Ludmilla Assing (1821-1880)

Editorial


 

Nichte von Varnhagen von Ense, besorgte den Varnhagen-Nachlaß, lebte seit 1862 in Florenz.
Mit Keller befreundet seit dessen Berlin-Zeit, ausgedehnte Korrespondenz mit ihm.

Anzahl registrierte Briefe: 49 an, 31 von Keller (58 ZB Zürich)


 

21. 4. 1856  Keller an Ludmilla Assing

<BJK: VS 1; GB Bd.2, S. 41>

Verehrtes Fräulein Ludmilla!

Ich habe unter einem gewissen schönen Insiegel eine Zusendung erhalten, welche mich wohl nicht irre gehen läßt, wenn ich mich mit dem Danke an Sie wende, zumal ich dadurch eine gute Veranlaßung finde, endlich eine Nachricht von meiner Wenigkeit bei Ihnen zu oktroiren und mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen. Oder vielmehr setze ich jetzt, damit die arme Seele Ruhe hat, gleich voraus, daß Sie, gute Fräulein Assing und Ihr hochgeehrter Herr Oncle den Winter bestens überstanden haben und bereits guter Dinge in den Frühling hineinleben; auch hoffe ich, daß es der armen Doris längst wieder besser geht und daß  Ihre menschenfreundliche und treue Pflege durch Wiederherstellung Ihrer Kaffekränzchen belohnt worden sei und daß allbereits sich wieder viele hübsche | Dinge in Ihren traulich feinen u literarhistorischen Räumen begeben haben. Jedenfalls hoffe ich, daß die winterlichen Beschwerden Herrn v. Varnhagens so bescheiden als möglich aufgetreten sind!

   Diese Dinge feierlich ausgesprochen, hebe ich nun noch viel feierlicher den Lobgesang an des freundlichen und gütigen Lobgesanges meiner Erzählungen, den Sie mir so lakonisch zugesandt haben in dem rosenrothen Gewande der Hamburger Jahrszeiten. Es ist die allererste Anzeige, die mir zu Gesicht kam, und also, da sie von solcher Hand kommt, eine rechte Frühlingsschwalbe. Möchte es mir in der Zukunft gelingen, die starken Lobsprüche einigermaßen zu rechtfertigen, welche mir so unvorsichtig gespendet werden. Die ungehobelten Stellen werden dann auch von selbst wegbleiben, da ich von vornherein edlere Stoffe haben werde. In der Welt dieser Erzählungen freilich konnte ich ihrer nicht ganz entbehren, da jedes Kunstwerklein seine eigenen Regeln hat; auch glaube ich, man sieht es den Grobheiten und Ungezogenheiten an, daß sie absichtlich hingesetzt sind, und dies ist beste Vertheidigung „merke man die | Absicht und sei verstimmt!“ Dies macht mir das größte Vergnügen. Doch wie gesagt, mit dem fürnehmen Stoffe wird auch eine ehrbarlichere Sprache kommen. Indessen beuge ich mich in aller Demuth dem Ausspruche jener geistreichen unbekannten Dame, welche mir Behufs anmuthigerer Schreibart eine Frau zuerkennt. Sie soll mir doch gleich nur die Frau verschaffen; wie es mit der Zensur ist, wollen wir dann schon sehen. Wie geht es denn dem Hr. Dr. Ring in seiner jetzigen Zensur-Anstalt? Denn ich habe in der Zeitung gelesen, daß er sich definitiv verirrt hat und wird also jetzt vielleicht schon der Erlösung entgegen schmachten, da einen so fleißigen Mann eine Gattin schrecklich an der Arbeit behindern muß; oder er müßte dann seine Werkstelle außer das Haus verlegen, wie ein Büreau. Ich bitte übrigens, ihn recht sehr von mir zu grüßen.

   So eben vernehme ich, daß meine schlechte Bemerkung am Schlusse von Romeo u Julie allerorts Anstoß erregt. Ich verspreche daher reumüthig, dieselbe wegzulassen, wenn je wieder ein Abdruck nöthig würde. Eigentlich war es mehr eine Herausforderung von mir, damit vielleicht irgend eine Hochgebildete empört und gereizt werden möchte, mir selbst das Gegentheil zu beweisen.

   Ich genieße jetzo seit vielen Jahren zum ersten Mal | wieder den Frühling; wir wohnen zu ebner Erde im Garten vor der Stadt, Reben am Fenster und so eben blühende Birn- und Apfelbäumchen davor, die man mit der Hand erlangen kann. Später soll alles voll Rosen sein, den vielen Stöcken nach zu schließen, und weiterhin giebts nichts als Wiesen und am Rande Gehölz, hinter welchem man in der Stube den Mond aufgehen sieht und am Morgen die Sonne. In fünf Minuten bin ich an und auf einem grünen Berge, welcher wie ein Theater voll Gärten, Matten und Wohnungen der Menschen ist, voll enger Pfade zwischen den Grünigkeiten und oben mit Wald bekränzt, überall die herrlichste Aussicht auf die Alpen und den See. Wer so nur durchreis’t in Zürich, bekommt alle das gar nicht zu sehen und weiß gar nicht welche kokette Herrlichkeiten unsre Gegend in sich hat. Dies Alles habe ich gleichsam vor der Thüre und kann jeden Augenblick geschwind die Nase hineinstecken von der Arbeit weg, und ich bin erst jetzt wieder einmal recht zu mir selbst gekommen. Dabei geht mein altes Mütterchen ab und zu und macht sich zu schaffen, und ich bin sehr froh daß ich für diesmal ungeschlagen davon kam und sie noch eben so rüstig und beweglich angetroffen habe, wie ich sie vor 7 Jahren verlassen.  Denn es wäre eine große Schande für mich gewesen, wenn ich sie nicht mehr angetroffen hätte.

   Sonst ist auch die Gesellschaft gut in Zürich. Richard Wagner ist ein sehr genialer und kurzweiliger Mann, von der besten Bildung und wirklich tiefsinnig. Sein neues Opernbuch, die Nibelungen Trilogie, ist eine glut und blüthenvolle Dichtung an sich schon und | hat einen viel tieferen Eindruck auf mich gemacht, als alle andern poetischen Bücher, die ich seit langem gelesen. Wenn Sie es noch nicht gelesen haben, so lassen Sie es sich doch von einem geben, der es hat. Außerdem ist es schrecklich, wie es in Zürich von Gelehrten und Literaten wimmelt und man hört fast mehr hochdeutsch, französisch u italienisch sprechen, als unser altes Schweizerdeutsch, was früher gar nicht so gewesen ist. Doch lassen wir uns nicht unterkriegen; bereits hat mit den ersten Frühlingstagen das nationale Festleben wieder begonnen und wird bis zum Herbst sein Wesen treiben. In Zürich haben wir vor 14 Tagen ein großes altstädtisches Frühlingsfest gehabt, wo alle Nationen der Erde, wilde und zahme, mit der Lola Montez, dem Kaiser von Rußland, Soulouque, Neuseeländer, Grönländer, Beduinen, Baschibozuks, kurz was man sich denken kann, in den reichsten und zierlichsten Costümen zu Roß und Wagen und zu Fuß durch die Straßen zogen. Auch ergreifen meine Herren Landsleute, als ob sie nicht bereits Feste genug hätten, begierig den Anlaß der Eisenbahneröffnungen, um gleich ein großes Volksfest daraus zu machen, wo viele Tausende zusammenkommen. So ist jüngst eines in St. Gallen gewesen, wo alle Arbeiter, welche die Bahn gemacht, in einem ungeheuren Aufzug mit bekränzten Werkzeugen und Wagen erschienen, so symbolisch und ausgedacht, als ob es aus dem Wilhelm Meister geschöpft wäre.  Possierlich war es, als der Hauptredner begann: Dieß sei der Tag, welchen Gott, die Ingenieurs | und unser Volk gemacht hätten! Nächsten Monat ist wieder eine ähnliche Geschichte in Zürich und so geht es den ganzen Sommer hindurch, bis im Herbst der Schluß gemacht wird, indem man in Zürich etwa 4000 kleine 12–15jährige Krieger versammelt und sich ein Hauptvergnügen mit ihnen macht. Ueberhaupt müssen diese kleinen Kerle überall dabei sein. Wenn die Alten ein Fest feiern, so besteht die Ehrengarde und militärische Schutzwehr, wie anderwärts aus Soldaten, so hier aus den kleinen Knaben mit ihren Waffen, die als Schmuck und Zier aufgestellt werden und vorausmarschiren! Von Polizei ist keine Spur zu sehen und von Unfällen auch nicht.

   Die Kehrseite von alledem ist, daß die Schweizer mehr als je, und so gut wie überall, nach Geld und Gewinn jagen; es ist als ob sie alle Beschaulichkeit in jenen öffentlichen Festtagen konzentrirt hätten, um nachher desto prosaisch ungestörter dem Gewerk und Gewinn und Trödel nachzuhängen.

   Ich sehe mit Schrecken, daß ich in Schrift und Stoff in’s Schmieren gerathen bin und will mich daher beschämt zurückziehen! Ich bin allzu neugierig, wie es bei Ihnen gehe? als daß ich, verehrtes Fräulein! Sie nicht bitten sollte, mich gelegentlich, wenn Sie nichts besseres zu thun wissen, mit ein par Zeilen beehren zu wollen, in welchen nur die gröbsten Umrisse von Ihrem und Herrn v. Varnhagens Befinden enthalten wären. Ich würde mich auch an den Herrn | Geheimrath selbst wenden, wenn ich nicht befürchtete, Seine so schon von allen Seiten in Anspruch genommene Muße noch mehr zu schmälern.

   Was macht denn die Kunst? Wenn irgend ein Bekannter bei Ihnen vorspricht, der meine Grüße nicht verschmäht, so bitte ich sehr, demselben sie auszurichten. Ich habe diesen Brief schon seit längerer Zeit angefangen, aber mein Schicksal: die scheinbare Unhöflichkeit, hat ihn wieder zurückgehalten!

   So danke ich Ihnen nochmals für Ihre sich gleichbleibende Huld und Freundlichkeit gegen mich unwürdigen Troll, wie Heine sagt, der nun ja auch gestorben ist, der Arme; und ich verbleibe mit einem wahren Kunstwerk von vollendeter Hochachtung und Ergebenheit

            Ihr

            Gottfr. Keller.

Zürich d. 21st. April 1856.

 


 

9. 5. 1856  Ludmilla Assing an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 16; GB Bd. 2, S. 45>

Berlin, den 9. Mai 1856.

Ihr Brief ist mir ein liebes, willkommenes Geschenk, mit dem Sie mir eine große Freude bereitet haben; er ist so ganz wie Sie, also recht eigentlich das was ein Brief sein soll: ein getreues Abbild dessen der ihn schreibt. Ich danke Ihnen herzlich dafür! Es ist mir lieb, daß Sie mich in Ihrem Andenken behalten haben, und freut mich, daß Ihnen meine Anzeige der „Leute von Seldwyla,“ die ich Ihnen zuschickte als bescheidenen Dank für die Anregung und Befriedigung, die ich dabei empfunden, angenehm gewesen ist. So unvorsichtig kann ich aber das, was Sie die darin enthaltenen Lobsprüche nennen, durchaus nicht finden; hätte niemand sonst Ihnen so sehr verdientes Lob ertheilt, so wäre es ja erst recht meine Pflicht gewesen, das laut auszusprechen, was ich bis in’s innerste Herz fühlte und dachte. Aber es ist anders gekommen: auf meine Anzeige sind seitdem viele andere gefolgt, und alle sind voll Beifall und Anerkennung. Auf die verschiedensten Menschen haben Ihre schönen Erzählungen den größten und nachhaltigsten Eindruck gemacht; was Auerbach darüber in der „Allgemeinen,“ Kossak in der „Montagspost,“ und die sonst so zänkischen „Gränzboten“ darüber gesagt, werden Sie gelesen haben. Was mich betrifft, so bleibt alles was Sie schreiben immer in meinen Gedanken umher, es ist ein schöner Lebensinhalt, der mich fortwährend beschäftigt; bei tausend Anlässen werde ich daran erinnert. Zu meiner Herzensfreude sind diese Dichtungen geschaffen, und ich wäre sehr undankbar, wenn ich nicht so „unvorsichtig“ sein wollte, dies offen zu bekennen. |

   Seit Sie uns verlassen, haben wir einen recht traurigen Winter verlebt; unsre arme Kranke ist nicht besser geworden, sondern nach vielen Leiden Anfang Februar gestorben. Es war sehr betrübt, daß wir ihr so gar nicht helfen konnten, und außer ihr selbst that mir auch mein Onkel so leid, dessen weiches Gemüth sehr davon afficirt wurde; ich finde, wenn jemand schon so alt ist, wie er, so wünscht man ihm doppelt, daß das Leben ihm nur noch freundliche und wohlthuende Eindrücke biete. Glücklicherweise hat seine kräftige und jugendlich elastische Natur sich schnell wieder aufgerichtet, und nach manchem Unwohlsein ist er nun wieder frisch und geistesthätig in gewohnter Art. Er empfiehlt sich Ihnen auf das Herzlichste und trägt mir seinen Dank für die gütige Übersendung Ihres Buches auf, an dem er sich mit mir, so wie an Ihrem Briefe gefreut hat. – Nach langer Stille haben wir nun auch wieder unsere kleinen Gesellschaften angefangen, nach denen Sie sich so freundlich erkundigen, und in denen Sie leider nun fehlen! Der alte noch immer gleich lebhafte General von Pfuel war öfters bei uns, dann die geniale, liebenswürdige Frau von Bock, die ehemalige Schröder-Devrient, deren noch immer bezaubernder Vortrag Schubert’scher und Schumann’scher Lieder beweist, daß das Genie ewig jung bleibt. Auch zwei artige Töchter von Liszt sehen wir zuweilen, muntre, unbefangene Französinnen, die hier der Obhut der Frau von Bülow übergeben sind. Fräulein Ney kommt mitunter, doch waren alle meine Bemühungen vergeblich sie in Beziehung auf ihre Heidelberger Freundin gesprächig zu machen; nur das theilte sie mir mit, daß sie den ganzen Winter an einem nervösen Fieber krank gewesen und jetzt erst wieder besser sei. Weiter konnte ich nichts erfahren. – Doctor Ring war sehr in Anspruch genommen durch seine Verlobung, mit der er die meisten seiner Freunde am Neujahrstag überraschte; ich war nicht ganz überrascht, denn als | er sich kurz vorher einen prächtigen Winterpelz angeschafft hatte, da dachte ich mir, nun würde er wohl auch bald heirathen! Wie recht hatten Sie, diesen Pelz als eine neue wichtige Phase in seinem Leben zu bezeichnen! Unser guter Freund ist so glücklich und vergnügt, daß man recht seine Freude daran haben muß. Er brachte uns seine Braut, Fräulein Elvira Heymann, Tochter des Verlagsbuchhändlers und Commerzienraths Heymann, die einfach, freundlich und verständig zu sein scheint, und ihm sehr zugethan. Am 5. Mai war die Hochzeit, bei der wir auch gegenwärtig waren, ein fröhliches Fest, zu dem man nahe an neunzig Personen eingeladen hatte. Ring denkt Ihrer mit großer Herzlichkeit, und hat Ihnen seit seiner Verlobung immer schreiben wollen, ist aber, wie dies ihm ganz ähnlich sieht, immer nicht dazu gekommen. Er ist jetzt in der Louisenstraße mit seiner jungen Frau sehr behaglich eingerichtet, elegant und geschmackvoll, und ich bin überzeugt, daß er trotz Elvira’s Nähe, bald in seinem Schreibefleiß fortfahren wird. – Dabei fällt mir ein, daß die in meiner Anzeige erwähnte Dame sehr thöricht sein müßte, Ihnen die Frau zu geben, die Sie von ihr verlangen. So klug wird sie doch hoffentlich sein, um zu wissen, daß Sie sich nach einer Frau, die eine andere Ihnen giebt, die Sie sich nicht selbst gewählt haben, gar nicht richten würden, daß eine solche also gar nicht dazu gebraucht werden könnte Ihnen die Ausdrücke zu streichen, die Sie, wie es Ihrem seltsamen Wesen ganz entspricht, nur wählen, um absichtlich zu verstimmen. Das Mittel wäre also verfehlt, da es so seinen Zweck nicht erreichte. Nur eine von Ihnen selbst Gewählte könnte solche Zensur ausüben! – Jene Dame ist aber darum schon nicht im Stande Ihnen eine Frau zu verschaffen, weil sie, wie Ihr scharfer Blick wahrscheinlich schon längst entdeckt hat, gar nicht existirt, und nur von mir erfunden worden ist, um meinen Einfall einzukleiden. Doch – wenn man sich die Sache recht überlegt, ist es am Ende besser noch | Sie behalten die absonderlichen Ausdrücke, ehe Sie sich so schnell zum heirathen entschließen.

   Ich nehme herzlichen Antheil daran, daß Sie Ihre Mutter so unverändert wiedergefunden haben. Möchte Ihnen noch lange das Glück gewährt sein, sie zu besitzen. Es ist gar zu schrecklich die zu verlieren, die einem die Liebsten sind. Ich denke Sie mir gern in der zauberischen Natur, die Sie so anmuthig beschreiben, und in diesem feste- und farbenreichen Schweizerleben, das einem hier so fremdartig erscheint. Doch fürchte ich daß Sie dadurch gar kein Verlangen mehr nach Berlin haben werden. – Richard Wagner’s „Nibelungen“ habe ich schon vor längerer Zeit gelesen, und stimme durchaus mit Ihrem Urtheil überein. Alle seine Operntex<<t>>e sind schöne, eigenthümliche Dichtungen; vielleicht ist sein poetisches Talent noch größer als sein musikalisches. Über letzteres will ich mir übrigens kein Urtheil anmaßen, wie ich denn überhaupt nicht an den musikalischen Krimzuständen mich mitbetheiligt habe, die diesen Winter durch den Eifer der Vertreter der classischen und der Zukunftsmusik entstanden waren. – Das hübsche Buch von Hettner: „Geschichte der Literatur des achtzehnten Jahrhunderts,“ von dem der erste, England behandelnde Band erschienen ist, gelangte wohl schon zu Ihnen? Es ist so frisch und vorurtheilslos geschrieben, gar nicht so trocken und pedantisch, wie dergleichen Werke so leicht werden. – Palleske hat nun auch seinen „Cromwell“ beendigt, der mir ganz vortrefflich vorkommt. Er hat sich sehr in jene denkwürdige Zeit England’s hineingelebt. Die Macht der vorwärtstreibenden Ereignisse, die verschiedenen Partheien sind mit Talent geschildert; der hochmüthige, treulose und verblendete König bildet einen scharfen Contrast mit der edeln, großartigen Gestalt Cromwells, und in diesem Einen Abschnitt der Englischen Revolution ist die Geschichte aller Revolutionen mahnend hingestellt. Palleske war vor einigen Wochen auf zwei Tage hier, und hat mir sein Stück vorgelesen. Ich freute mich ihn wiederzusehen, er war | frisch, voll edeln Feuers und Strebens wie immer. Von Ihnen sprach er mit Liebe und Verehrung. – Eine „Geschichte der Architectur“ von Wilhelm Lübke, die sehr faßlich, klar und lebendig ist, hat mich lange angenehm beschäftigt. Dagegen macht mir Fanny Lewald’s „Kammerjungfer“ einen sehr widrigen Eindruck. Ich finde mit Schrecken daß diese Schriftstellerin immer gemeiner wird, ihre Gedanken kriechen immer tiefer auf der Erde hin; ohne dichterischen Schwung und ohne Leidenschaft, ist sie stolz auf ihre Prosa, und wo sie grade glaubt recht sittlich zu sein, da verletzt sie durch innere Rohheit. – Fräulein Elise Schmidt ist mit Fräulein von Schlichtkrull nach England gereist, wo die erstere Vorlesungen halten will. – Daß Sie auch Heine’s in Ihrem Briefe erwähnen, hat mich gefreut. Ich habe den Tod dieses außerordentlichen Dichters sehr beklagt, und finde es recht undankbar, daß man ihn in Deutschland so gleichgültig aufgenommen hat. Leute, die in ihrem Leben nicht tugendhaft gewesen sind, wollten daran plötzlich ihre Tugend beweisen, daß sie über einen so glänzenden Genius schonungslos aburtheilten, ohne Mitleid und Pietät! –

   Zum Zeichnen bin ich gar nicht mehr gekommen, seit Sie fort sind. Die Tage verfliegen mir mit dem Onkel, mit meinen Vögeln, mit meinen Büchern, ich weiß nicht wie. In der That, Ein Leben ist zu kurz, für alles was man thun, lernen und genießen möchte!

   Leben Sie wohl! Möchte es Ihnen immer so gut gehen als ich es Ihnen wünsche! Wenn Sie mich wollen von sich hören lassen, so können Sie überzeugt sein, daß ich alles mit herzlichem Antheil empfange und mich daran freue. Wenn ich Ihnen heute zu viel geschrieben habe, so tragen Sie selbst einen Theil der Schuld: ich habe nämlich immer so gern zu Ihnen gesprochen, weil ich das feste Vertrauen fühlte, daß Sie alles richtig aufnehmen und verstehen wie es gemeint ist; und so ist es auch heute gekommen, daß ich kein Ende finden konnte!

            Mit herzlichen Grüßen

            Ludmilla.

   


 

12. 8. 1856  Keller an Ludmilla Assing

<BJK: VS 2; GB 2, S. 47>

Zürich d. 12 Aug. 1856.

Hochverehrtes Fräulein!
 
Sie sind jetzt gewiß in Berlin angekommen, wenn Sie nur nicht schon wieder ausgeflogen sind, etwa nach Hamburg oder der Enden. Ich habe vor Allem aus eine doppelte Aufgabe für diesen Brief, erstens nochmals Ihnen und Ihrem verehrten Herren Oncle die Freude auszudrücken, welche ich empfand, Sie beide so unerwartet in Zürich zu sehen und mit Ihnen zu verkehren, und zweitens meine bitterliche Reue, Sie am letzten Abend von Moleschot’s nicht nach dem Gasthof begleitet zu haben. Ich dachte | gar nicht daran, daß in jener Gegend keine Straßenbeleuchtung ist bis dato, und erschrack, als das Dienstmädchen heraufkam und Begleitung requirirte. Der jüngere Moleschot wollte sich dieselbe aber nicht entziehen lassen und so blieb ich gemüthlich unverschämt sitzen! Uebrigens haben Sie hoffentlich Ihre Reise noch zu allbezüglicher Zufriedenheit beendigt! In der Zeitung stand, Sie wären auch in Luzern gewesen, was darauf hinzudeuten schien, daß der gute Herr Geheimrath sein System der Ueberraschungen noch ein- oder mehrmals fortsetzte? Die Alpen haben wir seither in Zürich nicht mehr gesehen, als bis diese letzten 3 Tage; jetzt sind sie aber wie Kristall. Die Stahr’s sind nun auch schon seit geraumer Zeit in Zürich und scheinen sich wohl zu gefallen. Der Fanny zu Ehren werden von ihren Freunden ausdrückliche „Herrengesellschaften“ geladen, mit Vischer, Wislizenus, Moleschot und allem Möglichen, und wo sich die Hausfrau | bescheiden zurückzieht. Gegen mich sind sie merkwürdiger Weise außerordentlich freundlich. Jüngst habe ich in der A. Augsb. Zeit. einen merkwürdigen Brief über die Ristori gelesen von einer Berliner Dame G. v. A. welches gewiß die Bettinische Gysela ist. Es war indessen sehr viel Ueberraschendes und Neues in dem Aufsatz, abgesehen von der etwelchen überschwenglichen Form, welches übrigens in dieser blasirten Zeit eher eine Liebenswürdigkeit ist. Soeben fällt mir jene Kossak’sche Rezension ein, welche Sie mir noch hervorsuchen und zusenden wollten. Wenn es noch möglich ist, so thun Sie es doch gütigst, denn diese Eine ungelesene Rezension quält mich so sehr wie jene Eine ungenossene Wurst in Prutzens Politischer Wochenstube. Meine Novellchen, die den Titel „Galathee“ führen, werden keine ungehobelten Ausdrücke mehr bringen, dafür aber sonst ziemlich unnütz sein. | Auch werde ich nächstens sonst als ein großer Sünder vor Ihnen erscheinen. Ich hatte nämlich schon beim Erscheinen des Romanzero ein trochäisches Gedicht angefangen gegen die literarisch-poetische Willkühr Heines und seiner formellen Nachbeter, hatte die Sache aber liegen lassen. Da aber auch nach seinem Tode jene Weise fortgesetzt wird, welche durchaus nur Einer Persönlichkeit allein angemessen ist und nachgesehen werden kann, so habe ich das Ding wieder hervorgezogen und fertig gemacht, bedenkend, daß vielleicht durch die Poesie allein das rechte Wort gesagt werden könne, ohne Philisterei, und daß der dichterisch ausgesprochene Tadel seinen Gegenstand erhebt, wie ihn die Prosa herabdrückt. Sie werden mich also bald im Lager derjenigen sehen, welche Ihren Unwillen auf sich zu ziehen pflegen; doch [es] wird es nicht so gefährlich ablaufen. Das Dings wird heißen: „Der Apotheker von Chamouny oder der kleine Romanzero“. Herrje das Papier ist zu Ende. Schnell noch alle möglichen Empfehlungen. Ihr ergebenster G. Keller. |

P. S. Nun muß ich doch noch ein zweites Bögelchen ansetzen. Professor Vischer läßt sich Herrn Varnhagen sehr empfehlen und bedauert unendlich, daß er abgehalten war durch unvorhergesehene Umstände, denselben im Hôtel aufzusuchen; dagegen nahm er die mir aufgetragene Entschuldigung des Herrn Geheimeraths v. Varnhagen nicht an, in dem Sinne nämlich, daß er nie würde zugeben können, daß der Herr Geheimerath ihn, den Prof. Vischer, aufsuchen; sondern das Gegentheil müsse und würde unzweifelhaft stattfinden, je und so bald die beiden benannten Mächte wieder zusammen stoßen sollten. Ich bevollmächtige Ew. Hochwohlgeboren, diese Note dem verehrten Herrn Geheimen Rath vorzulesen, sie aber nachher wieder einzupacken [zu]<und> an sich zu nehmen.

