GH 4.03

030 Drittes Kapitel.

Lebensarten.

Es gab allerdings wieder eine Sparbüchse, welche ihrer Verwendung harrte. Am Tage nach meiner Abreise vor nunmehr länger als drei Jahren hatte die Mutter sogleich ihre Wirthschaft geändert und beinahe vollständig in die Kunst verwandelt, von nichts zu leben. Sie erfand ein eigenthümliches Gericht, eine Art schwarzer Suppe, welches sie Jahr aus, Jahr ein, einen Tag wie den andern um die Mittagszeit kochte, auf einem Feuerchen, welches gleichermaßen fast von nichts brannte und eine Ladung Holz eine Ewigkeit dauern ließ. Sie deckte an den Werktagen nicht mehr den Tisch, da sie nun ganz allein aß, nicht um die Mühe, sondern die Kosten der Wäsche zu sparen, und setzte ihr Schüsselchen auf ein einfaches Strohmättchen, das immer sauber blieb, und indem sie ihren abgeschliffenen Dreiviertels-Löffel in die Suppe tauchte, rief sie pünktlich den lieben Gott an, denselben für alle Leute um 031 das tägliche Brot bittend, besonders aber für ihren Sohn. Nur an den Sonn- und Festtagen deckte sie den Tisch mit reinlichem Weißlinnen und setzte ein Stückchen Rindfleisch darauf, welches sie am Sonnabend eingekauft. Diesen Einkauf selber machte sie weniger aus Bedürfniß – denn sie hätte sich für ihre Person auch am Sonntage noch mit der spartanischen Suppe begnügt, wenn es hätte sein müssen – als vielmehr einen Zusammenhang mit der Welt und die Gelegenheit zu haben, wenigstens ein Mal die Woche auf dem alten Markte zu erscheinen und den Weltlauf zu sehen.

So marschirte sie denn still und eifrig, ein Körbchen am Arme, erst nach den Fleischbänken; und während sie dort klug und bescheiden hinter dem Gedränge der großen Hausfrauen und Mägde stand, die lärmend und verwegen ihre Körbe füllen ließen, stellte sie kritische Betrachtungen über das Behaben der Weiber an und ärgerte sich sonderlich über die munteren leichtsinnigen Dienstmägde, welche sich von den lustigen Metzgerknechten also bethören ließen, daß diese während des Scherzes und Gelächters unvermerkt eine ungeheure Menge Knochen und Luftröhrenfragmente in die Wagschale warfen, so daß es die Frau Elisabeth Lee fast nicht mit ansehen konnte. Wenn sie die Herrin solcher Mädchen gewesen wäre, so 032 hätten diese ihre Verliebtheit an den Fleischbänken theuer büßen und jedenfalls die Knorpeln und Röhren der trügerischen Gesellen selbst essen müssen. Allein es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, und diejenige, welche von allen anwesenden Frauen vielleicht die gestrengste gewesen wäre, hatte dermalen nicht mehr Macht, als über ihr eigenes Pfündlein Fleisch, das sie mit Umsicht und Ausdauer einkaufte.

Sobald sie es im Körbchen hatte, richtete sie ihren Gang nach dem Gemüsemarkt am Wasser und erlabte ihre Augen an dem Grün der Kräuter, den bunten Farben der Früchte, an Allem, was aus Gärten und Feldern herbeigeschafft war. Sie wandelte von Korb zu Korb und über die schwanken Bretter von Schiff zu Schiff, das aufgehäufte Wachsthum übersehend und an dessen Schönheit und Billigkeit die Wohlfahrt des Staates und dessen innewohnende Gerechtigkeit ermessend, und zugleich tauchten in ihrer Erinnerung die grünen Landstriche und die Gärten ihrer Jugend auf, in welchen sie einst selbst so gedeihlich gepflanzt hatte, daß sie zehnmal mehr wegzuschenken im Stande war, als sie jetzt bedächtig einkaufen mußte. Hätte sie noch große Vorräthe für einen zahlreichen Haushalt zu ordnen gehabt, so würde das ein Ersatz gewesen sein für das Säen 033 und Pflanzen; aber auch der war ihr genommen und die Handvoll grüner Bohnen, Spinatblättchen oder gelber Rübchen, welche sie endlich in ihr Körbchen that, nachdem sie manchen scharfen Zuspruch wegen Uebertheuerung ausgetheilt, für sie nur ein nothdürftiges Symbol der Vergangenheit, sammt dem Büschelchen Petersilie oder Schnittlauch, das sie als Dreingabe erkämpfte.

Das weiße Stadtbrot, das bislang in ihrem Hause gegolten, hatte sie auch abgeschafft und bezog alle acht Tage ein billigeres rauhes Brot, welches sie so sparsam aß, daß es zuletzt steinhart wurde; aber zufrieden dasselbe bewältigend schwelgte sie ordentlich in ihrer freiwilligen Ascese.

Um die gleiche Zeit wurde sie karg und herb gegen jedermann, im gesellschaftlichen Verkehr vorsichtig und zurückhaltend, um alle Ausgaben zu vermeiden; sie bewirthete Niemanden, oder wenn es geschah, so knapp und ängstlich, daß sie bald für geizig und ungefällig gegolten, hätte sie nicht durch eine verdoppelte Bereitwilligkeit mit dem, was sie durch die Mühe ihrer Hände, ohne andere Kosten, bewirken konnte, jene herbe Sparsamkeit aufgewogen.

