Gottfried Keller

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Luise Rieter (1828-1879)

Inhalt

Biographisches
Ein Liebesbrief
Traumbuch

Biographisches

 

Luise Rieter, Kellers "Winterthurerin", ist die Tochter des Kaufmanns Carl Friedrich Rieter-Schellenberg, der in Winterthur ein Kolonialwarengeschäft betrieb. Sie befaßte sich mit Literatur und bildender Kunst, wirkte auch eine Zeit lang als Erzieherin im Hause eines Dubliner Arztes, lebte später zusammen mit ihrer Mutter in einem Thurgauer Dorf und verbrachte die letzten Jahre bei Verwandten in Danzig (nach Hans Wysling: Gottfried Keller. Zürich 1990, S. 138 f.).

Keller lernte Luise bei seinem Freund Wilhelm Schulz kennen, bei dem er 1847 nach dem Tod von dessen Frau eine Weile lebte. Luise war von dem Ehepaar Orelli-Breitinger, den Eigentümern des Hauses, während der Sommerferien eingeladen worden. Luise beschreibt ihre erste Begegnung mit Keller in einem Brief an ihre Mutter:

Als wir nach Hause gekommen, kam bald Herr Daverio mit dem Dichter Keller, dieser spricht wenig und scheint eher phlegmatischen Temperaments zu sein. Er hat sehr kleine, kurze Beine, schade! denn sein Kopf wäre nicht übel, besonders zeichnet sich die außerordentlich hohe Stirne aus. Es war ihm nicht ganz wohl, hoffen wir, daß es nicht mich war, die ihm Weh verursachte und er verließ uns bald wieder.
(zit. nach Ursula Amrein und Madeleine Herzog: "Ich glaube, ich träumte von der Winterthurerin" - Gottfried Keller und Winterthur. In: Winterthurer Jahrbuch 1992, S. 109-139).

 

 

Ein Liebesbrief

 

In der Zentralbibliothek Zürich ist ein Brief aufbewahrt, in dem Keller Luise Rieter am 16. Oktober 1847 seine Liebe gesteht. Dieses Geständnis wurde von Luise Rieter auf schroffe Weise abgelehnt, wie aus seinen Briefen an Frau von Orelli ersichtlich ist.

Ich schrieb Ihr, daß nur der Freundlichkeit, mit welcher sie mir begegnet sei u: d: gl. mir den Muth gebe, Ihr mein Herz zu eröffnen. Das hat Sie so ausgelegt, als ob ich auf eine unverschämte Weise ihre angeborne Freundlichkeit zu meinen Gunsten ausgelegt hätte, u: doch ist es nicht so.
(Keller an Barbara von Orelli-Breitinger, 21.10.1847; ZB: Ms. GK 77, Nr. 30/1, Abschrift)

 

Gottfried Keller an Luise Rieter, 16. Oktober 1847

Verehrteste Fräulein Rieter

Erschrecken Sie nicht, daß ich Ihnen einen Brief schreibe und sogar einen Liebesbrief, verzeihen Sie mir die unordentliche u unanständige Form desselben, denn ich bin gegenwärtig in einer solchen Verwirrung, daß ich unmöglich einen wohlgesetzten Brief machen kann und ich muß schreiben, wie ich ungefähr sprechen würde. Ich bin noch gar nichts und muß erst werden, was ich werden will und bin dazu ein unansehnlicher armer Bursche, also habe ich keine Berechtigung, mein Herz einer so schönen und ausgezeichneten jungen Dame anzutragen, wie Sie sind, aber wenn ich einst denken müsste, daß Sie mir doch ernstlich gut gewesen wären und ich hätte nichts gesagt, so wäre das ein sehr großes Unglück für mich und ich könnte es nicht wohl ertragen. Ich bin es also mir selbst schuldig, daß ich diesem Zustande ein Ende mache, denn denken Sie einmal, diese ganze Woche bin ich wegen Ihnen in den Wirthshäusern herumgestrichen, | weil es mir angst u bang ist, wenn ich allein bin. Wollen Sie so gütig sein und mir mit zwei Worten ehe Sie verreisen, in einem Billet sagen, ob Sie mir gut sind oder nicht? Nur damit ich etwas weiß; aber um Gotteswillen bedenken Sie sich nicht etwa, ob Sie es vielleicht werden könnten? Nein, wenn Sie mich nicht schon entschieden lieben, so sprechen Sie nur ein ganz fröhliches Nein aus und machen Sie sich herzlich lustig über mich; denn Ihnen nehme ich nichts übel und es ist keine Schande für mich, daß ich Sie liebe, wie ich es thue, Ich kann Ihnen schon sagen, ich bin sehr leidenschaftlich zu dieser Zeit und weiß gar nicht, woher alle das Zeug, das mir durch den Kopf geht, in mich hinein kommt. Sie sind das allererste Mädchen, dem ich meine Liebe erkläre, obgleich mir schon mehrere eingeleuchtet haben, und wenn Sie mir nicht so freundlich begegnet wären, so hätte ich mir vielleicht auch nichts zu sagen getraut. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Antwort, ich müßte mich sehr über mich selbst verwundern, wenn ich über Nacht zu einer so holdseligen Geliebten gelangen würde. Aber geniren Sie sich ja nicht mir ein recht rundes, grobes Nein in den Briefeinwurf zu thun, wenn Sie nichts für <<mich>> | sein können, denn ich will mir nachher schon aus der Patsche helfen. Es ist mir in diesem Augenblicke schon etwas leichter geworden, da ich direkt an Sie schreibe und ich weiß, daß Sie in einigen Stunden dieses Papier in ihren lieben Händen halten. Ich möchte Ihnen so viel Gutes u Schönes sagen, daß ich jetzt gleich ein ganzes Buch schreiben könnte; aber freilich, wenn ich vor Ihren Augen stehe, so werde ich wieder der alte unbeholfene Narr sein und ich werde Ihnen Nichts zu sagen wissen. - So eben fällt es mir ein, daß man mir vorwerfen könnte: Ich hätte wegen einiger scherzhaften Beziehungen und mir erwiesener Freundlichkeit nicht gleich an ein solches Verhältniß zu denken gebraucht; aber ich habe lange genug nichts gesagt und einen traurigen u müssigen Sommer verlebt und ich muß endlich wieder in mich selbst zurückkehren. Wenn mich eine Sache ergreift so gebe ich ihr mich ganz und rücksichtslos hin und ich bin kein Freund von den neumodischen Halbheiten. Aber ich muß schließen. Nocheinmal bitte ich Sie, verehrtes Fräulein, sich nicht an der Verworrenheit dieses Briefes zu stoßen, es ist gewiß nicht Mangel an Dezenz oder Respekt, sondern nur mein Gemüthszustand. Im glücklichen Falle werde ich dann schon einen vernünftigen und klaren Brief schreiben, denn ich bin eigentlich sonst ganz vernünftig. Wollen Sie also die Güte haben, Ein Zettelchen mit zwei Worten in den Briefeinwurf zu thun und das, so bald als möglich; denn wie gesagt, ohne sich im mindesten zu bedenken, wenn Sie ungewiß zu sein glauben, das Zukünftige wird sich dann schon geben. Leben Sie wohl und grüßen Sie die verehrte Frau Orelli von mir, und halten Sie einem armen Poeten etwas zu gut Ihr ergebener Gottfr. Keller