   


 

15. 8. 1856  Ludmilla Assing an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 17; GB 2, S. 49 (Auszug)>

Berlin, den 15. August
1856.

Wenn Sie mir nicht ausdrücklich verboten hätten, Ihnen eher zu schreiben als Sie mir, mit beinahe eben solcher Entschiedenheit als Professor Vischer den etwaigen ersten Besuch des Onkels ablehnt, so würde ich Ihnen schon längst die Kossack’sche Kritik übersandt haben, die ich gleich nach unsrer Ankunft für Sie hervorsuchte. Es wäre in der That undankbar von mir, wenn ich für die schönen Rosen aus Ihrem Garten Ihnen nicht die Rosen der Kritik einsammeln wollte. Diese hat freilich auch den kleinen Dorn, daß sie den „grünen Heinrich“ nicht nach seinem Werth anerkennt, aber daraus machen Sie sich vermuthlich weniger als ich. Wie freue ich mich auf Ihre „Galathee“, die mir nach dem, was Sie von ihr sagen, gewiß gefallen wird. Aber keine Freude soll vollkommen sein: denn gleich darauf verursachen Sie mir einen rechten Schreck mit Ihrem „Apotheker von Chamouny“! Gegen Heine! Und kein Zug in Ihrem Gesicht verrieth eine solche bösliche Absicht, als wir vom Uetliberg herunter stiegen, und auf Heine die Rede kam. Es tröstet mich nur einigermaßen, daß Sie Ihren Angriff hauptsächlich gegen die Nachahmer richten wollen; für die ist er nicht verantwortlich; was kann er dafür, daß wenn andre seine Kleider anziehen, sie ihnen nicht passen? Seine phantastische und oft bizarre Toilette war nur für ihn allein geeignet. Ich habe immer so unendlich viel Gutes von Ihnen erwartet, daß ich noch jetzt hoffe, Sie können nichts ganz Schlimmes thun, daß ich hoffe, Sie verfahren nicht grausam gegen den genialen Dichter, der wohl verdient, daß man sein Grab mit Lorbeern schmückt. Was mich betrifft, so habe ich mich nie um seine häßlichen Seiten bekümmert, und nur immer wieder gelesen, was ich liebte. Alfred Meißner’s Buch über | Heine, an dem sich sonst manches aussetzen ließe, hat mich darum sehr erfreut, weil es der Ausdruck wahrer Liebe und Begeisterung ist.

     Wie gern möchte ich die Alpen in ihrer jetzigen Pracht sehen! Zürich ist doch die Krone unserer Reise geblieben, ich sehe es noch immer vor mir, wie es wie Ein schönes Rosenbouquet an seinem zauberischen See liegt, ich sehe die grüne Limmat, und sogar die gelbgraue Sihl mit ihrem amüsant wüthenden Gesicht, die doch so gutmüthig den Leuten ihr Holz trägt, habe ich nicht vergessen. Was Rosen sein können, haben wir erst in Zürich kennen gelernt; die hiesigen kamen mir nach unserer Rückkehr alle so bleich und elend vor, als wenn sie vor Sehnsucht krank wären in Zürich zu wachsen! Daß wir in Luzern gewesen, war eine falsche Zeitungsnachricht, die, ich weiß nicht wieso, entstanden ist; den Onkel verlangte denn doch endlich nach seiner häuslichen Bequemlichkeit. Nachdem wir beinahe einen Tag in Aarau verweilt, wo wir des Onkels alten Freund Doctor Troxler sahen, gingen wir gradeswegs nach Basel und von dort nach Straßburg, das uns besonders lieb, da meine Großmutter eine Straßburgerin war, und meine Mutter und mein Onkel als Kinder mehrere Jahre dort zubrachten. Unter den Leuten, die wir dort sahen, war mir vorzüglich der alte Lamey interessant, der, eine seltene Vereinigung, zugleich Dichter und Millionär ist; bereits über achtzig Jahre, beschämt er an Rüstigkeit und Frische manchen Sechziger. In seiner Jugend hat er die erste französische Revolution besungen, und aus seinen Augen leuchtet noch immer jugendliches Feuer. – Von Straßburg gingen wir nach Speyer, wo wir den Dom betrachteten, den König Ludwig sehr prächtig herstellen läßt; dann ging es den Rhein hinunter bis Köln, wo wir einen Tag blieben, und den Kölner Dom auf’s Neue aufsuchten, der sehr fortschreitet, und darauf fuhren wir in Einem Zuge nach Berlin, wo wir schon den 12. Juli, Abends spät anlangten. Fünf Wochen waren wie ein schöner | Traum verflossen. Berlin ist, Sie wissen es, nicht schön im Sommer, doch leben wir noch von der Nachfreude der reichen Reiseeindrücke. Der Onkel, der unterweges in der herrlichen Luft sich immer so wohl fühlte, ist hier bald wieder von einer seiner gewohnten Erkältungen heimgesucht worden, doch geht es ihm nun leidlich. Es ist hier einstweilen noch unendlich still, und da die hiesige Natur auch nicht locken kann, so findet sich manche Zeit zu angenehmer Thätigkeit, und die Tage vergehen uns nur gar zu schnell. Bettina kommt beinahe täglich, und wenn sie auch nicht mehr wie ehemals ist, so hat sie sich doch ziemlich wieder erholt. Neulich war von Altwerden die Rede, da hatte es etwas wahrhaft Mährchenhaftes, wie sie dasaß in ihren schneeweißen Haaren, und munter lachend ausrief: „Das weiß ich gewiß, ich werde jung sterben! Ich sterbe jung, ich weiß es!“ – Ist Bettina, das Kind, nur als alte Frau verkleidet, möchte man da fragen, und wird sie vielleicht plötzlich solche Vermummung abwerfen, und als junger Genius einhertanzen? – Der wunderliche Brief in der „Augsburger Allgemeinen“ war allerdings von Gisela von Arnim. Was sie über die Alfieri’sche „Mirra“ sagt, finde ich in sofern richtig, als auch ich das Stück so edel behandelt finde, daß es keinen verletzenden Eindruck machen kann; was aber ihr Urtheil über die Ristori betrifft, ganz abgesehen von der Bettinen nachahmenden Form, so erkennt man vor allem daran, daß sie die weit größere und genialere Rachel nie erblickt hat, und sich als echte Bettinentochter gar nicht einfallen läßt, daß es noch etwas anderes geben könne, als was sie grade gesehen. Diese Arnims haben alle eine Sucht nach dem Seltsamen, sie wünschen seltsam zu sein, und noch mehr so zu erscheinen. Herman Grimm ist auch etwas angesteckt davon. Als wir ihm von unserem Schweizer Ausflug erzählten, fragte er: „Finden Sie die Schweiz wirklich schön?“ und setzte dann hinzu: „Ich nicht, die Sonne geht hinter den | Bergen zwei Stunden früher unter, und im Grunde ist die ganze Schweiz doch nichts anderes, als eine grandiose Kellerwohnung!“ – Die Kellerwohnung könnte nur insofern zugegeben werden, als Sie dort wohnen. – Ebenso hat es Grimm auch in Venedig nicht gefallen; er findet es unter den Linden bei Kranzler am Hübschsten. – Ring, der von seinem häuslichen Glück sehr in Beschlag genommen ist, haben wir erst einmal wiedergesehen; er freute sich sehr von Ihnen zu hören, und grüßt Sie herzlich.

 In Straßburg haben wir einige Exemplare einer dort erschienen kleinen Novelle meiner Mutter mitgenommen; ich mache mir das Vergnügen Ihnen eines davon beizulegen; Sie werden es in seinem einfachen Volksgewande freundlich aufnehmen. Mir ist die kleine Geschichte lieb, und vielleicht gefällt sie Ihnen auch.

     Der Onkel läßt Ihnen viele Grüße sagen, und bittet Sie unsre Empfehlungen zu bestellen an Professor Moleschott und Frau, so wie an Professor Vischer; es thue ihm leid den letzteren nicht mehr gesehen zu haben, es hätte sich kein Augenblick mehr dazu gefunden. Sehen Sie Stahrs, so bitte ich auch diese zu grüßen, wenn es sich grade so trifft. Ich lese eben den zweiten Band des „Torso“. Wie wohl wird es einem doch immer bei den Griechen, in dieser Welt der Schönheit! – Die „Herrengesellschaften“ sind ja sehr sonderbar, und haben mich und den Onkel lange beschäftigt!

     Nun leben Sie wohl, und lassen Sie sich noch recht herzlich gedankt sein für die Güte und Freundschaft mit der Sie uns den Aufenthalt in dem schönen Zürich so angenehm gemacht haben.

                                                Ludmilla.


 

Februar 1857  Keller an Ludmilla Assing

<BJK: VS3; GB Bd. 2, S. 51>

Zürich im Februar 1857!

Verehrtes Fräulein Assing!

Da Herr Baron Schultz aus Lievland über Berlin geht und so gut sein will, mir einen Brief zu besorgen, so muß ich endlich in meinen verstockten Busen greifen und sehen wie ich mich gegen Ihre Güte bestmöglichst aus der Sache ziehe, aus dem Schein der Undankbarkeit und Grobheit; denn ich habe gethan, als ob weder die Kossacksche Kritik, noch die treffliche und liebenswürdige Kaminfegergeschichte der Rosa Maria, noch endlich Ihr freundlicher Brief vom August v. J. mit seiner edlen Pietät und Dankbarkeit gegen Länder und Dinge, die man auf Reisen sieht, als ob dies alles mich gar nicht gerührt hätte! Und doch hat mir Alles große Freude gemacht, obgleich ich wußte, daß z. B. Ihre Reisedankbarkeit betreffend, dies unter rechten Leuten nichts Ungewöhnliches, sondern ganz in der Ordnung ist. Ich spiele hier auf den ruchlosen Herman Grimm an, der ungeschickter und unbedachter Weise mein höchst gelegenes Land Europas mit einer Kellerwohnung vergleicht. Diese Herren wollen es in ihrem jetzigen Wirken so sehr dem jungen Goethe nachthun in zierlichen und kecken Versuchen aller Art; allein die gute Ackerkrumme für gute Früchte, die Pietät für allerlei Dinge, so man sieht, und die Fähigkeit, die Welt anders zu sehen, als durch Berliner Guckkastenlöcher, scheint verdächtiger Weise zu fehlen. Hier muß ich mich selbst ein bischen rühmen, zur Erholung von obiger Kapuzinade: | als ich kaum in Berlin mich ein wenig umgesehen hatte, sah ich sogleich, woran ich mich zu halten habe, und ging spreeaufwärts spazieren oder suchte die stillen Seeen in den Fichtenwäldern auf mit ihrer stillen Sonne, und wenn meine Landsleute über die schauerliche Gegend klagten, so hielt ich dieser treulich die Stange, und habe sie auch jetzt noch nicht vergessen, wo mir die schönsten Buchenwälder und Bergzüge, rauschende Ströme und die lustige Sihl zu Gebote stehen, die jetzt kleinlaut genug unter dem Eise wegschleicht. Aber auch der Zürichsee war diesen Monath gänzlich zugefroren und bildete nur Eine große Silberplatte in der blitzenden Sonne und weithin sah man die dunklen winzigen Menschenthierchen drüber weggleiten. Ueber der Tiefe draußen ist das Eis wie Glas so klar und man sieht darunter die grünen Seegewächse aus der schwarzen Tiefe aufsteigen. Es sind aber leider mehrere Menschen verunglückt, als es noch nicht fest genug war.

   Es thut mir wahrhaftig leid, daß ich Ihnen einen solchen blinden Schreck verursacht habe, wegen meines Attentates auf Heine. Wie Sie bemerkt haben werden, ist dasselbe unterblieben, aber nicht wegen Ihrer Ermahnungen (denn bei aller Ehrerbietung müssen wir uns unsre Unabhängigkeit wahren!) sondern weil mich plötzlich ein Widerwillen gegen solche polemische Produkte befiel. Indessen wäre der todte Heine ganz gut gefahren dabei, wie ich glaube, und es wäre mehr eine plastische poetische Charakteristik seines Wesens geworden (z. B. am Schluß ein Pariser Todtentanz à la Holbein auf dem Kirchhof Mont-mârtre) nebst eindringlichen Ermahnungen an die Lebenden, daß jetzt des Guten genug sei und wir uns endlich konsequent und aufrichtig vom Witz, Unwitz und Willkürthum der letzten Romantik lossagen, und wieder zur ehrlichen und naiven Auffassung halten müßten. A. Meißner’s Buch, so sehr es mich unterhalten hat, | ist mir im Ganzen eine widerliche Erscheinung gewesen, da es mir hauptsächlich geschrieben scheint, um seinen Autor zu produziren, und zwar mit den wohlfeilen Mitteln unmittelbarer Fortsetzung Heine’schen Wesens. So z. B. das Durchhecheln komischer Gestalten, u s. f. Die Schilderung der Freunde Börnes unter Anderm ist sehr gewandt und pikant, und doch werthlos, weil eine nackte Nachahmung der Manier des Meisters. Auch fürchte ich, der gute Meißner wollte sich mit diesem Buche als „gefährlich“ auskünden, gewissermaßen als der Nachfolger und Erbe Heinrich Heines, was jedenfalls nur entgegengesetzt wirken würde.

   Ich las jüngst eine Beschreibung des Berliner jüngsten Künstlerfestes, in der Nationalzeitung, und daß Humboldt, Ihr Herr Onkel u. s. f. das Fest mit Ihrer Gegenwart beehrt hätten; da dachte ich, Sie seien gewiß auch dabei gewesen und wünschte Ihnen viel Vergnügen gehabt zu haben. Auch von der „musenhaften Fräulein Ney“ las ich, die ich bei Gott ganz vergessen hatte! Ich wünsche Ihr, daß sie ein weiblicher Pygmalion werden möge, eine Pygmalia, die sich einen recht hübschen Mann aus dem Marmor heraus meißelt. Während des Kriegslärmens wurde ich öfters gefragt, ob ich denn gar keine Nachrichten aus Berlin habe, der ich doch so viele Jahre dort mich umgetrieben, und ich erwiederte alsdann mit bedauerlicher Miene: Ach! die guten Leutchen dürfen eben nichts schreiben, was ihnen gefährlich werden könnte! während ich wohl wußte, daß ich allein selbst schuld sei an dem Ausbleiben aller Briefe, indem ich seit 3/4 Jahr an Niemand geschrieben; denn meine Lieblingskunst ist, mich in eine künstliche Vergessenheit zu bringen, um mich nachher darüber zu ärgern. Der Kriegsspektakel war übrigens sehr schön und feierlich hier zu Lande und es war uns dummen Kerlen sehr ernst damit. Indessen hat er uns um Vieles vorwärts gebracht in unsern innern Verhältnissen und wenn Sie seiner Majestät begegnen, so danken Sie doch allerhöchstderselben dafür in meinem Namen! Ich bin aber ein par | Monate lang ganz aus allem Arbeiten herausgekommen, denn ich habe Leitartikel geschrieben, in die Scheibe geschossen, in den Kafehäusern gekannegießert und lauter solches Teufelszeug getrieben. Meine Schwester strickte Strümpfe für die Soldaten, kam damit zu spät und jammerte sehr. „Da ist leicht zu helfen, sagte ich, ich zieh’ die Strümpfe schon an!“ Allein ich mußte ihr die Baarauslagen für die Wolle ersetzen! Auch ein Schwesterstücklein, wie sie sehen!

   Vorigen Herbst war die Liszt-Wittgenstein’sche Familie in Zürich, manche Woche, um bei Wagner zu sein, und da wurden alle Capacitäten Zürichs herbeigezogen, einen Hof zu bilden. Ich wurde versuchsweise auch ein parmal citirt, aber schleunigst wieder freigegeben. Bei den andern Brutussen hingegen machte die Fürstin entschieden Glück und Alle sind ihres Lobes voll, besonders da sie seither an alle Einzelnen, wie Vischer, Moleschott, Köchly etc intressante Briefe schreibt. Auch hat sie allen das große Rietschel’sche Medaillon Liszt’s geschickt, daß sie es bei sich aufhängen sollen.

   Grüßen Sie auch Ring von mir recht herzlich, hoffentlich ist er noch immer gleich vergnügt. Ich mußte letzthin lachen, als ihm Einer im Morgenblatt glaub ich aufrüffelte, daß er seine Damen im Romane Milton alle Augenblicke in der Augenfarbe alterniren lassen! Ich habe den Milton noch nicht gelesen, werde es aber bald thun. Auch bitte ich Sie, sonst grüßen zu wollen, wer mich etwa kennt, besonders Herrn u Frau Stahr, die Ihnen gewiß von unserm  Kadettenfest erzählt haben. Ich hoffe daß Sie mit Ihrem verehrten Herrn Oncle recht wohl und munter sind und allerhand Schönes u Gutes befördern und betreiben, und indem ich Ihnen verspreche bald möglichst etwas Gedrucktes von mir sehen zu lassen und dann wieder ein bischen zu plaudern, empfehle ich mich Ihrer

            ferneren guten Gewogenheit

            Ihr ergebenster Gotfried Keller.

  


 

26. 6. 1857  Ludmilla Assing an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 18; GB Bd. 2, S. 54>

Berlin, den 26. Juni 1857.

Sie haben wahrscheinlich nicht gedacht, daß Ihr lieber Brief erst am zweiten Pfingsttag in meine Hände gelangen würde! Er belebte mir sehr angenehm den stillen Festtag und bereitete mir große Freude; ja sogar darüber freute ich mich daß er das Datum vom Februar trägt, und mir dadurch zeigte daß Sie doch eher aufthauten als der reizende Zürichersee, dessen gefrorene Oberfläche Sie mir so schön beschreiben, und daß Sie doch vor Monaten schon sich unserer freundlich erinnerten. Das ist auch recht gut, denn Ihre „Lieblingskunst,“ sich „in eine künstliche Vergessenheit zu bringen,“ möchte Ihnen doch wohl bei uns fehlschlagen, die wir Ihrer immer mit Dank und Freundschaft gedenken werden. – Da ich Ihren Namen so lange nicht geschrieben sah, so suchte ich wenigstens, wo ich ihn gedruckt finden konnte; zwei Notizen, die ich Ihnen beilege, haben Sie nun wahrscheinlich schon längst selbst gelesen; da dies aber nicht gewiß ist, so mögen sie immer mitgehen. Die Hauptsache aber ist eine ausführliche, mit Auszügen begleitete Kritik der „Leute von Seldwyla“ in dem englischen „Athenäum“ vom 31. Januar 1857. No 1527, die Sie sich doch zu verschaffen suchen müssen, wenn Sie sie nicht schon kennen; ich las sie mit Vergnügen in der Bibliothek, wohin ich den Onkel zuweilen begleite; sie war aber zu lang, um sie in der Eile abzuschreiben. Auf Ihre Novellen, die so lange auf sich warten lassen, freue ich mich sehr. Der Eifer, mit dem Sie mich versichern, daß Sie nicht um meinetwillen Ihren Angriff gegen Heine aufgegeben, damit ich mir nur um’s Himmelswillen nicht einbilde Sie könnten mir in literarischer Beziehung etwas zu Gefallen thun, sieht | Ihnen recht ähnlich. Ich kenne das die Herren der Schöpfung wachen immer möglichst darüber, daß sie nichts thun, wodurch es aussehen könnte, als wenn sie nicht mehr die alleinregierenden Herren der Schöpfung wären! Ich habe geglaubt, grade der Starke könne nachgeben. Herkules saß bei Omphale sogar am Spinnrocken, und blieb doch Herkules. Sie könnten mir wenigstens neun Gefallen thun, und blieben doch der grüne Heinrich! – Indessen ist es gut, daß die Gefallen, die Sie mir unabsichtlich thun, schon allein ausreichen mich Ihnen zum Dank zu verpflichten: ich brauche nur Ihre Bücher zu lesen! – Nach dieser Predigt will ich mich Ihnen auch ganz aufrichtig zeigen, und Ihnen gestehen, daß das, was Sie mir in Ihrem letzten Brief von dem Plan Ihres Heinegedichts mittheilen, mir durchaus nicht mißfällt; indessen ist es im Ganzen doch besser daß es unterblieb.

   Bei dem Künstlerfest in diesem Winter habe ich mich sehr gut amüsirt, und doppelt, da ich auch den Onkel so heiter und aufgelegt sah. Wir saßen bei Tische mit Fräulein Ney zusammen, und mit Herrn und Madame Franz Duncker. Da können Sie sich denn leicht denken, daß auch Ihr Name genannt wurde. Fräulein Ney sah in einem Veilchenkranz sehr hübsch aus; den hübschen Gatten, den Sie ihr anwünschen, hat sie sich noch nicht gemeißelt, dagegen aber eine Büste des Onkels gemacht, die viel Talent zeigt und mir in Ausdruck und Auffassung sehr gelungen scheint. – Doctor Ring ist thätig und guter Dinge, und hat viel Vergnügen an seinem kleinen Sohn, Namens Victor, der bald ein Vierteljahr alt sein wird.

   Was Sie mir von den Kriegsrüstungen in der Schweiz schreiben, hat mir viel Verngügen gemacht; nun ist die Sache beendigt, zum Ruhme der Schweiz, wie sich es erwarten ließ. Auf welcher Seite unsere Sympathien waren, brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu sagen; alle Berichte, die von dort kamen, las ich mit Eifer und Bewegung und wünschte damals oft mit Ihnen sprechen zu können. Der Majestät werde ich Ihren Auftrag ausrichten, wie ich ihr begegne. –|

   Das Buch, welches diese Zeilen begleitet, bitte ich Sie freundlich aufzunehmen; es würde mir zur besonderen Freude gereichen, wenn es sie etwas zu interessiren vermöchte; die ausgezeichnete Frau, deren Leben es enthält, war mir persönlich sehr lieb und theuer, und nachdem ich sie verloren hatte und mich in der Erinnerung so recht lebhaft in ihr eigenthümliches Wesen, in ihre ungewöhnlichen Schicksale versenkte, da erschien es mir wie eine Pflicht der Freundschaft in dieser nur gar zu schnell vergessenden Zeit ihr Andenken zu bewahren und zu ehren, wie sie es verdient. So entstand diese Biographie. Ich habe beim Schreiben glückliche Stunden voll Erregung und Begeisterung verlebt; es war mir dabei als wenn die verstorbene Freundin noch einmal wieder auflebte und beständig mit mir verkehrte; ich sah sie nicht nur im Alter, wie in der Wirklichkeit, sondern auch im vollen Jugendglanz, ich theilte mit ihr ihre ganze Existenz, ich hörte ihre Stimme, ich sah ihre Augen wenn ich einschlief und wenn ich aufwachte. Möchte es mir nun auch gelungen sein, Andern eine Vorstellung ihres Lebens und Seins zu geben! – Das Titelbild hat der Onkel freundlicherweise dem Buche zum Geschenk gemacht, indem er es nach einem vorgefundenen Jugendportrait der Gräfin Ahlenfeldt stechen ließ.