Ueberall wo sie mit Rath und That beistehen konnte, war sie immer wach und rüstig bei der 034 Hand, keine Ausdauer scheuend, und da sie für sich bald fertig war, so verwendete sie eine schöne Zeit zu solchen Dienstleistungen, bald in diesem, bald in jenem Hause, wo Krankheit oder Tod die Menschen bedrängten.

Aber überall hin brachte sie ihre genaue Eintheilungskunst mit, so daß die behäbigeren Leute, während sie dankbar sich die unermüdliche Hülfe gefallen ließen, doch hinter ihrem Rücken sagten, es wäre doch eigentlich eine Sünde von der Frau Lee, daß sie gar so ängstlich, so spröde sei und dem lieben Gott nichts überlassen könne oder wolle. Sie hingegen überließ freilich der Vorsehung Gottes alles, was sie nicht verstand, vorerst die Verwickelungen der moralischen Welt, mit denen sie nicht viel zu thun hatte, weil sie sich nicht in Gefahr begab. Nichts destoweniger war Gott ihr auch der Grundpfeiler in der Ernährungsfrage; aber diese schien ihr so wichtig, daß sie niemals zauderte, sich zuerst selber zu wehren, so daß es den Anschein gewann, als ob sie nur auf sich allein vertraute.

Mit eherner Treue hielt sie an ihrer Weise fest; weder durch Sonnenblicke der Fröhlichkeit, noch durch düsteres Unbehagen, weder im Scherz noch im Ernste ließ sie sich verleiten, auch die kleinste unnöthige Ausgabe zu machen. Sie legte Groschen zu Groschen 035 und wo diese einmal lagen, waren sie so sicher aufgehoben, wie im Kasten des eingefleischten Geizes. Mit der Ausdauer des Geizes sammelte sie Geld, aber nicht zur Augenlust; denn das Gesammelte beschaute sie niemals und überzählte es nie, wenigstens nicht zum zweiten Mal, und noch weniger stellte sie sich vor, was alles dafür herbei zu schaffen und zu genießen sei.

Ich indessen war seit geraumer Zeit mit den Mitteln an ein Ende gekommen, die zu meiner Ausbildung bestimmt gewesen. Schon saß ich in einem ordentlichen Gewebe von Schuldbeziehungen gefangen und war ohne alle Schwierigkeit hineingerathen und zwar durch den studentischen Verkehr, der sich von der Lebensart der Kunstjünger wesentlich unterscheidet. Diese sind von Anfang an auf die Benutzung des Tageslichtes durch unausgesetzte Handübung angewiesen; das bringt allein schon einen andern wirthschaftlichen Zustand mit sich, welcher den guten alten Handwerkssitten verwandt ist. Während meines Umganges mit dem reichen Lys und dem an sorgloses Leben auch gewöhnten Erikson war ich meiner bescheidenen Verhältnisse nie inne geworden. Wir sahen uns immer nur des Abends, und da lebten sie in der Regel nicht anders, als ich und ähnliche wenig bemittelte Leute auch leben durften; von einem gegenseitigen 036 Anreize zu schädlichen Ausgaben war nicht die Rede, und was gute Laune oder ein Fest etwa an Ausnahmen herbeiführten, störte niemals in nachhaltiger Weise das Gleichgewicht.

Der Student dagegen lebt einstweilen und bis zum Tage des Gerichtes in jedem Sinne unter dem Panier der Freiheit. Er beansprucht, selber in jugendlichem Vertrauen schwärmend, ein außerordentliches Vertrauen; Unfleiß und Geldmangel gereichen ihm nicht zum Nachtheil, vielmehr werden beide durch besondere Lieder gefeiert, sogar das Verthun der letzten Habe, das Hänseln der Gläubiger in alten und neuen rituellen Gesängen gepriesen. Ist alles dies bei der heutigen besseren Sitte auch mehr euphemistisch gemeint, so ist es doch immer noch das Wahrzeichen von Freiheiten, die eine gewisse allgemeine Redlichkeit zur Voraussetzung haben.

Da ich mich eines Morgens ohne Vorbedacht und Willen von einigen Schulden belästigt sah, stellte ich nachträgliche Betrachtungen über das Vorkommniß an und setzte mich mit demselben ungefähr folgender Maßen auseinander:

