Historisch-Kritische Gottfried Keller-Ausgabe (HKKA)        NG_04

Neuere Gedichte 1851

 

Gaselen.

1847.


037 Gaselen. I.

Unser ist das Reich der Epigonen,
Die im großen Herkulanum wohnen;
Seht, wie ihr noch einen Tropfen presset
Aus den alten Schaalen der Zitronen!
Geistiges ist noch genug vorhanden,
Auch der Liebe Zucker wird noch lohnen.
Wasser fluthet uns in weiten Meeren,
Brauchen es am wenigsten zu schonen:
Braut den Trank für lange Winternächte,
Bis uns blühen neue Lenzeskronen!

 

 Neuere Gedichte / Gaselen

038 Gaselen. II.

Herbstnächtliche Wolken, sie wanken und zieh'n
Gleich fieberisch träumenden Kranken dahin:
Auf Bergwald und Seele die Düsterniß ruht,
Ob kalt sie auch Luft und Gedanken durchfliehn.
Klarstrahlend jedoch tritt hervor nun der Mond,
Und weithin die Wolken entschwanken um ihn.
Geh' auf auch im Herzen mir, lieblicher Stern,
Dem immer die Schatten noch sanken dahin!

 

 Neuere Gedichte / Gaselen

039 Gaselen. III.

Wie schlafend unter'm Flügel ein Pfau den Schnabel hält,
Von luft'gen Vogelträumen die blaue Brust geschwellt,
Geduckt auf Einem Fuße, dann plötzlich oft einmal,
Im Traume phantasirend das Funkelrad er stellt:
So hing betäubt und trunken, ausreckend Berg und Thal,
Der große Wundervogel in tiefem Schlaf, die Welt.
So schwoll der blaue Himmel von Träumen ohne Zahl,
Mit leisem Knistern schlug er ein Rad, das Sternenzelt.

 

 Neuere Gedichte / Gaselen

040 Gaselen. IV.

Und als die Schöpfung bleischwer das Haubt im Schlafe wog,
Und sie ein quälend Traumbild, daß sie nicht sei, betrog,
Und Gott im Himmel selber schlief, vergessend Meer und Land,
Worüberhin kein Lufthauch als Lebenszeichen zog:
Da wachte eine Lilie auf, die einsam, einsam stand,
Und die den fernen Sternglanz mit leisem Athem sog;
Da fiel ein Falter tief in sie, mit dunklem Schwingenrand,
Der durch den kalten Nachtthau mit Mühe zitternd flog.
Die Flügel schmiegte bebend er an ihres Kelches Wand,
Die, auch erbebend, ob ihm sich eng zusammen bog.

 

 Neuere Gedichte / Gaselen

041 Gaselen. V.

Wenn schlanke Lilien wandelten, vom Weste leis geschwungen,
Wär' doch ein Gang, wie deiner ist, nicht gleicherweis' gelungen!
Wohin du gehst, da ist nicht Gram, da ebnet sich der Pfad,
So dacht' ich, als vom Garten her dein Schritt mir leis erklungen.
Und nach dem Takt, in dem du gehst, dem leichten, reizenden,
Hab' ich im Nachschau'n wiegend mich dies Liedchen leis gesungen.

 

 Neuere Gedichte / Gaselen

042 Gaselen. VI.

Der Herr gab dir ein schönes Augenpaar,
Du weißt damit zu blicken lieb und klar.
Mit feiner Hand hältst du in schönen Banden,
Das er dir gab, dein anmuthreiches Haar.
Wie eine Palme aus den Morgenlanden
Ließ er dich wachsen, der im Anfang war.
Du aber weißt dich köstlich zu gewanden,
Daß sich verdunkelt deiner Schwestern Schaar.
Wie dankbar du des Schöpfers Sinn verstanden,
Legst du in reizbewußtem Wesen dar.

 

 Neuere Gedichte / Gaselen

043 Gaselen. VII.

Perlen der Weisheit sind mir deine Zähne,
O wie ich mich nach ihrem Scheine sehne!
Denn über dem Bemüh'n, sie zu erblicken,
Vertrocknet mir die letzte kleine Thräne.
Indem ich dich zu holdem Lachen reize,
Vergess' ich ganz der Welt unreine Späne,
Und um dein schönstes Lächeln zu verdienen,
Gelingen meinem Geiste feine Pläne.

 

 Neuere Gedichte / Gaselen

044Gaselen. VIII.

Nun schmücke mir dein dunkles Haar mit Rosen,
Den Schleier laß die Schultern klar umkosen!
Mit leichtem Spott laß deine Augen schweifen,
Sie können es so wunderbar, die losen!
Du sollst an meinem Arm den Markt durchstreifen,
Dort will ich meiner Feinde Schaar erbosen!

 

 Neuere Gedichte / Gaselen

045 Gaselen. IX.

Ich halte dich in meinem Arm, du hältst die Rose zart,
Und eine junge Biene tief in sich die Rose wahrt;
So reihen wir uns perlenhaft an Einer Lebensschnur,
So freu'n wir uns, wie Blatt an Blatt sich an der Rose schaart.
Und brennt mein Kuß auf deinem Mund, so zuckt die Flammenspur
Bis in der Biene Herz, das sich dem Herz der Rose paart!

