücken liegend und meiner Heimkehr ungewiß, in ausgiebiger Weise.

     Die ganze Heller’sche Geschichte macht mir den Eindruck, er habe für seine jugendliche Aufgeblasenheit eine Lektion verdient, aber dieselbe | auch derb und voll erhalten.

     Möge es mir so gut werden, vor Jahresschluß – wenn auch den Arm in der Schlinge – noch ein Stündchen mit Ihnen zu verplaudern!

                                               In Treuen
                                               Ihr
                                               C. F. Meyer.


 

18. 2. 1880  Keller an Conrad Ferdinand Meyer

<ZB: CFM 336.31 Nr. 6; Meyer/Keller, S. 98>

Enge 18 II 1880

Verehrter Herr Doctor (um Ihnen gleich eingänglich zu gratuliren!)

     Es ist mir sehr leid, daß ich gestern Ihren freundl. Besuch verfehlt habe, und noch leider, daß Sie noch immer wegen der Heller’schen Sache beunruhigt sind. Ich hatte s. Z. versäumt, Ihre Zeilen aus Pontresina zu beantworten, weil ich das betreffende Circular nicht gesehen u also nicht wußte, was darin steht. Indessen war ja Ihre Hinweisung auf jene schon gedruckten Gedichte in keinem Fall etwas zum Uebelnehmen, was mir auch nicht einfiel. |

     Auch die notorischen Lügen und die beleidigende Aufdringlichkeit des jungen Menschen, die der letzten Phase vorausgegangen, sind ohne mein Wissen u Zuthun publik geworden. Was die Sache an sich betrifft, so lasse ich mich einmal nicht von jedem unerzogenen und rohen Gesellen, der noch nichts geleistet, in’s literarische Schleppthau nehmen, und wenn Faiseur- und Intriguenwesen, die sonst mit Jugend und Poesie nicht verbunden zu sein pflegen, sich dafür ausgeben, so werden sie mir doppelt zuwider.

     Man hat sonst genug Störung durch alle die Velleitäten und Lumpen­interessen der alten Intriganten, die Einem das bischen Leben verderben. |

     Doch genug des Gepolters! Lassen Sie sich, lieber Herr, also ja nicht mehr durch die Idee beunruhigen, daß ich wegen der Heller’schen Geschichte Ihnen etwas zugerechnet hätte, was an sich übrigens ja höchst harmloser Natur wäre u wenig zu sagen hätte.

     Eigentlich aber wollen wir jetzt lieber dem Frühling aufpassen, der endlich über den Glärnisch herabzusteigen scheint. Hiezu wünsch’ ich Ihnen die beste Disposition.

                                               Ihr ergeb. G. Keller


 

13. 4. 1880  Keller an Conrad Ferdinand Meyer

<ZB: CFM 336.31 Nr. 7; GB 3.1, S. 327>

Enge 13. IV. 80.


Meinen herzlichen Dank, Verehrter Herr u Freund, für den "Heiligen", der mit seiner Glorie bei mir eingezogen ist, um seine Räthselhaftigkeit noch weiter zu tragiren.

     Ihre Unzufriedenheit mit dem Erreichten kann ich mir nicht zurechtlegen, es müßte denn die Unmöglichkeit betreffen, einen nach bisheriger Ansicht großen histor. Romanstoff (oder auch Dramenstoff) in einer Novelle auszubreiten. Allein die Zeit der dicken Bücher geht vorüber auch auf diesem Gebiet, sobald die Leute erst einmal merken, daß Jeder, der eine Mehrzahl beleibter Romane in die Welt stellt, an seinem Selbstmorde arbeitet, und wenn jene noch so gut geschrieben
sind. |

     In der Form der einbändigen histor. poet. Erzählung oder Novelle haben Sie nun ein treffliches Mittel gefunden, wieder ein eigentliches Kunstwerk herzustellen und einen Stil zu ermöglichen, nachdem der Ballast der bloßen Spannung, Beschreibung u Dialogisirung, der die Dreibänder zu füllen pflegt, über Bord geworfen ist.