Hottingen im Oktober 1847.

(Zit. HKKA 31, S. 243; Original ZB: Ms. GK 77 Nr. 33)

 

 

Traumbuch

 

Kellers Traumbuch aus dem Jahr 1847 gedenkt an manchen Stellen Luise Rieters. Einige Auszüge:

Ich glaube, ich träumte von der Winterthurerinn, weil mich immer noch eine Sehnsucht treibt, diese Träume auszugrübeln, aber es ist vergebens. Man sollte sich während besonderer Träume bestimmte Kennzeichen machen können.

 

Traumbuch, S. 17 (15. Sept. 1847)
HKKA 18, S. 113

Einige Stunden mit Baumgartner zugebracht. Er spielte mir einige schöne Phantasien von Liszt u Thalberg und eine von sich, nachher Lieder von Schumann, die wir zusammen sangen. Die Lorelei (Heine) von Silcher hat mich gewaltig gepackt und ich singe sie immer vor mir her. Dies Lied drückt sehr viel aus, wo einen der Schuh drückt, und was nicht gerade romantisch, sondern nur rein menschlich ist. [...]

Als Baumgartner spielte, wünschte ich wunderschön spielen und singen zu können, der Louise R. wegen. Mein armes Dichten verschwand und schrumpfte zusammen vor meinen inneren Augen, ich verzweifelte an mir, wie es mir überhaupt oft geht. Ich weiß nicht was Schuld ist, aber immer scheint mir mein Verdienst zu gering, um ein ausgezeichnetes Weib zu binden, vielleicht kommt das von der wenigen Mühe, welche meine Produkte mir machen.

 

Traumbuch, S. 42 f. (16. Sept. 1847)
HKKA 18, S. 139

d. 17t. S∙eptember 1847

Heute bekam ich ein artiges Gedicht in Terzinen von der Ostsee her, von einem gewissen Bruno Buchs aus Köslin. Ich habe schon mehr dergleichen bekommen, dies freute mich aber ein wenig, darum, weil es in einer traurigen Stunde kam und mir sagte, daß ein Unbekannter am fernen Meer mich achte und liebe. Meine Eitelkeit erregte es nicht im Mindesten, worauf ich genau acht gab. Einzig wünschte ich, daß es die Winterthörin wüßte, die Liebe klammert sich an alle Würzelchen, welche helfen
können.

 

Traumbuch, S. 45 (17. Sept. 1847)
HKKA 18, S. 141

Heute im Wald wünschte ich ein gewandter Jäger zu sein, ich schoß ein junges, zartes Reh in Gedanken und überschickte es Ihr, wozu ich mir ein Sonett ausdachte: Ich möchte Sie nähren und kleiden mit allem, was die Erde trägt, und {ihr Leben} ganz allein tragen. Sie solle aber von der wilden, blutigen Gabe nicht auf ein rauhes, hartes Herz schließen. Im Liebesunmuth schoß ich, fern von Ihr, das junge Reh." - Da Sie, wie ich höre auch dichtet, so dachte ich mir ein Antwortsonett aus. Wenn ich auch nicht gerade wünsche, daß Sie sehr schöne Verse mache, so fiel das Sonett doch sehr gut aus, von der Gegenliebe eingegeben. Hierauf kehrte ich zurück und traf Sie auf dem Wege an, die Begegnung, Ihre und meine Kleidung, die erste Verlegenheit, Alles wurde aufs ausführlichste ausgeheckt und eine artige Novellette gemacht.

Wenn ich übrigens diese kindischen Phantasien nicht zum Dichten gut brauchen könnte, so wäre ich allerdings ein eitler Esel. Ist es aber mir armem Teufel nicht zu gönnen, wenn ich von der Waare, welche ich offiziell verfertige und verkaufe, im Geheimen selbst ein bischen nasche und konsumire?
 

Traumbuch, S. 49-51 (20. Sept. 1847)
HKKA 18, S. 145-147