 

 Neuere Gedichte / Gaselen

046 Gaselen. X.

Berge dein Haubt, wenn ein König vorbeigeht,
Tief an der Brust des Geliebten, der frei steht;
Aber dem Betteljung laß es erglänzen,
Welchen das Elend der Erde vorbeiweht!

 

 Neuere Gedichte / Gaselen

047 Gaselen. XI.

Als ich an deiner Frühlingsbrust zwiefachem Himmel geruht,
In königlicher Ruhe stolz hinwogte unser Blut:
Von diesem Himmel unverwandt sah ich zum andern auf
Und schaute in den Hesperus mit frohem, stillem Muth.
Dann drückte müd' die Augen ich an deinem Busen zu,
Doch immerfort sah ich den Stern in seiner schönen Gluth.
Er ging in deinem Herzen auf, wie es der Widerschein
Luna's in einem spiegelnden und tiefen Brunnen thut.

 

 Neuere Gedichte / Gaselen

048 Gaselen. XII.

Dies ist eine heilige Lenzmitternacht, o höre:
Drangvoll alle Quellen gehn, laut rauschen ihre Chöre!
Tag' und Nächte gleichen sich, hell zuckt ein Wetterschein,
Lieblich aber, als ob ihn nur Blüthendunst geböre!
Löse auf dein wallend' Haar, weit laß es sich zerstreu'n,
Schwöre, daß ein jegliches mein nur, o mein gehöre!
Löse deine Schleier auf, die Liebesbrust zu weih'n,
Bade sie im Wetterschein; mich treu zu lieben schwöre!

 

 Neuere Gedichte / Gaselen

 

049 Gaselen. XIII.

O heiliger Augustin im Himmelssaal!
Nun werd' ich glauben an deine Gnadenwahl:
Denn gleich dem Affen, der eine Tulpe hält,
Sah heut' ich Einen halten den Weinpokal.
Wie hat zerreißend es mir in's Ohr gegellt,
Als er der Maid froschmäulige Küsse stahl!
Dazu schaut' er so säuerlich in die Welt,
Als stäke er in des Fegefeuers Qual.

 

 Neuere Gedichte / Gaselen

050 Gaselen. XIV.

Mich tadelt der Fanatiker, in deinen Armen weich zu ruh'n,
Und heischt, indem zum Streit er eilt, zu lärmen und ihm gleich zu thun.
In tollen Sätzen eilt er fort und peitscht die Luft mit seinem Stahl
Und schwört: es gäb' kein größer Heil, als auf dem Schlachtfeld bleich zu ruh'n!
Laß laufen ihn, den Närrischen, und küsse mich noch hundert Mal,
Ich denke doch bei Zeiten noch vor ihm den ersten Streich zu thun!

 

 Neuere Gedichte / Gaselen

051 Gaselen. XV.

O Mädchen! gestern quälte mich ein eitler Christ, ein Esel,
Heut' schreckte mich par excellence ein Atheist, ein Esel!
Dort naht mit worteschwangerm Nichts, mit ungeheurem Unsinn,
Mit tönender Salbaderei ein Pantheist, ein Esel –
Birg mich an deiner jungen Brust und rette meine Menschheit,
Mein Kind! sonst werd' ich selber noch zu dieser Frist ein Esel!

 

 Neuere Gedichte / Gaselen

052 Gaselen. XVI.

'ne Schaale Feuerwein ist gut, wenn man sich schlagen soll,
Und mehr noch, wenn das Leben man zu Markte tragen soll,
Ist eine Ueberzeugung werth, wofür man steh' und falle,
Woran das junge Leben man, das schöne, wagen soll!
Doch mehr, als Wein und Hochgefühl beim hellsten Zinkenschalle,
Begeistert mich, so ich der Lust der Welt entsagen soll,
Wenn auf dem Mund ein Weibeskuß noch brennt, ich frag' euch Alle:
O saget mir, nach was man noch auf Erden fragen soll?

 

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053 Gaselen. XVII.

Zerbogen und zerkniffen war der vord're Rand an meinem Hut,
Und röthlich färbte er sich auch, wie es des Säufers Nase thut.
Und wenn ich auf der Straße ging, so fiel ich in der Spötter Schlingen;
Das füllte mich mit Aerger, denn im Ganzen war der Chapeau gut.
Drum dreht' ich ihn, bis hinter mir des Würdigen gelähmte Schwingen,
Und, vorn den wohlerhalt'nen Rand, trat ich einher mit frischem Muth.
Doch weh! an meinem Rücken nun die tausend schlimmen Augen hingen,
Ich hörte zischeln hinter mir und in den Kopf stieg mir das Blut
Und zwang mich, den verdammten Filz flugs wieder vorn herum zu bringen:
Denn lieber vor als hinter mir mag ich der Tadler stille Wuth.
In seinen Schatten neige dich, Schlußton von allem meinem Singen,
Mein treues Lieb, und tröste mich mit deiner Lippen süßer Gluth.

 

  


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