   Ich wollte so gern Ihnen gleich nach dem Empfang Ihres Briefes Ihnen antworten, und zögerte nur weil Herr Duncker mir von einem Tage zum andern die fertigen Exemplare meines Buches versprach, welches er übrigens erst Mitte August will erscheinen lassen, da jetzt die Jahreszeit für Berlin zu ungünstig ist. Ich hoffe Sie schreiben nun auch bald wieder; es gehen zwar schöne Gerüchte, daß Sie zum Herbst hier erscheinen würden, aber ich wäre doch sehr froh wenn ich nicht so lange zu warten brauchte, um etwas von Ihnen zu erfahren. Dieses schöne Leben ist zu kurz zum langen Stillschweigen. |

   Nun wird es bald ein Jahr daß wir in Zürich waren, und die Rosen blühen vermuthlich wieder eben so herrlich als wir sie dort gesehen haben. Es ist doch beneidenswerth in einer solchen Gegend zu wohnen! –

   Ich bemerke eben erst daß ich Ihnen vor lauter überflüssigen Plaudereien diesmal gar nichts von unserem Berliner Leben erzählt habe; nun ist es schon zu spät, und Sie müssen schon so mit diesen Zeilen fürlieb nehmen. Der Onkel grüßt Sie herzlichst und empfiehlt sich Ihrem Andenken; er ist diesen Winter häufig an seinen gewohnten Erkältungszuständen leidend gewesen, und noch nicht ganz hergestellt, aber sonst unverändert geistig frisch und munter, mein tägliches Glück, meine tägliche Freude. In unseren kleinen Gesellschaften glänzten er, der Fürst Pückler und der General Pfuel durch ihre verschiedenartige Liebenswürdigkeit vor allen jüngeren Herren, unter denen doch manche recht artige waren. Die Gräfin Kalkreuth hat noch immer ihre gute Laune, ihre lustigen Einfälle. Als Bettine mir ihre Werke geschenkt hatte, sagte sie: „Der glaube ich nichts! Ich fürchte, das ist auch nur von ihr gelogen!“ – Von Stahrs bemerkte sie neulich: sie kleideten sich einander gegenseitig so schlecht, wie zwei Farben, die nebeneinander den Augen weh thun. Für alles hat sie einen bezeichnenden Scherz, ein pikantes Wort.

   Leben Sie wohl und seien Sie herzlichst gegrüßt!

            Ludmilla.

Ihr Empfohlener hat Ihren Brief nur abgegeben ohne einen Besuch zu machen.

   Palleske wird wahrscheinlich ein Leben Schiller’s schreiben; er fragt immer mit Eifer und Liebe nach Ihnen!

   Prutz’ Urtheil über Sie finde ich in vielem ungerecht! | – Ebenfalls an das Gebiet der Dorfnovelle anstreichend sind die Erzählungen, welche Gottfried Keller unter dem Titel „Die Leute von Seldwyla“ (Braunschweig, Vieweg) herausgegeben. Gottfried Keller hat sich durch seinen auch in diesen Blättern ausführlich besprochenen Roman „der grüne Heinrich“ den Ruf eines unserer eigenthümlichen und glücklichen Schriftsteller erworben; tiefe Kenntniß des Seelenlebens und eine echt poetische Weltanschauung verbinden sich bei ihm mit einer seltenen Plastik der Darstellung und wenn der Eindruck, den er hervorbringt, bei alledem kein ganz klarer und reiner ist, so liegt das wohl nur daran, daß der Verfasser mit sich selbst noch nicht ganz im Klaren, ja daß er gewisse Unarten und Grillen, Nachklänge unserer früheren romantischen Epoche, mit eigensinnigem Behagen pflegt, und in den Vorgrund rückt, gleich als wären es ebenso viel Vorzüge und Tugenden. Auch die vorliegenden Erzählungen sind von diesen romantischen Launen nicht ganz frei, ja in einigen derselben, wie z. B. in dem Anfangsstück „Pankraz der Schmoller“ treten sie sehr deutlich hervor. | Auch in den beiden letzten Stücken der Sammlung: „die drei gerechten Kammmacher“ und „Spiegel, das Kätzchen,“ herrscht ein Humor, der zu sehr nach jenem „kitzle mich, damit ich lache“ unserer Romantiker schmeckt, als daß er uns besonders zusagen könnte. Dagegen sind „Frau Regel Amrain und ihr Jüngster“ und „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ dem Dichter in hohem Grade gelungen. Namentlich ist der Charakter der Frau Amrain sowohl nach Anlage wie Ausführung ein kleines Meisterstück und auch die Geschichte des unglücklichen Liebespaares, das endlich, da die Erde ihrer Liebe keine Stätte bietet, seine Zuflucht in der kühlen Welle des Flusses sucht und findet, ist bei aller Einfachheit in hohem Grade erschütternd. Schade, daß der Verfasser durch den übelgewählten Titel dem Ganzen eine ironische Beziehung aufgedrückt hat, die nirgends weniger passend als an dieser Stelle. –

            R. P.

            Deutsches Museum vom 14. August 1856

            No. 33.

 


 

5. 7. 1857  Keller an Ludmilla Assing

<BJK: VS 4; GB 2, S. 55>

Zürich d. 5t. Juli 1857.

Verehrtes Fräulein Assing!
 
Als ich heute früh, am schönsten Sonntagmorgen, mich eben hinter den Webstuhl setzen wollte, auf welchem die Dunkerschen Novellen schon so lange aufgespannt sind, kam der Briefträger mit einer ganzen Buschel Briefe, Päckchen, Kreuzbände, Scheine u. d gl. alle Arten von Postformen zumal, wie sie zuweilen der launische Zufall anhäuft in der Hand unserer Merkure. Ich vermuthete verdrießlich nichts als nichtssagende lit. Aufforderungen, dumme Mittheilungen, Manuskripte unverschämter armer Teufel, welche Empfehlung u Verleger suchen, und nachdem sie von den Auktoritäten ersten Ranges höflich aber rasch abgewiesen, die Runde bei den auftauchenden Nebelsternen zweiten Ranges beginnen, unter erlogenem Vorgeben ungeheurer Verehrung, sich auf deren Eitelkeit und mindere Erfahrung verlassend. Es beschleicht und quält mich oft der Gedanke, daß ich bis jetzt der Welt noch gar nichts Reelles genützt habe, aber ein Blick auf diese, wenn auch meistens unnützen, Postkonvolute gibt mir wenigstens den leichten Trost, daß ich doch schon einen ansehnlichen Portoumsatz verursache und so zu den Staatseinkünften der verschiedensten Staatlichkeiten mein Schärflein beitrage. Ich wollte also schon die ganze Buschel in eine Ecke werfen, um den Morgen nicht so prosaisch anzuduseln, als mein Auge noch glücklicherweise ein wohlbekanntes anmuthiges Siegel attrappirte, das da mehrfach über Brief und Päckchen gestreut war. Zuerst befreite ich die arme todte Gräfin aus ihrer schwarzen Hülle, war mit einem Blick auf den Titel über die Sachlage orientiert, und las dann sogleich Ihren willkommenen gütigen Brief. Nun ist es drei Uhr Nachmittags, ich habe das Leben jener Frau, Ihr Werk, gelesen bis auf den Anhang, und da der Tag einmal zur Neige geht, will ich Ihnen gleich noch meinen Dank aufnotiren. Indessen mögen Sie bei Dunkers sich verantworten, daß ihr Manuskript um einen Tag | länger nicht fertig wird.

     Ich wünsche Ihnen nun aufrichtig und von Herzen Glück um des schönen und wichtigen Beitrages willen, mit welchem Sie unsere Literatur und die Jahrbücher deutschen Lebens bereichert haben. Ich wußte zwar schon aus Ihrem freundlichen Munde manches Bedeutsame über dies reiche, wie von einem großen melancholischen Dichter erfundene Frauenleben; aber daß es in solchem Grade typisch und poetisch und an die höchsten Ereignisse anknüpfend sei, davon hatte ich freilich keine Ahnung. Wie würdig treten Sie, und mit welch’ glücklichem und inhaltvollem Gegenstand, in die Fußstapfen Ihres verehrungswürdigen und unvergleichlichen Herren Oncle, und wenn Ihrer Schreibart auch jener künstlerisch-männliche kristallene Witz abgeht, der Herren Varnhagens Schrift durchzieht (was Ihnen durchaus nicht als ein Fehlendes angerechnet werden darf, da es nicht anders sein darf) so haben Sie doch in Klarheit, Zweckmäßigkeit und musterhafter Anordnung, in einer meisterlichen Steigerung des Interesses das Beste geleistet. Ihr Buch unterrichtet, bildet, und läßt zugleich eine Stimmung zurück, wie nach dem Genuß eines tiefsinnigen wohlgeschriebenen Romanes. Denn die Hauptgrundzüge dieses Lebens könnten nicht edler und tragischer gedacht sein. Wie erschütternd ist die Lösung u Aufklärung des Lützow’schen Drama’s nachdem im Beginne desselben die ungeschickt kalten, hohlen Liebesbriefe des Freiers Einem gleich die Ahnung erweckten, daß dieser brave frische Kriegsmann doch keine Spur ächter Frauenliebe in sich trage! Daß Elisa keinen Instinkt hiefür hatte, sondern das Eis liebte, ist freilich auch ihre tragische Schuld, wie denn überhaupt ein unverholenes ganzes und ausgestaltetes Liebesleben nirgends ersichtlich wird. Ich verkenne natürlich nicht, daß eine derartige Ausführung der Verfasserin in keiner Weise erlaubt und möglich war, aber bei den tief romantischen übrigen Grundzügen vermehrt gerade dieser Mangel an brennenderer Farbe | den dämonischen Eindruck als ob diese sämmtlichen bedeutenden Gestalten, Helden, Feen und Dichter, Eisherzen in der Brust, mit einem Feuer spielen, an dem diese Herzen sich vernichten.

     Wie herrlich zutreffend ist es aber, daß dieser gedankenlose Rittersmann, der doch so tapfer u großherzig war, daß er in allen Kämpfen nur Wunden davontrug, erst im nahenden Alter, in Kummer und Reue die aufrichtige schöne Sprache der Sehnsucht nach der Frau lernte, so daß nun seine letzten Briefe eben so schön sind, als die ersten unerträglich waren in ihrer Nichtigkeit.

     Und wie wahrhaft tragisch, daß die Gräfin abermals, in der Immerman’schen Geschichte, vernichtet wird, diesmal weil sie es zu vorsichtig, zu vorsehungsartig und gut machen wollte, abermals eine Art höheren Spieles, anstatt wie die anderen Menschenkinder das Glück auf dem geraden Wege menschlicher Dinge zu wagen.

     Aber daß die beiden Verbindungen, in welchen die Heldin des Buches mehr oder weniger glücklich war, so lange Zeiträume von 14 und 12 Jahren umfassen, während welcher sie so viel wirkt und erlebt, gibt dem Ganzen einen weiten und breiten epischen Charakter und der Heldin jene scheinbar ewige penelopeische Jugend der Alten.

     Dieß sind wahrhaftig keine Phrasen und Verzierungen von mir, sondern meine augenblickliche Stimmung, nachdem ich das Buch gelesen. Wahrhaftig, Fräulein, sie haben einen meisterlichen Trumpf ausgespielt mit diesem fertigen und so durchaus berechtigten Werke, und jeder Scherz darüber, daß Sie nun offen in die Phalanx der Schriftstellerinnen getreten seien etc. wird von vornherein unmöglich, da die Sache auch für den wohlgemeintesten Spaß zu respektabel ist. Aber es ist doch eine farbenreiche und sonnige Zeit, welche vor Ihnen lag! Wie wunderbar zart und sehnsuchterregend spielt die Gestalt jenes untadelichen Friesen’s | in unsere Geschichte herein, und wie trefflich ökonomisch verwendeten Sie dieselbe! Und dieser Vietinghoff! Es wimmelt in dem Buche von Romanzen und Balladen. Doch ich schwatze wie ein begeisterter Primaner. Item, Sie sehen, daß Ihre Arbeit wirkt!

     Daß Ihre alten Herren, die Varnhagen, Fürst Pückler’s und General Pfuel’s liebenswürdiger sind, als die Jungen, ist keine große Kunst. Wenn man die Welt in der Tasche hat wie solche Größen, und sich dergestalt unbezweifelt in die Mitte gestellt sieht, der kann sich doch gewiß leichter bewegen und hervorkehren, als der erst noch Alles zu thun und zu hoffen hat, abgesehen daß den Jungen durch die Gegenwart der Alten von selbst Zurückhaltung geboten ist. Das wäre doch schön, wenn die grauen Helden sich amüsiren, und die jungen Schlucker wollten es ihnen zuvorthun und ihnen jeden Augenblick dazwischenpfuschen!

     Ich danke Ihnen für Ihre Rezensions Abschnitzel, diesmal war mir Alles bekannt. Prutz ist ein dummer Kerl und versteht nichts, denn er rühmt gerade was schlecht und tadelt was gut ist. Paul Heyse war vorgestern bei mir und sagte mir, daß die vom König v. Baiern besoldeten Genies (er P. H. mit eingeschlossen) alle auf die drei gerechten Kammmacher schwören, und danach Punktum! Denn diesen Leuten glaube ich, da sie das rühmen, was mir selbst am besten gefällt!

     Unsere Rosen sind eben versammelt und von der Abendsonne bestreift. Sie lassen Sie grüßen; da ich sie nicht zählen kann, so weiß ich nicht genau, wieviel Grüße es sind, etwa gegen 200. Aber bereits steht eine hohe weiße Lilie unter ihnen, welche den armen rothen Teufeln heimleuchtet, dahin, woher sie gekommen sind! Denn: Vorüber ist die Rosenzeit, und Liljen steh’n im Feld, sagt Geibel sehr richtig. Gehen Sie dies Jahr nirgends hin? Sie müssen mit dem Herrn Oncel, dem ich mich angelegentlich empfehlen möchte, doch gewiß noch einmal nach Zürich kommen! Bleiben Sie ferner ein Bischen gewogen

                                                Ihrem dankbaren G. Keller

 


 

12. 8. 1857 Ludmilla Assing an Keller

 <ZB: Ms. GK 79 Nr. 20; GB Bd. 2, S. 59>

Berlin, den 12. August 1857.

Wenn ich Ihnen nur nicht undankbar erscheine, daß ich heute erst einen Brief von Ihnen beantworte, der mir eine so große und außerordentliche Freude bereitet hat! Wenige Tage, nachdem ich ihn erhielt, machten wir einen vierwöchentlichen Ausflug nach Dresden, Prag und Teglitz, und da nahm ich ihn mit, beantwortete ihn oftmals in Gedanken, ohne doch jemals dazu zu gelangen, dies mit der Feder zu thun. Nun sind wir wieder zurückgekehrt, und ich beeile mich Sie zu begrüßen, und Ihnen zu sagen wie lieb, wie angenehm, wie meine schönsten Erwartungen übertreffend alles das für mich ist, was Sie mir über mein Buch schreiben. Sie sprechen darüber wie ein Dichter, der alle Tiefen des menschlichen Herzens kennt. Wie freut es mich daß Sie sich für meine theure Gräfin Elisa interessiren! Welch ein Vergnügen, welch eine Befriedigung ist es zu schreiben, wenn es einem gelingt, diejenigen die man lange im Stillen geliebt nun auch Andern lieb und werth zu machen! – Ihr Beifall ist mir in mehr als einer Beziehung besonders wichtig, und ich danke Ihnen nochmals für all das Gute und Schöne, was Sie darüber sagen. Wohl haben Sie Recht, daß es eine begeisterte und poetische Zeit war, die ich zu schildern hatte: ich fühlte mich auch davon auf das Lebhafteste angeregt. Erst jetzt habe ich erfahren daß der edle, liebenswürdige Friesen vor dem Kriege, schon 1807 mit Alexander von Humboldt befreundet war und dem letzteren bei mehreren Arbeiten half. Humboldt, der jetzt bereits achtundachzigjährige, der noch immer | wunderbar geistesfrisch ist, schrieb dies in einem Briefe an meinen Onkel, in dem er sich sehr freundlich und fein eingehend über meine Biographie äußerte, und mir zugleich einen Brief von Friesen an ihn, den einzigen, den er besaß, zum Geschenk machte.

   Unsere diesjährige Reise war, wenn auch freilich mit der vorjährigen nicht zu vergleichen, doch sehr hübsch und angenehm. In Dresden war die Zeit durch Menschenverkehr, Kunst und Natur rasch in Beschlag genommen. Sehr interessante Abende brachten wir bei Frau von Goethe zu, einer lebhaften, graziösen Weltdame mit schneeweißen Locken, die trotz ihrer leidenden Gesundheit beinahe täglich Leute bei sich sieht. Kühne, Gutzkow und Auerbach haben hübsche und zugleich liebenswürdige Frauen, und so wären dort ganz artige Elemente zu einer gemeinsamen Geselligkeit vorhanden, wenn nicht leider dort einer mit dem andern sich so wenig vertrüge, daß alles an Vereinzelung scheitert. Eine in manchen Kreisen dort noch immer herrschende, bis an die Karikatur streifende Bewunderung für Tieck und Tiedge, fällt einem seltsam auf wenn man von Berlin kommt; es giebt Dresdener welche sich die Freiheit nehmen über ihre nächsten Mitlebenden die schlimmsten Dinge zu sagen, aber außer sich gerathen wie sie bemerken daß man an einem dieser beiden auch nur das geringste zu tadeln findet. Auffallend ist es, wie wenig man sich in Dresden für das interessirt, was uns in Berlin beschäftigt; der Onkel sagt ganz richtig: die beiden Städte kehren sich den Rücken zu. Die Sachsen scheinen weit mehr nach Österreich als nach Preußen hingewandt zu sein. – Sternberg, den wir beinahe täglich sahen, sehnt sich, trotz der Anregung welche die Kunst dort gewährt, lebhaft nach Berlin zurück, und beneidete uns daß wir bald wieder die Gendarmenthürme erblicken würden. – Auf der | Galerie brachten wir herrliche Stunden zu; die Bilder nehmen sich in ihrer neuen Wohnung im Zwinger vortrefflich aus; nur ließe sich darüber rechten daß man die sixtinische Madonna und die Madonna von Holbein jede in ein besonderes Gemach etwas wie Altarbilder aufgestellt hat. Soll diese Auszeichnung nur der Kunst, der Schönheit gelten, so bleibt die Auswahl immer willkürlich, da man dann für die Venus von Tizian oder für die Magdalene des Correggio ein gleiches Recht fordern könnte. Ich fürchte daß bei dieser Anordnung eine trübe Frömmigkeit mitgewirkt hat, die hier, und eigentlich nirgends am Platze ist. – Auch die Sammlung der Gipsabgüsse ist unter Hettner’s feinsinniger Leitung kürzlich im Zwinger aufgestellt worden. Man sieht den geschmackvoll einfachen, harmonischen Räumen an, daß sie nur um der Kunstwerke willen da sind, die sich in ihnen wohlfühlen, während dagegen die Statuen in unserem berliner neuen Museum aussehen, als wenn man sie dort wider ihren Willen eingesperrt hätte, um dem ohnehin schon zu bunten und überladenen Gebäude als nebensächliche Ausschmückung zu dienen. Hettner führte uns selbst umher, und verweilte mit Rührung bei einem Relief, welches Orpheus und Euridice darstellt, wobei er innig seiner verstorbenen Frau gedachte, die er so sehr geliebt hat. –

   Nach dem freundlichen Dresden besuchten wir das ernste, majestätische Prag, diese stolze Königin unter den Städten, die mir ihrer malerischen Lage, mit dem halb verfallenen Glanz ihres Katholizismus, mit ihren Kirchen, Klöstern und Brückenheiligen, mit ihren großen leeren Pallästen und ihren Bettlern, mit dem pikanten Gemisch der verschiedenen Nationalitäten, mit ihren geschichtlichen und sagenhaften Erinnerungen einen eigenthümlichen Reiz ausübt. Hier wird man beständig an Wallenstein erinnert, an Huß, an Ziska, an Libussa, hier fühlt man sich auf dem Boden, auf welchem die Dichtungen von Moritz Hartmann und | Alfred Meißner entstanden. Auch meine Heilige sah ich in Prag, die heilige Ludmilla, deren Bildsäule in einer Kapelle der St. Veitskirche errichtet ist. – Von Teglitz aus machten wir viele Ausflüge in die schöne, fruchtbare Umgegend, und erfrischten uns in dem schattigen Schloßgarten, der bei der größten Hitze Kühlung bot. Ich hoffe die Reise hat dem Onkel recht gut gethan; er ist wohler und munterer als zuvor.

   Berlin ist diesen Augenblick heiß und still und leer. In einigen Tagen verheirathet sich hier Fräulein Cosima Liszt mit dem Pianisten Hans von Bülow; sie wollen gleich nach der Hochzeit abreisen, und denken einige Zeit in Zürich zuzubringen. Sollte sie Ihnen dort irgendwo begegnen, so empfehle ich sie Ihrer freundlichen Aufmerksamkeit; sie ist liebenswürdig, frisch, lebhaft und natürlich, und ich glaube daß sie Ihnen gefallen wird.

   Auf Ihre Novellen bin ich recht ungeduldig; und nun soll ich gar die Schuld haben daß sie einen Tag später kommen! Etwas Ungerechtes muß doch in jedem Ihrer Briefe sein, auch in dem schönsten und besten! Das Lob der „drei gerechten Kammmacher“ haben Sie nur darum so heftig darin ausgesprochen, weil Sie wissen daß ich diese Herren am wenigsten liebe. Aber es hilft Ihnen nichts, ich werde Ihnen doch nie glauben daß Sie diese wunderliche Geschichte allen Ihren andern vorziehen!

   Die Grüße der zweihundert Rosen haben mich sehr erfreut. Ich will hoffen daß wir Zürich nicht zum letztenmale gesehen haben; es steht unverändert schön in meinem Andenken! Darf man denn auch noch hoffen daß der Winter Sie nach Berlin führt?

   Leben Sie wohl, und schreiben Sie mir recht bald wieder! Der Onkel grüßt Sie mit mir herzlich und freundschaftlich!

            Ludmilla.



 

26. 8. 1857  Keller an Ludmilla Assing

<BJK: VS 5; GB 2, S. 60>

Zürich 26t. Aug. 1857.

Verehrtes Fräulein.
 
Sie gewährten mir mit Ihrem freundlichen, für ein Nichts so dankbaren Briefe eine große Beruhigung in Ansehung meiner ersten Aeußerung über Ihr Buch; denn seither fürchtete ich, sehr unklares und übereiltes Zeug über klare und wohlangelegte Arbeit hingesprudelt zu haben, so daß Ihnen mein verwirrtes Lob eher unangenehm als genehm sein möchte. Nun sehe ich, daß es doch nicht so übel gegangen ist, denn Ihre Huld ist unerschöpflich! Natürlich mußte Adolf Stahr nach seiner Weise sich sogleich der Sache bemächtigen, um sich auch hören zu lassen. Das Raisonnement in der Kölln. Zeitung, aus diesem Munde, hat mich sehr geärgert. Wenn schwache Menschen ihren ungezogenen Herzen den Zügel schießen lassen und verwunderliche Lebensläufte aufführen, so mag es noch angehen, wenn sie im übrigen sich dabei still verhalten; allein wenn sie sich nun berufen fühlen, gerade in den heikeln oder difficilen Dingen, in denen sie sich selbst vergangen, immerfort und überall als Schiedsrichter und Ehrenmesser aufzutreten, so ist das unerträglich. Ich selbst durchschaue das Immerman’sche Verhältniß nicht genug, um mir ein bestimmtes Urtheil zu bilden, | und das, was mir zu einem kurzen und bündigen Bescheide fehlt, ist derart, daß man nicht wohl sich darnach erkundigen kann. Dennoch kann ich selbst von Stahr nicht begreifen, wie er solche Anschuldigungen und erbärmliche Beweggründe auftreiben und vorbringen mochte. Es lag so nah, die unglückliche Wendung allenfalls einem edleren weiblichen Irrthum zuzuschreiben, welchen die Irrende selbst zu büßen hatte, und dann wäre die äußere Gesittung gegen die Heldin, wie gegen die Verfasserin des Buches wenigstens geschont worden. Aber in die Vorstellungsweisen ordinärster schlechter Klatschgesellschaft einzugehen, war nur diesem Unglücklichen und seiner „Schule der Frauen“ vorbehalten.

     Uebrigens bin ich doch der unmaßgeblichen Meinung, das ganze Unglück wäre verhütet worden, wenn der junge Mensch, so Immermann hieß, sich nicht in die Frau eines andern verliebt hätte. Denn so sehr ich als Dichterling die Leidenschaft zu erheben verbunden bin, so sehr brauche ich für dieselbe auch eine natürliche Grundlage der Zweckmäßigkeit u Möglichkeit. Daß die Gräfin nachträglich von Lützow verstoßen und frei wurde, war für Immerman bloß ein Zufall. Es gefällt mir überhaupt schlecht, wenn junge noch unfertige Menschen ihre Augen auf Frauen werfen, es ist eine verkehrte Welt, die sich an Immerman dadurch rächte, daß er im Schwabenalter und als verpflichteter Mann erst das that, was er früher hätte thun sollen. Doch gewiß ist es sehr ungalant, daß ich Sie mit diesen Skurrilitäten | ennüyire, und nur Ihre Langmuth läßt mich dieselben nicht wieder ausstreichen.