     Die Krankheit des Adolf Frey scheint sich doch länger hinzuziehen, als nach den Berichten anzunehmen war. Möge ihm das Berliner Sommersemester doch noch gerettet bleiben.

Ihr Gottfr. Keller

  


 

24. 4. 1881  Conrad Ferdinand Meyer an Keller

<ZB: Ms. GK 79e Nr. 116; GB 3.1, S. 328>

Kilchberg, 24 Apr. 1881.

Verehrter Herr,
 
jetzt da die Linien des "Sinngedichtes" sich zu schließen beginnen, darf ich Ihnen berichten, wie sehr ich mich daran ergötze? Derart daß wo sich ein Bedenken meldet, dasselbe ohne weiters von diesem langsamen u: gewaltigen Erzählen und Entwickeln überwältigt u: erdrückt wird.

     Obenan "Regine", darüber ist kein Wort zu verlieren. | Die Gespenstergeschichte gibt zu lachen u: zu denken. Der Gerichtsact des Vorüberschleppens in der "Baronin" wird durch das Barocke gemildert. Und schließlich Don Salvador mit seinem astrologischen Mantel und sonstigen Eigenschaften, der "einen Stuhl" heiratet, wenn ich recht berichtet bin! Der Rahmen reich u: schwer. Unwahrscheinlichkeiten im Détail (- die man übrigens - so oder so - jedem Poeten, auch | dem größten, vor- oder zugeben muß u: es so gerne thut, wenn man - wie bei Ihnen - durch ein so intenses Vergnügen entschädigt wird) - Unwahrscheinlichkeiten im Détail werden durch das Substantielle des Ganzen quasi aufgehoben. Kaum sagt ein "gebildetes" Mädchen: "Den Teufel hoffst du!" aber wer möchte das entbehren?

     Genug geplaudert, es musste aber doch mit einer Zeile gesagt sein.
                                               Wahrhaft ergeben
                                               cfmeyer

  


 

1. 5. 1881  Keller an Conrad Ferdinand Meyer

< ZB: CFM 336.31 Nr. 8; GB 3.1, S. 328>

Enge 1 Mai 1881.

Verehrter Herr.
 
Es ist sehr freundlich von Ihnen, mir mit einem aufmunternden Handwink beizuspringen in meiner Noth, da ich mit dem Orgelkasten und dem Affen auf dem Markte stehe. Möge Ihnen gleiches Labsal werden, wenn Sie demnächst, wie zu hoffen, mit einem Löwen oder Adler im Käficht aufziehen werden.

     Der Schluß des Rahmens, welchen Sie im Maiheft finden, ist noch lückenhaft; eine Episode, welche das Wesen der Lucia erklärt, hat nicht mehr Raum gefunden und kommt erst in der Buchausgabe.

     Nach bekannter Unart muß ich noch | die Wahrscheinlichkeit des Teufelsanrufes der sog. Hildeburg in Schutz nehmen resp. gegen die Kritik bellen. Das betreffende Mädchen soll ja eine Art Original sein, welches sich erlaubt, was andere nicht. Der nächtliche Gespensterbesuch in den Schlafzimmern junger Herren ist viel unwahrscheinlicher und doch der Rückgrat der Geschichte. Uebrigens gab es bei uns Damen aus vornehmen Häusern, die noch vor 1798 erzogen, solche Originale vorstellten und unter anderm fluchen und pfeifen konnten wie die Fuhrleute.

                                               In größter Hochachtung ergeben
                                               Ihr
                                               G. Keller

  


 

30. 10. 1881  Keller an Conrad Ferdinand Meyer

<ZB: CFM 336.31 Nr. 9; GB 3.1, S. 330>

Zürich 30 Oct. 1881

Verehrter Herr! Seit dem Empfang Ihrer freundlichen Sendung habe ich von Tag zu Tag die Ankunft von Exemplaren meines neuen Novellenbüchleins erwartet, um Ihnen mit meinem schuldigen Danke gleichzeitig eine Gegengabe überreichen zu können. Wie es scheint, verübt der Verleger mit der Verzögerung der ganzen Versendungsangelegenheit besondere Geschäftskünste; ich aber darf jetzt doch nicht länger warten, Ihnen meinen herzlichsten Dank endlich abzustatten. Das Buch soll dann nachfolgen. |