Hätte ich einen Sohn mit guten Lehren zu versehen, so würde ich zu ihm sagen: Mein Sohn, wenn du ohne Noth und so zu sagen zu deinem Vergnügen Schulden machst, so bist du in meinen Augen nicht 037 sowol ein Leichtsinniger, als vielmehr eine niedrige Seele, die ich im Verdachte eines schmutzigen Eigennutzes habe, einer Selbstsucht, die Andere unter dem Deckmantel traulicher Hülfsbedürftigkeit absichtlich um das Ihrige bringt. Wenn aber ein Solcher von dir borgen will, so weise ihn ab; denn es ist besser, du lachest über ihn, als er über dich! Wenn du hingegen in Noth geräthst, so borge so viel es genau genommen sein muß, und ebenso diene deinen Freunden, ohne zu rechnen, und alsdann trachte, für deine Schulden aufzukommen, Verluste verschmerzen oder zu dem deinigen gelangen zu können, ohne zu wanken und ohne schimpflichen Zank. Denn nicht nur der Schuldner, der seine Verpflichtungen einhält, sondern auch der Gläubiger, der ohne Zank dennoch zu dem Seinigen kommt, beweist, daß er ein wohlbestellter Mann ist, welcher Ehrgefühl um sich verbreitet. Bitte Keinen zweimal, der dir nicht borgen will, und laß dich ebenso wenig drängen; denke immer, daß dein guter Ruf an die Bezahlung von Schulden geknüpft, oder vielmehr denke das nicht einmal, denke an gar nichts, als daß so und so viel zu bezahlen sei im Leben oder im Tode. Kann dir aber ein Anderer das gegebene Versprechen nicht halten, so richte nicht gleich über ihn, sondern überlaß lieber das Urtheil der Zeit. Vielleicht bist 038 du noch einmal froh, wenn er dir als Sparbüchse gedient hat. Nach dem Maße aber, in welchem du dich in Verpflichtungen begiebst und die in dir selbst liegenden Kräfte dabei schätzest, wird es sich zeigen, was du werth bist. Du wirst die Abhängigkeit unsers Daseins menschlich fühlen gelernt haben und das Gut der Unabhängigkeit auf eine edlere Weise zu brauchen wissen, als der nichts geben und nichts schuldig sein will. Bedarfst du in der Noth das Vorbild und Ideal eines Schuldenmachers, so denke an den spanischen Cid, welcher den Juden eine Kiste voll Sand versetzte und ihnen sagte, es sei gutes Silber darin! Sein Wort war allerdings so gut wie Silber; und doch welche Verdrießlichkeit, wenn ein Neugieriger oder Mißtrauischer vor der Zeit die Kiste geöffnet hätte! Dennoch wäre es derselbe Cid gewesen, dessen Leiche am Schwert rückte, als ein Jude sie am Barte zupfen wollte.

Diese großen Worte, mit denen ich mir den Rath eines weisen Vaters ersetzte, regten mein Gewissen doch so kräftig an, daß ich Anstalt traf, die Thore des Erwerbes aufzuthun. Ohne längeres Säumen machte ich mich an den Entwurf eines Landschaftsbildes von bescheidenem Umfang, dessen Verkauf nicht von vornherein unwahrscheinlich war. Zu Grunde lag ein ansehnliches Studienblatt aus 039 der Heimat, welches einen gerodeten Bergwald darstellte. Von diesem zog sich ein stehengebliebener Saum von Eichbäumen einen höheren Grat entlang und stieg auf demselben in's Thal herunter an einen schäumenden Waldbach, wie ein Zug schreitender Riesen, die sich unten sammeln und Rath halten. Als ich mit dem Entwurfe fertig war, fühlte ich das Bedürfniß, die Ansicht eines Kunstgenossen einzuholen, um nichts zu unterlassen, was ein Gelingen herbeiführen konnte. Denn der Ernst der Sache wurde mir mit jedem Striche fühlbarer.

Glücklicherweise begegnete ich zu dieser Zeit einem eben im Flor stehenden Landschafter, mit dem ich in Eriksons Gesellschaft ein par Mal zusammengetroffen und auf einem gewöhnlichen Bekanntschaftsfuße stand. Der Mann besaß eine sichere und wirksame Technik; er brachte sozusagen keinen Pinselstrich zu viel oder zu wenig an und jeder leuchtete mit ungebrochener Kraft; also waren auch seine Bilder überall gern gesehen, und er kam mit solchem Fleiße der Nachfrage entgegen, daß er schon begann, Mangel an Gegenständen zu empfinden und mehr Gemälde lieferte, als er Ideen dazu im Vorrath hatte. Er wiederholte sich öfter und war sogar um einzelne Wolken- oder Erdformen verlegen, da er alle schon ein oder mehrere Male irgendwie gebraucht 040 hatte, obschon er noch nicht vierzig Jahre alt war. Denn er besaß eine stattliche Frau und eine Schaar Kinder, die ernährt sein wollten, und da er bei dieser Bemühung einmal im glücklichen Schusse war, so gedachte er gleich auch wohlhabend zu werden. Wenn man für die alten Tage sorgen will, pflegte er zu sagen, so muß man das in den jungen Tagen thun. Auch sei es ihm unmöglich, die einzelnen seiner Kinder in der Armuth zu denken; darum müsse er sie alle dagegen schützen und zugleich hiedurch bewirken, daß sie einstmals für ihre Kinder ebenso gesinnt seien; so nähmen die Dinge auf lange hin ihren guten Verlauf, einzig in Folge eines entschlossen angewandten Grundsatzes.

