GH 1.16

221 Sechzehntes Kapitel.

Ungeschickte Lehrer, schlimme Schüler.

Um wieder zu jener Schulzeit zurückzukehren, so kann ich nicht bekennen, daß dieselbe hell und glücklich gewesen sei. Der Kreis des zu Erfahrenden hatte sich nun erweitert, die Ansprüche waren ernster geworden, ich hatte ein dunkles Gefühl, daß es sich um Wichtiges und Schönes handle, und auch einen gewissen Drang, diesem Gefühle zu genügen. Aber die Uebergänge von einer Stufe zur anderen waren mir nie klar und gingen mir öfter verloren. Das Uebel lag aber hauptsächlich in den Uebergangszuständen der Schule selbst, da die Lehrerschaft noch aus alten Theilen, nämlich unbeschäftigten Theologen der Landeskirche, die aus Liebhaberei oder Bedürfniß alle möglichen Lehrfächer zu übernehmen gewöhnt waren, und aus neuen durchgebildeten Fachlehrern bestand und daher keine gleichmäßige und in einander greifende Lehrweise vorhanden war. Jene Theologen verfuhren nach alten Gewohnheiten und 222 persönlichen Launen, sprangen von den Gegenständen ab, wenn es ihnen beliebte, und behandelten alles mehr als Dilettanten, während die weltlichen Berufslehrer wiederum ganz verschiedene Manieren und Methoden hinzubrachten, die ihrerseits auch noch nicht erprobt waren. Hieraus ergab sich als Hauptübel überdies eine ungleiche und unsichere Behandlung der Jugend und die Möglichkeit jener wunderlichen Katastrophen und Abenteuer, deren Opfer bald der Lehrer, bald der Schüler wurde.

Es lehrte an unserer Schule ein Mann, welcher mit gutem Willen und ehrlichem Sinn eine große Unerfahrenheit, mit der Jugend umzugehen, und ein schwächliches und seltsames Aeußeres verband. Er hatte in dem Kampfe, welcher den Umschwung der Dinge und besonders das erneute Schulwesen herbeiführte, tapfer mitgewirkt und war in der altgesinnten Stadt als ein leidenschaftlicher Liberaler verschrieen. Wir Knaben waren allzumal gute Aristokraten, mit Ausnahme derer, die vom Lande kamen. Auch ich, obgleich meines Ursprunges halber auch ein Landmann, aber in der Stadt geboren, heulte mit den Wölfen und dünkte mich in kindischem Unverstande glücklich, auch ein städtischer Aristokrat zu heißen. Meine Mutter politisirte nicht und sonst hatte ich kein nahestehendes Vorbild, welches meine 223 unmaßgeblichen Meinungen hätte bestimmen können. Ich wußte nur, daß die neue radikale Regierung einige alte Thürme und Mauerlöcher vertilgt hatte, welche Gegenstand unserer besonderen Zuneigung gewesen, und daß sie aus verhaßten Landleuten und Emporkömmlingen bestand. Hätte mein Vater, der zu diesen gehörte, noch gelebt, so wäre ich ohne Zweifel ein ganz liberales Männlein gewesen.