     Sie haben mit Ihrem verehrten Herrn Onkel wieder einen rechten Bienenflug gemacht und ich freue mich all’ dessen, was Sie erfreut hat. Was die Sixtinische Madonna betrifft, so bin ich über die Einzelaufstellung derselben nicht Ihrer Ansicht. Das Bild ist trotz aller anderen Gestirne so einzig und wunderbar in seiner Weise, daß ich, der es erst in seinem Ecksäälchen, und früher nie, gesehen hat, mir es gar nicht unter andern Sachen denken kann. Die Dresdener Gesellschaft scheint recht nichtsnutzig zu sein, denn Hettner und Auerbach sind nun auch gänzlich auseinander. Hettner beklagt sich, daß er sich zu all’ den belletristischen Größen nur dann gut stehe, wenn er immer mit Anzeigen und Rezensionen bereit stehe, was ihm auf die Dauer langweilig und unwürdig vorkomme.

     Die letzten Wochen waren auch deutsche Freunde hier, mit denen ich in der Nähe herumzog und dabei selbst so schöne Winkel und Striche entdeckte, daß ich eines eigenen Reis’chens überhoben war. Um Zürich zu schätzen, müssen die Fremden wirklich einige Zeit hier weilen und sich recht herumführen lassen. Auch erscheinen öfter allerlei intressante Gesellen, so jüngst der Otto Müller und der Halle’sche Liedercompositeur Robert Franz, welcher mich sehr anschwärmte, so daß ich ganz aufgeblasen wurde. |

     Das Bülow’sche Ehepäärchen wird bei R. Wagner schon lang erwartet. Wenn ich etwa gnädigst zugezogen werde zu diesen Episödchen des Zukunftskultus, so werde ich ehrlich Ihr Lob der Cosima zu bestätigen trachten.

     Ich werde den Winter sehr vermuthlich auf etwa 8 Tage nach Berlin kommen, nur kann ich noch nicht sagen ob vor oder nach Neujahr.

     Ich wünsche herzlich, daß Herr v. Varnhagen und Sie nun einem recht freundlichen und sonnigen Herbste entgegenleben und empfehle mich Ihrem beidseitigen fernern Wohlwollen mit meinen ergebensten Grüßen!

                                                Ihr Gottfried Keller.

Die Novellen werde ich nächstens abschicken. Möge ich meinen wackeligen Schriftstellernamen nicht damit umblasen!

     Sie steuern ja mit vollen Segeln in das Meer der Oeffentlichkeit hinaus; nun mit demwirklichen Bilde Ihres theuren Onkels, als Künstlerin, nachdem das Lied von der romantischen Gräfin vorangegangen! Glück auf die Fahrt!

 


 

23. 9. 1857  Ludmilla Assing an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 22; GB 2, S. 63>

Berlin, den 23. September
1857.

Eben habe ich wieder Ihren letzten mir so willkommenen Brief durchgelesen, und mich nochmals an allem Guten und Schönen darin erfreut. Ich danke Ihnen recht herzlich dafür! Daß dieser Winter Sie uns bringen soll ist das Beste von allem! Wir beide sehen Ihrem Kommen mit Ungeduld entgegen; nur können und wollen wir es uns gar nicht denken daß Sie wirklich nur acht Tage für das arme Berlin haben sollten. Ich habe die Zahl in Ihrem Brief immer wieder angesehen, aber sie bleibt eine Acht! Nun, wie es sei, jedenfalls ist es schön Sie wiederzusehen! –

     Ihr Urtheil über Stahr ist sehr streng, aber ich muß es doch gerecht finden. Es sind entschieden seine persönlichen Verhältnisse, welche seinen kritischen Blick trüben. Das bittre Unrecht, welches er der edlen Gräfin zufügt, hat auch mir leid gethan. Die Freundin der Gräfin in Düsseldorf, Madame Elisabeth Grube hat in der „Düsseldorfer Zeitung“ einen langen Artikel als Entgegnung auf die Stahr’sche Kritik erscheinen lassen, welcher in den Hauptsachen die Gräfin recht gut vertheidigt. Eine Stelle aus einem Briefe Elisens an Mad. Grube, gleich nach dem Tode Immermann’s, welche darin mitgetheilt ist, hat mich vor allem interessirt; die Worte lauten: „Ach, lassen Sie mich wissen, wo der Verklärte ruht – meine Gedanken sind beständig auf dem Friedhofe, wo ich so oft unter den heitersten Gesprächen mit ihm mich erging, stets Gottes Huld preisend, daß kein nahes, geliebtes Haupt mir dort ruhe. Damals sprach er es oft aus: „wer zuerst heimgeht, der läßt das Gewölbe so groß mauern, daß der Andere noch Platz findet.““ – Wie ich dies las, da fielen mir wieder | recht lebhaft Ihre schönen Worte ein, daß Elisens ganzes Leben wie von einem großen, melancholischen Dichter erdacht sei, denn wie poetisch und verhängnißvoll ist auch dies: daß die Freunde in Düsseldorf nun doch das Gewölbe so groß machen ließen, damit – nicht Elisa – wohl aber seine junge Frau einst neben ihm Platz finden sollte, und daß nun doch die Stelle ewig leer, und des Dichters Grab ewig einsam bleibt, weil seine Frau durch ihre zweite Heirath ihm nicht mehr angehört! – Alles was Sie mir über mein Buch sagen, ist mir so wohlthuend, so angenehm, daß ich es Ihnen gar nicht beschreiben kann, und wenn ich Sie nun damit ermüden sollte, daß auch ich Ihnen so viel davon spreche, so haben Sie sich dies selbst zuzuschreiben. Mir ist von den verschiedensten Seiten so viel freundliche Anerkennung zu Theil geworden, wie ich sie nie erwartet hätte; aber auch einiger Tadel läßt sich vernehmen; trifft dieser nur mich wie der in den „Grenzboten“, so mache ich mir gar wenig daraus, aber wenn man die Gräfin verkennt, das kränkt mich. Mir scheint es, als wenn jetzt ein kühler Luftzug geringer Moral in unserer Literatur herrschte, die das Höhere nicht begreift. Die Leute gehen so weit in ihrer beschränkten Tugend daß sie ein ideales Verhältniß, wie dasjenige der Gräfin zu Immermann mißbilligen, nicht aus Gemeinheit, sondern wie sie behaupten, aus lauter Tugend. So führt die Übertreibung zum Unsinn! – Sie verstehen alles, weil Sie ein Dichter sind, und ich möchte mich oft eigens bei Ihnen bedanken daß Sie zu meiner Freude so sind wie – Sie sind! – Ich freue mich auch recht auf Ihre Novellen; ich weiß daß alles was Sie schreiben ein Stück Ihres Lebens ist, ganz abgesehen davon ob Sie es selbst erlebt haben oder nicht. Ich wundere mich oft beinahe wenn so ein Buch von Ihnen ganz still neben mir liegt, denn es kommt mir so sehr wie pulsirendes Leben vor, daß ich weniger erstaunt sein würde wenn ich es athmen | hörte oder seine Wärme fühlte. – Von mir aber müssen Sie nicht glauben, daß ich „mit vollen Segeln in das Meer der Öffentlichkeit hinaus steuern“ wolle; Sie wissen doch hoffentlich daß ich nicht zu jenen Frauen gehöre, die aus Eitelkeit und Müssiggang, in Ermangelung von etwas Besserem nach Ruhm verlangen? Die Lithographie von dem Portrait meines Onkels erschien ganz ohne meine Absicht in der Öffentlichkeit kurz ehe meine Biographie fertig war, ein junger Bekannter von uns, ein angehender Architekt, bat mich zuerst nur, ob ich ihm das Bild leihen wolle, damit er es auf Stein zeichnen und an einige seiner Freunde vertheilen könne; erst später verfiel seine Mutter darauf, es einer Kunsthandlung zu geben. Das kam also ganz zufällig. Für’s erste wird auch wohl noch nichts wieder von mir gedruckt werden. Was später geschieht, weiß ich nicht. Wahr ist es, daß die literarische Thätigkeit einen großen Reiz ausübt; wenn man von seinem Gegenstand recht ergriffen ist, lebt man ein doppeltes Leben, man lebt in zwei Welten zu gleicher Zeit, und das ist ein innerer Reichthum, der einen ganz glücklich machen kann. Einstweilen lese ich sehr viel ältere Literatur, und habe mich so in das vorige Jahrhundert hineingearbeitet, daß ich mich in Acht nehmen muß meine Briefe nicht 1757 anstatt 1857 zu datiren.

     Der Herbst ist so schön als Sie ihn uns gewünscht haben, und der Onkel, der Sie herzlichst grüßt, so herrlich wohl und frisch wie möglich. Ich war sieben Tage bei Hamburg auf dem Lande bei meinigen dortigen Verwandten, wohin er mir sieben Briefe schrieb. Lange mag ich auch nicht von ihm fort sein! –

     Über die Versammlung der evangelischen Christen in Berlin haben Sie wohl die Berichte gelesen? Wer hätte wohl vorher gedacht daß den Hauptgegenstand der frommen Verhandlungen ein Kuß bilden würde, der Kuß, welchen Herr Merle d’Aubigné Herrn Bunsen, | oder wie Herr Merle d’Aubigné später zu seiner Entschuldigung versicherte, Herr Bunsen ihm gegeben! Die Untersuchungen, ob Herr Merle d’Aubigné selbst geküßt habe, oder nur geküßt worden sei, ob Herr Bunsen der personifizirte Unglaube wäre, oder doch vielleicht am Ende noch ein Christ sein könne, waren unendlich komisch und bildeten hier eine Weile das Tagesgespräch. – Etwas Gescheutes zu Stande gebracht, haben die frommen Herren durchaus nicht, aber der König hat sich gewiß amüsirt als die ganze geistliche Schaar zu Potsdam vor ihm die Revue passirte.

     Jetzt ist der ehemals so berühmte französische Sänger Düprez hier, der sich, seit er nicht mehr singt auf Composition gelegt hat, und Proben seines musikalischen Drama’s „Samson“, Text von Alexander Dumas, für das hiesige Publikum von Hauptner in’s Deutsche übersetzt, hier zur Aufführung bringen will, weil er, wie er sagt, in Berlin besonderen Sinn für ernste Musik voraussetzt. Der Marquis von Cüstine hat dem Onkel Düprez empfohlen; er ist ein muntrer, lebhafter, kluger Franzose von ungefähr fünfzig Jahren. Obgleich er öffentlich nicht mehr singt, machte er uns doch in einer kleinen Abendgesellschaft bei Frl. Folnar die Freude einiges vorzutragen. Er muß außerordentlich gewesen sein, denn noch jetzt ersetzt er durch Leidenschaft und Genie die hie und da fehlende Stimme. Als man sein schönes Feuer lobte, sagte er: „J'ai toujours chanté avec ce feu, depuis ma dixhuitième année; avec ce feu, j'ai éteint ma voix mais le feu est resté!“ – Diese Worte hatten etwas Rührendes! Ich wollte nur, daß ihm seine Aufführung hier gelänge. –

     Die jungen Bülow’s sind vermuthlich noch in Zürich; wir waren hier zu ihrer Hochzeit eingeladen, zu der auch Liszt auf einen Tag nach Berlin kam, um die ihm gewiß sehr ungewohnte Rolle eines Brautvaters zu spielen. Die Trauung war in der katholischen Kirche. | Ich wünschte Ihnen beiden viel Glück auf der unsichern Lebensfahrt. Das musikalische Talent haben sie beide; Cosima spielt meiner Empfindung nach, noch schöner als Herr von Bülow. Cosima ist frisch und liebenswürdig; ich wollte sie hätte die Freude gehabt Sie kennen zu lernen.

     Duncker’s haben wir noch nicht wiedergesehen; ich vermuthe, sie sind noch nicht von der Reise zurückgekehrt.

 Nun leben Sie wohl, und wundern Sie sich nicht zu sehr daß dieser Brief wieder so lang geworden ist. Ich grüße das schöne, zauberische Zürich, und alle, die unserer noch darin freundlich gedenken, vor allem Sie selbst! Bleiben Sie ferner gut Ihrer Ihnen herzlich ergebenen

                                                Ludmilla.



 

25. 11. 1857  Keller an Ludmilla Assing

<BJK: VS 6; GB 2, S. 63>

Zürich d. 25 Nov.1857.

Sehr verehrtes Fräulein!
 
So sehr ich in Ihrer Schuld bin wegen Ihres über die Maßen freundlichen und gütigen Briefes vom 23 September, so müssen Sie doch in Betracht ziehen, daß ich, indem ich ein Häufchen Briefe durchmustere, den Ihrigen aus der Reihenfolge herausnehme und ihm trotz einiger schreienden Vorgänger durch ergebenste Erwiederung seine Briefseelenruhe zurückzugeben suche. Freilich damit auch mir die meinige; denn so lang unerwiedert gebliebene Briefe auf dem Arbeitstische spucken, ist es um unser Gewissen schlecht bestellt. Nicht als ob es mir nicht Vergnügen machte, manche schnöde Philisterbriefe als unbegrabene Leichen sich verkrümmeln zu lassen, daß aber Ihre Briefe nicht darunter gehören, wissen Sie schon, sonst wären Sie nicht so freundlich gegen mich.

     Gewiß stecken Sie jetzt wieder im regsten geistigen Verkehr, wie er zu Winters Anfang in Ihrer Umgebung besonders anhebt, und hoffentlich sind Sie bereits daran, Ihre Drohung, vor der Hand nichts mehr schreiben zu wollen, näher zu überlegen und thatsächlich zu untergraben. Es ist übrigens durch das Haus, in dem Sie leben, dafür gesorgt, daß Sie Verantwortlichkeit genug haben, Ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, sondern manches goldene Fädchen abspinnen, was herumfliegt von dem reichen Wocken, der da seit lange steht. Ich setze voraus, daß Herr von Varnhagen diesen Winter wenigstens eben so leidlich und ungetrübt angetreten habe, wie die früheren, und knüpfe hieran meinen Dank für den wohlwollenden Gruß aus der Ferne, welchen ich durch Vermittlung eines „Album des literar. Vereins in Bern erhielt. Denn dies Album ist geziert und geehrt durch mehrere Beiträge Ihres verehrten Onkels, und darunter eine überaus wohlwollende Anzeige des gr. Heinr., die ich zwar schon kannte, deren anmuthiges Nachsenden aber in meine Heimath mich jetzt erst recht mit dankbarer Freude erfüllt hat. | Ueber die Potsdamer Revue der ärgsten religiösen Phrasenröcke Europas habe ich sehr lachen müssen. Es war aber ein Hauptschade, daß der selige Radowitz nicht mehr dabei war, das hätte unberechenbar neue Gruppen angesetzt, wie wenn man in ein Kaleidoskop noch eine neue bunte Bohne hinzuthut. In diesem Augenblicke fällt mir auch ein Tischrückerbüchlein von einem Rendanten Hornung in Berlin ein, welches ich käuflich an mich gebracht und mit aufgesperrten Augen gelesen habe. Bitte, sagen Sie mir doch, was mit den Herren Generalen an der Sache ist, und ob dieselben wirklich daran glauben! Das Faktum jedoch, daß Heine in Berlin spucken muß, ist unbezahlbar und man möchte sich die Haare ausraufen, daß er es nicht selbst mehr weiß und die klassische Geschichte besingen kann! Es wäre jedoch von Berlin zu erwarten gewesen, daß es seinen Heine ein wenig feiner und charakteristischer spucken ließe.   

     So eben las ich in Gutzkows Unterhaltungen sein Votum über Ihr Buch. Er hat’s diesmal gnädig gemacht. Als ich aber in Dresden war, hörte ich ihn mit eigenen Ohren in einer Gesellschaft, welche größtentheils aus frommen Nazarenerkünstlern bestand, sich mit großer Heftigkeit gegen Göthes Verhalten zu den Frauen äußern, als einem durchaus frivolen und unsittlichen, und er hielt diese Äußerung gegen jene Nazarener, die Göthen artig und fein vertheidigten, mit eigensinniger Hartnäckigkeit fest. Heute nun vertheidigt und erhebt er Immermann wegen seines Verhaltens zu Elisa v. Ahlefeldt mit der wunderbaren Phrase: Das sei eben Männerschicksal und zwar besonders der Männer, welche bei der Antike und bei Göthe in die Schule gegangen seien! So sind diese Herren! Was sie augenblicklich sprechen, ist stets nur eine taube Frucht des unabtreiblichen Bedürfnisses, für den Augenblick eine winzige kleine Wirkung zu erzielen. Sie geben stets nur Scheidemünze aus, weil sie, wie die Bettler, keine Silberstücke in der |  [in der] Tasche haben.

     Grüßen Sie doch von mir die zierlichen Bülow’sleute. Ihr Lob der Cosima hat sich glänzend bewährt, und diese vortreffliche und eigenthümliche junge Frau hat mir so wohl und ungetheilt gefallen, wie seit langer Zeit kein Frauenzimmer. Man muß ihr wirklich alles Gute wünschen und möge sie bleiben, wie sie ist, in der rennomistisch verschrobenen heutigen Welt! Im Zuschauer der Kreuzzeitung las ich mit Behagen, daß in Berlin Eis gefahren wird. Bei uns ist heute, nachdem es ein Vierteljahr lang trocken und schön war, ein milder warmer Regen eingetreten, doch hoffen wir unverschämter Weise auf einen nochmaligen letzten Nachsommer. Ich habe den göttlichen Herbst hindurch den sonnigen Farbenwechsel auf Kreuz u Querzügen eingesogen und damit manch’ Schöpplein jungen Weines, von dem das Land überfließt. Die Bauern heimsten von allen Früchten den schwersten Ueberfluß ein und sind jetzt eben so wohlgelaunt, als unsere Seidenfabrikanten, die nach Amerika machen, kleinlaut. Die vergnüglichste Tour machte ich vor vierzehn Tagen nach meinem Dorfe, wo ich Gevatter stehen mußte. Ich ging, da es das herrlichste Frühlingswetter war, zu Fuß hinaus, und schon unterwegs fand ich in einem alten Städtchen, wo ich einkehrte um ein Schöpplein zu trinken, ein junges Landbäschen vor, das da mit seinem Bräutigam Einkäufe für die Hochzeitkleider gemacht hatte. Ich setzte mich mit Ihnen auf ihr Gefährt und fuhr vollends mit hinaus. Das Bäschen, welches in bloßen Armen war und in der Herbstdämmerung anfing zu frieren, zog meinen Ueberzieher an und der Bräutigam sang himmlisch schön, während ich den Pack mit seinen und seiner Braut Hochzeitskleiderstoffen auf den Knieen hielt, was mir auch warm gab. Am Sonntag mußte ich den ganzen Tag neben der Pathin, einem wohlgezogenen Bauernmädchen figuriren, das einfach schwarz gekleidet war in wollenem Zeug, aber mit einer schönen goldenen Kette. In der hellen freundlichen kleinen Kirche mußten wir am Taufstein zierliche Knixe machen, und nachher beim Mahle vom Mittag bis in die Nacht oben am Tische sitzen. Hier bemerkte ich etwas sehr Artiges. Als nämlich die Gäste lustig wurden | und begannen, die üblichen Schwänke vorzutragen, wobei keiner zurückbleiben wollte, geschah es, daß der Eine oder Andere sich etwas ungeschickt anließ, übernahm oder gänzlich verunglückte. Nun war meine ländliche Nebenpathin die höchste Instanz am Tisch, vermöge ihres Geschlechtes, ihres heutigen Amtes und ihres „Ranges“ im Dorfe, denn ihr Papa hat zwanzig Kühe im Stall. So war es an ihr, mit dem Lachen über einen Schwank das Signal zu geben, und sie übte dies Ammt mit solcher Liebenswürdigkeit und Menschenfreundlichkeit, daß Keiner um das rettende Gelächter kam. Nicht Einen armen Teufel ließ sie stecken, und wenn man glaubte, Der oder Jener gar zu Plumpe fiele nun gewiß durch, so erhob sie doch noch rechtzeitig die wohllautende Stimme, als ob sie sich königlich amüsirte und wir lachten Alle auf’s Heiterste mit, wie wenn der feinste Witz gefallen wäre. [Dergleichen habe ich nun in einem Salon noch nie gesehen!] (pardon!) All dies junge Volk waren in meiner früheren Zeit, wo ich auf dem Dorfe mich umtrieb, ganz kleine Kinderchen, die ich in der Wiege gesehen habe.

     Ob ich diesen Winter nach Berlin komme, ist wieder ungewiß. Jüngst erhielt ich das närrische Anerbieten, als Sekretär des Kölnischen Kunstvereines nach Köln zu kommen mit 500 Thaler Gehalt und einer täglichen Stunde Beschäftigung. Da ich spaßhafter Weise mir den Anschein gab, als ob es mir nicht übel däuchte, entstand in Zürich ein Laufen, damit ich hier bliebe, und es wurde der alte Plan fertig gemacht und mir um die Kehle geschlungen, daß ich ein Professorlein werden solle, so gut es Gott gerathen läßt. Obgleich ich nun selbst nichts weiß, so will ich es dennoch riskiren, 1tens um während einiger Jahre den bürgerlichen Begriffen genugzuthun und mittelst der Eselsbrücke von Ammt u Einkommen über | die kritische Zeit hinwegzugehen, und 2tens weil ich durch die Studien, welche solche Sache erfordert, vor dem geistigen Einfrieren bewahrt werde und vor dem Versinken in ein vagues Belletristenthum. Ich werde jedoch nur wenig Stunden zu lesen haben und in der Wahl des Vorzutragenden ganz frei sein. Ich werde auch nie das Gleiche 2mal vorbringen, sondern mir einige Gegenstände ausarbeiten und wenn diese abgespielt sind, mich wieder bedanken, da ich inzwischen dann schon wieder ein anderes Terrain werde erobert haben. Denn als ein Schnurrpfeifer von Schulmeister möchte ich nicht sterben.

     Die Herren Prof. Vischer und Moleschott lassen sich bei Ihnen angelegentlich empfehlen. Moleschott hat seinen Vater verloren, sonst ist er sehr munter und wehrt sich pathetisch seiner Haut. Der letzte Theil von Vischers Aesthetik, worin er die Poesie behandelt, hat doch einen großen Fond von gesundem tüchtigem Inhalt an Grundsätzen wie an Erfahrung. Vischer scheint uns in Zürich nicht recht zufrieden zu sein, da die großen philosophischen Auditorien fehlen, wie sie in Deutschland noch möglich sind. Wenn es nun in Preußen etwas helleres Wetter geben sollte, so müßte er eigentlich nach Berlin geholt werden, wo er mit seiner einfachen frischen und handfesten Natur eine ganz wohlthätige Erscheinung abgäbe. Denn ich glaube das ästhetisirende Berlin ist nachgerade ein wenig sehr verschliffen.

     Grüßen Sie doch in der Dunkerei von mir, wenn Sie etwa dahin kommen, und sie sollten sich das Warten auf meine Novellen wohl schmecken lassen. Sie werden übrigens nun unversehens etwa ankommen, da ich diese Dinge in nächster Zeit abstoßen muß um für mein geheiligtes Lehrammt reinen Tisch zu haben. Ich halte mich schon sehr würdig und gehe nur in solche Gesellschaften, wo die Rektoren und alten Ordinariusse sitzen, und bereits ziehen 3 oder 4 Studenten auf der Straße die Mützen! |

     Dieser Tage hat Ira Aldridge in Zürich gastirt und nächstens kommt eine italienische Operngesellschaft. Ich möchte lieber mal wieder Dawison und Emil Devrient sehen.

     Nun empfehle ich mich recht herzlich dem verehrten Herrn Geheimrath, so wie Ihnen, und ich bitte Sie, sich nicht zu lange zu rächen sondern mich gelegentlich wieder mit einem Gruß und Bericht von Ihrem Ergehen zu bedenken!

                                                Ihr ergebenster
                                                Gottfried Keller.

Nun schneit es doch endlich!

 


 

15. 12. 1857  Ludmilla Assing an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 24; GB 2, S. 68>

Berlin, den 15. Dezember
 1857.