Er fragte mich, was ich treibe, und ich benutzte die Gelegenheit, ihn um seinen Rath zu ersuchen. Bereitwillig kam er zu mir und sah etwas überrascht meine Arbeit oder vielmehr die ihr zu Grund liegende Naturstudie. Die Bäume, als die aus einem ehemaligen Hochwalde ausgeschnittenen Ueberbleibsel zeigten alle so eigenthümlich malerische Formen, wie man sie nicht leicht vorfindet oder zum zweiten Male antrifft, und die lichte Ordnung, in welcher sie sich besonders über die Höhe hin bewegten, war nicht weniger originell. Da überdies die Eichen seither vermuthlich auch niedergelegt und 041 in ihrer Entlegenheit von einem anderen Zeichner kaum wiedergegeben worden, so erhielt der Gegenstand der Studie wie des entworfenen Bildes ohne mein Verdienst den Charakter einer werthvollen Seltenheit. Dieser Umstand mochte den erfahrenen Landschafter anregen, sich lebhaft mit dem Entwurfe zu beschäftigen. Er begann erst mit Worten die zu große Fülle desselben, die sich selbst im Wege stand, zu sichten, das Ueberflüssige oder Hindernde auszusondern und das Wesentliche zusammenzurücken. Dann ergriff er, von Eifer hingerissen, Stift und Papier, und brachte, fortwährend sprechend, mit fester Hand, seine Meinung so trefflich in sichtbare Gestalt, daß binnen einer halben Stunde eine Meisterskizze fertig war, die in jeder Sammlung guter Handzeichnungen ihren bestimmten Rang einnehmen konnte. Ich sah freilich mit geheimem Bedauern mehr als ein sinniges und frommes Motiv, das ich nicht hatte opfern wollen, verschwinden, bemerkte aber auch mit Wohlgefallen, wie gerade dadurch eine neue stärkere Wirkung des Uebrigen zum Vorschein gelangte und auch eine glückliche Ausführung erleichtert werden mußte. Ich freute mich, den Mann zu guter Stunde gefunden zu haben und sah mich schon an der Arbeit. Allerdings mußte ich einen frischen Entwurf herstellen, da der Meister 042 nach beendigter Berathung sein Blatt ruhig zusammenfaltete, in die Tasche steckte und mich freundlich meiner dankbaren Gesinnung überließ.

Bei der Ausführung des Bildes suchte ich nun mein Bestes zu thun und hielt mich fleißig und hoffnungsvoll an die Arbeit, bei welcher ich so gut als möglich der Kritik des Meisters folgte. Es wollte mir zwar nachträglich vorkommen, als ob in der Composition etwas allzustark aufgeräumt worden sei für meine bescheidene Farbengebung, bei der ich, da es sich endlich um ein ordentliches Vollenden handelte, mit den ersten Regeln zu kämpfen hatte. Dennoch war ich nach Verfluß einer Anzahl Wochen nicht unzufrieden mit dem Erzeugniß, wie es sich innerhalb meiner vier Wände darstellte; ich ließ es mit einem einfachen, unvergoldeten Rahmen versehen, der den Ernst künstlerischer Gesinnung, die nicht nach Prunkmitteln hascht, ausdrücken sollte und auch meinen Verhältnissen entsprach, und sandte das Bild in die Ausstellungsräume, wo das Neueste wöchentlich aufgehangen und der Verkauf vermittelt wurde.

So war nun der Zeitpunkt da, von welchem ich vor der ländlichen Vormundschaftsbehörde so zuversichtlich gesprochen hatte, der Beginn eines rühmlichen Erwerbes. Als ich am nächsten Sonntage 043 die Sääle betrat, in denen eine geputzte Menge sich drängte, gedachte ich deutlich jener stolzen Worte, aber jetzt mit kleinem Muthe, da schon zu viel von der Sache abhing. Sobald ich das unscheinbare Bild von weitem bemerkte, getraute ich mich nicht, in der Nähe zu weilen, weil ich mir plötzlich wie ein armes Kind vorkam, das sein aus einem Flöcklein Baumwolle und etwas Flittergold verfertigtes Schäfchen am Weihnachtsmarkte mit den vier steifen Beinchen auf einen trockenen Stein gesetzt hat und ängstlich harrt, ob von den tausend Vorübergehenden Einer seinen Blick darauf werfe. Das war nicht Hochmuth, sondern das Gefühl, daß ich es als einen glücklichen Zufall preisen müßte, wenn sich ein geneigter Käufer für mein Weihnachtslämmchen fände.

Aber auch von einem solchen Zufall konnte schon keine Rede mehr sein; denn als ich in den nächsten Saal ging, sah ich meine Landschaft, von meinem Rathgeber ausgestellt, mit allem Glanze seines Könnens gemalt, von der Wand leuchten, umgeben von einem Rahmen, der allein mehr kostete, als ich für mein Bild zu fordern wagte. Ein daran hängender Zettel verkündete den bereits erfolgten Ankauf des gelungenen Werkes.

Eine Gruppe von Künstlern unterhielt sich vor demselben. «Woher mag nur das famose Motiv 044 sein?» sagte Einer, «er hat schon lange nicht so was Neues gehabt!»

«Dort vorn,» erwiderte ein Anderer, der soeben herzugetreten, «dort hängt das Motiv noch einmal, offenbar von einem Neuling, der noch nicht recht zu untermalen und noch weniger zu lasiren versteht!»

«Dann hat er's dem gestohlen, der Spitzbube!» lachten die Uebrigen und gingen hin, mein Schicksal zu betrachten. Ich blieb vor der siegreichen Arbeit stehen und dachte seufzend: «Wer's kann, der macht's!» Wie ich aber das Bild länger studierte, glaubte ich zu entdecken, daß die von dem Maler getroffenen Abänderungen wol für seinen technischen Standpunkt gut und nützlich, dagegen für meine platonische Art eher schädlich gewesen seien. Denn da mir der energische Glanz seines Pinsels nicht zu Gebote stand, so wäre die tiefere Innerlichkeit meines ersten Entwurfes, die nachwirkende Unmittelbarkeit der reichen Naturstudie mit ihrer Formenfülle für den Liebhaber ein etwelcher Ersatz gewesen.