Gleich beim Beginne der neuen Schulen, als der ungeschickte Lehrer seine Thätigkeit mit vieler Gemüthlichkeit antrat, brachte ein Schüler, der Sohn eines fanatischen Stadtbürgers, mit wichtigen Worten die Nachricht unter uns, wie der Lehrer geschworen hätte, uns Aristokratenkinder mit eiserner Ruthe zu bändigen. Er war nämlich in einer Gesellschaft aufmerksam gemacht worden, wie er es theilweise mit einer durch altes Herkommen übermüthigen und ausgelassenen Stadtjugend zu thun haben würde, worauf er antwortete, er werde mit den Bürschlein schon fertig zu werden wissen. Auf obige Weise dargestellt, wurde diese Rede nun, wahrscheinlich nicht ohne Zuthun der Alten, unter unsere verstandlose Masse geworfen und sie begann sogleich zu wirken. Wir nahmen den Handschuh auf; die Verwegensten eröffneten einen geordneten Widerstand und ein leichtes Geplänkel des Unfuges. Schon dies verwirrte 224 ihn, und anstatt mit Sarkasmen und ruhiger, überlegener Entschiedenheit die Angreifer zurückzuwerfen, rückte er sogleich mit seiner Hauptmacht und dem schweren Geschütze vor, indem er jeden kleinen Muthwillen, auch jede unabsichtliche That blindlings mit den schwersten und einflußreichsten Strafen belegte, die ihm zu Gebote standen und welche sonst nur in seltenen Fällen angewendet wurden. Dadurch entzog er sich in unsern Augen den guten Rechtsboden, da wir in der Abschätzung des Verhältnisses zwischen Strafe und Vergehen eine große Gewandtheit besaßen. Seine Strafen wurden bald werthlos und zuletzt eine Ehrensache, ein Martyrium. Es entstand offener Lärm in den Stunden, welcher sich auch in die anderen Sääle verbreitete, wo der Gehetzte zu erscheinen hatte. Nun beging er einen neuen Fehlgriff; statt die Bewegung in sich selbst zerfallen zu lassen und eine Zeit lang ihr zu stehen, fing er an, jeden Schüler aus der Stube zu jagen, der das Geringste verübte. Eine unschuldig gestellte Frage an ihn, das absichtliche oder unabsichtliche Fallenlassen eines Gegenstandes reichte hin, in's Freie befördert zu werden. Wir merkten uns dies und bald hielt er regelmäßig nur mit zwei oder drei Frommen seinen Unterricht, während der helle Haufen vor der Thüre sich auf seine Kosten 225 belustigte. Das Einschreiten oberer Behörden oder auch seine eigene Energie, wenn er, trotz des Verbotes, die Schüler zu schlagen, Einige ein einziges Mal bei den Köpfen genommen und tüchtig durchgebläut hätte, würden hingereicht haben, die Ruhe herzustellen. Zu Letzterem besaß er nicht die geeignete Persönlichkeit; das Erstere unterblieb, da die unmittelbar folgende Instanz aus Pflegern bestand, welche dem Verfolgten abgeneigt waren und so lang als möglich die Vorfälle nicht zu bemerken schienen. Die Schüler erzählten in ihren Familien mit Ruhmredigkeit ihre Thaten, wobei sie nicht unterließen, den Lehrer als den schreckbarsten Popanz darzustellen. Die behäbigen Bürger, sich mit Wohlgefallen ihrer eigenen Knabenstreiche erinnernd und in der Erfahrung der alten Zeit aufgewachsen, daß die Schule nur eine Art Unterkommen bilde, bis das würdige Bürgerkind, ohne sich den Kopf zerbrechen zu müssen, in das behagliche Privilegien- und Zunftwesen der guten alten Stadt aufgenommen würde, bestärkten ihre Söhnlein durch unverhohlenes Lächeln, wo nicht durch direkte Aufreizung, in ihrem Treiben. Obgleich die Sache längst Aufsehen gemacht hatte, wurde sie nach Oben hin stets so geschildert, als ob alle Schuld an dem Verfolgten läge; es kam etwa ein Herr in die Stunde, um 226 selbst zu sehen; dann hüteten wir uns aber wohl, etwas zu beginnen, so wie wir auch in den Stunden der übrigen Lehrer uns doppelt ruhig verhielten. Der Unglückliche war ein Ableiter für allen bösen Stoff, welcher in der Schule steckte. So schleppte er sich beinahe ein Jahr lang hin, bis er endlich für eine Zeit lang suspendirt wurde. Er wäre so gerne ganz weggeblieben, indem er Schaden an seiner Gesundheit litt und ganz abmagerte; aber eine zahlreiche Familie schrie nach Brot und er war auf diesen Beruf angewiesen. So trat er eines Tages seinen Leidensweg wieder an, so versöhnlich und bescheiden, als möglich; allein er fand keine Barmherzigkeit; ein wilder Jubel brach los, das alte Unwesen wiederholte sich und er mußte nach wenigen Tagen gänzlich entlassen werden.