Nein, ich räche mich nicht für Ihr langes Stillschweigen, schon deßhalb nicht, weil ich dazu viel zu große Lust habe Ihnen recht herzlich zu danken für Ihren schönen, willkommenen Brief, der mir große Freude gemacht hat. Ich lese Ihre Briefe immer mehrmals, und sinne dabei vergnügt nach über Ihr eigenthümliches, seltsames Wesen, das einem so deutlich daraus entgegentritt. – Wie ich so lange nichts von Ihnen hörte, stellte ich mir zuweilen vor, Sie würden einmal plötzlich selbst bei uns erscheinen; das ist nun wohl leider kaum mehr zu hoffen, und so herzlich ich Ihnen die Professur in Ihrer schönen Heimath gönne – mir auch schon im Voraus vornehme Ihnen recht verehrungsvoll und feierlich zu begegnen, wenn Sie erst in Amt und Würden sind – so bedaure ich doch sehr daß dadurch die Aussicht in weite Ferne gerückt wird, Sie hier zu sehen. Übrigens ist es gewiß eine dankbare Wirksamkeit, indem man Andre unterrichtet, selbst auf der Bahn der Wissenschaft weiter zu streben. Ich möchte wohl einer der Studenten sein, die Ihnen zuhören werden!

     Ihre Herbstfahrten und Gänge, das liebenswürdige Brautpaar, welches Sie begleitete, die Tauffestlichkeiten und die aus Gutmüthigkeit lachende Pathin haben mir viel Vergnügen gemacht. Wie schön muß es gewesen sein überall in der herrlichen Gegend umherzustreifen! Sogar bei uns war der Herbst schön wie nie zuvor, und das warme Wetter war für den Onkel so günstig, daß er sich wohler befand und noch befindet, als man es sonst in dieser Jahreszeit von ihm gewohnt ist. Da haben wir denn den Winter sehr angenehm begonnen; unsere kleinen Gesellschaften werden fortgesetzt, und unter die alten Bekannten mischen sich immer einige neue Gestalten. Zu diesen letzteren gehört Doctor Ferdinand Lassalle, der in Paris mit Heine befreundet war, und jetzt | eben ein großes Werk: „Philosopie Herakleitos des Dunkeln von Ephesos“ herausgegeben hat, welches allgemeines Aufsehen erregt hat, und von Humboldt, Böckh und allen andern gelehrten Größen um die Wette gepriesen wird. Lassalle ist lebhaft, von glänzendem Verstand, von ausgezeichnetem Geist. Sehr lieb ist es mir auch daß wir jetzt Herrn und Madame Franz Duncker zuweilen sehen; Madame Duncker gefällt mir sehr, sie ist munter und liebenswürdig. Der alte General Pfuel ist noch immer das bemooste Silberhaupt unserer Kaffee’s, so rüstig und aufgeweckt als jemals. Daß er und General von Willisen mit an dem Hornung’schen Unwesen Theil genommen, ist eine Thatsache, die sich leider nicht läugnen läßt. Bei unserem guten Pfuel war freilich für ihn die Hauptsache, das Ganze als einen pikanten Spaß lachend und dramatisch zu erzählen, während seine rege Phantasie ihn verleitete auf der Gränzlinie zwischen Glauben und Unglauben hin und her zu schwanken. Einen gröberen Betrug, eine geistlosere Erfindung, einen ärgeren Blödsinn kann es aber schwerlich geben als in diesen Hornung’schen Sitzungen vorkamen. Man sollte nicht glauben daß dergleichen in unserer Zeit noch möglich sei, und noch dazu in dem aufgeklärten Berlin, wo Alexander von Humboldt lebt. Und Heine’s heller Geist muß dazu so albern gemißbraucht werden! – Sogar der Geisterseher Justinus Kerner schrieb dem Onkel vor einiger Zeit mit Entrüstung über Herrn Hornung, den er persönlich kennt, und prophezeiht ihm ein Ende im Irrenhaus.

     Das literarische Ereigniß des Tages sind hier jetzt die „dramatischen Werke“ von Gisela von Arnim, welche in zwei Bänden herausgekommen sind. Gewiß in vielen Jahren hat es kein Buch gegeben, das ein so einstimmiges Mißfallen, so viel Entrüstung und Verachtung hervorgerufen hätte. Die wenigsten Leser konnten, trotz der Neugierde, welche ihnen der Name der Verfasserin einflößte, die beiden Bände zu Ende bringen, alle sind darüber einig daß sie noch nirgends so viel Faselei, Geschmacklosigkeit, Unsinn und Gedankenarmuth beisammen gefunden, daß es eine so gänzliche Talentlosigkeit, einen so entschiedenen Mangel an gesundem Menschenverstand | nicht zum Zweitenmale geben könne. Diese Urtheile sind um so niederschlagender, da Bettina und ihre Familie schon im Voraus aller Welt verkündet hatten „die Gisel besitze ein dramatisches Talent, welches Shakespear bei weitem überträfe!“ – Am schlimmsten ist bei diesem Ereigniß Herrmann Grimm daran, und einstweilen hat das Buch auf ihn die Wirkung hervorgebracht, ihn zu einem Einsiedler zu machen. Er ist nämlich durch diese Dramen in eine so tödtliche Verlegenheit versetzt, daß er behauptet, sie noch nicht gelesen zu haben – obgleich eines davon ihm und Joachim gemeinschaftlich zugeeignet ist – und seit ihrem Erscheinen sich keinen Abend mehr in Gesellschaft wagt, um den unausbleiblichen verwerfenden Urtheilen zu entfliehen. Die arme Gisela thut mir eigentlich leid, aber ihre Werke sind in der That nicht zu retten, und auch ich muß bekennen, daß mir noch nie etwas so Ungenießbares vorgekommen ist. Ich gehe nicht näher auf den Inhalt ein; ich denke, Sie werden sich diese Dramen selbst ansehen. – Um von dem Verfehltesten gleich auf das Beste zu kommen, muß ich doch auch die „Erzählungen eines Unstäten“ von Moritz Hartmann hier erwähnen. Welch anmuthige, tiefe, liebenswürdige Dichtungen sind das! Ich habe lange nichts gelesen, das mir solche Freude gemacht hätte. Es ist ein Zauber in diesen Erzählungen, der mich zuweilen an die Sand erinnert. Wenn nur auch erst Ihre Novellen endlich da wären! Ich glaube Sie wollen sie erst erleben, ehe Sie sie schreiben! – Was mich betrifft, so will ich nicht verschwören daß ich einmal wieder ein Buch schreibe, aber gewiß fange ich es nicht eher an, als bis ich Ihre Novellen gelesen habe, auf die ich nun schon so lange warte!

     Sie bereiten mir das süße Vergnügen daß Sie meine Kritiker kritisiren: ich kann nicht anders als freudig beistimmen, auch in dem, was Sie über Gutzkow und sein „Männerschicksal“ sagen. Wahrscheinlich sind Ihnen seitdem die Angriffe der „Kreuzzeitung“ gegen mich, die von einem Herrn Tietz verfaßt sein sollen, zu Gesicht gekommen. Sie können sich denken daß ich mir daraus nichts gemacht habe, daß ich mir im Gegentheil die Angriffe eines Blattes zur Ehre anrechne, welches ich immer als einen Feind ansah, der alles dasjenige schmähte, was ich am | meisten liebte und verehrte.

     Über den traurigen Zustand, in dem der König sich befindet, werden Ihnen die Zeitungen berichtet haben. Eine Herstellung seiner geistigen Kräfte hält man allgemein für sehr unwahrscheinlich. Die Übergangszeit der Gegenwart ist seltsam genug. Es giebt Leute, die sich wundern daß die Regierung ohne eine eigentliche Spitze ihren gewohnten Gang weiter geht; es zeigt dies im Grunde nur wie wenig es zu regieren giebt! – Der Tod Rauch’s hat hier große Theilnahme erregt. Die hohe, edle Gestalt, der man so oftmals in den berliner Straßen begegnete, wird nun auf ewig fehlen! Rauch war das seltene und glänzende Beispiel wie schön auch noch das Alter sein kann. Wenn alle die Statuen, die er geschaffen, seinem Sarge hätten nachfolgen können, es wäre ein großartiges Leichenbegängniß geworden! –

     Haben Sie denn etwas Näheres erfahren von der Gewitterwolke, die über Ihres Freundes Hettner’s Haupte schwebte, indessen noch glücklich vorübergezogen ist? Fanny Stahr, die schon früher einmal einem trauernden Wittwer, dem Maler Gurlitt, eine ihrer Schwestern zur Frau aufcomplimentirte, hatte, wie es scheint, eine ähnliche Absicht mit ihrer Schwester Jettchen und Hettner im Sinne. Mir kommt vor, nach dem Gerede zu urtheilen, das über die Sache entstanden ist, als wenn Stahr’s bei ihrem langen Aufenthalt in Dresden diesen Herbst, sehr eifrig an dieser Heirath gearbeitet hätten. Sie flüsterten auch schon allen ihren Bekannten zu, Schwester Jettchen sei mit Hettner verlobt. Kaum waren sie wieder hier, so erklärten sie in den heftigsten, gegen Hettner gerichteten Ausdrücken, die Verlobung sei zurückgegangen, der Bräutigam habe sich unverantwortlich benommen. Hettner dagegen soll zu seinen Freunden in Dresden gesagt haben, es sei ihm gar nicht eingefallen weder sich zu verloben noch sich zu verheirathen! – Ich würde es bedauert haben, wenn er sich aus Schwäche eine Lewald hätte octroyiren lassen. Es ist oft schon schlimm genug, wenn die Leute sich selbst verheirathen, wenn sie aber gar Andre mit Gewalt verheirathen wollen, und das noch obendrein wie ein Geschäft betreiben wollen, das geht doch nicht! – |

     Das Schweizerische Album ist uns nun auch zugekommen, und auch ich habe mich gefreut daß des Onkels Anzeige des „grünen Heinrich“ darin wieder abgedruckt ist. Der Onkel grüßt Sie vielmals, und freut sich Ihres freundlichen Andenkens. Duncker’s und Bülow’s erwiedern Ihre Grüße; es ist mir lieb daß Ihnen Cosima so gut gefallen hat! – Den Herren Professoren Vischer und Moleschott bitten wir unsere angelegentlichsten Empfehlungen zu bestellen!

     Ich habe Ihnen heute viele wunderliche Geschichten erzählt; ich denke aber daß Sie noch immer etwas Antheil nehmen an dem was hier vorgeht. Auch möchte ich gern daß Sie nie hier fremd werden, wenn Sie auch noch so lange wegbleiben! Leben Sie wohl!

                                                Mit aufrichtiger Freundschaft
                                                Ludmilla.

Diesen Augenblick ist eine französische Schauspielergesellschaft hier, die vortrefflich spielt, und die ganze elegante Welt in die entlegene Blumenstraße in das Königstädter Theater lockt. Gestern mußten der Prinz von Preußen und Prinz Karl abgewiesen werden, weil alle Plätze schon vergeben waren. Der Onkel hat solches Vergnügen daran, daß wir schon dreimal dort waren, und heute wieder hinfahren. An gutem Zusammenspiel, Natürlichkeit, Lebendigkeit und Grazie könnten unsere Schauspieler viel von den Franzosen lernen. Das Stück, welches die Prinzen gestern so begierig waren zu sehen, war – „la dame aux camélias“! Es ist eines jener Stücke, die einem die ganze Welt verleiden könnten, man ist gerührt und empört zugleich. Es enthält eigentlich alles das, was die Kunst vermeiden muß, wenn sie Kunst bleiben soll. Nur der schöne Schmerz ist in ihr berechtigt, und diese Schranke ist gerade ihre Größe. Hier aber haben wir sogar Husten, Schwindsucht, ein Krankenbett mit Musikbegleitung! – Talent genug ist darin, und auch edle Züge, aber diese sind alle mit so viel Entsetzlichem verwebt. Ich möchte das Stück nie wiedersehen. Heute wird man „Fiammina“ geben. |

     Ring wird von Neujahr an, ein Witzblatt „Schalk“ herausgeben, welches dem „Kladderadatsch“ Concurrenz machen soll. Ich fürchte das Unternehmen wird nicht gedeihen, auch sähe ich Ring lieber auf andern Bahnen.

     Ich sehe mit Schrecken, daß alle Versuche diesen Brief zu enden, mißlingen. Sie werden sagen, daß meine Briefe Sie bei dem Schreiben Ihrer Novellen stören! Leben Sie wohl! –

Den 16.



 

1. 1. 1858  Keller an Ludmilla Assing

<BJK: VS 7; GB 2, S. 70>

Zürich d 1 Januar 1858

Verehrtes Fräulein Assing
 
Ich sehe mich in Folge der Neujahrsnacht dahin reduzirt, Briefe zu schreiben; das schlechte Compliment wird faktisch sich dadurch aufheben, daß ich mit Ihnen anfange, indem ich zugleich um Nachsicht bitte. Allererst bringe ich Ihrem Herren Onkel und Ihnen meine aufrichtigsten Wünsche um Glück und Segen für das angetretene Jahr dar und mir selbst desgleichen, obgleich ich heute früh schon einen kleinen Gewitterschauer hatte, denn es ist eine alte abergläubische und heidnische Sitte bei mir, daß ich alle Neujahrsmorgen mit einer vehementen Heulerei beginnen muß und ich weiß nicht ob dies je aufhören wird. Donc je vais me sauver dans cette lettre und werde meine schlechte Laune jetzt sogleich an Ihnen auslassen!

     Und zwar in Betreff der großen Gisel v. Arnim, deren Dramen ich auf Ihre Veranlassung dieser Tage gelesen habe. Ich habe Sie, liebes Fräulein, in Verdacht, daß Sie mir den großen Bären, dessen Sternbild Sie im Siegel führen, haben anbinden wollen; denn ich [ich] kann das Berliner Urtheil, von dem Sie mich unterrichteten, | schlechterdings nicht verstehen. Dramen sind dies allerdings so wenig, als es überhaupt keine zu rechtfertigenden Produkte sind, allein wenn einmal ein gewisser Vorrath von Geist und Schönheit in einem Ding steckt, so hat es denn doch damit seine eigene Bewandtniß, und die Berliner, welche gestern für den Narziß geschwärmt haben, besitzen kein Patent für diese Flut von Schimpfwörtern über die arme Gisel.

     Ich habe zuerst das Herz der Lais in Angriff genommen, weil es trotz seiner Größe das kleinste Opus war. Ich fand mich verblüfft darüber, daß die französische Manie der Hetären Poesie von einer soliden und sogar jungen deutschen Dame aufgenommen und fortgepflanzt wird. Doch was bei den Franzosen gedankenloser Leichtsinn ist, dürft bei dem deutschen Fräulein die pure Unwissenheit und Unschuld sein, immerhin verbunden mit einer gewissen Frechheit. Denn ahnen sollte man wenigstens, besonders wenn man so wohlbeschlagen in gewissen Wendungen ist, daß das Hetärenthum | nichts anderes ist, als die allerprosaischste und philiströs niederträchtigste Sache der Welt, die nüchternste Gemeinheit des Gemüthes, und daß die Dames aux camélias und die großen Herzen der Lais die einfältigsten Fiktionen sind, die je die Welt geäfft haben. Wenn solche Bestien einer Leidenschaft fähig oder aus Uebermuth etwa genereus werden, so hat das nicht mehr zu bedeuten, als wenn ein Dieb mit gestohlenem Geld den anständigen Mann spielt. Der Unsinn zeigt sich in dieser Lais sehr bequem; denn wenn dies Geschöpf sein Leben zu opfern im Stand ist, warum hat es den Nero nicht längst getödtet und so tausende errettet? Aber abgesehen auch von der Gewissenlosigkeit, ein solches Stück zu schreiben (denn was soll aus den jungen unerfahrenen Mädchens werden, wenn die erwachsenen Weiber dergleichen Dinge predigen) steckt dies Dramchen so voll famoser Schönheiten, daß man nicht mit einer Nadel dazwischen stechen kann.

     In den beiden größeren Pieçen sah ich mit Bedauern, daß der Arnim-Brentano’sche Hausjargon noch ungeschwächt fortwuchert, was auf die Länge langweilig wird, und wenn die Gisela heirathet, so ist kein Ende abzusehen. Aber neben den vielen Geschmacklosigkeiten ist doch auch in | diesen Stücken ein solcher Fonds von feinem und originellem Geist, daß nach meiner Meinung mit bloßer Wegwerfung dagegen nicht aufzukommen ist, vielmehr die Person, die dergleichen hervorbringt, alle „Considération“ in Anspruch nehmen darf.

     Die ästhetische Cour z. B. bei der Vittoria ist freilich ein modernes Theekränzchen, aber doch in ihrer Art ein Meisterstück, das Mährchen, das die Vittoria erzählt, eine wahre Perle der Poesie. Ich habe das Buch auch andern Leuten, die sonst Urtheil haben, gezeigt und manche Züge daraus hervorgehoben, und auch diese fanden das Mitgetheilte nur lobenswerth.

     Da ich nun auch von anderer Seite her aus Berlin einen Brief erhielt, worin über diese undramatischen Dramen förmlich gewüthet wird, so muß ich annehmen daß die Luft in diesem Gegensatz eine Rolle spielt.

     Schon seh’ ich den Süden gegen den Norden sich erheben, die vergessenen Fahnen des ästhetischen Urtheils auf’s neue sich entfalten und der unerhörteste Krieg wird beginnen, der je um ein Nichts geführt wurde. Wenn Sie dann, auf weißem Zelter in den feindlichen Schlachtreihen einher fliegen werden, so wird mein Herz in den furchtbarsten Conflikt kommen, aber ich werde mich meiner Fahne opfern | und die gefangene Gisel aus dem nordischen Heere heraus holen und zu Leipzig deponiren. Dies ist die erste Rezension die ich an einem Neujahrstag geschrieben habe und scheint mir auf ein fleißiges Jahr zu deuten, so daß Sie sich nur bald an Ihr zweites Buch machen können, denn meine Novellen sollen Ihnen nicht mehr lange zum Vorwand dienen.

     Nun bin ich doch in den 2t.Januar gekommen. Unsere Straßen sind heute ganz mit geputzten Kindern bedeckt, welche von Mägden u Bedienten herumgeführt werden. Auf Neujahr geben nämlich die gelehrten, künstlerischen, militärischen, wohlthätigen und andere Gesellschaften sogenannte Neujahrsstücke heraus, welche Biographien verdienter Mitbürger, lokalgeschichtliche Monographien u. d. gl. enthalten nebst Portraits und Kupfern aller Art, je nach dem Gebiet der Gesellschaft, zur Belehrung und Ergötzung der Jugend. Diese Hefte läßt man am 2 Januar durch die festlich geputzten Kinder auf den Gesellschaftslokalen abholen, wo einige wohlwollende freundliche Herren sitzen und aus langen neuen Thonpfeifen Tobak rauchen, der auf einem silbernen Teller liegt. Die Kinder überbringen in ein Papier gewickelt ein Geldgeschenk für die Gesellschaftskasse, (die sämmtlichen Päckchen tragen sie in einem niedlichen Körbchen) und erhalten dafür das Neujahrsstück, werden mit Thee, Muskateller und Confekt bewirthet und dürfen die etwaigen Sammlungen u Raritäten der Gesellschaft besichtigen. So gehts von Haus zu Haus und die geöffneten Heiligthümer der alten Stadt sind von einer jubelnden Kinderwelt | angefüllt. Seit ein par Jahrhunderten besteht der Brauch, da einige Gesellschaften eben so alt sind, wie die Musikgesellschaft, die Gesellschaft der Stadtbibliothek u die Feuerwerkergesellschaft, welche letztere in ihren Neujahrsstücken stets martialische Kriegsgegenstände abhandelt zum Vergnügen der Knaben, auch bekommen diese den alten Waffensaal zu sehen mit der ehrwürdigen Kriegsbeute aus den früheren Jahrhunderten, während auf dem Musiksaale die kleinen Mädchen kokett ein Morgenkonzert anhören und ihre Mütter nachahmen. Wer keine eigenen Kinder hat, beglückt fremde Kinder, die keine oder unvermögliche Eltern haben, mit der Sendung. Einzig die derbe Schützengesellschaft (400 Jahre alt) ist so unlitterarisch geblieben, daß sie statt Schrift und Bild ein Pack Kuchen verabreicht und überdies im Geruche steht, die Jungens mit kleinen Räuschen zu versehen, indem sie dieselben aus ihren alten Ehrenpokalen trinken läßt.

     Ich wiederhole angelegentlich meine Neujahrswünsche und empfehle mich Ihnen und Herrn Varnhagen v. Ense auch für 1858 auf’s angelegentlichste

                                                Ihr dankbar ergebenster
                                                Gottfr. Keller.



 

9. 2. 1859  Keller an Ludmilla Assing

<BJK: VS10; GB Bd. 2, S. 80>

Verehrteste Fräulein Assing!

Erlauben Sie mir, mich wieder einmal bei Ihnen zu melden und mich herzlich zu erkundigen, wie es Ihnen nun gehe? Ich denke mir, Sie schaffen und bereiten in stiller Sammlung allerlei vor und führen den goldenen Faden weiter, der Ihnen in den Räumen, die sie bewohnen, in die Hand gegeben ist.

   Bettina ist also nun auch hinunter zu den übrigen Schatten, und während die Weltlage wieder dahin zu gerathen scheint, wo sie vor mehr als einem halben Jahrhundert steckte, sind nun die Letzten hinweggegangen, welche dazumal jung waren und das „Geistige“ gerettet und uns überliefert haben.

   Es ist wieder eine abscheulich barbarische und unheimliche Zeit, wo alles in Frage gestellt wird und die ganze Welt das Maul aufsperrt und an den | tückischen Worten eines einzigen Mannes hängt, und dazu eines Abenteurers. Es scheint, die Herrschaften können sich immer noch nicht dazu entschließen, nobel und entschlossen zu sein zur rechten Stunde, um sich nachheriges Elend zu ersparen. Ich bin sehr ärgerlich über diese Geschichten und fange an zu fühlen, wie das Unsichere der öffentlichen Welt auch den Einzelnen und Verborgenen beunruhigt und hindert. Sonst bin ich jetzt in einen ziemlichen Fleiß eingewöhnt und hoffe nicht sobald wieder daraus hinauszugerathen, was mir nöthig zu werden beginnt. Außer den Dunker’schen Novellen wird auch ein 2 u 3ter Band Leute v. Seldwyla bald fertig sein. Ein Gedicht „der Apotheker von Chamouny“ ist auch früher gemacht worden und wird eben verschachert.

   Dann bin ich auch offiziell beauftragt worden, eine historisch-politische Volksschrift zu schreiben für den Kanton Zürich, so daß ich zu thun habe, wie ein Schuhmacher. Im Herbst hoffe ich nun ganz sicher endlich an das Theater zu gelangen, denn länger darf ich nicht mehr warten, da ich nächsten Sommer 40 Jahr alt werde. |

   Jüngst kam ich bei einem souper in die Nähe einer Madame Veit aus Berlin, welche mir sehr fein und gebildet zu sein schien. Sie soll in ein romantisches Abenteuer verwickelt sein und lebt in Zürich mit einer Frau v. Heidtfeld u deren Sohn. Kennen Sie diese Leute?

   So eben lese ich, daß Palleske auch ein Leben Karl August’s schreiben will. Stahrs Lessing gefällt nicht ganz, überhaupt kommt in den Arbeiten dieser Art ein allzu warmer und allgemein enthusiastischer Ton auf, welcher der männlichen Solidität der Arbeit Eintrag thut. Den gediegensten Ton hat neuerdings Strauß getroffen in seinen musterhaften Biographien und es wäre zu wünschen, die Herren lernten von ihm, da sie die Kunst des feineren Lobes vom alten sel. Varnhagen einmal nicht gelernt, vielleicht nicht einmal bemerkt haben. Doch mir fällt plötzlich ein, daß ich um ein gefährliches Licht herumschnurre, da meine geehrte Correspondentin ja selbst die Biographie kultivirt! Ich habe nichts gesagt, sage nichts und werde nichts sagen, als was schuldige Ehrfurcht gebeut! |

   Man ist im Süden sehr begierig, ob Preußen nicht den Franzosen ein Halt zurufen und den Frieden erzwingen wird? Das ganze deutsche Volk würde ja hinter ihm stehen und auch noch andere Leute! Aber wahrscheinlich wird man das Pferd abermals beim Schwanz aufzäumen.

   Wenn Sie die gemüthlichen Dienstleute noch bei sich haben, welche Sie vor 2 Jahren auf der Reise begleiteten, so grüßen Sie doch dieselben, sie fallen mir so eben ein. Denken Sie, ich bin seither nie mehr auf den Berg gekommen und werde überhaupt ein Stubenhocker, wenn nichts mich aufrüttelt.

   Ich hoffe, daß Sie das gegenwärtige Jahr wohl und zufrieden angetreten haben und wünsche, daß dasselbe einen glücklichen und weniger tragischen Verlauf für Sie nehme, als das vergangene Jahr! Und indem ich hiermit nochmals Ihres hingeschiedenen Oheims und Freundes grüßend gedenke, empfehle ich mich auch Ihrem ferneren gütigen Wohlwollen u bleibe Ihr

            alter achtungsvoll zugethaner

            Gottfr. Keller

Zürich d. 9 / II 1859.