Als ich im Weggehen einen Augenblick vor meinem verlassenen Bilde weilte, überzeugte ich mich, daß es statt besser zu werden durch den Rathschlag des Meisters förmlich verarmt, zum Beweis, daß auch in diesen Dingen der Fink nichts von der Drossel lernt.

045 Nach der bestehenden Ordnung mußte ich mein Werk acht Tage auf der Ausstellung lassen, während welcher keine Seele nach seinem Preise fragte. Dann holte ich es weg und lehnte es einstweilen an die Wand. Dann ging ich in das nebenliegende Schlafzimmerchen hinein und setzte mich auf meinen dortstehenden Reisekoffer, was meine Gewohnheit war, wenn ich etwas Kritisches zu überlegen hatte, weil der Koffer ein Stück heimatlichen Geräthes war. So verlief der Ausgang meines ersten Versuches, ein Stück Brot zu erwerben.

Was ist Erwerb und was ist Arbeit? fragte ich mich; hier führt ein bloßes Wollen, ein glücklicher Einfall ohne Mühe zu reichlichem Gewinne, dort eine geordnete, nachhaltige Mühe, welche mehr wirklicher Arbeit gleicht, aber ohne innere Wahrheit, ohne nothwendigen Zweck, ohne Idee. Hier heißt Arbeit, lohnt sich und wird zur Tugend, was dort Müssiggang, Nutzlosigkeit und Thorheit ist. Hier nützt und hilft etwas theilweise, ohne wahr zu sein; dort ist etwas wahr und natürlich, ohne zu helfen, und immer ist der Erfolg der König, der den Ritterschlag ertheilt. – Ein Spekulant geräth auf die Idee der Revalenta arabica (so nennt er es wenigstens) und bebaut dieselbe mit aller Umsicht und Ausdauer; sie gewinnt eine ungeheure Ausdehnung 046 und gelingt glänzend; tausend Menschen werden in Bewegung gesetzt und Hunderttausende, vielleicht Millionen gewonnen, obgleich Jedermann sagt: Es ist ein Schwindel! Und doch nennt man sonst Schwindel und Betrug, was ohne Arbeit und Mühe Gewinn schaffen soll. Niemand aber wird sagen können, daß das Revalentageschäft ohne Arbeit betrieben werde; es herrschen da gewiß so gute Ordnung, Fleiß und Betriebsamkeit, Um- und Uebersicht, wie in dem ehrbarsten Handelshause oder Staatsgeschäfte; auf den Einfall des Spekulanten gegründet ist eine umfassende Thätigkeit, eine wirkliche Arbeit entstanden.

Die Beschaffung des Mehles, die Anfertigung der Büchsen, das Verpacken und Versenden erhält viele Arbeiter; ebenso viele werden beschäftigt durch die zahllosen marktschreierischen Ankündigungen, mit der größten Mühe und Umsicht betrieben. Keine Stadt der verschiedenen Continente giebt es, in welcher nicht Setzer und Drucker mit der Herstellung der Inserate und Reklamen Nahrung finden, kein Dorf, in welchem nicht ein Wiederverkäufer eine kleine Steuer darauf erhebt. Diese läuft in tausend Aederchen zusammen und wird in hundert Bankhäusern von ehrwürdigen Buchhaltern, lakonischen Kassieren weiter geleitet bis an die Quelle der Idee 047 zurück. Dort sitzen die Urheber in ihrem Comptoir mit ernster Miene in tiefsinniger Thätigkeit; denn sie haben nicht nur das tägliche Geschäft zu überwachen und fortzuführen, sie haben schon auch ihre Handelspolitik zu studieren, um dem Bohnenmehl neue Bahnen zu eröffnen, es in diesem, in jenem Welttheile vor drohender Concurrenz zu schützen.

Doch nicht immer waltet die tiefe Geschäftsstille, die unverbrüchliche Strenge der Arbeit in diesen Räumen; es giebt Tage der Erholung, der Freude, der sittlichen Belohnung, welche den heiligen Ernst lieblich unterbrechen. Das Zutrauen der Mitbürger hat das Haupt des Hauses mit magistratischen Würden geehrt und es findet eine anständige Bewirthung aller Schutzbefohlenen statt. Oder es wird die Hochzeit der ältesten Tochter gefeiert, ein Ehrentag für Alle, die es angeht; denn es hat sich die durchaus ebenbürtige Verbindung mit der angesehensten Familie des Stadtviertels vollzogen; die Reichthümer sind auf beiden Seiten so gleichmäßig abgewogen, daß keine vernünftige Störung des ehelichen Glückes denkbar ist. Schon am Vorabend wurden Wagenladungen von Palmen und Myrthenbäumen in's Haus gebracht und die Blumenkränze aufgehangen; am Morgen füllt sich die Gasse mit Neugierigen und das Volk weicht ehrerbietig vor den 048 Kutschen zurück, die in endloser Reihe auffahren, wegfahren und wieder zurückkehren, bis das Festmahl unter schmetternden Fanfaren seinen Anfang nimmt. Bald aber tritt lautlose Stille ein, als der Brautvater an das Glas schlägt und mit bescheidener Rührung, ohne das Schicksal herauszufordern, seinen Lebensgang schildert und das höhere Walten preist, das ihn, den Unwürdigen, so weit geführt habe, wie jetzt allen Augen sichtbar sei. Mit nacktem Wanderstabe, der noch im stillen Kämmerlein aufbewahrt werde, sei er einst in diese werthe Stadt gekommen und habe Schritt für Schritt mit Noth und Sorge, aber unverdrossenem Fleiße gekämpft und öfters fast den Muth verloren; allein die edle Gattin, die Mutter seiner Kinder zur Seite, habe er sich immer wieder aufgerichtet und seine Blicke auf das Eine, das Große gerichtet, was da Noth gethan! Einsame lange Nächte hindurch habe er mit dem schöpferischen Gedanken gerungen, dessen Früchte nun einer Welt zum Segen gereichen und allerdings nebenbei auch sein redliches Streben gelohnt, einen bescheidenen Wohlstand bereitet haben u. s. w.