Ich hatte mich lange Zeit ziemlich ruhig verhalten und nur den zahlreichen Auftritten behaglich zugesehen. Gegen den Mann selbst verging ich mich nicht ein einziges Mal, da es mir widerstrebte, einem Erwachsenen gegenüber aufzutreten. Erst als das Hinausschieben der ganzen Klasse begann, suchte ich auch Theil zu nehmen und bewerkstelligte dies durch kleine Streiche oder wischte auch so mit hinaus; denn erstens ging es sehr lustig her draußen und zweitens hätte ich um keinen Preis bei den wenigen 227 verpönten Gerechten bleiben mögen, welche in der Stube saßen. Desto lauter wurde ich, wenn ich einmal draußen war, half Aufzüge und Umgänge anordnen und überließ mich, nach langer Zurückgezogenheit, einer so wilden Freude, daß mir das Herz heftig klopfte und mein Blut ganz in Wallung war, wenn wir bei dem folgenden Lehrer wieder an unseren Plätzen saßen. Ich kann mir fest gestehen, daß ich mich damals über die Freude selbst freute und keinerlei Bosheit in mir trug. Vielmehr empfand ich ein heimliches Mitleid mit dem Armen, welches ich zu äußern aber unterließ, um nicht lächerlich zu werden. Einst traf ich ihn ganz allein auf einem Feldwege; er schien einen Erholungsgang zu machen; unwillkürlich zog ich ehrerbietig meine Mütze, was ihn so freute, daß er mir zuvorkommend dankte und mich dabei so märterlich ansah, als ob er um Barmherzigkeit flehte. Ich wurde gerührt und dachte, daß es anders werden müsse. Gleich am nächsten Tage trat ich zu einer Gruppe der wildesten Mitschüler, um geradezu am rechten Flecke anzugreifen und ein Wort des Mitgefühls, des Nachdenkens unter sie zu werfen; ich hatte den richtigen Instinkt, daß dieses gewiß, wenn auch nicht augenblicklich, weiter wirken und die Laune der Menge anziehen würde. Sie sprachen eben von 228 dem Lehrer, hatten eben einen neuen Spitznamen erfunden, der so komisch klang, daß Alles bester Laune war und auflachte; die vorbedachten Worte verdrehten sich mir auf der Zunge und anstatt meine Pflicht zu thun, verrieth ich ihn und mein besseres Selbst, indem ich das gestrige Abenteuer auf eine Weise vortrug, die der gegenwärtigen Stimmung vollkommen entsprach und dieselbe erhöhte!

Nach seiner Entfernung wurde es still unter uns; die Lärmbedürftigen und Schlimmgesinnten wandten sich unbehaglich hin und her, zehrten von der Erinnerung und konnten sich nicht zurechtfinden. Eines Abends, nach dem Schlusse des Unterrichts, ging ich ruhig meiner Wege und näherte mich meiner Wohnung, als ich rufen hörte: Grüner Heinrich! hierher! Ich wandte mich um und erblickte in einer anderen Straße eine ansehnliche Schaar Schüler, welche durcheinandertrieben, wie ein Ameisenhaufen, und sehr geschäftig schienen. Ich erreichte sie, man theilte mir mit, daß man in Gesammtheit dem verabschiedeten Lehrer noch einen Besuch abstatten und ein rechtes Schlußvergnügen veranstalten wolle, und forderte mich auf, Theil zu nehmen. Der Plan wollte mir gar nicht einleuchten, ich lehnte kurz ab und ging weg. Jedoch die Neugier wandte mich, daß ich von ferne nachzog und sehen wollte, wie 229 es abliefe. Der Haufen bewegte sich vorwärts; andere Schulen, deren Bestandtheile um diese Zeit alle in den Gassen wimmelten, wurden angeworben, daß bald ein Zug von hundert Jungen aller Art sich fortwälzte. Die Bürger standen unter den Thüren und betrachteten mit Verwunderung das Thun, ich hörte Einen sagen: «Was mögen die Teufelsbuben nur wieder vorhaben? Die sind bei Gott fast so munter, als wir gewesen sind!» Diese Worte klangen in meinen Ohren wie Kriegsdrometen, meine Füße wurden lebendiger und schon trat ich dem letzten Manne des Zuges auf die Fersen. Es war ein unsägliches Vergnügen in der Menge, hervorgerufen durch das improvisirte Beisammensein aus eigener Machtvollkommenheit. Ich wurde immer wärmer, schob mich vorwärts und sah mich plötzlich bei der Spitze angelangt, wo die hohen Häupter gingen und mich begrüßten. «Der grüne Heinrich ist doch noch gekommen!» hieß es, der Name erschallte längs des ganzen Zuges und vermehrte den Stoff zu Geräusch und spielerischer Freude. Mir schwebten sogleich gelesene Volksbewegungen und Revolutionsscenen vor. «Wir müssen uns in gleichmäßigere Glieder abtheilen,» sagte ich zu den Rädelsführern, «und in ernstem Zuge ein Vaterlandslied singen!» Dieser Vorschlag 230 wurde beliebt und sogleich ausgeführt; so durchzogen wir mehrere Straßen, die Leute sahen uns mit Staunen nach; ich schlug vor, noch einen Umweg zu machen und dies Vergnügen so lange als möglich andauern zu lassen. Auch dies geschah, allein zuletzt langten wir doch am Ziele an. «Was wollen wir nun eigentlich beginnen?» fragte ich, «ich dächte, wir sängen hier ein Lied und zögen dann wieder mit einem Hurrah davon!» «In's Haus! in's Haus!» tönte es zur Antwort, «wir wollen ihm eine Dankrede für sein Wirken abstatten!» «So sollen wenigstens Alle für Einen stehen und Keiner davon laufen, damit Alle die gleiche Strafe tragen, wenn es Etwas absetzt!» rief ich, worauf der ganze Schwarm in das kleine enge Haus einströmte und die Treppen hinantobte. Ich blieb an der Hausthüre stehen, um keinen Mitschuldigen sich einzeln entfernen zu lassen. Es tönte ein furchtbarer Lärm im Innern, die Knaben waren ganz berauscht von ihrer eigenen Aufregung; der Gesuchte lag krank in einem verschlossenen Zimmer, die Frauen suchten erschrocken die übrigen Thüren zu verschließen und sahen sich aus den Fenstern nach Hülfe um. Doch schämten sie sich zu rufen; die Nachbaren wußten nicht, was Alles zu bedeuten hätte, und sahen höchst verwundert zu; ich blieb mit nichts weniger als heiteren Gedanken 231 auf meinem Posten. Das Haus war von unten bis oben angefüllt, die Lärmenden erschienen unter den Dachlucken, warfen alte Körbe heraus und stiegen sogar auf das Dach, die Luft mit ihrem Geschrei erfüllend. Ein altes Weib brach endlich beherzt aus einem Kämmerchen hervor und trieb den ganzen Schwarm mit einem Besen allmälig aus dem Hause.