 


 

15. 3. 1860  Keller an Ludmilla Assing

<BJK>

                                                            Zürich, 15t. / 3 1860.

Verehrteste Fräulein Assing!
 
Es ist sehr hübsch von Ihnen, daß Sie mitten in dem Schlachtstaube, den Sie erregt haben, an mich armes unbedeutendes Schweizerlein denken und mich abermals mit einer Ihrer gewichtigen Aussendungen beschenken. Ihre Güte ist diesmal eine wirkliche Wohlthat für mich, weil das Buch in allen Buchläden vorweggenommen und vorausbestellt wird und unsereins, der überall zu spät kommt, noch lange hätte warten müssen. Ich war letzten Sonnabend in einer Gesellschaft, wo ein Sortimentsbuchhändler für eine Anzahl Herren ein Exemplar extra zurückbehalten wollte, als Gemeineigenthum, und sich von jedem einen Frank bezahlen ließ. Alle zogen wie besessen ihre Geldbeutel hervor, nur ich in meinem Phlegma und weil mir diese Spekulation nicht gefiel, hielt zurück und nun bin ich trotzdem der Erste, der das Buch gelesen hat. So giebt es Gott den Seinen im Schlaf, ach wäre es nur mit allen Dingen so. Das Buch habe ich hinter einander weggelesen und mich natürlich an der rücksichtslosen und freien Weise der beiden Alten vom Berge königlich gefreut; abgesehen vom Politischen, ist es sehr ergötzlich, wie da noch manch andere weltliche oder literar. Größe, die Wunder glaubt wie fest zu stehen, den sarkastischen Greisen als Spielball dient, immer mit sittlicher Berechtigung. Da ich bisher nur die öffentlichen Erlasse etc. und die ehrbar gehaltenen Werke Humboldts gelesen hatte, so war ich eben so überrascht als ergötzt von dem frischen kecken Muthwillen und dem liebenswürdigen u geistreichen Witze der Humboldtischen Briefe; aber eben so erkannte ich Varnhagen wieder, als er an einer Stelle, | wo der grimmige Humboldt den armen Prinz Albert maltraitirt, den Alten maßvoll zurechtzuweisen scheint. Denn wirklich sollte gerade ein Freisinniger sich aus dem ungeschickten und patschigen Benehmen eines großen Prinzen eben so wenig machen, als aus demjenigen eines armen Krämerssohnes oder eines Schulmeisterleins, und es scheint mir das Würdigste, dergleichen auch bei den vornehmsten Personen zu ignoriren. Etwas anderes ist’s mit dem Großherzog von Weimar, der wird mit Recht vorgenommen und durchgehechelt, da er eine eben so lächerliche, als süffissante Figur spielt. Um so schlimmer für die, welche fortwährend um das alte Weimar herumbuhlen und unter den Auspizien eines solchen Hans Affen Klassiker spielen wollen.

     Aber wie schändlich, daß die meisten Briefe Varnhagens verloren sind. Bei der prägnanten Vorstellung, welche Humboldt gerade von Varnhagen als Stilisten hatte, ist es nicht denkbar, daß diese Briefe schlechthin verlottert worden sind.

     Was nun die Herausgabe als That betrifft, so haben Sie natürlich nicht anders handeln dürfen und das war gut für die Welt. Ich hielt übrigens die Sache für gefährlicher als sie ist, von den Ausdrücken der Kreuzzeitung irre geführt. Allein es ist kein Wort zu viel in dem Buche; es verkündet der Welt, ohne alle wirkliche „Impietät“, daß sie sich auf Erscheinungen, wie Humboldt, immer noch verlassen kann, und daß der Betrug und die Schmach noch immer nur beim geistigen Gesindel zu Hause sind. Als ich noch meinte, es ständen auch gar zu krasse Dinge in dem Buche, dachte ich, es hätte Humboldt eigentlich Niemand gezwungen, an diesem Hofe zu leben, und die ganze civilisirte Welt hätte ihn mit offenen Armen empfangen. Allein es verhält sich Alles gerade so recht; wobei freilich nicht zu läugnen ist, daß Sie, mein schönstes Fräulein, die Sache mit einem einzigen Zuge in ein erschreckendes Licht gestellt haben, indem sie die stärkste Stelle heraushoben und als Stempel an die | Stirne des Buches setzten. Dadurch ist es unmöglich geworden, die Meinung der Briefe zu übersehen und zu ignoriren und es ist allerdings begreiflich daß ein solches Testament nicht wie Zuckerbrod mundet. Von einem Mann wie Humboldt, dem Ehrenbürger beider Hemisphären, sich aus dem Grabe zurufen lassen zu müssen, daß man seine Achtung nicht besessen habe, ist bitter. Und wenn auch H. seine Schwächen gehabt hat, so ist die Sache einmal formulirt und versieht den Dienst.

     Ich wünsche übrigens nur, dass Sie, besonders wenn Sie noch mehr solche Dinge in petto haben, nicht darum verfolgt werden oder irgend welche Flegeleien erleiden müssen; denn es giebt deren aller Art.

     Neulich habe ich Ihre Sophie noch einmal durchgelesen und mich wieder über deren Verheirathungsmethode amüsirt. Ich möchte annehmen, daß, weil sie selbst keinen ihrer Schätze bekommen hat und mit dem oktroiirten Mann doch gut gefahren ist, so wollte sie ihren Töchtern in guter Absicht das gleiche Loos bereiten, besonders da sie sah, daß Wieland mit einer gleichgültigen Frau ebenfalls herrlich zufrieden war. Nun lag aber das Uebel wohl darin, daß sie als Frau zwischen Männern, die „man nicht liebt“ durchaus keinen Unterschied zu machen vermochte; sie glaubte, es sei nun weiter kein Unterschied, wenn einmal der Eine große Unterschied nicht beachtet wurde, wenn der Mann nur solid sei und ein Haus habe, so sei einer so gut wie der andere. Das war eben das Abscheuliche, wenn auch unbewußt, und sie dachte undankbar nicht, daß ihr Laroche noch ein vollkommener Gentleman war und sogar Wieland gegenüber äußerlich eine glänzende Erscheinung. Wenn sie einen rechten Heuochsen bekommen hätte, so würde sie die Differenz zwischen Ungeliebten u Ungeliebten schon gesehen u erfahren haben. Doch da ich nicht im Sinn habe, ein Heirathsbüreau zu etabliren, so wollen wir diese komische Materie endlich fahren lassen. Das Buch ist indessen eine ansehnliche Bereicherung unsere<r> Literatur- u Culturgeschichte und es fällt mir so eben Jemand | ein, der es gewiß in diesem Augenblicke benutzt in dem dritten Bande eines Werkes, in dessen erstem die Unkenntniß des Gegenstandes fühlbar ist.

     So hat auch Wolfgang Müller in einer Novelle über Immermann in der Köln. Zeit. Ihre Elise v. Ahlefeldt mehrfach benutzt u wörtlich zitirt. Es freut mich, daß Humboldt so viel Freude an diesem Werke hatte. Da Sie jetzt so formidabel mit der Erbschaft Ihres Onkels bethätigt sind, so fürchte ich, wir werden auf einen ferneren Frauenangriff gegen die Dichter noch einige Zeit harren müssen; bin aber begierig, welchen Sie sich zu ihrem nächsten Opfer auslesen! Der Hauptschacht, das Herz Göthes, für solche Streifzüge, ist Ihrem rächenden Schwerte wegen der Traditionen Ihres Hauses glücklicher Weise verschlossen, sonst würden Sie da eine schöne Verheerung anrichten!

     Ich bin wieder einmal ziemlich fleißig und rücke mit starken Schritten dem Abschlusse eines Haupt-Arbeitsabschnittes und Lebensabschnitzels zu und modellire bereits an einer besonneneren Gestaltung des letzte Aufzuges, des Restes herum; denn nicht alle Leute werden so alte Spottvögel, wie Ihre beiden Briefhelden. Es würde mich freuen, wenn Sie mir wieder mal einen Nachrichten und Plauderbrief schenken wollten; ich erhalte jetzt fast keine Nachrichten mehr aus Berlin und bin freilich auch selber schreibfaul.

                                                Ihr dankbar ergebenster u getreuer
                                                Gottfr. Keller.
 
So eben las ich in Herrn v. Sternbergs Memoires die sonderbare Art, mit welcher er meine Wenigkeit in Ihrem Kafekränzchen aufführt. Ich kann mich nicht erinnern, ein Wort von Ihm sprechen gehört zu haben! Wo hält sich auch jetzt Vehse auf?|
 
d. 22 April.
 
Beiliegender wurde schon vor vier Wochen im ersten Eifer der Dankbarkeit geschrieben. Ich glaubte ihn mit andern Briefen couvertirt und fortgeschickt zu haben – jetzt entdecke ich den Unseligen zu meinem Schrecken in meiner Schreibunterlage zwischen andern Papieren versteckt und ganz schlau mich anblinzelnd. Er wird aber hervorgezogen und entgeht seinem Schicksal nicht. – Seither habe ich mit Theilnahme die Kämpfe und Anfechtungen mit erlebt, denen Sie ausgesetzt waren. Sie brauchen wohl nicht versichert zu werden, daß man überall die größte Freude über Ihre That empfand.

     Ich bin fortwährend herrlich fleißig und habe alle Finger voll Tintenklekse. Dabei fühle ich ein Vergnügen fast wie als ich zwanzig Jahr alt war und das Schreiben heimlich als Pflichtverletzung betrieb.

     Verzeihen Sie die unabsichtliche Verzögerung und erfreuen Sie bald gnädigst mit einigen Zeilen

                                                Ihren ergebensten
                                                Gottfr Keller



 

28. 8. 1860  Ludmilla Assing an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 37; GB 2, S. 96>

Meiringen, den 28. Aug.
1860.

Der heutige Regentag, der mich hier festhält, giebt mir die Zeit Sie zu grüßen, und Ihnen zu sagen daß bei all den wunderbaren und merkwürdigen Bildern einer großartigen Natur die ich gesehen, seit ich Sie verließ, ich Ihrer lebhaft gedachte, und Sie hundertmal in Gedanken an meine Seite wünschte. So sind Sie halb bei mir, und ich habe Sie mit mir genommen ohne daß Sie es wissen, und vielleicht sogar – ohne daß Sie es wollen! – Warum begreifen Sie es nicht daß ich Sie gern mit mir hätte, daß ich alle die ergreifenden Eindrücke dieser einzigen Gebirgswelt mit Ihnen theilen möchte? Lassen Sie mich glauben daß das, was dießmal nicht möglich war, es doch ein anderesmal sein könnte. Wenn nur das Leben nicht so ungewiß wäre, es läuft noch schneller als die wilde Reuß, und was der Augenblick versagt hat, kann man es jemals noch gewinnen? Die guten Tage in Zürich, sie haben mir wieder recht gezeigt daß Sie ganz so sind wie ich Sie mir immer dachte, und ich weiß mehr als jemals warum ich Ihnen so freundschaftlich zugethan bin. Ich danke Ihnen herzlich für alle mir bewiesene Freundlichkeit und Güte, die ich immer in gutem Andenken behalten werde.

     Auf dem Rigi kam ich im ärgsten Regenwetter an, blieb aber lange genug, um allmählig die ganze schneeige Fernsicht zu genießen, stieg beim herrlichsten Wetter hinab, das mir dann bis gestern treu blieb für den Vierwaldstedter See, das erst so schöne, dann so dämonische Reußthal, für die einsam öde Furka und die wilde Grimsel, deren unheimliche Felsen ich vom Mondlicht beleuchtet sah. Ach, ich könnte Ihnen | stundenlang erzählen, von allem, was ich gesehen. Wie herrlich ist die Schweiz mit diesen wilden Kontrasten, mit ihren lieblich grünen Matten und ihren Gletschern, ihren Felswänden und blühenden Alpenrosen! Ganz entzückt hat mich der Rhonegletscher mit seinen bläulichen Spalten, und schimmernden Eispalästen. Und wie liebe ich den Vierwaldstädter See mit seinem grünen Glanz und seinen malerischen Ufern!

     Die Sonne kommt etwas durch, vielleicht wird es bald wieder schön! Den 1. oder 2. September denke ich, immer Herweghs Reisevorschrift getreu, in Genf zu sein, und dort etwa zwei Tage zu bleiben. Wollen Sie mir dahin ein Wort poste restante schreiben, so trifft es mich, aber Sie müßten es nur schreiben wenn Sie grade Lust und Zeit haben. Das wenigstens, sollte ich denken, kann den Novellen nicht schaden, die, das versichere ich Sie, sehr schön sein müssen, um so vieles gut zu machen. An Herweghs will ich nächstens schreiben; sie sind mir beide sehr lieb geworden. Ich habe mich jeden Augenblick in Zürich so wohl gefühlt. Fräulein Blind bin ich einen Moment auf dem Rigi begegnet, und freute mich sehr sie zu sehen, besonders da sie von Zürich kam, aber sie verschwand mir gleich wieder aus den Augen. Dagegen hat sich mir schon von Arth an, eine Frau von Haugwitz aus Schlesien angeschlossen, die noch mit mir ist.

     Leben Sie wohl, und denken Sie meiner zuweilen! Es ist gut daß ich aufhöre, wer weiß was ich Ihnen sonst noch alles schriebe! So seien Sie denn nur noch tausendmal von mir gegrüßt!

                                                Mit herzlicher Ergebenheit
                                                Ludmilla.



 

9. 10. 1860  Ludmilla Assing an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 38>

                                                            Hamburg, den 9. October 1860.

 
Aus Hamburg erst, wohin ich auf einige Tage gegangen, um meinen Vetter zu besuchen, kann ich meine herzlichen Grüße zu Ihnen gelangen lassen, und Ihnen sagen, daß ich mich noch in der Erinnerung der schönen Tage von Zürich freue, und noch lange im Nachgenuß meiner Reise vollständig befriedigt sein werde.

     In Berlin fand ich es, wie Sie es mir prophezeiht hatten: die meisten meiner Bekannten waren noch auf Reisen. Doch verging mir die Zeit schnell, da ich mancherlei zu thun hatte. Als erste und angenehmste Beschäftigung nahm ich mir Ihre Novelle, und las sie mit jener freudigen Spannung, in die sich immer auch ein ganz klein wenig Furcht einmischt, ich könnte zu viel der Stacheln und Ecken finden, aber das Endresultat ist bei mir dann doch immer, ich mag es nun wollen oder nicht, daß ich Ihre Geschichten liebe, und sie nicht wieder aus dem Sinn bekomme. So ist es mir auch mit dieser seltsamen, sonderbaren, eigenthümlichen Geschichte, (die ich gewiß als die Ihrige überall erkannt hätte, auch wenn sie nicht Ihren Namen trüge), wieder ergangen, und es bleibt mir nichts übrig als Ihnen herzlich dafür zu danken. Soll ich Ihnen sagen, was mir alles daran am besten gefallen hat? Es könnte ein langes Kapitel werden. Aber ich getraue es mir nicht recht, denn Sie pflegen mich dann wohl auszuschelten, und zu behaupten, nicht dies hätte mir am besten gefallen sollen, sondern etwas anderes.

     Ich lege Ihnen einen kleinen Blumenstrauß bei, den der Onkel ausgeschnitten hat, zum freundlichen Andenken an ihn. Die sieben ersten Bände der „Denkwürdigkeiten,“ die ich Ihnen versprach zu | schicken, habe ich der „Ascher’scher Buchhandlung<“> zur Besorgung übergeben; sie kommen vielleicht etwas langsam zu Ihnen, aber ankommen werden sie gewiß.

     Wollen Sie die große Güte haben, und die Einlage an Madame Herwegh gelangen lassen?

     In den nächsten Tagen kehre ich nach Berlin zurück, um mich dort der Stille und dem Fleiß zu ergeben. Mögen Sie mir bald dahin schreiben, so bereiten Sie mir eine große Freunde. Je mehr Sie schreiben, je schöner, alles was Sie betrifft, interessirt mich!

     Ich werde unterbrochen, und muß früher als es meine Absicht war diese Zeilen schließen. Leben Sie wohl, und behalten Sie mich in gutem, freundlichem Andenken!

                                                Freundschaftlichst
                                                Ludmilla.



 

9. 11. 1860  Keller an Ludmilla Assing

<BJK>
 
Verehrtes Fräulein!
 
Sie sind jetzt gewiß wieder eingeheims’t, so daß ich mich endlich für Sie an den Schreibtisch setzen kann. Ihre große Freundlichkeit ist eine Schraube ohne Ende (um wieder „sonderbar“ zu sein) und man muß sich nur sputen, mit dem Danke nicht zurückzubleiben. Das ausgeschnittene Sträußchen von Varnhagens Hand freut mich sehr und ich danke Ihnen herzlich für diese rasche Aufmerksamkeit; denn ich erinnere mich sehr wohl, daß ich beiläufig erzählt hatte, ich hätte seltsamer Weise nie eines von diesen Kunstwerken gesehen und selbst, als der Meister derselben dergleichen vor meinen Augen schuf, sie aus Kinderei nicht zu sehen verlangt. Möchte alles im Leben Versäumte so freundlich nachkommen.

     Was soll ich erst zu dem reichen Geschenke der sämmtlichen Bände der Denkwürdigkeiten sagen? Sie sind vor etwa 10 Tagen angekommen und obgleich ich sie alle | schon und zum Theil wiederholt gelesen, so liegen sie doch seit der Zeit auf meinem Tisch und halten mich mit ihrem reichen und schöngeformten Inhalt von der Arbeit ab, so daß ich sie nächstens werde weg stellen müssen.

     Daß Ihnen die Kalendergeschichte nicht ganz mißfallen hat, beruhigt mich ein wenig, denn ich weiß wohl, daß sie nicht in Ihre zierlich gebohnte Damenstube paßt. Doch kommt es Ihnen gut, daß ich kein Student bin, bei welchen das Sonderbarfinden Tusch ist und mit einer Forderung beantwortet wird. Uebrigens ist sie mir von Auerbach etwas beschnitten worden, der jetzt wohl in Berlin sein wird. Wenn er sich in Ihre radikale Nähe wagt, so grüßen Sie ihn gütigst von mir. Die Erzählung hat mir auch die Gunst des Herrn v. Cotta zugewendet, welcher mir ganz wohlwollend darüber schrieb, nachdem er mich durch einen Dritten hatte fragen lassen, ob ich nicht an das kleine Schillerfest auf dem 4 Waldstättersee ginge und ihm eine Sache davon in sein Morgenblatt machen wolle? So werden Sie denn in einiger Zeit meine Abenteuer jenes schönen Tages (es war wirklich sehr hübsch) dort lesen können, lauter Novellenabhaltungen.

     Ich habe letzthin auch politisirt, indem ich mich in eine Wahlbewegung hinein verführen ließ um einige schlaffe und kriegsscheue Gesellen aus dem Nationalrath hinauszuwählen. Die Zürcher offizielle Welt nahm unsern Scherz aber als einen Angriff auf sie selbst auf und entbot allen ihren Kräften, so daß wir ziemlich auf’s Haupt geschlagen wurden. Ich hatte den Manifestschreiber dabei gemacht und mir dadurch das „Bedauern“ der Hochmächtigen zugezogen. Das Bedauern ärgerte mich und ich verwandelte es durch eine Reihe von Zeitungsartikeln in etwas Solideres, nämlich in Haß und Zorn, der sich wohl wieder legen wird. Indessen habe ich bei dem kleinen Strauße einige gute Erfahrungen und Beobachtungen für mein Handwerk gemacht, sowie einige angenehme kleine Reisen an schönen Herbsttagen, um mit den Wühlern anderer Orte zusammenzutreffen. Ich verlebte auch einige angenehme Sonnentage in Luzern, wo ich mit alten Freunden, die ich lange nicht sah, im Freien unter den gelben Bäumen etliche Flaschen gelben Weines trank, doch ohne Gefährde. Es war sehr gemüthlich, da alle Touristen verschwunden sind, leider auch die Touristinnen (um | mich noch rechtzeitig der Galanterie zu befleißen). Dagegen beobachtete ich in Luzern fast lauter hübsche Wirthsfrauen, wozu es aber der Lokalkunde meiner Bekannten bedurfte.

     Der Frau Herwegh hatte ich Ihren Brief stracks gebracht; sie war sehr vergnügt darüber, beneidete Sie aber um die goldenen Schloßoblaten. Sie las mir einen rührenden und intressanten Brief von Ludwig Feuerbach vor, der ganz arm geworden ist und seine langjährige Wohnung, Schloß Bruckberg, das Erbe seiner Frau, verlassen mußte, ohne recht zu wissen wohin. Trotz der unverkennbaren Klage ist der Stil des himmelstürmenden Philosophen dennoch würdig und trotzig.

     Nun weiß ich Nichts mehr und wünsche Ihnen einen vergnüglichen Winter, in dem ich Ihnen nochmals für alle Wohlthaten danke. Seien Sie fleißig im Nachlaßbergwerk und kommen Sie nächsten Sommer wieder mit der rothen Feder auf dem Hut.

                                                Ihr ergebenster und unterthänigster
                                                Gottfr. Keller

Zürich d. 9t Nov. 1860.

Bald wiederum ein Jahr verschwunden!

  


 

9. 5. 1861  Keller an Ludmilla Assing

<BJK: VS 16; GB 2, S. 99>

 
Ich will mich nicht lange herausbeißen, daß Sie in Ihrer Güte veranlaßt sind, zweimal an mich zu schreiben, eh’ ich einmal an Sie. Ich bin eben diese Zeit her etwas korrespondenzmüde, da ich meine Gedanken für andere Dinge zusammengenommen habe, und da finde ich, man soll sich zu nichts zwingen und auch hierin sich gehen lassen können, ohne zu heucheln oder sich zu entschuldigen.

     Indessen danke ich Ihnen doppelt für Ihre neue Zusendung und Vermehrung meiner Freundschaftsbibliothek. Die Briefe Rahel-Veit sind mir sehr intressant und kurzweilig, obgleich mich die übertriebene Haarspalterei im Wahrsein, Gegenseitig-Verstehen, im Denken, Wissen etc. chokirt. Ich glaube, diese Art Luxus in tugendhaftem Scharfsinn oder scharfsinniger Tugendhaftigkeit, so breit ausgehängt, ist | jüdisch und hat die gleiche Quelle, wie bei den ordinären Juden der Luxus mit Schmuck und schreienden Farben. Wobei natürlich anerkannt werden muß, daß wie diese letztern das Geld, so die erstern den nöthigen Geist zu ihrem Luxus haben. Aber „bon ton“ ist’s nicht, um mit den jungen Leutchen zu sprechen. Ich habe indessen erst den 1t. Band durchgangen.

     Das Börne’sche Briefbuch, dessen Herausgabe ich der gleichen Hand zuschreiben muß, obgleich Sie sehr diplomatisch damit umgehen, habe ich verurtheilt, ehe ich es gelesen hatte. Wiedereinmal ein unfertiger Bengel, der eine ältere Person mit einer vermeintlichen Leidenschaft kompromitirt oder langweilt, und die sorgliche Einbalsamirung solcher Flegelei, dachte ich. Nun ich das Büchlein gelesen, bin ich doch froh, daß es herausgekommen, denn wie die Vorrede sagt, ist es Börne fast auf jeder Seite, und die Liebesgeschichte, welches jedenfalls eine krankhafte oder unreife Affaire ist, nimmt am Ende nicht soviel Raum im Text ein. Die Schilderung der Reil’schen Wirthschaft in Halle ist köstlich, und so noch Manches. |

     Ich lese für mein Leben gern Börnesche Briefe, und wenn sie von Nichts handeln.

     Ich habe so eben zum Cafe den 2t. Theil der andern Briefe aufgeschlagen und finde gleich den ersten der Rahel sehr bedeutend und Respekt einflößend. Was die äußere Form, den Jargon und die besagte Kümmelspalterei dieser Briefe betrifft, so muß man freilich die Zeit nicht vergessen, in welcher sie geschrieben wurden.

     Ich lasse Stein feierlich grüßen, weil er von mir ausbreitet, ich sei fleißig. In München hat man ausgebreitet, ich sei ein Trunkenbold geworden und ganz heruntergekommen. Man sagte mir, ich müsse unbekannte gute Freunde in meiner Nähe haben, welche dergleichen Dinge nach Deutschland berichten.

     Der Madame Herwegh habe ich Ihr Paket selbst überbracht und dafür eine Cigarre mit ihr rauchen dürfen.