So wird aber Revalenta arabica gemacht in noch vielen Dingen, nur mit dem Unterschiede, daß es nicht immer unschädliches Bohnenmehl ist, aber 049 mit der nämlichen räthselhaften Vermischung von Arbeit und Täuschung, innerer Hohlheit und äußerem Erfolg, Unsinn und weisem Betriebe, bis der Herbstwind der Zeit alles hinwegfegt und auf dem Blachfelde nichts übrig läßt, als hier einen Vermögensrest, dort ein verfallendes Haus, dessen Erben nicht mehr zu sagen wissen, wie es vordem entstanden, oder es nicht zu sagen lieben.

Will ich nun, grübelte ich weiter, ein Beispiel wirkungsreicher Arbeit, die zugleich ein wahres und vernünftiges Leben ist, betrachten, so ist es das Leben und Wirken Friedrich Schillers. Dieser, aus dem Kreise hinausfliehend, zu welchem Familie und Landherr ihn bestimmt, alles im Stiche lassend, was ihn nach ihrem Willen beglücken sollte, stellte sich in früher Jugend auf eigene Faust, nur das thuend, was er nicht lassen konnte, und schaffte sich sogar durch eine Ausschweifung, eine überschwengliche und wilde Räubergeschichte Luft und Licht; aber sobald er dies gewonnen, veredelte er sich unablässig von innen heraus und sein Leben wurde nichts anderes als die Erfüllung seines innersten Wesens, die folgerechte krystallinische Arbeit des Idealen, das in ihm und seiner Zeit lag. Und dieses einfach fleißige Dasein verschaffte ihm endlich alles, was seinem persönlichen Wesen genügte. Denn da er mit Respekt 050 zu melden ein gelehrter Stubensitzer war, so lag es eben nicht in ihm, ein reicher und glänzender Weltmann zu sein. Eine kleine Abweichung in seinem leiblichen und geistigen Wesen, die eben nicht Schillerisch war, und er wäre es auch geworden. Aber nach seinem Tode erst, kann man sagen, begann sein ehrliches, klares und wahres Arbeitsleben seine Wirkung und seine Erwerbsfähigkeit zu äußern, und wenn man ganz absieht von der geistigen Erbschaft, die er hinterlassen, so muß man erstaunen über die materielle Bewegung, über den bloß leiblichen Nutzen, den er durch das treue Hervorkehren seiner Ideale hinterließ. So weit die deutsche Sprache reicht, sind in den Städten nicht viele Häuser, in welchen seine Werke nicht stehen, und auf den Dörfern sind sie wenigstens in einem oder zwei Häusern zu finden. Je weiter aber die Bildung der Nation sich verbreitet, desto größer wird diese Vervielfältigung werden und zuletzt in die niederste Hütte dringen. Hundert Gewinnhungrige lauern nur auf das Erlöschen des Privilegiums, um die edle Lebensarbeit Schillers so massenhaft und wohlfeil zu verbreiten, wie die Bibel, und der umfangreiche Nutzverkehr, der während der ersten Hälfte eines Jahrhunderts stattgefunden, wird während der zweiten Hälfte um das Doppelte wachsen. 051 Welch' eine Menge von Papiermachern, Druckersleuten, Verkäufern, Angestellten, Laufburschen, Lederhändlern, Buchbindern verdienten und werden ihr Brot noch verdienen. Dies ist, im Gegensatze zu der Revalenta arabica manches Treibens, auch eine Bewegung und doch nur die rohe Schale eines süßen Kernes, eines unvergänglichen nationalen Gutes.

Das war ein einheitliches organisches Dasein; Leben und Denken, Arbeit und Geist dieselbe Bewegung. Aber es giebt doch auch ein getrenntes, gewissermaßen unorganisches Leben von gleicher Ehrlichkeit und Friedensfülle, das ist, wenn Einer täglich ein bescheidenes dunkles Werk verrichtet, um die stille Sicherheit für ein freies Denken zu gewinnen, Spinoza, der optische Gläser schleift. Aber schon bei Rousseau, der Noten schreibt, verzerrt sich das gleiche Verhältniß in's Widerwärtige, da er weder Frieden, noch Stille darin sucht, vielmehr sich wie die anderen quält, er mag sein wo er will.