     Ich habe mit großem Interesse den neuen Hutten gelesen und Nummer für Nummer mit dem alten verglichen. Statt des alten, genügend constatirten Lobes will ich Ihnen diesmal einige kritische Bedenken zum Besten geben. Schon längst bedaure ich, daß Sie statt des jambischen Zweizeilers nicht den Vierzeiler gewählt haben (A. Grün's "Schutt" oder Freiligraths "ausgewanderter Dichter" etc.) der sich eben so leicht schreibt und nicht so trocken klappernd abschnappt. Ein ganzes Buch in dieser Form sieht fast aus wie eine Sprüchwörtersammlung. Doch das ist nun abgethan und soll uns nicht weiter grämen.

     Dann finde ich, nach meinem gusto, | daß Sie im "Schlag auf die Schulter" das welke Blatt nicht hätten beseitigen sollen. Ich fühle wohl, was Sie damit beabsichtigten, allein der große Reiz des vermißten Zuges wird mir durch die größere Knappheit oder Concentrirung nicht ersetzt.

     Sodann, und nehmen Sie mir das auch nicht übel (wie Sie selbst zu sagen pflegen) finde ich, daß Sie die glücklichen neuen Einlagen vom Ritter Tod u Teufel und vom Göttermord etwas zu mager behandelt haben, d. h. daß Sie nicht vertiefend genug damit in's Zeug gegangen sind und die beiden Ueberschriften zu viel versprechen lassen.

     Das ist aber nun Alles und im Uebrigen wünsche ich Ihnen dankbar Glück | zu dem alten neuen Rittersmann.

     Die neue Novelle werde ich dieser Tage, wo die Rundschau anlangt, begierig kennen lernen. Ich bekomme die Hefte ziemlich pünktlich auf den ersten jeden Monats.

     Jetzt seh' ich nichts mehr, da es dunkelt, und muß daher schließen, um diesen u andere Briefe mit in die Stadt zu nehmen als Ihr dankbar

                                               ergebener
                                               G. Keller.

  


 

26. 10. 1882  Keller an Conrad Ferdinand Meyer

<ZB: CFM 336.31 Nr. 10; Meyer/Keller, S. 172>

Hottingen 26 X 82

Verehrter Herr!
 
Indem ich Ihnen herzlich für Ihr schönes Geschenk danke, begrüße ich zugleich das glückliche Ereigniß; denn ein solches darf man und dürfen wir Alle das Erscheinen Ihrer Gedichte nennen. Obgleich es unverschämt scheint, dem, der das Verdienst hat, Glück zu wünschen, so thue ich dies dennoch, da es auch für das Verdienst ein schönes Glück ist, vollständig ausreifen zu können.

     Auf Ihre freundlichen Zeilen | anläßlich des Brahm'schen Rundschau-Artikels hab' ich die Antwort verduselt und versäumt; es ist in dieser Art Situation immer kritlich, sich angemessen auszudrücken. Die jüngste Generation der gebildeten Kritik verhält sich den Produktiven gegenüber mit Pietät und Wohlwollen in etwas übertreibendem Maße, nimmt dagegen eine so herrschende Stellung zu ihren "Objekten" in Anspruch, daß sich das Unabhängigkeitsgefühl wiederum dagegen sträubt. Man wünscht doch auch etwas oder meint etwas davon zu wissen, wie es zu und her gegangen ist. Deswegen soll nun aber | Undank nicht der Welt Lohn sein, und so hält man schließlich am liebsten das Maul. Mir scheint, man tut in diesem Punkte am besten, wenn man weder schürt noch löscht, weder bettelt noch brummt.

     Mit einiger Schadenfreude hab' ich in Ihren Gedichten bereits bemerkt, daß die neue Orthographie in Ansehung des Th im Druck in die Brüche gegangen ist. Ich habe das gleiche Schicksal mit einer neuen Auflage der Zürch. Novellen, in der das arme h zum Teil exstirpirt, zum Theil stehen geblieben ist.

                                               Ihr bestens grüßender
                                               u ergebener
                                               G. Keller

  

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