     Eines nimmt mich Wunder an der Rahel, daß sie so viel klagt und sich unglücklich nennt. Es schickt sich | nicht zu der übrigen Ueberlegenheit und Philosophie. Freilich sind die Menschen so stupid, daß man endlich, in Augenblicken der Schwäche, selbst sagt, daß Einem was fehlt, und fast Alle sind so gedankenlos neidisch, daß sie jeden, der zu schweigen weiß, gleich für einen gemachten Mann halten und wohl gar glauben, man esse heimlich Kuchen.

     Es ist Schade, daß die Rahel nicht mehr mit eigentlich produktiven Meistern in solche andauernde Briefübung gekommen ist; sie würde dadurch von dem formlosen (obgleich tiefsinnigen) Grübeln abgezogen und an ein lebendigeres Gestalten gewöhnt worden sein schon in ihrer Jugend; d. h. wenn sie wirklich was annehmen oder werden wollte, das sie andern dankte, was zu bezweifeln ist; denn zuletzt dreht sich bei ihr alles um ihr persönliches Denkgefühl. Nun, sie darf sich auch so sehen lassen!

     Ich habe seit einigen Monaten angefangen, von meinen neuen, oder bald ungedruckt alt gewordenen Sachen vorzulesen, so daß ich bald ein wahrer Paleske sein werde. Nach einigen Gesichtern, so die Damen dazu geschnitten haben, dürfte Ihr Kriterium: Sonderbar! wieder in Anwendung kommen. Halten Sie mir das Wort daher ja recht hübsch parat, daß es gleich zur Hand ist, wenn der Schuß losgeht!

                                                Ihr ergebenster G. Keller.

Dieser Brief wurde schon vor zwei Wochen geschrieben; ich wollte einen Anderen machen, da er mir nicht ganz gehobelt erscheint, komme aber nicht dazu; denn ich habe alle Hände voll zu thun. So schicke ich dennoch endlich ab, damit Sie mir nur nicht Urphede schwören

Himmelfahrtstag 1861

Ich sitze beim schönsten Wetter zu Hause und schreibe, schreibe, schreibe!



 

14. 3. 1865  Keller an Ludmilla Assing

<ZB: Ms. GK 99a Nr. 6>

                                                            Zürich den 14 März 1865.

Verehrteste Fräulein Assing!
 
Das köstliche Geschenk, welches Sie mir abermals mit dem neusten Briefbuche aus Varnhagens Nachlaß zu machen die Güte hatten, treibt mich, Ihnen meine alten Briefschulden endlich abzuzahlen. Mein Dank ist um so aufrichtiger, als hier stofflich wieder einmal recht was für unsere Küche geliefert ist, menschlich Intressantes u Pikantes und manch seltenes Forellchen darunter.

     Die Briefe der Bettina mit den Aufzeichnungen Varnhagens sind geradezu ein Neues und Selbstständiges in der Literatur. Ich mußte lachen, als ich jene Züge las, von denen Sie mir erzählten; Ihnen hab’ ich sie nicht recht geglaubt oder vielmehr für Aeußerungen der Opposition einer geistreichen Frau gegen die andere gehalten. Nun da | ich sie so trocken u sachgemäß von einem Mann u Sachkenner auf<g>eschrieben finde, ist mir die Sache auf einmal klar u ganz natürlich. Dennoch kann ich mir diesen bedenklichen Grad eines renommistischen Schwindelwesens bei so viel positivem Ideengehalt nur dadurch erklären, daß dieser sich in keiner fertigen Form produziren konnte. Mit der Person hätte ich kuriose Sträuße bekommen, wenn ich in Berlin einer ihrer Bekannten geworden wäre. Sie werden übrigens zu schnupfen bekommen. Hermann Grimm, der Mann der Gisela, hat so eben einen Band neue Essai’s herausgegeben, worunter ein Aufsatz über die 2 ersten Bände der Varnhagenschen Tagebücher, nicht grob, aber bedenklich u schließlich die Moral der Veröffentlichung derselben anzweifelnd. Von dieser Seite werden Sie also sich auf Widerstand gefaßt zu machen haben.

    Heine ist in den vorhandenen Briefen auch viel werthvoller u liebenswürdiger, als in denjenigen, welche die letzten Bände der Gesammtausgabe bilden von Hoffmann u Campe, u worin seine Geld- u Ehrenhändel | so zu sagen seine Noth- u Skandaltechnik sich entwickeln. Schriebe ich nicht an Sie, so würde ich hier doch ausrufen, wenn nur der Teufel alle Nachlaßherausgeber holte!

     Ihr freundlicher Brief vom 28 October vorigen Jahres liegt vor mir; seither hat Ihnen der gute Arno aber kein sanftes Lied vorgesungen; hoffentlich hat er Sie mit seinen Fluten nicht erreicht, wenigstens habe ich nicht gehört, daß Sie von der Ueberschwemmung berührt worden seien. Ist es doch der Fall gewesen, so sind Sie jetzt wieder trocken u käme mein Mitleid zu spät. So sehr ich den Unmuth der Italiäner begreife, so glaube ich doch, daß nicht alles nach der Schnur gehen kann, wie die Ungeduldigen sich denken. Die Regierung ist eben noch in den Klauen Frankreichs; die auswärtigen Freunde Italiens u zwar gewiß seine zuverlässigsten, fürchten aber einstweilen noch seinen Zusammenstoß mit Oestreich ohne Frankreich u wünschen doch dessen Mithülfe nicht. Man fürchtet, daß das Garibaldische Wesen nicht so leichtes Spiel hätte, wie mit dem verlorenen Neapel. Man fürchtet auch, daß | der edle Garibaldi in seiner Kindlichkeit zu sehr den Einflüssen Solcher zugänglich sei, die eigentlich noch nirgends etwas anderes als mißlungenen Spektakel zu Stande gebracht haben u nun an ihm einen Stab für ihre eigene Haltlosigkeit suchen. Doch stehe ich diesen Dingen zu fern, um sie zu verstehen.

     Ich finde mich sachte wieder in Muße u literarische Thätigkeit u bereite mich gemächlich aber ernstlich auf eine Zeit rüstigen Schaffens vor, da ich die letzte Abtheilung meiner besseren Jahre vor mir habe. Ich mache endlich die vorhandenen Sachen fertig, überdenke die verschiedenen Gattungen u Gegenstände, welche ich mit mehr Kritik als früher, noch vornehmen kann und bin, was die Hauptsache ist, nun Herr meiner Zeiteintheilung. Beten Sie für mich zu den Göttern von Florenz, daß mir irgend ein mäßiges Werklein noch wohl gelinge. Ein altes Projekt von mir ist auch ein Trauerspiel Savoranola. Eine Hauptdekoration wäre der Platz der loggia dei lanzi, auch die Kirche des Klosters, wenn sie noch steht, was ich nicht weiß, kurz vielleicht komme ich einmal hin, um mir die Sache an zu sehen. Der Prophet müßte natürlich verliebt sein, ohne es recht zu wissen, eine umgekehrte Johanna von Orlean. Nun finde ich nirgends Ihre Adresse, in Ihrem Briefe steht sie nicht. Ich muß also den Brief auf gut Glück abgehen lassen. Wenn Sie | ihn nicht bekommen, so haben Sie doch die Güte, auf der Post darnach zu fragen.

                                                Ihr Gottfried Keller

 


 

9. 11. 1866  Ludmilla Assing an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 62>

Florenz, den 9. November 1866.

Lieber, verehrter Herr Keller!

Güte ist meist unbequem für diejenigen die sie haben, und auch die Ihrige für mich, die Sie mir bewiesen haben, soll Ihnen nun wie es scheint, neue Ungelegenheit bereiten. Ich komme wirklich schon wieder mit einer Bitte! Sind Sie böse darüber? – Die Sache ist diese: Herr Fürsprech Goll wird Ihnen gesagt haben daß er es für gut findet daß das Manuscript des neunten und zehnten Theiles der „Tagebücher,“ bevor es dem Gericht vorgelegt, durchgesehen werde um die etwaigen Majestätsbeleidigungen herauszustreichen. Ich hatte gehofft, Herr Goll würde dies thun können; nun schreibt er mir aber heute: „Betreffend die Ausmerzung der ehrenrührigen Stellen, sehe ich mich, da ich zur selbsteigenen Vornahme dieser Arbeit keine Zeit habe, zu dem Rathe veranlaßt, Sie wollen den Herrn Staatsschreiber Gottfried Keller darum angehen. Eine flüchtige Erwähnung dieses Punktes ihm gegenüber läßt mich voraussetzen, daß Sie sich keinen Abschlag holen werden.“ – Wollen Sie nun wirklich einer so großen Mühe sich unterziehen? Ist es nicht zu viel, Sie darum zu bitten? Ich hoffe vor allem daß Sie Nein sagen im Falle Sie darum eigene Arbeiten versäumen müßten. Wollen Sie es aber | wirklich thun, so finden Sie das Manuscript des neunten Bandes in den Händen des Herrn Fürsprech Goll, der ja auch gewiß genau angeben kann welche Art von Ausdrücken zu streichen wären, wo die Injurie anfängt und aufhört. Da ich höre, daß Herr Schwarzenberg auf seiner Durchreise in Zürich nicht das Manuskript des zehnten Bandes, wie ich ihn gebeten hatte, dort abgegeben, so werde ich ihm schreiben daß er es sogleich dorthin sende.

   Wie mag es Ihnen ergehen? Ich habe oft an Sie gedacht, um so mehr da meine Tante die vorgestern nach Rom abgereist ist, sich von mir Romeo und Julia auf dem Dorfe vorlesen ließ. Die Geschichte, die mir so sehr im Gedächtniß geblieben, daß mir keine Einzelheit neu war, machte mir wieder den größten Eindruck, während ich das Vergnügen hatte zu sehen, daß meine Tante ganz davon ergriffen war, und mit theilnehmendem Eifer jedem Worte lauschte. Wie viel Tiefe, Beobachtungsgabe und geniale Herzenskenntniß leuchtet überall aus dieser einfachen Erzählung hervor! – Sie wollen dergleichen nicht hören, und doch muß ich es sagen als getreue Berichterstatterin, und weil es ganz undankbar wäre, es nicht zu thun.

   Wir haben und hatten hier alle möglichen Fremden; unter ihnen verweilten auch vierzehn Tage Stahrs, die ich nach fünf Jahren wiedersah. Ich freute mich doch des Zusammenseins und der lebendigen Erinnerung an die vergangenen Zeiten. Fanny hat unterdessen ganz weiße Locken bekommen, die ihr aber recht gut stehen. | Der arme Stahr ist sehr leidend; sie wollen den Winter in Rom zubringen. – Der junge Semper kommt auch öfters zu mir und ich suche ihn mit meinen Bekannten bestmöglichst bekannt zu machen. Er ist etwas schüchtern, scheint mir aber gescheut und brav, und gesetzter und geordneter als sein interessanter Vater. Frl. Fries gedenkt mit Anhänglichkeit der Familie Wesendonk. Sonst ist von Schweizern noch hier ein junger Architekt aus Luzern, Bühlmann, der mir erzählte daß der dortige Löwe im Winter in Stroh eingewickelt wird, und erst im Frühjahr, wenn die ersten Engländer kommen, entstroht man ihn. Das war mir ganz neu! – Der arme Pulszky ist nun zurückgekehrt, und packt seine Sachen um schon im Laufe dieses Monats mit allen ihm gebliebenen Kindern nach Ungarn zu gehen. Die Heimath sagt ihm übrigens nach so langer Abwesenheit nicht recht zu, und ich fürchte, die Amnestie ist ein unheilvolles Geschenk für ihn. Doch muß er jetzt dahin wegen seiner Kinder und wohl auch wegen seiner Güter.

   Während meine gute Tante da war, habe ich immerfort in Gesellschaft leben müssen, und also wenig gelesen und wenig gethan. Sie sehen das gewiß diesem Briefe an.

   Grüßen Sie freundlichst Mad. Wesendonk von mir, und bewahren Sie mir ein gutes Andenken.

            In herzlicher Ergebenheit

            Ludmilla.

Heute hat mir der einundachtzigjährige Pückler geschrieben; er hat diesen Sommer den ganzen Krieg mitgemacht, war immer im | Hauptquartier, und bedauert nur daß er durch eine Disposition des Königs bei der Schlacht von Königsgrätz nicht gegenwärtig war. Dies ist sein Schmerz, sein Kummer! Er hat das Großkreuz mit der Kette des Hausordens der Hohenzollern erhalten, aber eine schwere Wunde bei Königsgrätz empfangen, wäre ihm lieber! –

 


8. 6. 1870  Keller an Ludmilla Assing

 

Staatskanzlei
des eidgenössischen Standes
Zürich

Zürich den 8 Juni 1870.

Verehrtes Fräulein Assing.

In einer langweiligen Regierungssitzung, in welcher Stunden lange diskutirt wird, finde ich endlich die Gelegenheit an meine Sünden zu denken u da fällt mir vor Allem meine bald zweijährige Briefschuld auf’s Gewissen, die mich Ihnen gegenüber drückt. Wie Sie an diesem Eingang sowie am Papier wahrnehmen können, befinde ich mich ungeachtet der vorübergegangenen Staatveränderung unsers Republikchens immer noch in meinem Amte; ich sitze zur Stunde an meinem alten Platz auf dem Rathhause; aber seit einem Jahre sieben neue Regierungsmänner um mich her, da alle Alten, meine Freunde, durch Volkswahl beseitigt wurden. Unsere neue Verfassung ist im Gange u die Wogen haben sich soweit gelegt, daß sie da u dort bereits zurück zu ebben beginnen u die Reihe des Aengstlichwerdens schon an manchen der Bewegungsleute kommt. Ich hoffe die ganze Geschichte bei guter Muße in einem artigen historisch-politischen Traktätlein | beschreiben zu können, um auch etwas derartiges zu hinterlassen.

Doch genug jetzt hievon. Neulich habe ich einen im Herbst 1868 für Sie angefangenen Brief aufgefunden, der unter Schichten von Akten, die sich in diesen stürmischen zwei Jahren gesammelt, vergraben u meinem Gesichte entzogen worden war. Er beginnt, wie alle meine Episteln an Sie, mit Dankesvariationen über die literarischen Zusendungen, Fortsetzungen der Tagebücher, Mazzini u s w; ich kann jetzt, da ich mich nicht zu Hause be-finde, gar nicht alles aufzählen u mich auch nicht in eine nähere Betrachtung u Würdigung des Einzelnen einlassen. Empfangen Sie also mit altem Wohlwollen meinen kurzen Dank für Alles. Trotz meines Schweigens habe ich doch öfter an Sie gedacht bei verschiedenen Anläßen u zwar, wie es billig ist, da Sie so ein politisches Frauenzimmer sind, meistens bei der Zeitungslektüre, wenn von Mazzini u Garibaldi, von den Insurrektions-versuchen, Schießen, Stechen u Hauen die Rede war. In Lugano sind ja die Räume, die Sie selbst bewohnt haben, Schauplatz von Beziehungen u Haussuchungen, so bei Grilenzoni u sw. Erquicklicher als dieses ewige Nichtwerdenkönnen oder vielleicht | dieses ewige Wiedervergehen sind für uns hier die Wendungen, welche die Gotthardangelegenheit zum guten Ende hin zu nehmen scheint. Hoffentlich wird bald das Parlament in Florenz sein Wort auch sagen. Wenn nun der Tunnel schon gebaut wäre, so wäre ich gewiß schon durch denselben nach Mailand u Florenz gefahren, wo Sie nun im eigenen Hause walten u der Garten schon anfängt Schatten zu geben u Sie wie eine Corrina oder dergleichen unter interessanten Italianissimi wandeln.

Verfolgen Sie auch noch ein bischen die deutsche Literatur? Es ist alles aus Rand u Band u 100 Talente u Talent’chen treiben sich auf offener See herum; aber ich glaube es wird sich etwa in den nächsten 20 Jahren wieder etwas besseres kristallisiren, da denn doch etwa 100 Jahre seit dem letzten Mal verflossen sind.

Gutzkow ist wieder fieberhaft thätig, der arme Kerl, u macht alle 2 Monat ein Buch, spricht dabei von allen alten Berliner u andern Geschichten u ärgert sich über altes u Neues u vergißt keinen, mit dem er sich irgend ein Mal gezankt hat. Andere treiben anderes.

In neuerer Zeit lebe ich endlich wieder einmal mehr für meine Person, lese viel u schreibe allmälig wieder. Ich durchgehe alte Manuskripte, mache sogar Verse, | kurz ich übe mich vorsichtiglich, aber behaglich ein, heut oder morgen wieder ein freier Schriftbeflissener zu werden, da mich die Jahre doch zu dauern anfangen, die so dahin gehen.

Die Diskussion über eine praktische Steuerschraube, welche meine VII Tyrannen soeben fabriciren, geht nun zu Ende u damit auch die Zeit, welche ich für diese wenigen Zeilen fand, welche nichts Interessantes oder Schönes enthalten werden aber Sie wenigstens überzeugen sollen, daß ich schon lange auf einen Augenblick gelauert habe, meiner Pflicht zu genügen. Kommen Sie diesen Sommer nicht nach der Schweiz? Wenn Sie mir etwa sagen wollen, wie es Ihnen geht, so werde ich Ihnen bälder antworten, als diesmal. Mazzini, Ihren Idealsmann, habe ich letztes Jahr in einem Concert in Zürich gesehen u sogleich erkannt; freilich wußte man, daß er hier sei. Gesprochen habe ich ihn natürlich nicht.

Leben Sie nun bis auf weiteres wohl, verehrtestes Fräulein, u bleiben Sie nicht ungewogen

Ihrem ergeb.
Gottfried Keller

NB Fast hätt’ ich vergessen: Sie können mir auf der Adresse Doctor schreiben, da ich letztes Jahr, als ich 50 Jahr! alt wurde, einen solchen Spitznamen bekommen habe.

 


 

20. 4. 1872  Ludmilla Assing an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 66; GB 2, S. 127>

Florenz, den 20. April 1872.
Via Luigi Alamanni 27.

Lieber, verehrter Herr Keller,
 
Sie haben mir eine große Freude bereitet, und ich danke Ihnen herzlichst dafür. Ich freute mich wie ich Ihr Buch erblickte, wie ich Ihre Handschrift sah, und dann wie ich las. Wie seltsam sind diese sieben Legenden! Wie viel Herz, Poesie, Gemüth, Tiefe und Originalität ist in diesen Skizzen verborgen! Sie haben alles das, was den meisten Anderen fehlt; niemand kann gleichgültig bleiben, jeder muß mehr oder weniger ergriffen werden von solchen Gaben. Wenn ich Einfluß auf Sie haben könnte, so würde ich alle möglichen Bitten und Schmeicheleien anwenden, um Sie zum Aufgeben mancher Kraftausdrücke zu bewegen; aber das betrifft nur die Form, denn den eigentlichen Inhalt, die Seele des Ganzen würde ich nie zu tadeln haben. Ich erinnere mich noch so deutlich, daß wie ich die ersten Seiten vom „grünen Heinrich“ gelesen hatte, ich Sie lieb hatte; dasselbe Gefühl hatte ich später bei „Romeo und Julia auf dem Dorfe,“ und nun eben wieder bei diesen wunderbaren Geschichten, über die ich noch lange nachzusinnen haben werde. Es ist zugleich etwas Dämonisches in dieser Art zu schreiben. Die silberne Agnes zum Beispiel hat mehr in meinen Gedanken gewohnt als manche lebende Person, und hat dieselben eigentlich nie mehr verlassen. Mich freut immer so die Art Ihrer Lebensauffassung, die so frei von allen herkömmlichen anerzogenen Schranken ist, ursprünglich und ächt und schön. |

     Wie gern möchte ich Sie wiedersehen! Kommen Sie denn nie nach Florenz? Mein Garten prangt jetzt eben im herrlichsten Frühlingsgrün, und die großen Rosen beginnen jetzt eben ihre Kelche zu öffnen, während die Schaar der bengalischen und Monatsrosen schon längst in lachender Fülle glänzt. Ich bin ganz stolz daß ich jetzt auch einen Rosengarten habe, und lege Ihnen als Ausdruck meines Dankes für die sieben Legenden sieben Rosenblätter ein, die Sie grüßen wollen.

     Wie viel hätte ich Ihnen zu erzählen! Bei dem Tode meines verehrten Freundes Mazzini werden Sie an mich gedacht haben. Ich sah in Pisa seine edeln Züge noch einmal, die sich im Tode nicht verändert hatten. Mir wird es immer schmerzlich sein, ihn nicht mehr unter den Lebenden zu wissen. Und überhaupt, wer ersetzt einem alte Freunde! – Daß ich außer mit dem Nachlaß meines Onkels auch noch jetzt mit dem von Pückler beschäftigt bin, werden Sie wissen. Wegen meiner Augen, die mich beinahe ganz im Stich ließen, mußte ich leider diese mir so wichtigen Arbeiten unterbrechen, und hatte dadurch eine recht traurige Zeit, wo ich mir auch recht dunkle Gedanken für die Zukunft machte. Nun sehe ich aber, dank dem vortrefflichen und genialen Doctor Mannhardt so gut, oder vielmehr besser als jemals, und genieße dies wie eine zweite Jugend.

     Ich erzähle Ihnen von mir in der Hoffnung daß Sie mir von sich erzählen. Lassen Sie mich bald, ich bitte, von Ihnen hören, und empfangen Sie meinen wiederholten wärmsten Dank.

     In unwandelbarer Hochachtung und Freundschaft

Ludmilla.

Grüßen Sie Stein, wenn Sie ihn sehen.



 

24. 10. 1872  Keller an Ludmilla Assing

<BJK: VS 20; GB 2, S. 128>

Zürich den 24 Oct. 1872.

Verehrtes Fräulein.
 
Ich wollte heut Abend, wie ich jetzt öfter thue, schriftstellern, komme aber nicht recht in Zug, und da fällt mir plötzlich ein, das dürfte der Augenblick sein, mich aus der mehrjährigen Correspondenzpause, die ich mir Ihnen gegenüber habe zu Schulden kommen lassen, herauszuarbeiten.

     Und welche Dinge haben sich seither zugetragen! Jetzt würde ich 20 Francs Lesegeld bezahlen für den Band, wenn ich Varnhagen'sche Tagebücher über diese Zeit lesen könnte. Diese Bemerkung haben Sie übrigens gewiß schon häufig hören müssen seit 1866, sie drängt sich zu sehr auf. Schon von Freiligrath habe ich vorigen Sommer gehört, daß Sie den Pückler'schen Nachlaß herausgeben; neulich habe ich nun in der Frankfurter Zeitung einige Briefproben gesehen, etwas verfängliches u coquettes Zeug, das mir nicht ganz gefallen will. Aergerlicher Weise fehlen auch hier, wie in allen solchen Briefwechseln, die Briefe der Dame, ich weiß nicht woher das kommt, aber es ist fast immer so u ist ein Mißbrauch, daß die eine Hälfte solcher Correspondenzen immer auf die Seite gebracht wird. Man fährt immer im Nebel herum, | da man nicht weiß, was die andere Partei werth ist. Bei Bettina freilich kann man sichs denken. Welch' eine Reihe von Zusendungen hab' ich Ihnen seit 2 oder 3 Jahren zu danken gehabt. Ich glaube ich habe Ihnen nicht einmal für den Custine geschrieben. Dann sind einige Bände höchst interessanter Specialitäten über Heine, Brentano etc etc die sehr werthvoll sind. Es hat mich sehr amüsirt, daß Sie in dem kleinen Legendenbüchlein wieder Kraftausdrücke gefunden haben! Sie armes harmloses Täubchen u Lämmlein!

     Hier läuft seit einigen Wochen Herr Dr. Julius Freese herum, ohne einen zu grüßen! Man sagt, er lebe im Solde des Königs von Hanover. Der alte Stein nimmt ab; er hat von Zeit zu Zeit kleine Umpurzelungsanfälle, verliert das Gedächtniß, ist aber nichtsdestominder ein furchtbarer deutscher Reichsfeind! Isolirt mit zwei oder drei Andern unter den hiesigen Deutschen. Frau Wesendonck ist mit ihrem Mann u Kindern von hier fortgezogen u hat alles verkauft wegen der manifestirten Franzosenfreundlichkeit einiger | hiesiger Volksschichten. Dann suchte sie größere und würdigere Kreise für ihre dichterischen Funktionen. Ich selbst bin in höchste Ungnade verfallen, die bis zur Grobheit anwuchs, weil ich ihr das Manuskript eines Dramas nicht gelobt u ihr das öffentliche Schriftwesen überhaupt abgerathen habe. Fahre hin! Ihre schöne Tochter haben sie natürlich an einen preußischen Junker u Lieutenant verheirathet, der freilich möglicher Weise so viel werth ist, wie diese Leute selbst.