Was ist nun zu thun? Wo liegt das Gesetz der Arbeit und die Erwerbsehre und wo decken sie sich?

Dergestalt spintisirte ich über etwas, worin ich zunächst gar keine Wahl hatte; denn die Noth und der Ernst des Lebens standen zum ersten Mal wirklich vor der Thüre. Das fiel mir auch endlich ein; ich gedachte auch jener Spinne, die ihr zerstörtes 052 Netz von Neuem herstellte, und sagte mir, indem ich mich erhob: Es hilft nichts, ich muß wieder anfangen! Ich sah mich unter meinen Habseligkeiten um und suchte nach Gegenständen, welche zu einer zierlich bunten Behandlung in anspruchslosen kleinen Schildereien geeignet schienen. Nichts minderes führte ich plötzlich im Sinne, als eine derartige Praktik aufzuthun, welche sich, wie ich wähnte, jederzeit bei Seite legen ließ. Es handelte sich nicht um jene höhere Schönmalerei, wie sie der Motive stibitzende Meister handhabte, ich aber nicht bewältigen konnte, sondern um ein Herabsteigen auf eine tiefere Stufe, wo der Glanz der gemalten Theebretter und Dosendeckel beginnt. Freilich nicht ganz so tief wollte ich gehen; ich dachte immerhin einen gewissen Werth zu verarbeiten, dabei aber auf die Unkunde und den roheren Geschmack des untern Marktes Rücksicht zu nehmen mit allerhand billigen Effekten. Aber so eifrig, ja ängstlich ich auch in meinen Mappen suchte, so dünkte mich doch Alles, was ich in die Hand bekam, jedes Studienblatt, jeder kleine Entwurf zu gut dafür, es war zu schade darum. Wollte ich meine früheren Arbeitsfreuden nicht gewaltsam selbst verderben, so mußte ich noch tiefer gehen und eigene Erfindungen machen, an denen nichts verloren ging.

053 Indem ich dieses genauer bedachte, trat mein Vorhaben in ein sehr ungünstiges Licht; ich ließ muthlos das Blatt sinken, das ich eben hielt, und setzte mich wieder auf den Reisekoffer. Das sollte also das Ende so langer Lehrjahre und die Erfüllung so großer Hoffnungen und zuverlässiger Worte sein! Der Selbstausschluß vom Gebiete gebildeter Kunst und ein unrühmliches Verschwinden in der Dunkelheit, wo arme Teufel mit Nichtswürdigkeiten das Leben fristen! Ich bedachte nicht einmal, daß ich ja mit einer ernsthaften Arbeit auftreten gewollt, ein diebischer Routinier mich aber des Erfolges beraubt hatte; ich suchte nur den Punkt meiner Fehlbarkeit, weil ich zu hochfahrend war, mich für einen Pechvogel zu halten, und endigte, ohne klar zu sein, mit einem Seufzer nach Aufschub, den ich mir schon früher gewährt und nutzlos verthan hatte, soweit es den nächsten nothwendigen Zweck betraf.

Da saß ich nun, den Kopf abermals in die Hände begraben, und schweifte mit den Gedanken umher, bis sie in der Heimat anlangten und mir von dort aus die neue Sorge zusandten, daß die Mutter meine Lage ahnen und sich darüber bekümmern könnte. Ich hatte ihr sonst regelmäßig und in einem heitern Tone geschrieben, ihr allerlei von den fremden Sitten und Gebräuchen erzählt, die ich 054 sah, und manche Schwänke und Schnurren eingeflochten, um sie aus der Ferne zum Lachen zu bringen und wol auch mit meiner Fröhlichkeit groß zu thun. Sie antwortete mit treulichen Berichten über den Weltlauf zu Hause und jeden Spaß vergalt sie mit einer Hochzeit oder einem Todesfall, mit dem Schiffbruch einer Haushaltung oder dem verdächtigen Glücke einer anderen. Auch der Oheim war gestorben und die Kinder hatten sich zerstreut im verworrenen Getümmel der Heerstraße und zogen schon ihre Kinderkärrchen hinter sich her, gleich den Juden in der Wüste. Seit einiger Zeit waren jedoch meine Briefe seltener und einsilbiger geworden; die Mutter schien sich zu scheuen, nach dem Grunde zu fragen, wofür ich ihr dankbar war, da ich doch nichts Rechtes zu melden wußte. Seit einigen Monaten hatte ich gar nicht mehr geschrieben, und sie hielt sich auch still. Als ich jetzt so in der Stille saß, klopfte es sachte an der Thüre des äußern Zimmers; ein Kind kam herein und brachte mir einen Brief, der Schrift und Siegel der Mutter zeigte.

Sie wollte die Ungewißheit oder vielmehr die Furcht nicht länger ertragen, daß es nicht nach Wunsch und Hoffnung mit mir stehe; sie verlangte daher Aufschluß über meine Umstände und Aussichten, besorgte, daß ich bereits Schulden habe, 055 weil sie von keinem Erwerb wisse und das kleine Erbe doch lange aufgebraucht sei. Für den Fall der Noth habe sie einige Ersparnisse am Ueberflüssigen gemacht, die jetzt bereit lägen, ihren Dienst zu thun, wenn ich nur offen berichten wolle.