Dies Attentat war denn doch zu auffällig gewesen, als daß die oberen Behörden länger hätten zusehen können. Sie verlangten eine strenge Untersuchung. Wir wurden in einem Saale versammelt und einzeln aufgerufen, um vor ein Tribunal zu treten, welches in einer Nebenstube saß. Das Verhör dauerte einige Stunden, die Zurückkehrenden gingen sogleich weg, ohne Bericht zu geben; zwei Drittheile der Versammelten waren schon fort und noch wurde ich nicht aufgerufen: dagegen bemerkte ich, daß zuletzt Alle, welche aus der Verhörstube kamen, mich ansahen, ehe sie weggingen. Zuletzt hieß es, der ganze Rest solle hereinkommen mit Ausnahme des grünen Heinrich.

Endlich kam die Reihe an mich; der letzte Trupp erschien wieder und hieß mich hineingehen. Ich wollte fragen, was denn vorginge, erhielt aber keine Antwort; vielmehr sputeten sie sich ängstlich von 232 hinnen. So trat ich in die Nebenstube, halb von Neugierde vorwärts gedrängt, halb von jener beklemmenden Furcht zurückgehalten, welche die Jugend vor den Alten empfindet, wenn sie in ihnen an Verstand überlegene und allmächtige Wesen voraussetzt. Es saßen zwei Herren am oberen Ende eines langen Tisches, an dessen Fuß ich stand, einige Stücke Papier und ein Bleistift vor sich. Der Eine war der nächste Vorsteher der Schule, der auch selbst Unterricht ertheilte und mich kannte, der Andere ein höherer gelehrter Herr, welcher wenig sagte. Zu Jenem stand ich in einem eigenthümlichen Verhältnisse; er war ein gemüthlicher Poltron, gern viele Worte machend und froh, wenn ein Schüler durch bescheidene Widerrede ihm Gelegenheit gab, sich gründlich über ein Faktum zu verbreiten. Im Anfange hatte er mir wohl gewollt, da ich gerade bei ihm mich ziemlich gut aufführte; aber meine Eigenschaft, den Vorwürfen, Ermahnungen und Strafen bei vorkommenden Fällen ein unwandelbares Schweigen entgegenzusetzen, hatte mir seine Abneigung zugezogen. Das ängstliche Läugnen, die Zungengeläufigkeit, Strafe von sich abzuwenden, das hartnäckige Feilschen um dieselbe waren mir unmöglich; glaubte ich eine solche verdient zu haben, so nahm ich sie schweigend hin; schien sie mir zu ungerecht, so schwieg 233 ich ebenfalls, und nicht aus Trotz, sondern ich lachte innerlich ganz frohmüthig darüber und dachte, der Richter hätte das Pulver auch nicht erfunden. Darum hielt mich der Herr für einen unbrauchbaren, bedenklichen Burschen und fuhr mich nun mit drohender Miene an: «Hast Du an dem Skandale Theil genommen? Schweig! läugne nicht, es wird nichts helfen!» Ich brachte ein leises Ja hervor, der weiteren Dinge gewärtig. Doch wie um mich in seinen Augen, da ihm einmal zur Weckung guter Laune durchaus ein gründlicher Wortwechsel nöthig war, noch zu retten, that er, als ob er ein Nein vernommen hätte und schrie: «Wie, was? Heraus mit der Wahrheit!» «Ja!» wiederholte ich etwas lauter. «Gut, gut, gut!» sagte er, «Du wirst gewiß noch Einen finden, der Dir gewachsen ist, einen Stein, der eine Beule in Deine eiserne Stirne schlägt!» Diese Worte beleidigten mich und thaten mir weh; denn sie schienen nicht nur eine arge Verkennung zu enthalten, sondern auch eine ungehörige Voraussagung der Zukunft, eine persönliche Bitterkeit zu sein. Er fuhr fort: «Hast Du auf dem Wege vorgeschlagen, einen förmlichen Zug zu ordnen und ein Lied zu singen?» Diese Frage machte mich stutzen; meine Genossen hatten also mich verrathen und deshalb ohne Zweifel sich rein gewaschen; ich 234 schwankte, ob ich nicht läugnen könne, aber es kam wieder ein Ja hervor. «Hast Du am Hause erklärt, daß Keiner sich zurückziehen dürfe und dieser Erklärung durch Bewachung der Thür Folge gegeben?» Das bejahte ich unbedenklich, da es mir weder eine Schande, noch ein besonderes Vergehen zu sein schien. Diese beiden Momente, aus den ersten Fragen an die Mitschuldigen schon zu Tage getreten, schienen dem Herrn auf den Haupturheber hinzudeuten; sie ragten auch wol am faßbarsten aus all' dem wirren Treiben hervor und er hatte allein auf sie hin verhört. Jeder bejahte regelmäßig die Frage darnach und war froh, nicht über sich selbst sprechen zu müssen.