     Und wie geht es Ihnen immer in Ihrem schönen Florenz? Man sagt, Sie geben Gesellschaften von über 100 Eingeladenen, muß man einen Frack anziehen, wenn ich etwa unversehens einmal hinkäme? Schreiben Sie gegenwärtig nichts Eigenes? Da frage ich drauf los, als ob ich ein Recht auf Anwort hätte, ich Esel! Nun, schon die Frage ist eine Lebensäußerung, eine Thathandlung! Tragen Sie noch immer eine so schöne rothe Feder am Hut, wie einst in Zürich? Haben Sie Ihr Amethystenhalsband noch?  Wie stehen Sie zu Garibaldi u zum Pabst? Im Ernst gesprochen, habe ich bei Mazzinis Tod an Sie gedacht, Sie hatten so schöne Photographien von ihm, er hatte einen klassischen Geschmack im Photographie-Stehen- u Sitzen! |

     Haben Sie von dem Schriftsteller Paul Lindau in Berlin Notiz genommen, der seit ein par Jahren ein geistreich kritisches Wesen treibt und eine gesunde Bewegung verursacht hat, aber nicht lange vorzuhalten scheint, da er schon kokett u selbstnachahmerisch wird. Allein es war die bedeutendste Erscheinung dieser Art seit Decennien. Auerbach hat sich anläßlich des Krieges mit zu täppisch chauvinistischen Elaboraten furchtbar blamirt, was Sie übrigens schon wissen werden. Neulich war ich 10 Tage in München, zum ersten Mal in Deutschland seit 1855! Ich habe den liebenswürdigen u guten Paul Heyse gesehen, den sie jetzt auch anfangen zu maltraitiren, weil er ein bischen zu viel schreibt. Er wollte mich eines Abends in ein Gasthaus verlocken, wo er ein par Schriftstellerinnen, Durchreisende, worunter Julius Rodenberg u Claire von Glümer, bewirthete. Ich ließ mich aber nicht fangen, um nicht etwa Stoff zu einem Feuilletonbestandtheil zu geben, falls ich mich etwa nicht courmäßig benähme. Nachher hatte Heyse Kopfweh, ich zwar auch, da ich in der Zeit mit einigen Malern gewesen war!

     Sie werden hoffentlich diesen Brief für nichts anderes nehmen, als was er sein soll, ein Stündchen Geplauder damit Sie sehen, daß ich mich freundschaftlich nicht genire u nicht anstrenge, klug zu thun!

     Mit vielen Grüßen Ihr ergeb

                                                Gottfr. Keller.



 

31. 10. 1872  Ludmilla Assing an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 67; GB 2, S. 130>

Florenz, den 31. Oktober 1872.

Lieber, verehrter Herr Keller,
 
Sie haben mir mit Ihrem Brief eine große Freude gemacht. Ich danke Ihnen herzlich für die schöne Plauderstunde. Mir ist jedes Wort von Ihnen lieb und angenehm, und es ist schön daß Sie mich nicht ganz vergessen, sondern sich einmal wieder meiner erinnert haben. Sie sind ein eben so großer Schweiger, als Sie ein großer Schriftsteller sind; ich bin dafür um so plauderhafter, weil ich immer Angst habe, daß man sonst in dem kurzen Leben zu viel zurückbehält. Es stirbt doch ohnehin beinahe Jeder mit so manchem nie Ausgesprochenen.

     Ich habe oft an Sie gedacht, und hoffte eigentlich Sie diesen Sommer in Zürich zu begrüßen, worauf ich mich sehr freute. Aber eine verfehlte Verabredung mit Freiligrath's verhinderte mich daran. Als ich in Stuttgart ankam, wollten diese eben ihre Schweizerreise antreten, und ich erwartete dort ihre Rückkehr, obgleich sie länger ausblieben, als sie festgesetzt, da ich doch nicht treulos unterdessen davon gehen wollte. Als sie endlich wiederkamen, mußte ich fort, und hatte die Zeit obendrein für meinen Schweizerausflug verloren, denn ich war und bin sehr beschäftigt, und zwar – hiemit beantworte ich zugleich eine Ihrer Fragen – mit Pückler's Biographie, eine in vieler Beziehung schwierige, aber mir doch sehr liebe Aufgabe, die mich oft wie in Zauberkreise gebannt hält. Was daraus wird, wie das Urtheil der Anderen sein wird, das weiß der Himmel. Ich habe niemand etwas davon gezeigt; Sie hätte ich aber gern zuweilen | um Rath fragen mögen. Ich hoffe Sie sagen mir recht aufrichtig Lob und Tadel wie es kommt. Ich bin nicht wie Mad. Wesendonck. Sehr aber würde ich mich freuen wenn Sie nicht bloß tadelten, und freundlich und nachsichtig erwägen wollten daß grade für mich es keinen schwierigeren und oft bedenklichen Stoff zur Behandlung geben konnte als grade diesen. Ist es nicht ein seltsames Geschick daß nach meinem Onkel nun auch Pückler sich in meine Hände gelegt hat? Außer mit der Biographie habe ich mit dem unendlich reichen Nachlaß sehr viel zu thun. Oft bedaure ich, daß ich meinem Onkel das nicht alles zeigen kann. Außerordentlich treffend ist Ihre Bemerkung über die fehlenden Hälften der meisten Briefwechsel. Sie sind der Erste, der das sagt, denn die Gewöhnlichkeit erhebt ja immer wieder den Vorwurf daß man überhaupt dergleichen bekannt macht. Könnte man alles vollständig haben, wäre auch meine Ideal, aber bei wie vielem im Leben muß man sich mit Stückwerk begnügen, und die Kraft der Phantasie, oder des geistigen somnambülen Ahnungsvermögens das Fehlende ersetzen. Sind doch sogar viele der schönsten Statuen des Alterthums unvollständig, wie die Venus von Milo und die Psyche von Capua. Bei Pückler sind übrigens mehr als in irgend einem anderen Nachlaß die Briefwechsel vollständig, weil er alles mit künstlerischer Ordnung verwahrte, und von seinen eigenen Briefen fast immer Kopieen behielt. Die Korrespondenz mit Bettina ist in der That sehr wunderlich. Ich hoffe, manches Andere von ihm wird Ihnen besser gefallen.

     Freilich haben Sie ein Recht zu fragen, und ich werde auf alles antworten. Ich glaube zuweilen läuft auch ein wenig Malice in Ihre große Güte gegen mich mit unter, aber es thut nichts. Zum Beispiel was die rothe Feder betrifft, die, wie ich erst viel später erfuhr, Sie | nie leiden konnten. Ich habe deßhalb auch keine wieder getragen. Anstatt der rothen Feder trage ich jetzt meine grauen Haare, die leider, wie ich fürchte, noch weniger Aussicht auf Ihren Beifall haben können. Mein Amethystenhalsband habe ich noch, und werde es anlegen wenn Sie in meinem Gesellschaftssalon erscheinen, um einen so besonderen Festtag zu feiern. Ach, wie allerliebst wäre es, wenn Sie einmal hieherkämen, und ich Ihnen meinen Garten und mein Arbeitszimmer zeigen könnte, das Sie gewiß durch die Bilder und Bücher ein wenig an die Mauerstraße erinnern würde. Aber Sie müßten nicht zu eilig sein, zum Beispiel einen Winter bleiben, damit man recht viel so plaudern könnte wie Ihr heutiger Brief ist, der, neben aller anderen Freude, die er mir macht, mich auch außerordentlich amüsirt. So wie Sie ist in der That sonst niemand. Ich sehe alle die Leute vor mir, die Sie skizziren. Welch eine schiefe Richtung hat Dr. Frese genommen! Die Freunde der Mad. Duncker scheinen alle traurig zu endigen. Ich freue mich daß Sie nie recht in diese Kathegorie gehört haben. Daß Mad. Wesendonck, die feine, preziöse Frau, sich so unvernünftig und undankbar gegen Sie benommen hat, thut mir leid. Wo man etwas Gutes thut, wird man beinahe immer dafür bestraft. Und die elende Heirath! Daß eine Mutter das Unglück ihrer Tochter so geflissentlich vorbereiten mag, wie man Blumen aussäet! – Den alten Stein bedaure ich; ergiebt sich die Gelegenheit, so bitte ich daß Sie ihn von mir grüßen. Der hat auch schon lange geschwiegen. – O, beinahe hätte ich den Frack vergessen! Bei mir kann Jeder tragen, was er Lust hat, Frack oder nicht, wie es ihm beliebt, und ist auf jede Art gleich willkommen. Für mich wäre es ein besonderes Vergnügen wenn Ihr beobachtendes Auge über die bunten Elemente meiner Geselligkeit streifte, die ich meine Florentiner Mosaik nenne. |

     Daß Sie sich nun darüber lustig machen, daß ich Ihre Kraftausdrücke erwähnt, ist wahrlich zu arg. Vielleicht hätten Sie aber doch einige weggelassen, wenn ich recht schön gebeten hätte. Wie dem aber auch sei, ich liebe Ihr Buch auch so wie es ist, und daß Sie Neues vorbereiten, gehört für mich zu den angenehmsten und erwünschtesten Nachrichten.

     An Ihrer Reise nach München nehme ich auch großen Antheil. Gewiß schwebte dort der Geist der silbernen Agnes wie ein Stern über Ihrem Haupte, diese arme silberne Agnes, deren Schöpfer Sie sind, und die ich so lieb habe!

     Ihre Frage, wie ich mit Garibaldi und dem Pabst stehe, hat mich amüsirt. Mit dem ersten nicht gut, dessen kopflose französische Expedition mich sehr betrübt hat, mit dem anderen so schlecht, als er es wahrlich verdient. An Mazzini habe ich einen edlen geliebten Freund verloren, mit dem ich fortlebe wie mit meinen anderen theuren Dahingeschiedenen. Mir ist es wohlthuend daß Sie so lebhaft meines Onkels gedenken. Mit Paul Lindau habe ich ein paar Briefe gewechselt, weil er mich um Beiträge für sein Blatt bat; ich gab ihm einen Artikel, den Minister Schön betreffend, aus dem Nachlaß meines Onkels. Wenn Sie mir aber etwas von ihm empfehlen wollen, denn ich kenne leider noch nichts von ihm, so lasse ich es mir sogleich kommen.

     Nochmals tausend Dank für Ihren lieben Brief! Wie würde ich mich freuen, wenn ich bald wieder von Ihnen hörte! In aufrichtiger Freundschaft und mit vielen Wünschen und Grüßen für Sie

                                                Ihre ergebene
                                                Ludmilla Assing.
Den 8. November.

 


 

27. 2. 1873  Keller an Ludmilla Assing

<ZB: Ms. GK 99a Nr. 12; GB 2, S. 132>

Zürich 27. II. 73.

Verehrtes Fräulein
 
Ein längst für Sie angefangener Brief ist wieder einmal liegen geblieben u ich muß einen neuen machen, um Ihnen endlich meinen herzlichen Dank für Ihre Pückler-Bücher, die ich durch Ihre unzerstörliche Güte, erhalten, auszusprechen. Obgleich es im Ganzen ein wenig erquicklicher Stoff ist, so ist die Fixirung dieser seltsamen Gestalt doch eine Ergänzung u Bereicherung unserer Literatur u Kulturdarstellung und darum ein verdienstliches Werk, dem Sie sich mit Geschicklichkeit u geschmackvoller Gedrängtheit unterzogen haben. Ich muß hier ein bischen den Schulmeister machen u bemerken, daß Sie als Erbin des Stylisten Varnhagen bei der Correktur zuweilen etwas aufmerksamer verfahren u kleine Schreibnachlässigkeiten ausmerzen sollten. So sprechen Sie S. 90 von einem „berühmten Doktor Jurine, der eines großen Rufes genoß“ | Seite 125 heißt es „südliche Vegetation des Südens“ u „napoleonistische Fremdherrschaft“ statt „napoleonische“. Das erstere gebraucht man nämlich für die Bezeichnung einer Gesinnung oder eines Systems etc. das letztere für den konkreten Fall u. s. w. Doch will ich Sie mit diesem miserablen Kritteln nicht länger ennüyiren. In den Briefen sind die 3 Briefwechsel mit den 3 Schriftstellerinnen wie drei Molière'sche Comödien, famos. Für die Bettina sind Ihre Publikationen geradezu vernichtend u es nimmt mich nur Wunder, daß Ihnen Hermann Grimm noch keinen Bravo auf den Hals geschickt hat. Es war doch ein unerlaubt verdrehter, verlogener u geckenhafter Charakter, diese gescheidte Dame.

     Bei der Hahn trat nun Pückler in die Gecken Rolle u fuhr höchst rapid komisch bei ihr ab, aber wahrscheinlich nur, weil sie mit einem Jüngeren schon versehen war u ihn nicht brauchte. Bei der Marlitt erreicht nun das Unglaubliche die Spitze, daß der Ueber-Achziger eine ihm unbekannte, unschöne | u kränkliche Frau überrumpeln will, bloß weil sie eine vielgelesene Romanschriftstellerin ist u ein gewisses Furore macht. Ihre Frau Tante Steinheil, die hier lebt u die ich aber nie sehe, da sie eine ermüdende Schwatzmama u Rechthaberin sein soll, hat durch einen gemeinschaftlichen Bekannten die beiden Briefbände von mir erhalten u sei entzückt von der würdigen Manier, mit welcher ihr Liebling Marlitt den Helden habe ablaufen lassen, u ganz stolz darauf. Zu meinem Bedauern habe ich heute in der Allg. Augsb. Zeitung gelesen, daß die Vollendung der Biographie auf Schwierigkeiten stoße. Was ist daran?

     Mein 2t. Band Leute von Seldwyla kommt endlich nächstens unter die Presse u zugleich die 2t. Auflage des ersten Theiles; beides als „Neue Ausgabe in 2 Bänden“ Auch jene kleinen Legendchen haben es zu einer 2t. Auflage | gebracht. Herr Stein empfiehlt sich Ihnen u wird immer schwächer an Geist; er schimpft über Alles, was jetzt politisirt u angestrebt wird, u spricht immer nur von Geld, wenn ich nur dem „Schweinehund“ hier oder dort seine Millionen hätte, was thut er damit etc etc höchst langweilig, aber ein Beweis von Mißbehagen im Alter, das Mitleid erregt.

     So geht es, wir wissen nicht, wie wir unser Finale spielen, wenn wir uns nicht zusammen nehmen.

     Nun sind Sie schon mitten im Frühling, während hier noch Schnee am Horizonte herum lungert.

     Leben Sie daher wohl u vergnügt in ihrer Blumenstadt bei Sa Maria del fiore

                                                Ihr alter ergeb.
                                                Gottfr. Keller

 


 

3. 3. 1873  Ludmilla Assing an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 68; GB Bd. 2, S. 133>

Florenz, den 3. März 1873.

Lieber, geehrter Herr Keller,

Lange habe ich schon nach einem Briefe von Ihnen ausgesehen, und mich herzlich gefreut, als er heute wirklich eintraf. Ich hoffe auch, daß wenn ich recht bitte, Sie mir zugleich noch den angefangenen liegengebliebenen schicken, der vermuthlich eine Antwort auf den meinigen ist. Ich darf um so mehr diese Bitte wagen, da Sie ja nicht erst die Mühe des Schreibens haben, und er schon lebendig da ist. Einstweilen giebt mir der heutige die angenehmste Beschäftigung, und ich muß Ihnen sogleich sagen wie viel Vergnügen er mir macht. Ich finde es auch sehr nett und liebenswürdig von Ihnen daß Sie ein bischen „den Schulmeister machen,“ und erkenne auch hierin Ihre Güte für mich. Ich finde natürlich, daß Sie in allem Tadel vollkommen recht haben, und sollte jemals eine zweite Auflage gemacht werden, so werde ich all die Flüchtigkeiten bestens korrigiren, für die ich keine andere Entschuldigung weiß, als die Hast, mit der ich die Korrekturbogen immer denselben Tag zurücksenden mußte. Ihr Lob nun vollends können Sie denken ist mir angenehm; und ich hoffe daß Sie auch meinem Helden einige Theilnahme schenken. Ich finde ihn noch liebenswürdig selbst in manchen seiner Schwächen, wie in der naiven Bewunderung, die ihm jeder schriftstellerische Erfolg Anderer einflößte. Bettina hatte allerdings schlimme Schattenseiten; man müßte die ganze Litteratur tödten, wenn man sie verbergen wollte. Was kann ich dafür! Grimm nimmt mir gewiß am meisten | übel, daß ich einige gegen ihn gerichtete Aussprüche Bettinens in den „Tagebüchern“ meines Onkels habe abdrucken lassen, denn er ist sich doch selbst der Liebste. Übrigens hat er vor Jahren schon, ich glaube aus politischer Feigheit, nach dem Tode meines Onkels in einer Weise geschrieben, die ihm wenig Ehre macht. Die alte Tante Steinheim kann ich mir lebhaft denken, wie sie aus dem Pückler’schen Briefwechsel nichts anderes herausliest, als einen Triumph für Eugenie John-Marlitt, einseitig und ohne Verständniß. Ich gestehe daß ich selbst das Gefühl des Achtzigjährigen rührend finde, fabelhaft, aber nicht lächerlich. Weit schwieriger ist mit der achtzigjährigen Tante Steinheim fertig zu werden! Denken Sie sich daß die gute Frau bei ihrer letzten Anwesenheit in Florenz sich von ein paar lügenhaften und klatschenden Seelen hat einreden lassen, ich würde einen ältlichen Wittwer hier heirathen, woran keine Spur von Wahrheit ist. Darauf nahm sie mich vor wie ein Schulkind, ermahnte mich von der Sache abzustehen, und alle meine Betheurungen, daß ich nicht entfernt daran denke, und ebensowenig der Betreffende, blieben fruchtlos. Und bei ihrem Abscheu vor Heirathen ist sie seitdem ganz erbittert gegen mich, und so verbissen in ihre Voraussetzung, daß als sie neulich nach zwei Jahren mir wieder einmal schrieb, sie von meinen „Heirathsplänen“ redet. Was soll man dagegen anfangen! Der Brief, in dem sie so redet, ist zugleich ein Glückwunschbrief zu meinem Geburtstag – zu meinen zweiundfünfzigsten! (Denn ich habe die Ehre nur zwei Jahre jünger zu sein wie Sie!) Sie sehen, die Tante Steinheim könnte auch zu einem Molière’schen Lustspiel gebraucht werden oder noch besser zu einem Goldoni’schen.

   Während ich an Pückler so viel Vergnügen habe, | und mit Eifer alles lese, was ich mir von Kritiken verschaffen kann, hat sich mein Verleger Campe, als eine so gemeine Seele erwiesen, daß ich nichts mehr mit ihm zu thun haben mag, und dies ist es wohl, was jener Aufsatz in der „Allgemeinen“, den ich übrigens noch nicht gesehen habe, erwähnt. Da muß ich mich nun nach einem anderen Verleger umsehen, was von hieraus doppelt schwierig ist. Ich habe nun bei Hallberger angefragt, der die früheren Werke von Pückler verlegte. Wenn Sie wüßten, wie lästig mir dergleichen Geschäftssachen sind. Arbeiten ist so angenehm, aber mit Buchhändlern verhandeln, wahrlich nicht.

   Wie freue ich mich auf den zweiten Band der „Leute von Seldwyla,“ und über Ihre zweiten Auflagen! Mehr als wenn mir das begegnete! Und wie sehr verdienen Sie das! Und wie recht hatte ich Ihr Talent von jeher so sehr zu lieben!

   Der arme Stein! Ich bitte ihn herzlichst wieder zu grüßen. Ja, ja, mit dem Alter muß man Geduld haben. Aber das Alter kann auch anders sein, das fühle ich, und das habe ich gesehen. Lassen Sie uns, wo möglich, uns bestreben, ein anderes „Finale zu spielen.“

   Ja, wir haben hier jetzt reizende Frühlingstage; die Bäume und Sträucher haben einen smaragdenen Schimmer, einige Lorbeerarten blühen, die Cypressen haben Früchte, die Luft ist balsamisch, meine Thüren, die von meinem Arbeitszimmer auf die Terrasse führen, sind schon den ganzen Tag geöffnet, der Garten lächelt mich zauberisch an. Noch vor kurzem lag auch auf den umliegenden Bergen der Schnee wie eine Diamantenkrone, aber nun ist er sanft weggeschmolzen.

   Leben Sie wohl, und schweigen Sie nicht zu lange, und seien Sie stets meiner herzlichsten | Freundschaft und Anhänglichkeit versichert. Möchten Ihnen so viel Freuden im Leben begegnen, als ich sie Ihnen wünsche!

            Ludmilla.

 


 

21. 1. 1874  Ludmilla Assing an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 71>

               Florenz, den 21. Januar 1874.

               Via Luigi Alamanni No. 27.

Lieber, verehrter Herr Keller,

Wie lange ist es her, seit ich Ihren gütigen Brief, der mir damals nach Berlin nachgeschickt wurde, empfing! Welch eine Lebensumwandlung liegt für mich dazwischen! Ich wollte Ihnen immer schreiben, es war wahrlich nicht Vergessen oder Gleichgültigkeit, daß ich so lange zögerte. Aber ich hatte damals so viel zu thun, so viel zu besorgen, daß ich keinen Augenblick zur Ruhe kam. Ich glaube wahrhafte Ruhe giebt das Leben nie, oder man müßte eigends mit dem Talent sie sich selbst zu bereiten geboren sein, und ich habe dies Talent nicht. Während ich in Deutschland war, erkrankte mein Verlobter an einer gefährlichen Halsentzündung, und ich brachte einige Tage bis zu seiner Herstellung in größter Besorgniß zu. Wie ich nach Florenz zurückkehrte, erkrankte mein alter Freund Campanella und ich brachte den letzten Monat meines Brautstandes beinahe ausschließlich damit zu ihn zu pflegen. Dann endlich kam der Tag meiner Hochzeit, von der ich Ihnen nur die stumme Anzeige schickte, aber doch von unsichtbaren Grüßen begleitet: Die Civilehe – die einzig gesetzlich gültige in Italien, und Priester brauchten wir nicht – wurde in dem prachtvollen mittelalterlichen Palazzo Vecchio vollzogen, der mit Bannern, mit der Florentiner Lilie geschmückt ist. Und in dieser italienischen Umgebung wurde bei Verlesung der Dokumente auch der Name meines Onkels genannt, was mich tief rührte. Man kann sich schwer vorstellen wie ergreifend ein solcher | Tag ist! Könnte ich Ihnen alles sagen was in meiner Seele vorging. Sie, der Sie alles verstehen, verstehen auch dies. Es war mir wie ein Traum, als Grimelli’s Ring an meinem Finger glänzte. Nach der Hochzeit machten wir einen zehntägigen Ausflug nach Rom; in frühlingsartiger Luft, bei goldenem Sonnenschein gingen wir zwischen den Ruinen umher, in den immergrünen Gärten der Villen, sahen Kirchen, Bilder und Statuen. Nun, in der gewohnten Florentiner Häuslichkeit, finde ich wieder Zeit zu meinen gewohnten Beschäftigungen. An der Fortsetzung von Pückler, für den ich in Berlin an den Herren Wedekind und Schwieger wie es scheint recht gute Verleger gefunden habe, wird bereits gedruckt. Ich bin froh den gemeinen Campe los zu sein. Pückler empfehle ich Ihrem Wohlwollen. Es giebt eigentlich so wenige Personen, an deren Urtheil mir etwas liegt, aber an dem Ihrigen so viel. Bei der Korrektur der zweiten Hälfte der Biographie denke ich auch immer wie ein demüthiges Schulkind an die Ausstellungen, die Sie in Bezug auf den Stil an der ersten Hälfte machten. Wie froh wäre ich, wenn Sie mir diesmal ein besseres Zeugniß ausstellen könnten. Der Lärm, den sonst die Presse erheben mag, wird mir nur ein ergötzliches Schauspiel sein. Ich bin für alles unverwundbar, was mir nicht von Seiten der Liebe und Freundschaft kommt.

   Alles was Sie mir über die deutsche Litteratur sagen, ist mir von höchstem Interesse und Vergnügen. Auf die neue Ausgabe der Leute von Seldwyla freue ich mich lebhaft, wie auf alles was Sie schreiben. |

   Von dem jungen Doctor Fleischl, den ich in Wien und in Florenz sah, hatte ich Nachrichten von Ihnen, und wir sprechen öfter von Ihnen.

   Der Tod des alten Stein hat mich betrübt. Auch der alte General Palm, der treue Freund der Gräfin Elisa von Ahlefeldt, mit dem ich diesen Herbst in Berlin seinen 82sten Geburtstag feierte, ist dahingegangen.

   Leben Sie wohl. Erhalten Sie mir Ihre Freundschaft, und bleiben Sie der meinigen stets versichert.

            Ihre ergebene

            Ludmilla Assing-Grimelli.

Grimelli empfiehlt sich Ihnen unbekannterweise. Er hat von mir schon etwas Deutsch gelernt.

   

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