Das Kind, welches den Brief gebracht, stand noch da, als ich ihn schnell gelesen; ich hatte es beim Zeichnen des Jesuskindes in jener christlich-mythologischen oder geologischen Landschaft als Modell benutzt, um ihm die nöthigsten Verhältnisse abzusehen, und da das Bild durch mein Herumsuchen zufällig in den Vordergrund gerathen, so stand das Knäbchen vor demselben und sagte: das bin ich! indem es den Finger auf das Himmelskind legte. Durch diese anmuthige Fügung erhielt der Vorgang einen übernatürlichen Anklang; der kleine Träger der guten Botschaft erschien gewissermaßen als ein Abgesandter der göttlichen Vorsehung selbst, und so wenig ich an ein Wunder, etwa in Gestalt eines allgütigen Scherzes derselben glaubte, gefiel mir das kleine Abenteuer doch über die Maßen wohl und machte mir den mütterlichen Brief doppelt erquicklich. Es ist nicht anders zu sagen, genau betrachtet mußte die gleiche Figur, mit der ich in dem Entwurf jenes Bildes eine tiefsinnige Ironie zu begehen der Meinung war, jetzt meine Angelegenheiten 056 wenigstens mit einer artigen Parabel verzieren helfen, sie mit einem Bezuge auf das Unendliche veredeln.

Alles schien jetzt gut und jede Erfüllung wieder möglich, ja wahrscheinlich zu sein; keinen Augenblick zögerte ich, das Opfer anzunehmen, und schrieb meine Antwort etwas kleinlaut und doch offen und wohlgemuth. Dabei ermangelte ich nicht, meiner wunderlichen Universitätsstudien zu erwähnen und dieselben als eine für die Gegenwart allerdings nachtheilige, für die Zukunft aber doch irgendwie Nutzen bringende Störung darzustellen; und schließlich landete ich wieder an dem Cap der guten Hoffnungen und Verheißungen.

Als die Mutter diesen Brief empfing und ihn gelesen hatte, schloß sie die Stubenthüre zu und ihren alten Schreibtisch auf und brachte aus dessen Fächern zum ersten Mal den Schatz ihrer Ersparnisse an's Licht. Sie fügte die Thaler zu Rollen und diese zu einem unförmlichen Pakete, umwand es mehrmals mit starkem Papier und dieses mit Schnüren, beträufelte es überall mit Siegellack und drückte das Petschaft darein, alles sehr unkaufmännisch mit überflüssiger Mühe, denn es war schon lange fest genug; aber es war doch jedenfalls fest. Dann schob sie das schwere Paket in eine taftene 057 Handtasche oder Rüticüle, legte es auf den Arm und eilte auf Seitenwegen zur Post; denn sie wünschte nicht gesehen zu werden, weil sie nicht gesonnen war zu antworten, wenn Jemand sie befragt hätte, wo sie mit dem Gelde hin wolle. Mühselig und mit zitternder Hand streifte sie das seidene Säcklein von dem Geldkloben, reichte ihn durch das Schiebfensterchen und gab ihn mit einem Gefühl der Erleichterung aus der Hand. Der Beamte besah die Adresse, dann die Frau, machte seine umständlichen Verrichtungen, gab ihr den Empfangschein, und sie begab sich ohne sich umzuschauen hinweg, als ob sie so viel Geld Jemandem genommen anstatt gegeben hätte. Der linke Arm, auf dem sie die Last getragen, war steif und ermüdet, und so kehrte sie etwas angegriffen in ihre Behausung zurück, stillschweigend durch ein Gedränge von Leuten, welche keinen Gulden für ihre Kinder hergeben, ohne damit zu prahlen, zu lärmen, oder darüber zu jammern und zu klagen. Zu jener Zeit, als mein Oheim lebte und noch predigte, hatte er einmal gesagt: «Gott weiß wohl, welche Leute bescheiden und still sind, und welche nicht, und er zwickt die letztern gelegentlich ein wenig, ohne daß sie wissen, woher es kommt, und ich habe ihn im Verdacht, daß das ihm alsdann einen kleinen Spaß macht!»

058 Zu Hause fand die Mutter die Klappe des Schreibtisches noch geöffnet und die Schublädchen aufgezogen, die nun leer waren; sie schloß dieselben und öffnete beiläufig dasjenige, in welchem für ihr tägliches Bedürfniß ein unbeträchtliches Häuflein Münze in einem Schälchen lag und verkündigte, daß zunächst nun jede Wahl verschwunden war zwischen Gütlichthun und weiterem Darben, und daß die gute Frau jetzt mit dem besten Willen sich keine guten Tage mehr hätte machen können. Allein das wurde von ihr weder bemerkt, noch kam es in Frage. Sie stieß auch dies Lädchen sogleich wieder zu, versorgte Schreibzeug und Siegellack, verschloß den Schrank und setzte sich auf das alte Sorgenstühlchen ohne Lehnen, um von ihren Thaten auszuruhen, aufrecht wie ein Tännlein.

So sehe ich sie jetzt noch, obgleich ich nicht dabei war, Dank der Kenntniß ihrer Gewohnheiten, ähnlich wie der Alterthumskundige mit seinen Hülfsmitteln und Anhaltspunkten die Ansicht eines zerstörten Denkmales wiederherstellt.

 


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