Ich wurde entlassen und ging etwas bewegt, doch gemächlich nach Hause; das Ganze schien mir nicht sehr würdig zu verlaufen. Zwar fühlte ich eine tiefe Reue, aber nur gegen den mißhandelten Lehrer. Zu Hause erzählte ich der Mutter den ganzen Vorgang, worauf sie mir eben eine Strafrede halten wollte, als ein Amtsdiener hereintrat mit einem großen Briefe. Dieser enthielt die Nachricht, daß ich von Stund an und für immer von dem Besuche der Schule ausgeschlossen sei. Das Gefühl des Unwillens und erlittener Ungerechtigkeit, welches sich sogleich in mir äußerte, war so überzeugend, 235 daß meine Mutter nicht länger bei meiner Schuld verweilte, sondern sich ihren eigenen bekümmerten Gefühlen überließ, da der große und allmächtige Staat einer hülflosen Wittwe das einzige Kind vor die Thüre gestellt hatte mit den Worten: Es ist nicht zu brauchen!

Wenn über die Rechtmäßigkeit der Todesstrafe ein tiefer und anhaltender Streit obwaltet, so kann man füglich die Frage, ob der Staat das Recht hat, ein Kind oder einen jungen Menschen, die gerade nicht tobsüchtig sind, von seinem Erziehungssysteme auszuschließen, zugleich mit in den Kauf nehmen. Gemäß jenem Vorgange wird man mir, wenn ich im späteren Leben in eine ähnliche ernstere Verwicklung gerathe, bei gleichen Verhältnissen und Richtern, wahrscheinlich den Kopf abschneiden; denn ein Kind von der allgemeinen Erziehung ausschließen, heißt nichts Anderes, als seine innere Entwicklung, sein geistiges Leben köpfen. In der That haben auch häufig die öffentlichen Bewegungen der Erwachsenen, von welchen solche Kinderaufläufe ein Abbild genannt werden können, mit Enthauptungen geendigt.

Der Staat hat nicht darnach zu fragen, ob die Bedingungen zu einer weiteren Privatausbildung vorhanden seien, oder ob trotz seines Aufgebens das 236 Leben den Aufgegebenen doch nicht fallen lasse, sondern manchmal noch etwas Rechtes aus ihm mache: er hat sich nur an seine Pflicht zu erinnern, die Erziehung jedes seiner Kinder zu überwachen und zu Ende zu führen. Auch ist am Ende diese Erscheinung weniger wichtig in Bezug auf das Schicksal solcher Ausgeschlossenen, als daß sie den wunden Fleck auch der besten unserer Einrichtungen bezeichnet, die Trägheit nämlich und Bequemlichkeit der mit diesen Dingen Beauftragten, welche sich für Erzieher ausgeben.

 


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